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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Peter Camerons Verunsicherungskunststück "Was geschieht in der Nacht"
Peter Cameron ist ein amerikanischer Autor, der hierzulande etwas aus dem Fokus gerückt ist. Der heute Zweiundsechzigjährige wurde bis 2012 zuverlässig ins Deutsche übersetzt und beim Knaus Verlag veröffentlicht, doch sein neues Buch "What Happens at Night", 2020 in den Vereinigten Staaten erschienen, hat es nicht mehr ins Programm jenes Verlags geschafft, der nach dem großen Konzentrationsprozess beim Münchner Buchkonzern Random House nun die zahlreichen früher eigenständigen Programme bündelt: Penguin. Dass die Übernahme des weltberühmten englischen Verlagsnamens auch für den Löwenanteil der anspruchsvolleren deutschen Bücher des Konzerns auf Kosten eines englischsprachigen Autors gehen würde, durfte man nicht erwarten - wenn auch Cameron in seiner Heimat als Autor unbekannter ist als in Europa. Aber das hat ja die Publikation seines jüngsten Romans nicht verhindert, und zwar beim New Yorker Verlag Catapult, der sogar zu Random House gehört. Es half Cameron nichts.
Seinem hiesigen Publikum hilft es dagegen, dass nun in Deutschland die Verlagsbuchhandlung Liebeskind zum Zug gekommen ist. Dazu darf sie sich gratulieren. "Was geschieht in der Nacht" - wie der im Gegensatz zum restlichen Text rhythmisch und semantisch holprig übersetzte Romantitel hier lautet - ist ein Genrewerk, für das es ein großes Interesse geben dürfte. Mit einem altertümlichen Begriff kann man das Buch als Schauerliteratur bezeichnen, aber es selbst hat nichts Altertümliches außer dieser literaturgeschichtlichen Erbfolge. Cameron und sein Übersetzer Werner Löcher-Lawrence, der hier erstmals bei diesem Autor zum Zuge kommt, nutzen sprachlich konsequent die große Tradition englisch-, aber auch deutschsprachiger Autoren auf diesem Feld, um eine im besten Sinne unheimliche Geschichte zu erzählen. Sie bietet romantische Motive, Reiseimpressionen, Phantastik und vor allem Tiefenpsychologie.
Ein namenloses amerikanisches Ehepaar ist mit dem Zug unterwegs in den hohen Nordosten von Europa - ob in Schweden, Finnland oder Russland, lässt Cameron offen; für alle drei Länder gibt es jeweils Indikatoren, aber am ehesten muss man sich die schließlich erreichte Ortschaft mit dem zungenbrecherischen Namen Borgarfjaroasysla wohl als Inbegriff eines Niemandslandes vorstellen. Im dortigen "Grand Imperial Hotel" versammeln sich lauter Gescheiterte, die nur noch hier am - Pardon - Arsch der Welt auf so etwas wie Zukunft hoffen dürfen. Das mittelalte amerikanische Ehepaar will im lokalen Waisenhaus einen Sohn adoptieren, nachdem eigene Kinder ausgeblieben sind und die Frau lebensbedrohlich erkrankt ist, was eine Adoption in den Vereinigten Staaten ausschließt. Sollte sie wie erwartet sterben, bliebe ihm wenigstens der Junge.
Doch in den langen Nächten und kurzen Tagen der nordischen Ödnis lernen beide jeweils einen Mann kennen, der ihre Blicke auf sie selbst verändert: die Frau einen ortsansässigen Heiler, der sie wieder an Gesundung denken lässt, der Mann einen niederländischen Geschäftsmann, der ihm homosexuelle Avancen macht. Außerdem gibt es eine ehemalige Schauspielerin, die nun im Hotel arbeitet und in den beiden neuen Gästen ein willkommenes Ziel ihrer Lebensweisheitsvermittlung sieht. Cameron gibt diesem ganzen Personal jenseits seiner Hauptpersonen übrigens durchaus Namen, aber die Anonymität der beiden Ehepartner wird gerade dadurch zum Sinnbild ihrer Selbstsuche.
Noch weitaus symbolträchtiger ist der Hauptschauplatz im Hotel. Das "Overlook" aus Stephen Kings "Shining" ist nichts gegen das "Grand Imperial" - nicht, weil es hier noch einsamer wäre (es gibt ja immerhin Gäste), sondern weil dieses Haus als in Ausstattung und Personal prototypisch alteuropäische Institution ein Gothic-Gefühl heraufbeschwört, das am "Shining"-Schauplatz Colorado nicht zu haben ist: "Sämtliche Türen dieses Hauses wurden aus dem ursprünglichen Khedival-Opernhaus in Kairo gerettet. Es sind von der UNESCO zertifizierte historische Objekte", heißt es an der aberwitzigsten Buchstelle, die damit auch noch einen Pharaonenfluch evoziert, denn was sollte aus einem alten ägyptischen Gebäude anderes kommen. Die Verlorenheit des Ehepaars aus den Vereinigten Staaten an die Unberechenbarkeit der Alten Welt ist zudem in jener Region unseres Kontinents besonders glaubhaft zu machen, die nun durch den Ukrainekrieg wieder das Böseste heraufbeschwört, was sich weitab in idyllischen Zuständen lebende gruselwillige Leser unter europäischen Zuständen vorstellen mögen. Bram Stoker hatte es vor 125 Jahren mit seinem im damaligen Dauerkrisengebiet Südosteuropa angesiedelten "Dracula"-Roman nicht anders gemacht. Und wenn wir ehrlich sind, bedient dieses Rezept auch unsere eigenen Klischeevorstellungen aufs Beste. Wer würde nicht gerne von der Literatur in seinen Überzeugungen bestätigt?
Nun konnte Peter Cameron, als er "Was geschieht in der Nacht" schrieb, nicht wissen, was jetzt, da das Buch auf Deutsch erschienen ist, an aktuellen Assoziationen ansteht. Umso bemerkenswerter ist das Geschick, mit dem er ein Grauen erzeugt, das nie explizit wird, sondern ganz aus der Stimmung entsteht. Die Verunsicherung, die der Verzicht auf Anführungszeichen bei den zahlreichen Dialogpassagen dadurch erzeugt, dass sich auktoriale Erzählung und wörtliche Rede durchdringen und kontaminieren, trägt zum Eindruck, es sei nie ganz klar, was da geschieht, entscheidend bei. Und wenn es am Schluss aus der Dunkelheit, in die das Ehepaar zu Beginn der Handlung hineinfuhr, für nur eine Hälfte von ihm auch wieder hinausgeht, ist das Erleichterungsgefühl ungefähr so groß wie am Ende von Roman Polanskis Film "Tanz der Vampire". All diese Referenzen auf Düster-Klassiker sind hier nicht zu hoch gegriffen. ANDREAS PLATTHAUS
Peter Cameron: "Was geschieht in der Nacht". Roman.
Aus dem Englischen von Werner Löcher- Lawrence. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2022. 272 S., geb., 24,- Euro.
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