Wie weiter, wenn die Frau ihr Heil im Buddhismus sucht, die siebzehnjährige Tochter mit einem tibetischen Lama auf und davon will und einen selbst Geld und Erfolg nicht glücklich machen? Diese Fragen stellt sich nicht nur Doris Dörries Romanfigur Fred Kaufmann. Doch die Autorin zeigt uns mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Nur Mut, es gibt ein Leben über vierzig! "
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2000Du Yin, ich Yang
Doris Dörrie und was wir jetzt so machen / Von Andreas Kilb
Sie sei "eine absolute Verfechterin der vollen Katastrophe", hat Doris Dörrie vor zwei Jahren in einem Interview erklärt. Das Leben lohne sich erst richtig, wenn "nur noch Einatmen und Ausatmen" übrig bleibe: "Kein System mehr, nichts mehr an Regeln und Ritualen, gar nichts." Diese Lebensweisheit ist den Protagonisten von Doris Dörries Erzählungen versagt geblieben. Deshalb müssen sie sie lernen, auf die harte Tour. Fast jede der Geschichten in den Bänden "Für immer und ewig" (1991), "Bin ich schön?" (1994) und "Samsara" (1996) handelt von Menschen, die vor der Katastrophe gekniffen haben, die sich eingerichtet haben in ihrem Halbglück, ihren verpassten Chancen, ihren Kleinfamilien und Kleinkarrieren. Aber das reicht nicht. Ein Zufall genügt, um den Kurzschluss auszulösen, der die Ruhe im Karton beendet. Die Erzählerin Dörrie hält den Moment fest, da die Sicherungen des Alltags herausspringen und die Helden plötzlich im Dunkeln stehen. Vergeblich rudern sie mit den Armen, um die Menschen und Dinge wiederzufinden, mit denen sie vertraut waren. Manche finden in dieser Lage das Glück ihres Lebens, andere nur den Trost von Fremden, denen es ebenso ergangen ist.
"Ich bin im Begriff, meine Familie zu verlieren." Fred Kaufmann, Besitzer einer Imbisskette im Münchner Raum, macht gerade mit der Katastrophe Bekanntschaft. "Meine Ehe ist auf dem Hund, und meine Tochter Franka hat sich in einen Kerl verknallt, der sie nach Indien entführen will." So beginnt Doris Dörries erster Roman "Was machen wir jetzt?". Es folgen Szenen einer Mittelstandsehe, wie sie dem gewohnheitsmäßigen Zuschauer deutscher Filmkomödien nicht fremd sein können: Claudia, Freds gelangweilte Gattin, wirft sich allabendlich hundertacht Mal auf dem Schlafzimmerboden nieder, seit sie die Glückslehren des Lama Tubten Rinpoche für sich entdeckt hat, während Fred wehmütig seiner Jugendjahre als Filmstudent gedenkt; die Zeit vergeht so gleichmäßig wie die Lust, und auch ein Wochenendausflug nach London bringt keine Wende. "Wenn die Ehe wie ein Auto ist, ist unsere ein alter, verbeulter Kombi, praktisch, aber nicht schön, um den ich mich nicht gut gekümmert habe, ich habe ihn verrotten lassen, keine Inspektionen eingehalten, ihn fast nie durch die Waschanlage gefahren, nicht poliert und nicht gepflegt."
Als Fred Kaufmann zu dieser Einsicht gelangt, ist seine Geschichte schon fast wieder vorbei, sein Auto hat einige hundert Kilometer mehr auf dem Buckel, und Fred hat das Ein- und Ausatmen schließlich doch noch gelernt. Mit Franka, seiner halbwüchsigen Tochter, ist unser Held in jenes südfranzösische Zen-Kloster gefahren, in dem Lama Tubten nervösen Großstädtern das Innehalten beibringt. Er hat sich von einer blonden Holländerin betören, von Frankas Herzens-Lama Pelge einschüchtern und von südfranzösischen Mücken zerstechen lassen. Er hat entdeckt, dass seine Frau ein Verhältnis mit dem dicken Theo aus Amsterdam begonnen hat, und nebenbei über seine eigenen Verhältnisse nachgedacht: "Ich halte mir die Welt auf Abstand, aber sie ist mir dichter auf den Fersen, als ich denke, und ich laufe und laufe, um ihr zu entkommen."
