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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Elke Reichart findet für ein großes Thema keine Form
Es ist neben der Liebe eines der großen Themen der Adoleszenz und auch der Jugendliteratur, und doch ist der Zugang, den Elke Reichart mit ihrem Buch nimmt, ungewöhnlich und vielversprechend: Die Münchner Journalistin hat ein Sachbuch über den Respekt geschrieben, über jene Haltung zu unseren Mitmenschen und zur Umwelt, die, wenn es gut läuft, irgendwann die Stelle kindlicher Unbedachtheit einnimmt - und die, wenn es schlecht läuft und er fehlt, zum Nukleus vieler Konflikte und Krisen im Leben eines Menschen werden kann.
So gebräuchlich das Wort in pop- und jugendkulturellen Zusammenhängen, in Familie, Schule und Sport, gesellschaftlichen und politischen Debatten ist, so verschieden ist das, was sich die Leute darunter vorstellen. "Was heißt hier Respekt?!" - Elke Reichart stellt diese Frage, die ihrem Buch den Titel gibt, einer Vielzahl von Leuten: einem Fußballstar und einem Bodyguard, einer Bischöfin, einem Islamlehrer und einem Rabbi, einem Herzchirurgen und einer Krankenschwester. Ihre Gesprächspartner gewähren ihr interessante Einblicke, erzählen Anekdoten, sagen Dinge über das Leben und die Welt, die in ihren großen Gemeinsamkeiten und persönlichen Abweichungen durchaus erhellend sind.
Am Material, das Elke Reichart zusammengetragen hat, liegt es also sicher nicht, dass ihr Buch eine Enttäuschung geworden ist. Es liegt an seiner fehlenden Auswertung durch die Autorin. Und an strukturellen Schwächen.
Noch bevor der erste Interviewpartner das Wort erhält, wird der Leser auf eine Geduldsprobe gestellt. Der Respektforscher Tilman Eckloff wird vorgestellt, eine halb bedruckte Seite endet mit einer Art kursiv gesetzter Kapitelüberschrift, nach dem Umblättern findet sich allerdings nicht nur eine andere Überschrift, sondern auch eine andere Form: Nach der Formulierung, der Forscher nehme sich "des Themas in zwei Kapiteln an", erwartet man den Beitrag eines Gastautors - und liest ein Interview. Eine attraktive, unaufdringliche, persönliche Form der Wissensvermittlung, die Reichart einerseits mit einer kurzen Beschreibung der Erscheinung des Forschers und ein, zwei biographischen Schlaglichtern bedient, um sie andererseits durch einen etymologischen Einschub und stichwortartig-hölzerne Fragen ihrer Lebendigkeit wieder zu berauben.
Warum muss es gleich als Nächstes um Respekt in der Schule gehen, dieses fraglos zentrale, aber auch dortselbst breit diskutierte Konfliktfeld, mit dem man Jugendlichen bestimmt kommen kann, aber auch erst kommen sollte, wenn man sie erst einmal hinter dem Ofen hervorgelockt hat? So weit ist Elke Reichart aber an dieser Stelle noch nicht. Vielleicht kommt sie nie so weit, weil sie selbst keine Stellung bezieht zu dem, was sie von den einzelnen Gesprächspartnern erfährt. Sie sortiert nicht, vergleicht und bedenkt nicht, zeigt weder Überraschung noch Irritation oder Anteilnahme. Auf zwei Ebenen hätte das Buch interessant werden können: wenn die Autorin immer wieder den Transfer in die Klarheit der Abstraktion versucht und überlegt hätte, wie sich ihr eigenes Verständnis von Respekt durch die Recherche verändert. Oder wenn sie konsequent die Konkretheit des Anekdotischen gestärkt hätte.
So bleibt das Buch in unentschiedener Mittellage, nicht viel mehr als eine Materialsammlung. Und fürs Erste bleiben Romane die besten Bücher für Jugendliche zum Thema.
FRIDTJOF KÜCHEMANN
Elke Reichart: "Was heißt hier Respekt?!"
Reihe Hanser bei dtv, München 2015. 192 S., br., 9,95 [Euro]. Ab 14 J.
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