Wie weiter, wenn die Frau ihr Heil im Buddhismus sucht, die siebzehnjährige Tochter mit einem tibetischen Lama auf und davon will und einen selbst Geld und Erfolg nicht glücklich machen? Diese Fragen stellt sich nicht nur Doris Dörries Romanfigur Fred Kaufmann. Doch die Autorin zeigt uns mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Nur Mut, es gibt ein Leben über vierzig!
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2000Du Yin, ich Yang
Doris Dörrie und was wir jetzt so machen / Von Andreas Kilb
Sie sei "eine absolute Verfechterin der vollen Katastrophe", hat Doris Dörrie vor zwei Jahren in einem Interview erklärt. Das Leben lohne sich erst richtig, wenn "nur noch Einatmen und Ausatmen" übrig bleibe: "Kein System mehr, nichts mehr an Regeln und Ritualen, gar nichts." Diese Lebensweisheit ist den Protagonisten von Doris Dörries Erzählungen versagt geblieben. Deshalb müssen sie sie lernen, auf die harte Tour. Fast jede der Geschichten in den Bänden "Für immer und ewig" (1991), "Bin ich schön?" (1994) und "Samsara" (1996) handelt von Menschen, die vor der Katastrophe gekniffen haben, die sich eingerichtet haben in ihrem Halbglück, ihren verpassten Chancen, ihren Kleinfamilien und Kleinkarrieren. Aber das reicht nicht. Ein Zufall genügt, um den Kurzschluss auszulösen, der die Ruhe im Karton beendet. Die Erzählerin Dörrie hält den Moment fest, da die Sicherungen des Alltags herausspringen und die Helden plötzlich im Dunkeln stehen. Vergeblich rudern sie mit den Armen, um die Menschen und Dinge wiederzufinden, mit denen sie vertraut waren. Manche finden in dieser Lage das Glück ihres Lebens, andere nur den Trost von Fremden, denen es ebenso ergangen ist.
"Ich bin im Begriff, meine Familie zu verlieren." Fred Kaufmann, Besitzer einer Imbisskette im Münchner Raum, macht gerade mit der Katastrophe Bekanntschaft. "Meine Ehe ist auf dem Hund, und meine Tochter Franka hat sich in einen Kerl verknallt, der sie nach Indien entführen will." So beginnt Doris Dörries erster Roman "Was machen wir jetzt?". Es folgen Szenen einer Mittelstandsehe, wie sie dem gewohnheitsmäßigen Zuschauer deutscher Filmkomödien nicht fremd sein können: Claudia, Freds gelangweilte Gattin, wirft sich allabendlich hundertacht Mal auf dem Schlafzimmerboden nieder, seit sie die Glückslehren des Lama Tubten Rinpoche für sich entdeckt hat, während Fred wehmütig seiner Jugendjahre als Filmstudent gedenkt; die Zeit vergeht so gleichmäßig wie die Lust, und auch ein Wochenendausflug nach London bringt keine Wende. "Wenn die Ehe wie ein Auto ist, ist unsere ein alter, verbeulter Kombi, praktisch, aber nicht schön, um den ich mich nicht gut gekümmert habe, ich habe ihn verrotten lassen, keine Inspektionen eingehalten, ihn fast nie durch die Waschanlage gefahren, nicht poliert und nicht gepflegt."
Als Fred Kaufmann zu dieser Einsicht gelangt, ist seine Geschichte schon fast wieder vorbei, sein Auto hat einige hundert Kilometer mehr auf dem Buckel, und Fred hat das Ein- und Ausatmen schließlich doch noch gelernt. Mit Franka, seiner halbwüchsigen Tochter, ist unser Held in jenes südfranzösische Zen-Kloster gefahren, in dem Lama Tubten nervösen Großstädtern das Innehalten beibringt. Er hat sich von einer blonden Holländerin betören, von Frankas Herzens-Lama Pelge einschüchtern und von südfranzösischen Mücken zerstechen lassen. Er hat entdeckt, dass seine Frau ein Verhältnis mit dem dicken Theo aus Amsterdam begonnen hat, und nebenbei über seine eigenen Verhältnisse nachgedacht: "Ich halte mir die Welt auf Abstand, aber sie ist mir dichter auf den Fersen, als ich denke, und ich laufe und laufe, um ihr zu entkommen."
