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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Zum achtzigsten Geburtstag von Monika Maron erscheint ihre dritte Essaysammlung: "Was ist eigentlich los?"
Zweiunddreißig Jahre ist es her, dass Monika Maron ihren größten Triumph erlebte. Am 10. November 1989, einen Tag nach dem Mauerfall, fuhr die im Jahr zuvor von Ost-Berlin nach Hamburg übergesiedelte Schriftstellerin zu ihrer Mutter in die DDR. "Schon am Gartentor rief ich: Ich bin der Sieger der Geschichte, und Hella sagte: Ich weiß." So erinnerte sich Monika Maron 1999 in "Pawels Briefe", ihrem persönlichsten Buch, an die Szene.
"Pawels Briefe" ist das große Familienbuch im Werk, im Mittelpunkt steht die Geschichte des von den Nazis ermordeten Großvaters und der Mutter, die mit der zehnjährigen Monika 1951 aus West- nach Ost-Berlin ging, um dem ihrer Meinung nach besseren Deutschland zu dienen. Was die folgenden 37 Jahre für die Schriftstellerin bedeuteten, wird überdeutlich in einer Essaysammlung, die jetzt zu deren achtzigstem Geburtstag erscheint: "Was ist eigentlich los?" schlägt Brücken über ein Leben hinweg und bricht sie ab. Versöhnlich war Monika Maron nie, das hat man ihr in der DDR ausgetrieben, obwohl sie als Grunderfahrung ihrer Lesebiographie angibt: "Geblieben ist die Gewissheit, dass die Poeten der Liebe die Liebenden sind, nicht die Geliebten." Wenn es indes eines gibt, dass Monika Maron besonders liebt, dann ist es Freiheit. Und als Poetin der Freiheit musste sie selbst frei sein.
In einem Vortrag, den sie 1995 in Japan hielt, fasste die Schriftstellerin ihr Erlebnis des Jahres 1989/90 denn auch so zusammen: "Ich habe den Untergang des Staates DDR bejubelt, und ich bejubele ihn noch immer. Es gibt nichts, gar nichts, was ich von ihm erhalten wissen möchte." Und natürlich auch nichts wiederbelebt. Das ist der Schlüssel zu Marons Fundamentalkritik an der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Lage in der Bundesrepublik, und es ist einigermaßen erstaunlich, dass der japanische Vortrag, der 2000 und 2010 bereits in zwei früheren Essaysammlungen der Autorin abgedruckt wurde, nun in der dritten fehlt, obwohl fast die Hälfte des sonstigen Inhalts auch schon in den beiden anderen stand. Nachvollziehbar, dass ein neuer Verlag (Hoffmann und Campe) keine Rücksicht auf seinen Vorläufer (S. Fischer) nimmt, zumal wenn der Untertitel eine Art Best-of der Maron'schen Essayistik ankündigt. Genau deshalb jedoch ist der Verzicht auf den "Vortrag in Japan" misslich, weil er das Bindeglied zu denjenigen Texten darstellt, die Monika Maron viel Feindschaft eingetragen haben. Sie stammen alle aus dem Jahrzehnt seit Erscheinen der vorletzten Essaysammlung und machen nun das letzte Drittel des neuen Bandes aus.
Nach der Bundestagswahl von 2017 konstatierte Monika Maron bei sich selbst "eine wütende Ohnmacht gegenüber einer diktatorischen Meinungsmacht, die jedem Widerspruch die Feindschaft erklärte". Mit diesem Gefühl, so fuhr sie in ihrer damaligen Bilanz fort, "war ich an diesem Abend und auch später nicht allein. Den Ostdeutschen mag es an demokratischer Erfahrung mangeln, an Erfahrung mit einer Diktatur aber nicht." Maron zieht im Vergleich mit den umstrittenen jüngsten Äußerungen des Ostbeauftragten der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, gegenüber dieser Zeitung den genau entgegengesetzten Schluss aus den Diktaturerfahrungen der früheren DDR-Bürger, obwohl beide dasselbe Phänomen zu erklären suchen: die Wahlerfolge der AfD in den ostdeutschen Bundesländern. Was Wanderwitz resignieren lässt, hat Marons Verständnis, weil sie darin gerade kein autoritätshöriges Verhalten sieht
Lange Zeit zählte Maron zu den profiliertesten deutschsprachigen Autoren. In den letzten Jahren aber hat man sie wegen solcher Äußerungen wie der zitierten als "rechte Schriftstellerin" denunziert, und dieser Stempel hat dann unglücklicherweise auch ihr erzählerisches Werk geprägt. Im jüngsten Roman, dem im vergangenen Jahr erschienenen "Artur Lanz", erzählt Maron eine Heldengeschichte, und zum Heldentum der Titelfigur gehört deren Verzicht auf konsenskonformes Verhalten - bisweilen deckungsgleich mit Äußerungen der Verfasserin.
