Spannung und Unterhaltung auf hohem literarischen Niveau »Lydia ist tot.« Der erste Satz, ein Schlag, eine Katastrophe. Am Morgen des 3. Mai 1977 erscheint sie nicht zum Frühstück. Am folgenden Tag findet die Polizei Lydias Leiche. Mord oder Selbstmord? Die Lieblingstochter von James und Marilyn Lee war ein ruhiges, strebsames und intelligentes Mädchen. Für den älteren Bruder Nathan steht fest, dass Jack an Lydias Tod Schuld hat. Marilyn, die ehrgeizige Mutter, geht manisch auf Spurensuche. James Lee, Sohn chinesischer Einwanderer, bricht vor Trauer um die Tochter das Herz. Allein die stille Hannah ahnt etwas von den Problemen der großen Schwester. Was bedeutet es, sein Leben in die Hand zu nehmen? Welche Kraft hat all das Ungesagte, das Menschen oft in einem inneren Abgrund gefangen hält? Nur der Leser erfährt am Ende, was sich in jener Nacht wirklich ereignet hat. Kennen Sie bereits den ebenfalls bei dtv erschienenen Roman »Kleine Feuer überall« von Celeste Ng, der als erfolgreiche TV-Serie mit Reese Witherspoon und Kerry Washington verfilmt wurde? Außerdem von Celeste Ng bei dtv erschienen: »Unsre verschwundenen Herzen«
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.07.2020Die besten Seiten des Sommers
Warum musste
Lydia sterben?
Mutter, Vater, drei Kinder, Kleinstadt-Idyll. Bis die Lieblingstochter, Lydia, 16, über Nacht verschwindet. Am nächsten Morgen ist sie tot, ertrunken im See. Die Eltern haben es immer gut gemeint mit Lydia und ihren Geschwistern. Doch „gut gemeint“, davon erzählt Celeste Ng, kann das Schlimmste sein, was Mutter und Vater Kindern zufügen. Ng entblättert die Geschichte einer Bilderbuch-Familie, die von Seite zu Seite immer tiefer in einen Strudel von Überraschungen, Geheimnissen und Verzweiflung führt. Warum gaukelt Lydia ihren Eltern Telefonate vor, die sie gar nicht führt? Hat Jack, Lydias seltsamer Freund, mit ihrem Tod zu tun? Was ahnen die Kinder über die Beziehung ihrer Eltern, ohne Genaues zu wissen? Kein Thriller, auch wenn es so klingen mag, vielmehr das Psychogramm einer Familie und einer Gesellschaft, die sich aufs Verschweigen versteht. Warum nur musste Lydia sterben? Einfach lesen.
WOLFGANG KRACH
Celeste Ng:
Was ich euch nicht
erzählte. Roman.
dtv, München 2016.
288 Seiten, 10,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Warum musste
Lydia sterben?
Mutter, Vater, drei Kinder, Kleinstadt-Idyll. Bis die Lieblingstochter, Lydia, 16, über Nacht verschwindet. Am nächsten Morgen ist sie tot, ertrunken im See. Die Eltern haben es immer gut gemeint mit Lydia und ihren Geschwistern. Doch „gut gemeint“, davon erzählt Celeste Ng, kann das Schlimmste sein, was Mutter und Vater Kindern zufügen. Ng entblättert die Geschichte einer Bilderbuch-Familie, die von Seite zu Seite immer tiefer in einen Strudel von Überraschungen, Geheimnissen und Verzweiflung führt. Warum gaukelt Lydia ihren Eltern Telefonate vor, die sie gar nicht führt? Hat Jack, Lydias seltsamer Freund, mit ihrem Tod zu tun? Was ahnen die Kinder über die Beziehung ihrer Eltern, ohne Genaues zu wissen? Kein Thriller, auch wenn es so klingen mag, vielmehr das Psychogramm einer Familie und einer Gesellschaft, die sich aufs Verschweigen versteht. Warum nur musste Lydia sterben? Einfach lesen.