Auch seiner Lebenskrise läuft Fred Kaufmann um ein Haar davon. Doch dann fällt Theo, der Rivale, plötzlich tot vom Rad, und unser Mann erkennt, dass jeder Atemzug der letzte sein könnte. Bei einem französischen Friseur lässt sich Fred eine Glatze rasieren; aber auch innerlich schneidet er ein paar alte Zöpfe ab. So geschieht es, dass er auf dem Rückweg nach München einem anderen Autofahrer das Leben rettet, indem er ihm von seinem Atem abgibt. Als Fred Kaufmann nach Hause kommt, ist seine Welt zwar nicht wieder heil, doch die Katastrophe überstanden. Sogar seine Frau hält ihn jetzt für einen Helden.
Man kann "Was machen wir jetzt?" nicht lesen, ohne an "Erleuchtung garantiert" zu denken, den Film, den Doris Dörrie fast parallel zu der Entstehung des Romans gedreht hat und der Ende Januar, etwa gleichzeitig mit dem Erscheinen des Buches, ins Kino kam. Die Story von "Erleuchtung garantiert" ist eine heitere Variante des Debütromans: gestresste Hausmänner, ein (kinogerecht in Japan liegendes) Zen-Kloster, kleine Liebesabenteuer und ein Happy-End. Die deutschen Kritiker haben das Buch sehr, den Film weniger gelobt. Dem Film wurde die Flüchtigkeit seiner Bilder vor-, dem Buch die geschickte Konstruktion der Geschichte zugute gehalten. Beides ist übertrieben. Denn so gewiss "Erleuchtung garantiert" ein Stück vom Kalkül des Romans gebrauchen könnte, so ersichtlich mangelt diesem die Beiläufigkeit des Kinofilms.
Dieses Buch ist überkonstruiert. Das beginnt mit den aufdringlichen Selbstkommentaren des Protagonisten ("Ich war geworden, was mein Nachname Kaufmann versprach, und ich verabscheute mich dafür"), setzt sich fort in den immer allzu rechtzeitigen Wendungen des Geschehens im Kloster und klingt mit den frommen Banalitäten, die nach seiner Läuterung aus Fred Kaufmann sprudeln ("Alle Menschen wollen glücklich sein und Leiden vermeiden"), feierlich aus. Es ist, als hätte Doris Dörrie der lakonischen Sprache und den unspektakulären Sujets, die ihre Erzählungen auszeichnen, diesmal nicht getraut. Für den Roman musste alles eine Nummer größer sein. Das merkt man ihm an. Schon der traurige Verlierer Norbert, den Fred Kaufmann auf dem Weg nach Frankreich an einer Raststätte aufsammelt, wirkt von Interessantheit wie entstellt. Man denkt sofort an Joachim Król, der ja auch im "Bewegten Mann" schon Norbert hieß, wenn man liest, wie Dörries Norbert auf der Toilette nach seinem mit Kind und Kegel durchgebrannten Eheweib sucht. So bewegen sich viele Figuren dieses Buches, das sich nicht ganz sicher ist, ob es nicht lieber ein Drehbuch wäre, auf die Verfilmung zu. Die trotzige Franka, die im Kloster auf einmal ganz zahm wird, wäre eine tolle Rolle für Franka Potente, für die blonde Antje könnte man sich Johanna ter Steege vorstellen, und den Sinnsucher Fred müsste in all seiner Raubeinigkeit der unverwüstliche Uwe Ochsenknecht spielen. Was aber die Charaktere an Drastik zuviel haben, fehlt der Geschichte an Plausibilität. Der Ich-Erzähler Kaufmann, der all die absurden Schlenker der Handlung zusammenhalten soll, ist oft nicht mehr als eine Maske, durch die die Autorin dem Publikum ihre Einfälle mitteilt.
Wenn man "Was machen wir jetzt?" mit einem Auto vergleichen wollte, müsste man an einen zu Tode gehetzten Kleinwagen denken. Die Fahrerin, immer mit Vollgas auf der Überholspur der Gegenwartsliteratur, hat dem Getriebe zu viel zugemutet. Mitten auf der Strecke bleibt die Karre stehen. Was machen wir jetzt? Aussteigen. Durchatmen. Weitergehen.
