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Ein Essay zur Weltgeschichte der Ruinen. Alain Schnapps Essay entwirft eine Universalgeschichte der Ruinen. In globaler Perspektive blickt er auf die unvermeidliche Beziehung, die jede Zivilisation mit den Ruinen unterhält. Manche von ihnen vertrauen darauf, dass riesige Monumente dafür sorgen werden, die Erinnerung zu bewahren, andere verlassen sich mehr auf den Zauber und die Kraft der Poesie, wie im Falle der Dichter des antiken Griechenlands, um die Erinnerung an das Geschehene wach zu halten. Dieser Essay ist ein Versuch, eine vergleichende Geschichte der Ruinen des Alten Orients, der…mehr

Produktbeschreibung
Ein Essay zur Weltgeschichte der Ruinen. Alain Schnapps Essay entwirft eine Universalgeschichte der Ruinen. In globaler Perspektive blickt er auf die unvermeidliche Beziehung, die jede Zivilisation mit den Ruinen unterhält. Manche von ihnen vertrauen darauf, dass riesige Monumente dafür sorgen werden, die Erinnerung zu bewahren, andere verlassen sich mehr auf den Zauber und die Kraft der Poesie, wie im Falle der Dichter des antiken Griechenlands, um die Erinnerung an das Geschehene wach zu halten. Dieser Essay ist ein Versuch, eine vergleichende Geschichte der Ruinen des Alten Orients, der griechisch-römischen Antike und der chinesischen Welt zu schreiben.
Autorenporträt
Alain Schnapp, geb. 1946, ist Professor für Klassische Archäologie an der Université Paris I, Leiter der Abteilung »Kunstgeschichte und Archäologie" und Generaldirektor des »Institut National d'Histoire de l'Art", Paris. Er war Visiting Fellow in Princeton, Overseas Fellow am Churchill College in Cambridge und Scholar am Getty Research Center, Santa Monica. 2007 war Alain Schnapp Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Jedenfalls nicht das, was Jürgen Kaube bisher annahm. Wenn der französische Archäologe und Kunstgeschichtler Alain Schnapp den Begriff der Ruine zu definieren angeht, schlackern Kaube die Ohren ob der glänzenden Argumentation und der Anschaulichkeit der Beispiele, die der Autor auffährt. Anhand ägyptischer, mesopotamischer und griechischer Ewigkeitsbemühungen erläutert der Autor dem Rezensenten, wann ein Monument zur Ruine wird: wenn es dauern sollte nämlich und die Dauerhaftigkeit und die darin aufgehobene Bedeutung schwindet.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.11.2014

Eine Ruine muss etwas für die Ewigkeit sein

Wer sich als Herrscher ein Denkmal setzen möchte, hat mehrere Techniken zur Auswahl: Der französische Archäologe Alain Schnapp erzählt bezwingend vom Wandel der baulichen Überlieferungskultur.

Die Frage im Titel des Buches scheint leicht zu beantworten zu sein: Eine Ruine ist ein kaputtes Gebäude. Oder genauer: Vielleicht sind Ruinen solche Gebäude zu nennen, wenn und solange sie stehen gelassen werden. Für den französischen Archäologen und Kunstgeschichtler Alain Schnapp sind Ruinen weder notwendigerweise Gebäude noch notwendigerweise kaputt. Wie das?

Schnapps Überlegung ist bezwingend: Zur Ruine wird ein Monument erst dann, wenn es dauern sollte und wenn die Bedeutung, die dieser Dauerhaftigkeit zugeschrieben wurde und die auch von anderem als Gebäuden mitgeteilt werden kann, dem Monument nicht mehr innewohnt. Um diesen Gedanken zu entwickeln, führt uns Schnapp in drei glänzenden, mit hoch anschaulichen Beispielen belegten Vorträgen in jene Epochen, in denen zuerst ein Wille zur Überlieferung aufkam. Kurz gefasst, gab es drei Varianten.

Die ägyptische setzte auf herrscherliche Selbstverewigung. Dazu konnten die Grabdenkmäler gar nicht groß genug sein. Gedächtnis bildet, so die Vorstellung der Pyramidenbauer - aber auch derjenigen der Chinesischen Mauer oder der megalithischen Ensembles früher europäischer Stämme -, was monumental und unkaputtbar ist. Zugleich muss es vom Rang der Auftraggeber Zeugnis ablegen.

Das bringt Schrift ins Spiel. Der "Appetit auf Ruhm nach dem eigenen Tode", wie es ein Gelehrter des siebzehnten Jahrhunderts nannte, nährte sich an der Dauer von Steinen und der in sie eingravierten Mitteilungen ritueller wie genealogischer Art. Eine Ruine, so Schnapp, ist unter diesen Umständen das, was von solchen Ewigkeitsabsichten übrig bleibt, wenn ihr Sinn nicht mehr weiterkommuniziert wird, sondern nur noch ein Gebäude da steht. Selbst wenn die Pyramide intakt ist oder wiederhergestellt wurde, bleibt sie eine Ruine.