Nun war in Monika Marons Fiktion immer schon viel ihrer eigenen Realität eingeflossen. Die Protagonistin ihres 1981 erschienenen Debütromans "Flugasche" trug den Nachnamen Nadler, die Verdeutschung von Marons polnischem Geburtsnamen Iglatz. Als sie zur Welt kam, 1941 in Berlin, war sie das uneheliche Kind einer Frau, die im NS-Staat als "Halbjüdin" verfemt wurde, und eines Mannes, der die Mutter darum nicht geheiratet hatte. Den Stiefvater wiederum, der ihr später ihren heutigen Nachnamen bescherte, Karl Maron, seines Zeichens acht Jahre lang Innenminister der DDR, hat Monika Maron nie akzeptiert. Als er starb, 1975, fühlte sie sich endlich frei zu schreiben.
"Flugasche" wurde 1978 fertig, konnte aber in der DDR nicht publiziert werden, weil er das Industriegebiet von Bitterfeld als das beschrieb, was es war: "Jede Woche steht etwas in der Zeitung über B., über ein neues Produkt, über eine Veranstaltung im Kulturpalast, über vorfristig erfüllte Pläne, über Orden des Kollegen Soundso. Nichts über das Kraftwerk, kein Wort von den Aschekammern, die das Schlimmste sind." Josefa Nadler, die Hauptfigur des Buchs, ist Journalistin, wie es zuvor auch Monika Maron selbst war, und sie stellt fest: "Seit sechs Jahren fahre ich durch Stahlwerke, Spinnereien, Chemiebetriebe, Maschinenkombinate, ohne mich an die Gewalttätigkeit industrieller Arbeit gewöhnen zu können, ohne das Entsetzen zu verlieren, das mich beim Anblick der Verkrüppelungen packt, die Arbeit den Menschen noch antut." 1980 wurde "Flugasche" als Fortsetzungsroman in dieser Zeitung vorabgedruckt.
Im jüngsten Essay der neuen Sammlung, ursprünglich erschienen im November 2019, führt Maron aus, dass sie sich heute an ihre Schreibsituation in den siebziger Jahren erinnert fühle, "wieder gedrängt ins Politische, weil es mich jeden Tag umtreibt, und bedrängt von dem Gedanken, was ich mir wohl einbrocke, wenn ich einen Protagonisten meines Buches diesen oder jenen Satz sagen lasse". Es liege ihr fern, die Bundesrepublik mit der DDR zu vergleichen, "und trotzdem habe ich dieses Gefühl". Ein Jahr später trennte sich der Verlag S. Fischer von ihr und beendete damit eine fast vierzigjährige Zusammenarbeit - seit "Flugasche" in Buchform 1981 schließlich im Westen erschienen war, worauf damals die überzeugte Kommunistin Hella Maron den Kontakt zu ihrer Tochter für ein Jahr abbrach.
Monika Maron hat hohe Preise gezahlt für ihre Literatur, die aus Erregung entsteht: "Erst wenn ich so ärgerlich bin, dass ich alle Hemmschwellen vergesse, ordnen sich die Gedanken, finde ich die richtigen Gedanken und bekomme genug Luft", schrieb sie 2002. Und sie hat große Preise verliehen bekommen dafür, vom Kleist- über den Hölderlin- bis zum Lessing-Preis. In ihrer Dankesrede für den Deutschen Nationalpreis von 2009 (und nicht 2003, wie der schlampig betreute Textnachweis des Verlags im neuen Buch behauptet) formulierte sie, was es für einen Schriftsteller heiße, eine Zeit zu erklären: "Er lässt seine Figuren in den Bedingungen ihrer Zeit agieren, egal, ob er die Geschichte einer großen Liebe oder gesellschaftlicher Umbrüche erzählen will." Bei Monika Maron kam immer beides zusammen: in ihrer Liebe zur Freiheit. Die wird sie, die morgen runden Geburtstag feiert, weiter streitbar und umstritten machen.
ANDREAS PLATTHAUS
Monika Maron: "Was ist eigentlich los?"
Ausgewählte Essays aus vier Jahrzehnten.
Hoffmann und Campe, Hamburg 2021. 190 S., geb., 22,- [Euro].
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