Doris Dörrie: "Was machen wir jetzt?" Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2000. 304 S., geb., 39,90 DM
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Doris Dörrie und was wir jetzt so machen / Von Andreas Kilb
Sie sei "eine absolute Verfechterin der vollen Katastrophe", hat Doris Dörrie vor zwei Jahren in einem Interview erklärt. Das Leben lohne sich erst richtig, wenn "nur noch Einatmen und Ausatmen" übrig bleibe: "Kein System mehr, nichts mehr an Regeln und Ritualen, gar nichts." Diese Lebensweisheit ist den Protagonisten von Doris Dörries Erzählungen versagt geblieben. Deshalb müssen sie sie lernen, auf die harte Tour. Fast jede der Geschichten in den Bänden "Für immer und ewig" (1991), "Bin ich schön?" (1994) und "Samsara" (1996) handelt von Menschen, die vor der Katastrophe gekniffen haben, die sich eingerichtet haben in ihrem Halbglück, ihren verpassten Chancen, ihren Kleinfamilien und Kleinkarrieren. Aber das reicht nicht. Ein Zufall genügt, um den Kurzschluss auszulösen, der die Ruhe im Karton beendet. Die Erzählerin Dörrie hält den Moment fest, da die Sicherungen des Alltags herausspringen und die Helden plötzlich im Dunkeln stehen. Vergeblich rudern sie mit den Armen, um die Menschen und Dinge wiederzufinden, mit denen sie vertraut waren. Manche finden in dieser Lage das Glück ihres Lebens, andere nur den Trost von Fremden, denen es ebenso ergangen ist.
"Ich bin im Begriff, meine Familie zu verlieren." Fred Kaufmann, Besitzer einer Imbisskette im Münchner Raum, macht gerade mit der Katastrophe Bekanntschaft. "Meine Ehe ist auf dem Hund, und meine Tochter Franka hat sich in einen Kerl verknallt, der sie nach Indien entführen will." So beginnt Doris Dörries erster Roman "Was machen wir jetzt?". Es folgen Szenen einer Mittelstandsehe, wie sie dem gewohnheitsmäßigen Zuschauer deutscher Filmkomödien nicht fremd sein können: Claudia, Freds gelangweilte Gattin, wirft sich allabendlich hundertacht Mal auf dem Schlafzimmerboden nieder, seit sie die Glückslehren des Lama Tubten Rinpoche für sich entdeckt hat, während Fred wehmütig seiner Jugendjahre als Filmstudent gedenkt; die Zeit vergeht so gleichmäßig wie die Lust, und auch ein Wochenendausflug nach London bringt keine Wende. "Wenn die Ehe wie ein Auto ist, ist unsere ein alter, verbeulter Kombi, praktisch, aber nicht schön, um den ich mich nicht gut gekümmert habe, ich habe ihn verrotten lassen, keine Inspektionen eingehalten, ihn fast nie durch die Waschanlage gefahren, nicht poliert und nicht gepflegt."
Als Fred Kaufmann zu dieser Einsicht gelangt, ist seine Geschichte schon fast wieder vorbei, sein Auto hat einige hundert Kilometer mehr auf dem Buckel, und Fred hat das Ein- und Ausatmen schließlich doch noch gelernt. Mit Franka, seiner halbwüchsigen Tochter, ist unser Held in jenes südfranzösische Zen-Kloster gefahren, in dem Lama Tubten nervösen Großstädtern das Innehalten beibringt. Er hat sich von einer blonden Holländerin betören, von Frankas Herzens-Lama Pelge einschüchtern und von südfranzösischen Mücken zerstechen lassen. Er hat entdeckt, dass seine Frau ein Verhältnis mit dem dicken Theo aus Amsterdam begonnen hat, und nebenbei über seine eigenen Verhältnisse nachgedacht: "Ich halte mir die Welt auf Abstand, aber sie ist mir dichter auf den Fersen, als ich denke, und ich laufe und laufe, um ihr zu entkommen."