Die zweite Variante ist die mesopotamische. Hier wurde zum Bauen der Herrscherpaläste nicht Stein, sondern Ziegel verwendet. Aber Ziegel ist doch sehr vergänglich? Die Pointe der mesopotamischen Überlieferungstechnik besteht nach Schnapp gerade darin: in einer unablässigen Bautätigkeit an Palästen, die ständig zu zerfallen drohten und ständig rekonstruiert wurden. Die Erinnerung an das ursprüngliche Monument, zitiert Schnapp die Assyrologin Sylvie Lackenbacher, wurde wichtiger als das Monument selbst.

Gerade die Zerbrechlichkeit der Lehmtafeln, auf denen die herrscherlichen Inschriften standen, beschäftigt Abschreiber, Übersetzer, Gelehrte, die sich des alten Wissens versichern, und Rekonstrukteure. In Mesopotamien wird das Gedächtnis nicht durch die Kompaktheit des Materials, sondern durch die Intensität der archäologischen Anstrengung gesichert. Die Inschrift, das ist die Erkenntnis, ist wichtiger als ihr Träger, die Erzählung wichtiger als der Bau. Eine Ruine ist dann eine unverständlich gewordene Erzählung.

Schließlich die griechische Variante. Hier lösen sich Wort und Schrift noch weiter von den Steinen ab. Denn was kann man nicht schleifen, nicht verbrennen, nicht zerschlagen, was hält dem Wetter wie dem Vergessen stand? Ein Gedicht. "Goldene Säulen aufrichtend unter der wohlummauerten Vorhalle des Saales wollen wir einen stolzen Palast bauen", so setzt Pindars Sechste Olympische Ode ein. Je schöner und tektonisch eindrucksvoller, je fester gefügt, so der Gedanke, desto unvergänglicher.

Zwischen Gegenwart und Zukunft vermitteln nicht Bauleute, sondern Dichter, sofern deren Verse ob ihrer Eindrücklichkeit von Mund zu Mund weitergegeben werden. Der Satz zu dem Wanderer an den Thermopylen, der sagen soll, er habe die toten Soldaten dort liegen gesehen, hat jede Inschrift überlebt und Troja in Homer jede denkbare Ausgrabungsstätte.

Im Grunde gibt es griechische Ruinen erst für die Römer. Es sind Ovid und Horaz sowie Seneca, die über die Vergänglichkeit jedweder Größe sinnieren. In einer Interpretation der Ode 3,30 des Horaz - "Dauerhafter als Erz schuf ich ein Ehrenmal" - erläutert Schnapp, dass nun das Gedicht selbst alles übertreffen will, was an gebautem und gedichtetem Erinnerungswerk bis dahin existierte. Pindar artikulierte, dass das in Verse gesetzte Gebäude haltbarer ist als das tatsächliche. Horaz hingegen will ein Zeichen seiner eigenen vergänglichen Existenz setzen, das durch herausragende poetische Technik sie und alles andere überdauern soll - Dichtung als Grabinschrift: "Wanderer, kommst du nach Sparta ...".

Hier nun ist die Ruine, die in der Dichtung angesprochen wird, nicht mehr das, was übrig bleibt, wenn die Bedeutung vergangen ist, sondern die Rückholung der Zivilisation in Natur: tote Städte, die niemand mehr bewohnt und derer sich die Tiere und die Vegetation wieder bemächtigen. Und das hört sich - man muss nur noch die toten Städte von Gespenstern der Vergangenheit bewohnt sein lassen - schon beinahe wie Romantik an.

Alain Schnapp erzählt von dieser Sequenz des antiken Überlieferungswillens, zu der es noch ein chinesisches Nachspiel gibt, ganz eng entlang den Quellen. Wir erfahren von den ersten Sammlern, den höfischen Schreibern, dem antiken Stadtbewusstsein, das den Widerstand gegen die ewige Wiederkehr der Natur ausbildete. Und wir erkennen, wie früh schon ein antiquarisches Interesse erwachte, eines der Denkmalpflege. Der Geograph und Reiseschriftsteller Pausanias aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert ist für Schnapp einer der ersten Autoren, die den Erhalt auch des unverständlich Gewordenen und nur noch archaisch Erscheinenden bejahen.

Die Ruine ist dann etwas Altes, das als solches betrachtet werden will. Dass ihr etwas fehlt - die Funktion -, ist kein Mangel, sondern die Bedingung dafür, dass sie uns auf die Vergangenheit einer sehr alten Zeit und die Vergänglichkeit von Macht hinweist. Die Ruinen sind, so gesehen, etwas für Essayisten und politische Philosophen.

JÜRGEN KAUBE

Alain Schnapp: "Was ist eine Ruine?" Entwurf einer vergleichenden Perspektive.

Aus dem Französischen von Andreas Wittenburg. Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 119 S., br., 9,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Alain Schnapp erzählt bezwingend vom Wandel der baulichen Überlieferungskultur« (Jürgen Kaube, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.11.2014)