WOLFGANG KRACH
Celeste Ng:
Was ich euch nicht
erzählte. Roman.
dtv, München 2016.
288 Seiten, 10,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Eine fesselnde Familiengeschichte. Judith Liere Stern 20161208
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2016Traumwelt süßsauer
Celeste Ngs Roman über eine chinesischstämmige amerikanische Familie
"Wie war es möglich, sich so zu täuschen?" Diese Frage steht zuweilen am Ende der Suche von chinesischstämmigen Amerikanern nach dem amerikanischen Traum. In ihrem auf Englisch 2014 erschienenen Bestseller schildert Celeste Ng, deren Eltern in die Vereinigten Staaten einwanderten, die Krux der Diaspora: Anderssein und Ausscheren aus der Norm als Wunsch und Stigma gleichermaßen, als Versprechen und Fluch.
Ihr Minoritäten-Melodram "Was ich euch nicht erzählte" ist auch die belletristische Retrospektive eines Selbstmords. 1977 wird die Leiche eines sechzehnjährigen Mädchens im See einer Kleinstadt in Ohio gefunden. Rückblenden, Zeugeninterviews und Bekenntnisse rekonstruieren das Leben und Ableben der Musterschülerin Lydia Lee im Fadenkreuz und Formationstanz der Identitäten. Lydias Vater James, einem Migranten zweiter Generation, ist als Harvard-Doktorand mit dem Fachgebiet Cowboy-Kultur die dortige Übernahme zwar verwehrt geblieben, weil er nicht ins Profil der Fakultät passe - aber immerhin als Dozent am lokalen College in Ohio kann er als gut integriert gelten.
Nach seiner Heirat mit der Cambridge-Stipendiatin Marilyn folgte die Familiengründung - Lydia hat als Geschwister den von der Raumfahrt besessenen Nath und die jüngere stille Hannah - und ein "nach Vanille duftendes" Leben. Nebenrollen spielen der als Casanova verdächtige, in Lydia verliebte Nachbarjunge Jack und James' chinesische Lehrassistentin Louisa Chen.
Anderssein und Außergewöhnlichkeit, Zugehörigkeit und Verrücktheit sind in dem von Celeste Ng beschriebenen Amerika stets relativ. Schon die Heirat im liberalen Massachusetts, mit der James und Marilyn "im halben Land" das Gesetz gebrochen haben würden, beruht auf unterschiedlichen Voraussetzungen: Sie liebt ihn, weil er "weiß, wie es ist, anders zu sein", er sie, weil sie "dazugehörte". Doch Marilyns Traum vom Arztberuf bleibt ihr vorerst wegen Schwangerschaft verwehrt. Fremden- und Frauenbilder waren in den fünfziger Jahren under construction: "Das Land lernte neue Wörter: Quotenregelung für Minderheiten; Gleichberechtigungszusatz."
Rahmenhandlung und Kulisse ist die Erzählung vom Goldrausch im mittleren neunzehnten Jahrhundert bis zu der durch den "Chinese Exclusion Act" von 1882 ermöglichten chinesischen Einwanderung in die Vereinigten Staaten. Manche Menschen kamen als "Papiersöhne" von in Amerika lebenden Landsleuten; auch im Fall von James' Vater war das so. Aber auch die viele Jahrzehnte später ausgerufene Ära der "model minority" hat die Vorurteile (Kollegen fragen James nach den Ingredienzen von Frühlingsrollen) und gefühlten Rassismen nicht beseitigt.
Illusionen weichen Verlustangst und reduzierter Identität in Beruf und Ehe, wenn James etwa in Marilyn ein Heimchen sieht und sie ihn der Servilität vor der Polizei bezichtigt: "Aus diesen beiden Silben - schleimen - explodieren katzbucklige Kulis mit Kegelhüten, bezopfte Chinesen mit gefalteten Händen. Blinzelnd und unterwürfig."