Auch seiner Lebenskrise läuft Fred Kaufmann um ein Haar davon. Doch dann fällt Theo, der Rivale, plötzlich tot vom Rad, und unser Mann erkennt, dass jeder Atemzug der letzte sein könnte. Bei einem französischen Friseur lässt sich Fred eine Glatze rasieren; aber auch innerlich schneidet er ein paar alte Zöpfe ab. So geschieht es, dass er auf dem Rückweg nach München einem anderen Autofahrer das Leben rettet, indem er ihm von seinem Atem abgibt. Als Fred Kaufmann nach Hause kommt, ist seine Welt zwar nicht wieder heil, doch die Katastrophe überstanden. Sogar seine Frau hält ihn jetzt für einen Helden.
Man kann "Was machen wir jetzt?" nicht lesen, ohne an "Erleuchtung garantiert" zu denken, den Film, den Doris Dörrie fast parallel zu der Entstehung des Romans gedreht hat und der Ende Januar, etwa gleichzeitig mit dem Erscheinen des Buches, ins Kino kam. Die Story von "Erleuchtung garantiert" ist eine heitere Variante des Debütromans: gestresste Hausmänner, ein (kinogerecht in Japan liegendes) Zen-Kloster, kleine Liebesabenteuer und ein Happy-End. Die deutschen Kritiker haben das Buch sehr, den Film weniger gelobt. Dem Film wurde die Flüchtigkeit seiner Bilder vor-, dem Buch die geschickte Konstruktion der Geschichte zugute gehalten. Beides ist übertrieben. Denn so gewiss "Erleuchtung garantiert" ein Stück vom Kalkül des Romans gebrauchen könnte, so ersichtlich mangelt diesem die Beiläufigkeit des Kinofilms.
Dieses Buch ist überkonstruiert. Das beginnt mit den aufdringlichen Selbstkommentaren des Protagonisten ("Ich war geworden, was mein Nachname Kaufmann versprach, und ich verabscheute mich dafür"), setzt sich fort in den immer allzu rechtzeitigen Wendungen des Geschehens im Kloster und klingt mit den frommen Banalitäten, die nach seiner Läuterung aus Fred Kaufmann sprudeln ("Alle Menschen wollen glücklich sein und Leiden vermeiden"), feierlich aus. Es ist, als hätte Doris Dörrie der lakonischen Sprache und den unspektakulären Sujets, die ihre Erzählungen auszeichnen, diesmal nicht getraut. Für den Roman musste alles eine Nummer größer sein. Das merkt man ihm an. Schon der traurige Verlierer Norbert, den Fred Kaufmann auf dem Weg nach Frankreich an einer Raststätte aufsammelt, wirkt von Interessantheit wie entstellt. Man denkt sofort an Joachim Król, der ja auch im "Bewegten Mann" schon Norbert hieß, wenn man liest, wie Dörries Norbert auf der Toilette nach seinem mit Kind und Kegel durchgebrannten Eheweib sucht. So bewegen sich viele Figuren dieses Buches, das sich nicht ganz sicher ist, ob es nicht lieber ein Drehbuch wäre, auf die Verfilmung zu. Die trotzige Franka, die im Kloster auf einmal ganz zahm wird, wäre eine tolle Rolle für Franka Potente, für die blonde Antje könnte man sich Johanna ter Steege vorstellen, und den Sinnsucher Fred müsste in all seiner Raubeinigkeit der unverwüstliche Uwe Ochsenknecht spielen. Was aber die Charaktere an Drastik zuviel haben, fehlt der Geschichte an Plausibilität. Der Ich-Erzähler Kaufmann, der all die absurden Schlenker der Handlung zusammenhalten soll, ist oft nicht mehr als eine Maske, durch die die Autorin dem Publikum ihre Einfälle mitteilt.
Wenn man "Was machen wir jetzt?" mit einem Auto vergleichen wollte, müsste man an einen zu Tode gehetzten Kleinwagen denken. Die Fahrerin, immer mit Vollgas auf der Überholspur der Gegenwartsliteratur, hat dem Getriebe zu viel zugemutet. Mitten auf der Strecke bleibt die Karre stehen. Was machen wir jetzt? Aussteigen. Durchatmen. Weitergehen.
