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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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Jan-Werner Müller versucht, den Populismus zu erklären.
Von Marian Nebelin
Nicht nur in den meisten europäischen Staaten, sondern weltweit befinden sich Populisten und populistische Parteien auf dem Vormarsch. In einigen Staaten Südamerikas und Osteuropas stellen Populisten die Regierung; in den Vereinigten Staaten kämpft Donald Trump um die Präsidentschaft, und in Deutschland agitiert die rechtsextreme AfD. Diese Entwicklungen werfen Fragen auf: Wann sind Politiker Populisten? Wie wirkt sich ihr Handeln auf demokratische Gesellschaften aus? Wie soll man mit Populisten "auf demokratische Weise" umgehen? Auf diese drei Fragen versucht Jan-Werner Müller in einem pointiert und flüssig geschriebenen Essay Antworten zu geben. Überzeugen seine Antworten auf die ersten beiden Fragen, so scheitert er an der entscheidenden dritten Frage.
Zunächst entfaltet Müller eine Definition von Populismus, die historisch fundiert sein soll, den verschiedenen nationalen Erscheinungsformen Rechnung trägt und dennoch Gemeinsamkeiten herausarbeitet. Populismus ist demnach eine Form politischen Handelns, die sich durch die Berufung auf eine positive Volksvorstellung zu legitimieren sucht. Dabei ist sie tendenziell antielitär, vor allem aber antipluralistisch. Diese klare Bestimmung setzt sich zwar über Feinheiten hinweg, ist jedoch für die Erörterung des Verhältnisses von Demokratie und Populismus überzeugend. Denn es ist die antipluralistische Dimension des Populismus, die ihn "zweifelsohne antidemokratisch" macht.
Laut Müller ist in einer Demokratie die Frage der Zugehörigkeit zum souveränen Volk letztlich eine entscheidende, jedoch beständig im Fluss befindliche Angelegenheit der öffentlichen Debatte. Populisten würden demgegenüber auf einer vermeintlich empirischen Natur des Volkes beharren, vermöchten diese jedoch de facto nur über eine im Kern moralische Entscheidung zu konstituieren: Einem guten Wir werden die bösen Anderen gegenübergestellt. Deshalb seien die Populisten ein spezifisch modernes Phänomen: Anders als in der direkten Demokratie des klassischen Athens sei es in einer repräsentativen Demokratie möglich, zu behaupten, dass man selbst jemand anderen - etwa das "gute wahre Volk" - in den politischen Institutionen wahrhaftig vertrete, während alle anderen dies nicht tun würden.
Zur Praxis populistischer Politik gehören drei Handlungsstrategien: polarisieren, moralisieren und Feinde identifizieren. Wenn sie dann die Macht erlangt haben, pflegen Populisten Müller zufolge "einen ganz eigenen Regierungsstil" mit bestimmten Herrschaftstechniken, die auf einen "real praktizierten Antipluralismus" hinausliefen: Sie vereinnahmten den gesamten Staat für sich, pflegten "Loyalitätsbeschaffung durch Massenklientelismus" und diskreditierten jedwede Opposition. Daraus ergibt sich Müllers Antwort auf die zweite Frage: Vermag populistische Politik demokratische Gemeinschaften auch nicht notwendig zu zerstören, so beschädigt sie doch nachhaltig das Funktionieren jeder repräsentativen Demokratie.
Den gegenwärtigen Populismus in der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten führt Müller konkret darauf zurück, dass "die Europäer schon lange in einem stahlharten Gehäuse eingeschränkter Demokratie leben"; dazu kämen "Erfahrungen des Kontrollverlusts und des Ausgeliefertseins". All dies habe bei vielen Bürgern zu dem Wunsch geführt, irgendwie "illegitime Macht unter Kontrolle zu bringen" - ein Anliegen, das die Populisten für sich nutzen können. Diese Diagnose nimmt Müller als Ausgangspunkt, um die dritte Frage zu beantworten. Bei dem Versuch, Alternativen und Gegenmaßnahmen aufzuzeigen, verliert er sich jedoch einerseits in unkonkreten Überlegungen: So erwägt er beispielsweise, ob auf die besagte Krise der EU nicht "eine supranationale Demokratie" die beste Reaktion wäre - ohne allerdings die Form dieser Demokratie und den Weg zu ihrer Realisierung näher zu erörtern. Andererseits bezieht er sich auf Gemeinplätze: So unterstreicht er grundsätzlich, dass zur Wahrung eines "zivilisierten Pluralismus" in einer demokratischen Gesellschaft eben auch gehöre, populistische Politiker nicht grundsätzlich aus dem politischen Diskurs auszuschließen - das sei nicht nur wenig erfolgversprechend, sondern auch antipluralistisch.
Jan Werner Müller vermag also leider keinen Königsweg aufzuzeigen. Aber es gelingt ihm, Populismus als Phänomen verständlich zu machen - und das ist eine bedeutende Leistung. Denn auch für die Probleme, die der moderne Populismus aufwirft, gilt der Grundsatz, dass Verstehen die Voraussetzung für ihre Lösung ist.
Jan-Werner Müller: Was ist Populismus? Ein Essay.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 160 S., 15,- [Euro].
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