Ng spielt Bestätigung, Selbstfindung, Loslassen und Abschiednehmen ihrer Figuren immer wieder neu durch. Um ihr Studium abzuschließen, reist Marilyn, als die Kinder größer sind, wortlos nach Toledo. Gebannt vom "mutterförmigen Loch" gelobt Lydia, käme sie je zurück, der Mutter alle Wünsche zu erfüllen. Als die dann wieder heimkehrt, beginnt Lydias Joch der Stellvertreterkarriere. Aus binationalen Kindern werden Musterschüler und Marionetten im Kräftespiel kultureller Schicksale.
Lydia zerbricht an konträren Fliehkräften wie Anpassung und Exzellenz. Für die Mutter mimt sie die Arztaspirantin, für den Vater die Musteramerikanerin. Bindungsarm wie er, täuscht sie Telefonate mit Mitschülern nur vor, bei den Noten wahrt Auswendiglernen immer weniger den Schein. Schweigen, Selbsthass und Schuldgefühle gehen einher mit der fehlenden Wahrnehmung anderer als Menschen mit Begierden und Bedürfnissen.
Auf Lydias Tod folgen Engpässe, Aussprachen und schließlich auch Heilungsprozesse. Während Marilyn sich im Zimmer der toten Tochter verschanzt, flüchtet James zu einer Geliebten, lernt aber allmählich die Zweisamkeit mit Marilyn, den Umgang mit den Kindern, vergessene Liebesgesten, Vergebung und Urvertrauen neu schätzen. Filmisch wirken Szenenwechsel vom einen zum anderen Ende der Stadt, überblendete Gefühle von Angehörigen und die aus dem Off beschworene geläuterte Zukunft. Lydia hingegen ist vom Ballast geerbter Träume und den Illusionen einer Welt ohne Hass und Rassenschranken unter Wasser gezogen worden.
STEFFEN GNAM.
Celeste Ng: "Was ich euch nicht erzählte". Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit. Dtv, München 2016. 288 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Celeste Ngs Roman über eine chinesischstämmige amerikanische Familie
"Wie war es möglich, sich so zu täuschen?" Diese Frage steht zuweilen am Ende der Suche von chinesischstämmigen Amerikanern nach dem amerikanischen Traum. In ihrem auf Englisch 2014 erschienenen Bestseller schildert Celeste Ng, deren Eltern in die Vereinigten Staaten einwanderten, die Krux der Diaspora: Anderssein und Ausscheren aus der Norm als Wunsch und Stigma gleichermaßen, als Versprechen und Fluch.
Ihr Minoritäten-Melodram "Was ich euch nicht erzählte" ist auch die belletristische Retrospektive eines Selbstmords. 1977 wird die Leiche eines sechzehnjährigen Mädchens im See einer Kleinstadt in Ohio gefunden. Rückblenden, Zeugeninterviews und Bekenntnisse rekonstruieren das Leben und Ableben der Musterschülerin Lydia Lee im Fadenkreuz und Formationstanz der Identitäten. Lydias Vater James, einem Migranten zweiter Generation, ist als Harvard-Doktorand mit dem Fachgebiet Cowboy-Kultur die dortige Übernahme zwar verwehrt geblieben, weil er nicht ins Profil der Fakultät passe - aber immerhin als Dozent am lokalen College in Ohio kann er als gut integriert gelten.
Nach seiner Heirat mit der Cambridge-Stipendiatin Marilyn folgte die Familiengründung - Lydia hat als Geschwister den von der Raumfahrt besessenen Nath und die jüngere stille Hannah - und ein "nach Vanille duftendes" Leben. Nebenrollen spielen der als Casanova verdächtige, in Lydia verliebte Nachbarjunge Jack und James' chinesische Lehrassistentin Louisa Chen.