Doris Dörrie: "Was machen wir jetzt?" Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2000. 304 S., geb., 39,90 DM
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.01.2000Die Tragödien lächerlicher Männer
Ein Buch und ein Film von Doris Dörrie: „Was machen wir jetzt?” und „Erleuchtung garantiert”
Tausend Mal zitiert und trotzdem richtig: Ein Maler braucht einen Pinsel, ein Autor einen Stift, ein Musiker ein Instrument, um seine Kunst auszuüben – ein Filmemacher braucht hingegen eine Armee. Der Spruch stammt von Orson Welles, der sich in der Rolle des Generals sicher wohl fühlte und dennoch mit dem Aufwand und den damit verbundenen Kosten nicht klar kam.
Von jeher träumen Regisseure von leichterem Marschgepäck für ihren Weg ins Kino, und wann immer die Technik das dann ermöglichte, entstanden auch Filme, die dieser Leichtigkeit Rechnung trugen. Trotzdem ist Filmemachen immer noch eine beschwerliche Angelegenheit, und wann immer Regisseure vom Fliegen träumen, müssen sie feststellen, dass ihre Träume eine ganz andere Schwerkraft haben als die anderer Künstler.
Womöglich hat Doris Dörrie unter anderem deswegen mit dem Schreiben angefangen, weil dort der Weg vom ersten Impuls zum fertigen Ergebnis nicht so lang ist – ganz sicher hat sie deswegen ihren neuen Film „Erleuchtung garantiert” mit einer kleinen Digitalkamera gedreht und einem Team, das „um einen Esstisch Platz hat”. Und damit auch wirklich gar kein überflüssiges Gepäck sie belastet, ist sie sogar ohne Drehbuch mit ihren beiden Schauspielern nach Japan gefahren. So gesehen passt der Titel ihres neuen Romans wahrscheinlich auch auf die Arbeitsweise beim Drehen ganz gut: „Was machen wir jetzt?”
Schon einmal hat Doris Dörrie mit der kleinen Kamera gedreht, das war nach dem Tod ihres Mannes, den sie in dem einstündigen Fernsehfilm „Augenblick” – wenn man das so nennen kann – verarbeitete. Mit Bildern, die sie auf ihrer Suche nach Trost wie vom Straßenrande aufgelesen hatte, versuchte sie, sich einen Reim zu machen auf die Trauer, den Schock, die Leere. Fernöstliche Meister kamen darin vor, die den Augenblick gegen die Vergänglichkeit setzten, die Kälte in Deutschland, die Wärme in Spanien, und eine Kochzeremonie, in der sie mit einem Leidensgenossen die Lieblingsgerichte der Verstorbenen zubereitet. Das Ganze sehr privat, ein vorsichtiges Tasten, ein Erfühlen und Befragen, ermöglicht durch die Digitalkamera, mit der man fast so arbeiten kann wie der Dichter mit Stift und Papier.
Diese kleine Etüde ließ für „Erleuchtung garantiert” einiges erhoffen, einen Dogma-Filme ohne Regeln quasi: Man reist mit zwei Schauspielern nach Japan und schaut mal, was man findet – Impressionen, Gedanken, Beiläufiges, Poetisches. Bei Wim Wenders hat das in seinen „Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten” auch schon mal ganz gut geklappt, ebenfalls in Tokio.
Das Erstaunliche und Enttäuschende an Dörries Film ist jedoch, dass sie die Möglichkeiten des leichteren Mediums weitgehend ungenutzt lässt. Sicher gibt es hier und da mal eine Einstellung aus der Tokioter U-Bahn oder auf das Gewimmel einer Straßenkreuzung, auf die allgegenwärtigen Krähen oder auf den Regen im Klostergarten, aber ihre Geschichte erzählt Dörrie überwiegend konventionell – und das führt zu einer merkwürdigen Leere in den Bildern.
Da gibt es die ungleichen Brüder Uwe und Gustav; der eine ist von seiner Frau verlassen worden, und der andere ist ohnehin auf der Suche nach Erleuchtung, und so reisen sie gemeinsam in ein Kloster bei Tokio, um sich dort den strengen Ritualen zu unterwerfen. Erstmal verirren sie sich in Tokio, verlieren ihr Hotel aus den Augen, büßen ihre Kreditkarten ein – dann geht es ins Kloster, wo sie zusehends auf sich geworfen sind.