Auch seiner Lebenskrise läuft Fred Kaufmann um ein Haar davon. Doch dann fällt Theo, der Rivale, plötzlich tot vom Rad, und unser Mann erkennt, dass jeder Atemzug der letzte sein könnte. Bei einem französischen Friseur lässt sich Fred eine Glatze rasieren; aber auch innerlich schneidet er ein paar alte Zöpfe ab. So geschieht es, dass er auf dem Rückweg nach München einem anderen Autofahrer das Leben rettet, indem er ihm von seinem Atem abgibt. Als Fred Kaufmann nach Hause kommt, ist seine Welt zwar nicht wieder heil, doch die Katastrophe überstanden. Sogar seine Frau hält ihn jetzt für einen Helden.
Man kann "Was machen wir jetzt?" nicht lesen, ohne an "Erleuchtung garantiert" zu denken, den Film, den Doris Dörrie fast parallel zu der Entstehung des Romans gedreht hat und der Ende Januar, etwa gleichzeitig mit dem Erscheinen des Buches, ins Kino kam. Die Story von "Erleuchtung garantiert" ist eine heitere Variante des Debütromans: gestresste Hausmänner, ein (kinogerecht in Japan liegendes) Zen-Kloster, kleine Liebesabenteuer und ein Happy-End. Die deutschen Kritiker haben das Buch sehr, den Film weniger gelobt. Dem Film wurde die Flüchtigkeit seiner Bilder vor-, dem Buch die geschickte Konstruktion der Geschichte zugute gehalten. Beides ist übertrieben. Denn so gewiss "Erleuchtung garantiert" ein Stück vom Kalkül des Romans gebrauchen könnte, so ersichtlich mangelt diesem die Beiläufigkeit des Kinofilms.
Dieses Buch ist überkonstruiert. Das beginnt mit den aufdringlichen Selbstkommentaren des Protagonisten ("Ich war geworden, was mein Nachname Kaufmann versprach, und ich verabscheute mich dafür"), setzt sich fort in den immer allzu rechtzeitigen Wendungen des Geschehens im Kloster und klingt mit den frommen Banalitäten, die nach seiner Läuterung aus Fred Kaufmann sprudeln ("Alle Menschen wollen glücklich sein und Leiden vermeiden"), feierlich aus. Es ist, als hätte Doris Dörrie der lakonischen Sprache und den unspektakulären Sujets, die ihre Erzählungen auszeichnen, diesmal nicht getraut. Für den Roman musste alles eine Nummer größer sein. Das merkt man ihm an. Schon der traurige Verlierer Norbert, den Fred Kaufmann auf dem Weg nach Frankreich an einer Raststätte aufsammelt, wirkt von Interessantheit wie entstellt. Man denkt sofort an Joachim Król, der ja auch im "Bewegten Mann" schon Norbert hieß, wenn man liest, wie Dörries Norbert auf der Toilette nach seinem mit Kind und Kegel durchgebrannten Eheweib sucht. So bewegen sich viele Figuren dieses Buches, das sich nicht ganz sicher ist, ob es nicht lieber ein Drehbuch wäre, auf die Verfilmung zu. Die trotzige Franka, die im Kloster auf einmal ganz zahm wird, wäre eine tolle Rolle für Franka Potente, für die blonde Antje könnte man sich Johanna ter Steege vorstellen, und den Sinnsucher Fred müsste in all seiner Raubeinigkeit der unverwüstliche Uwe Ochsenknecht spielen. Was aber die Charaktere an Drastik zuviel haben, fehlt der Geschichte an Plausibilität. Der Ich-Erzähler Kaufmann, der all die absurden Schlenker der Handlung zusammenhalten soll, ist oft nicht mehr als eine Maske, durch die die Autorin dem Publikum ihre Einfälle mitteilt.
Wenn man "Was machen wir jetzt?" mit einem Auto vergleichen wollte, müsste man an einen zu Tode gehetzten Kleinwagen denken. Die Fahrerin, immer mit Vollgas auf der Überholspur der Gegenwartsliteratur, hat dem Getriebe zu viel zugemutet. Mitten auf der Strecke bleibt die Karre stehen. Was machen wir jetzt? Aussteigen. Durchatmen. Weitergehen.