Anderssein und Außergewöhnlichkeit, Zugehörigkeit und Verrücktheit sind in dem von Celeste Ng beschriebenen Amerika stets relativ. Schon die Heirat im liberalen Massachusetts, mit der James und Marilyn "im halben Land" das Gesetz gebrochen haben würden, beruht auf unterschiedlichen Voraussetzungen: Sie liebt ihn, weil er "weiß, wie es ist, anders zu sein", er sie, weil sie "dazugehörte". Doch Marilyns Traum vom Arztberuf bleibt ihr vorerst wegen Schwangerschaft verwehrt. Fremden- und Frauenbilder waren in den fünfziger Jahren under construction: "Das Land lernte neue Wörter: Quotenregelung für Minderheiten; Gleichberechtigungszusatz."
Rahmenhandlung und Kulisse ist die Erzählung vom Goldrausch im mittleren neunzehnten Jahrhundert bis zu der durch den "Chinese Exclusion Act" von 1882 ermöglichten chinesischen Einwanderung in die Vereinigten Staaten. Manche Menschen kamen als "Papiersöhne" von in Amerika lebenden Landsleuten; auch im Fall von James' Vater war das so. Aber auch die viele Jahrzehnte später ausgerufene Ära der "model minority" hat die Vorurteile (Kollegen fragen James nach den Ingredienzen von Frühlingsrollen) und gefühlten Rassismen nicht beseitigt.
Illusionen weichen Verlustangst und reduzierter Identität in Beruf und Ehe, wenn James etwa in Marilyn ein Heimchen sieht und sie ihn der Servilität vor der Polizei bezichtigt: "Aus diesen beiden Silben - schleimen - explodieren katzbucklige Kulis mit Kegelhüten, bezopfte Chinesen mit gefalteten Händen. Blinzelnd und unterwürfig."
Ng spielt Bestätigung, Selbstfindung, Loslassen und Abschiednehmen ihrer Figuren immer wieder neu durch. Um ihr Studium abzuschließen, reist Marilyn, als die Kinder größer sind, wortlos nach Toledo. Gebannt vom "mutterförmigen Loch" gelobt Lydia, käme sie je zurück, der Mutter alle Wünsche zu erfüllen. Als die dann wieder heimkehrt, beginnt Lydias Joch der Stellvertreterkarriere. Aus binationalen Kindern werden Musterschüler und Marionetten im Kräftespiel kultureller Schicksale.
Lydia zerbricht an konträren Fliehkräften wie Anpassung und Exzellenz. Für die Mutter mimt sie die Arztaspirantin, für den Vater die Musteramerikanerin. Bindungsarm wie er, täuscht sie Telefonate mit Mitschülern nur vor, bei den Noten wahrt Auswendiglernen immer weniger den Schein. Schweigen, Selbsthass und Schuldgefühle gehen einher mit der fehlenden Wahrnehmung anderer als Menschen mit Begierden und Bedürfnissen.
Auf Lydias Tod folgen Engpässe, Aussprachen und schließlich auch Heilungsprozesse. Während Marilyn sich im Zimmer der toten Tochter verschanzt, flüchtet James zu einer Geliebten, lernt aber allmählich die Zweisamkeit mit Marilyn, den Umgang mit den Kindern, vergessene Liebesgesten, Vergebung und Urvertrauen neu schätzen. Filmisch wirken Szenenwechsel vom einen zum anderen Ende der Stadt, überblendete Gefühle von Angehörigen und die aus dem Off beschworene geläuterte Zukunft. Lydia hingegen ist vom Ballast geerbter Träume und den Illusionen einer Welt ohne Hass und Rassenschranken unter Wasser gezogen worden.
STEFFEN GNAM.
Celeste Ng: "Was ich euch nicht erzählte". Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit. Dtv, München 2016. 288 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Das schonungslose und bewegende Porträt einer Familie in der Krise.« The Independent