Als Geschichte mag das schon tragfähig sein, aber der Film wirkt stets so, als würde er noch auf etwas anderes warten. Die ganzen Lücken und Leerstellen, die durchs Improvisieren entstehen, wirken weniger meditativ als unentschieden. So funktioniert der Film eher als Dokumentation über zwei Schauspieler, die zu spielen versuchen, wo nichts zu spielen ist. Besonders Uwe Ochsenknecht fällt es schwer, seinen Spieldrang zu beherrschen. Selten war auffälliger als hier, dass weniger mehr gewesen wäre.
Mit Filmbildern ist das so eine Sache. Sie verraten ihre Absichten manchmal unvermittelter, als es Worte tun. Wenn Ochsenknecht im Film als verlassener Familienvater flennt, man habe doch auch schöne Zeiten zusammen verbracht, dann ist und bleibt das ein Klischee, auch wenn der Schauspieler noch so augenzwinkernd auf die Tube drückt. Wenn jedoch im Roman der Held in jene Situationen gerät, die unseren Klischee-Vorstellungen entspricht, dann wirkt die Szene nicht nur transparenter, sondern ist auch noch ungleich witziger, weil sie gleichzeitig reflektiert wird.
Der Ich-Erzähler von „Was machen wir jetzt?” ist eine Mischung der beiden Filmhelden. Einerseits steht Fred Kaufmann spirituellen Dingen mindestens so skeptisch gegenüber wie Ochsenknecht, andererseits findet er in Leben und Ehe ähnlich wenig Erfüllung wie Gustav-Peter Wöhler. In diesem Zustand allgemeiner Ratlosigkeit macht Fred sich mit seiner 17-jährigen Tochter Franka auf den Weg in ein buddhistisches Kloster in Frankreich, wo ein junger Mönch lebt, mit dem Franka nach Indien gehen will. Ziel der Reise ist es, der Tochter diesen Plan auszureden. Aber natürlich kommt alles anders.
Diese Reise ist von Doris Dörrie mit einer Leichtigkeit erzählt, mit einem erzählerischen Übermut und einer Unbeschwertheit, die in der deutschen Literatur sonst kaum einer besitzt. All die Beobachtungen und Details, die im Film so schnell die Absichten der Regisseurin verraten, dienen hier der Vivisektion des ganz normalen Wahnsinns, der das Leben ausmacht. Was ihrem Film „Männer” nachgesagt wurde, trifft für diesen Roman in jedem Fall zu: Er ist das Porträt einer Generation, die mit Dylan und Drogen groß geworden ist und nun feststellen muss, dass sie den eigenen Kindern genauso ratlos gegenüberstehen wie die eigenen Eltern. So lustig und hellsichtig hat das bislang allenfalls Nick Hornby aufgeschrieben.
Wer bei der Widmung der Autorin, die Meinungen der Hauptfigur über den Buddhismus gäben keinesfalls die eigene Meinung wieder, noch zusammenzuckt, der kann sich getrost entspannen: Doris Dörrie ist auf dem Weg zu ihrer eigenen Erleuchtung offenbar weit genug, um die Sache nicht ernster zu nehmen als sie ist. Und sollte sie in ihrem nächsten Leben als Mann wiedergeboren werden, muss sie sich keine Sorgen machen: Wie die sich fühlen, weiß sie offenbar jetzt schon.
MICHAEL ALTHEN
ERLEUCHTUNG GARANTIERT, D 2000 – Regie: Doris Dörrie. Kamera: Hans Karl Hu. Mit: Uwe Ochsenknecht, Gustav-Peter Wöhler, Petra Zieser, Ulrike Kriener, Anica Dobra, Heiner Lauterbach. Constantin, 96 Minuten.
WAS MACHEN WIR JETZT? Roman. Diogenes Verlag. 304 Seiten, 39,90 Mark.