Doris Dörrie: "Was machen wir jetzt?" Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2000. 304 S., geb., 39,90 DM
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Doris Dörrie und was wir jetzt so machen / Von Andreas Kilb
Sie sei "eine absolute Verfechterin der vollen Katastrophe", hat Doris Dörrie vor zwei Jahren in einem Interview erklärt. Das Leben lohne sich erst richtig, wenn "nur noch Einatmen und Ausatmen" übrig bleibe: "Kein System mehr, nichts mehr an Regeln und Ritualen, gar nichts." Diese Lebensweisheit ist den Protagonisten von Doris Dörries Erzählungen versagt geblieben. Deshalb müssen sie sie lernen, auf die harte Tour. Fast jede der Geschichten in den Bänden "Für immer und ewig" (1991), "Bin ich schön?" (1994) und "Samsara" (1996) handelt von Menschen, die vor der Katastrophe gekniffen haben, die sich eingerichtet haben in ihrem Halbglück, ihren verpassten Chancen, ihren Kleinfamilien und Kleinkarrieren. Aber das reicht nicht. Ein Zufall genügt, um den Kurzschluss auszulösen, der die Ruhe im Karton beendet. Die Erzählerin Dörrie hält den Moment fest, da die Sicherungen des Alltags herausspringen und die Helden plötzlich im Dunkeln stehen. Vergeblich rudern sie mit den Armen, um die Menschen und Dinge wiederzufinden, mit denen sie vertraut waren. Manche finden in dieser Lage das Glück ihres Lebens, andere nur den Trost von Fremden, denen es ebenso ergangen ist.
"Ich bin im Begriff, meine Familie zu verlieren." Fred Kaufmann, Besitzer einer Imbisskette im Münchner Raum, macht gerade mit der Katastrophe Bekanntschaft. "Meine Ehe ist auf dem Hund, und meine Tochter Franka hat sich in einen Kerl verknallt, der sie nach Indien entführen will." So beginnt Doris Dörries erster Roman "Was machen wir jetzt?". Es folgen Szenen einer Mittelstandsehe, wie sie dem gewohnheitsmäßigen Zuschauer deutscher Filmkomödien nicht fremd sein können: Claudia, Freds gelangweilte Gattin, wirft sich allabendlich hundertacht Mal auf dem Schlafzimmerboden nieder, seit sie die Glückslehren des Lama Tubten Rinpoche für sich entdeckt hat, während Fred wehmütig seiner Jugendjahre als Filmstudent gedenkt; die Zeit vergeht so gleichmäßig wie die Lust, und auch ein Wochenendausflug nach London bringt keine Wende. "Wenn die Ehe wie ein Auto ist, ist unsere ein alter, verbeulter Kombi, praktisch, aber nicht schön, um den ich mich nicht gut gekümmert habe, ich habe ihn verrotten lassen, keine Inspektionen eingehalten, ihn fast nie durch die Waschanlage gefahren, nicht poliert und nicht gepflegt."
Als Fred Kaufmann zu dieser Einsicht gelangt, ist seine Geschichte schon fast wieder vorbei, sein Auto hat einige hundert Kilometer mehr auf dem Buckel, und Fred hat das Ein- und Ausatmen schließlich doch noch gelernt. Mit Franka, seiner halbwüchsigen Tochter, ist unser Held in jenes südfranzösische Zen-Kloster gefahren, in dem Lama Tubten nervösen Großstädtern das Innehalten beibringt. Er hat sich von einer blonden Holländerin betören, von Frankas Herzens-Lama Pelge einschüchtern und von südfranzösischen Mücken zerstechen lassen. Er hat entdeckt, dass seine Frau ein Verhältnis mit dem dicken Theo aus Amsterdam begonnen hat, und nebenbei über seine eigenen Verhältnisse nachgedacht: "Ich halte mir die Welt auf Abstand, aber sie ist mir dichter auf den Fersen, als ich denke, und ich laufe und laufe, um ihr zu entkommen."