Erleuchtung garantiert: Uwe Ochsenknecht meditiert
Foto: Constantin Film
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Ein Buch und ein Film von Doris Dörrie: „Was machen wir jetzt?” und „Erleuchtung garantiert”
Tausend Mal zitiert und trotzdem richtig: Ein Maler braucht einen Pinsel, ein Autor einen Stift, ein Musiker ein Instrument, um seine Kunst auszuüben – ein Filmemacher braucht hingegen eine Armee. Der Spruch stammt von Orson Welles, der sich in der Rolle des Generals sicher wohl fühlte und dennoch mit dem Aufwand und den damit verbundenen Kosten nicht klar kam.
Von jeher träumen Regisseure von leichterem Marschgepäck für ihren Weg ins Kino, und wann immer die Technik das dann ermöglichte, entstanden auch Filme, die dieser Leichtigkeit Rechnung trugen. Trotzdem ist Filmemachen immer noch eine beschwerliche Angelegenheit, und wann immer Regisseure vom Fliegen träumen, müssen sie feststellen, dass ihre Träume eine ganz andere Schwerkraft haben als die anderer Künstler.
Womöglich hat Doris Dörrie unter anderem deswegen mit dem Schreiben angefangen, weil dort der Weg vom ersten Impuls zum fertigen Ergebnis nicht so lang ist – ganz sicher hat sie deswegen ihren neuen Film „Erleuchtung garantiert” mit einer kleinen Digitalkamera gedreht und einem Team, das „um einen Esstisch Platz hat”. Und damit auch wirklich gar kein überflüssiges Gepäck sie belastet, ist sie sogar ohne Drehbuch mit ihren beiden Schauspielern nach Japan gefahren. So gesehen passt der Titel ihres neuen Romans wahrscheinlich auch auf die Arbeitsweise beim Drehen ganz gut: „Was machen wir jetzt?”
Schon einmal hat Doris Dörrie mit der kleinen Kamera gedreht, das war nach dem Tod ihres Mannes, den sie in dem einstündigen Fernsehfilm „Augenblick” – wenn man das so nennen kann – verarbeitete. Mit Bildern, die sie auf ihrer Suche nach Trost wie vom Straßenrande aufgelesen hatte, versuchte sie, sich einen Reim zu machen auf die Trauer, den Schock, die Leere. Fernöstliche Meister kamen darin vor, die den Augenblick gegen die Vergänglichkeit setzten, die Kälte in Deutschland, die Wärme in Spanien, und eine Kochzeremonie, in der sie mit einem Leidensgenossen die Lieblingsgerichte der Verstorbenen zubereitet. Das Ganze sehr privat, ein vorsichtiges Tasten, ein Erfühlen und Befragen, ermöglicht durch die Digitalkamera, mit der man fast so arbeiten kann wie der Dichter mit Stift und Papier.
Diese kleine Etüde ließ für „Erleuchtung garantiert” einiges erhoffen, einen Dogma-Filme ohne Regeln quasi: Man reist mit zwei Schauspielern nach Japan und schaut mal, was man findet – Impressionen, Gedanken, Beiläufiges, Poetisches. Bei Wim Wenders hat das in seinen „Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten” auch schon mal ganz gut geklappt, ebenfalls in Tokio.
Das Erstaunliche und Enttäuschende an Dörries Film ist jedoch, dass sie die Möglichkeiten des leichteren Mediums weitgehend ungenutzt lässt. Sicher gibt es hier und da mal eine Einstellung aus der Tokioter U-Bahn oder auf das Gewimmel einer Straßenkreuzung, auf die allgegenwärtigen Krähen oder auf den Regen im Klostergarten, aber ihre Geschichte erzählt Dörrie überwiegend konventionell – und das führt zu einer merkwürdigen Leere in den Bildern.
Da gibt es die ungleichen Brüder Uwe und Gustav; der eine ist von seiner Frau verlassen worden, und der andere ist ohnehin auf der Suche nach Erleuchtung, und so reisen sie gemeinsam in ein Kloster bei Tokio, um sich dort den strengen Ritualen zu unterwerfen. Erstmal verirren sie sich in Tokio, verlieren ihr Hotel aus den Augen, büßen ihre Kreditkarten ein – dann geht es ins Kloster, wo sie zusehends auf sich geworfen sind.