Auch seiner Lebenskrise läuft Fred Kaufmann um ein Haar davon. Doch dann fällt Theo, der Rivale, plötzlich tot vom Rad, und unser Mann erkennt, dass jeder Atemzug der letzte sein könnte. Bei einem französischen Friseur lässt sich Fred eine Glatze rasieren; aber auch innerlich schneidet er ein paar alte Zöpfe ab. So geschieht es, dass er auf dem Rückweg nach München einem anderen Autofahrer das Leben rettet, indem er ihm von seinem Atem abgibt. Als Fred Kaufmann nach Hause kommt, ist seine Welt zwar nicht wieder heil, doch die Katastrophe überstanden. Sogar seine Frau hält ihn jetzt für einen Helden.
Man kann "Was machen wir jetzt?" nicht lesen, ohne an "Erleuchtung garantiert" zu denken, den Film, den Doris Dörrie fast parallel zu der Entstehung des Romans gedreht hat und der Ende Januar, etwa gleichzeitig mit dem Erscheinen des Buches, ins Kino kam. Die Story von "Erleuchtung garantiert" ist eine heitere Variante des Debütromans: gestresste Hausmänner, ein (kinogerecht in Japan liegendes) Zen-Kloster, kleine Liebesabenteuer und ein Happy-End. Die deutschen Kritiker haben das Buch sehr, den Film weniger gelobt. Dem Film wurde die Flüchtigkeit seiner Bilder vor-, dem Buch die geschickte Konstruktion der Geschichte zugute gehalten. Beides ist übertrieben. Denn so gewiss "Erleuchtung garantiert" ein Stück vom Kalkül des Romans gebrauchen könnte, so ersichtlich mangelt diesem die Beiläufigkeit des Kinofilms.
Dieses Buch ist überkonstruiert. Das beginnt mit den aufdringlichen Selbstkommentaren des Protagonisten ("Ich war geworden, was mein Nachname Kaufmann versprach, und ich verabscheute mich dafür"), setzt sich fort in den immer allzu rechtzeitigen Wendungen des Geschehens im Kloster und klingt mit den frommen Banalitäten, die nach seiner Läuterung aus Fred Kaufmann sprudeln ("Alle Menschen wollen glücklich sein und Leiden vermeiden"), feierlich aus. Es ist, als hätte Doris Dörrie der lakonischen Sprache und den unspektakulären Sujets, die ihre Erzählungen auszeichnen, diesmal nicht getraut. Für den Roman musste alles eine Nummer größer sein. Das merkt man ihm an. Schon der traurige Verlierer Norbert, den Fred Kaufmann auf dem Weg nach Frankreich an einer Raststätte aufsammelt, wirkt von Interessantheit wie entstellt. Man denkt sofort an Joachim Król, der ja auch im "Bewegten Mann" schon Norbert hieß, wenn man liest, wie Dörries Norbert auf der Toilette nach seinem mit Kind und Kegel durchgebrannten Eheweib sucht. So bewegen sich viele Figuren dieses Buches, das sich nicht ganz sicher ist, ob es nicht lieber ein Drehbuch wäre, auf die Verfilmung zu. Die trotzige Franka, die im Kloster auf einmal ganz zahm wird, wäre eine tolle Rolle für Franka Potente, für die blonde Antje könnte man sich Johanna ter Steege vorstellen, und den Sinnsucher Fred müsste in all seiner Raubeinigkeit der unverwüstliche Uwe Ochsenknecht spielen. Was aber die Charaktere an Drastik zuviel haben, fehlt der Geschichte an Plausibilität. Der Ich-Erzähler Kaufmann, der all die absurden Schlenker der Handlung zusammenhalten soll, ist oft nicht mehr als eine Maske, durch die die Autorin dem Publikum ihre Einfälle mitteilt.
Wenn man "Was machen wir jetzt?" mit einem Auto vergleichen wollte, müsste man an einen zu Tode gehetzten Kleinwagen denken. Die Fahrerin, immer mit Vollgas auf der Überholspur der Gegenwartsliteratur, hat dem Getriebe zu viel zugemutet. Mitten auf der Strecke bleibt die Karre stehen. Was machen wir jetzt? Aussteigen. Durchatmen. Weitergehen.
Doris Dörrie: "Was machen wir jetzt?" Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2000. 304 S., geb., 39,90 DM
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Heute streiten sich die Feuilletonisten, ob sie besser Bücher schreiben kann oder besser Filme dreht. Die Antwort ist einfach: Doris Dörrie kann beides.« Janet Schayan / Deutschland Deutschland