Als Geschichte mag das schon tragfähig sein, aber der Film wirkt stets so, als würde er noch auf etwas anderes warten. Die ganzen Lücken und Leerstellen, die durchs Improvisieren entstehen, wirken weniger meditativ als unentschieden. So funktioniert der Film eher als Dokumentation über zwei Schauspieler, die zu spielen versuchen, wo nichts zu spielen ist. Besonders Uwe Ochsenknecht fällt es schwer, seinen Spieldrang zu beherrschen. Selten war auffälliger als hier, dass weniger mehr gewesen wäre.
Mit Filmbildern ist das so eine Sache. Sie verraten ihre Absichten manchmal unvermittelter, als es Worte tun. Wenn Ochsenknecht im Film als verlassener Familienvater flennt, man habe doch auch schöne Zeiten zusammen verbracht, dann ist und bleibt das ein Klischee, auch wenn der Schauspieler noch so augenzwinkernd auf die Tube drückt. Wenn jedoch im Roman der Held in jene Situationen gerät, die unseren Klischee-Vorstellungen entspricht, dann wirkt die Szene nicht nur transparenter, sondern ist auch noch ungleich witziger, weil sie gleichzeitig reflektiert wird.
Der Ich-Erzähler von „Was machen wir jetzt?” ist eine Mischung der beiden Filmhelden. Einerseits steht Fred Kaufmann spirituellen Dingen mindestens so skeptisch gegenüber wie Ochsenknecht, andererseits findet er in Leben und Ehe ähnlich wenig Erfüllung wie Gustav-Peter Wöhler. In diesem Zustand allgemeiner Ratlosigkeit macht Fred sich mit seiner 17-jährigen Tochter Franka auf den Weg in ein buddhistisches Kloster in Frankreich, wo ein junger Mönch lebt, mit dem Franka nach Indien gehen will. Ziel der Reise ist es, der Tochter diesen Plan auszureden. Aber natürlich kommt alles anders.
Diese Reise ist von Doris Dörrie mit einer Leichtigkeit erzählt, mit einem erzählerischen Übermut und einer Unbeschwertheit, die in der deutschen Literatur sonst kaum einer besitzt. All die Beobachtungen und Details, die im Film so schnell die Absichten der Regisseurin verraten, dienen hier der Vivisektion des ganz normalen Wahnsinns, der das Leben ausmacht. Was ihrem Film „Männer” nachgesagt wurde, trifft für diesen Roman in jedem Fall zu: Er ist das Porträt einer Generation, die mit Dylan und Drogen groß geworden ist und nun feststellen muss, dass sie den eigenen Kindern genauso ratlos gegenüberstehen wie die eigenen Eltern. So lustig und hellsichtig hat das bislang allenfalls Nick Hornby aufgeschrieben.
Wer bei der Widmung der Autorin, die Meinungen der Hauptfigur über den Buddhismus gäben keinesfalls die eigene Meinung wieder, noch zusammenzuckt, der kann sich getrost entspannen: Doris Dörrie ist auf dem Weg zu ihrer eigenen Erleuchtung offenbar weit genug, um die Sache nicht ernster zu nehmen als sie ist. Und sollte sie in ihrem nächsten Leben als Mann wiedergeboren werden, muss sie sich keine Sorgen machen: Wie die sich fühlen, weiß sie offenbar jetzt schon.
MICHAEL ALTHEN
ERLEUCHTUNG GARANTIERT, D 2000 – Regie: Doris Dörrie. Kamera: Hans Karl Hu. Mit: Uwe Ochsenknecht, Gustav-Peter Wöhler, Petra Zieser, Ulrike Kriener, Anica Dobra, Heiner Lauterbach. Constantin, 96 Minuten.
WAS MACHEN WIR JETZT? Roman. Diogenes Verlag. 304 Seiten, 39,90 Mark.
Erleuchtung garantiert: Uwe Ochsenknecht meditiert
Foto: Constantin Film
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
»Heute streiten sich die Feuilletonisten, ob sie besser Bücher schreiben kann oder besser Filme dreht. Die Antwort ist einfach: Doris Dörrie kann beides.« Janet Schayan / Deutschland Deutschland