Wie wir mit den richtigen Entscheidungen den Enkeln unserer Enkel ein Leben in Sicherheit und Glück ermöglichen
»Dieses Buch ist ein monumentales Ereignis.« Rutger Bregman
Der britische Philosoph und Aktivist Will MacAskill fordert ein radikal neues Denken beim Thema Nachhaltigkeit: Unser heutiges Handeln muss nicht nur die Konsequenzen für die nächsten Generationen miteinbeziehen, sondern auch die Folgen für die Menschheit in einer weit entfernten Zukunft. Es reicht nicht aus, den Klimawandel einzudämmen oder die nächste Pandemie zu verhindern. Wir müssen sicherstellen, dass sich die Menschheit nach einem Kollaps auch wieder erholt. Ein Manifest von enormer Sprengkraft – minutiös recherchiert und brillant geschrieben.
Mit zahlreichen Abbildungen und Grafiken.
»Dieses Buch ist ein monumentales Ereignis.« Rutger Bregman
Der britische Philosoph und Aktivist Will MacAskill fordert ein radikal neues Denken beim Thema Nachhaltigkeit: Unser heutiges Handeln muss nicht nur die Konsequenzen für die nächsten Generationen miteinbeziehen, sondern auch die Folgen für die Menschheit in einer weit entfernten Zukunft. Es reicht nicht aus, den Klimawandel einzudämmen oder die nächste Pandemie zu verhindern. Wir müssen sicherstellen, dass sich die Menschheit nach einem Kollaps auch wieder erholt. Ein Manifest von enormer Sprengkraft – minutiös recherchiert und brillant geschrieben.
Mit zahlreichen Abbildungen und Grafiken.
»William MacAskill ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Philosophen und dies ist sein Opus Magnum.« Rutger Bregman
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Aus dem neuen Buch des Philosophieprofessors William MacAskill kann Rezensent Matthias Bertsch lernen, was Longtermism ist: Die Annahme, dass es die Zukunft ist, die zählt und die noch kommenden Menschen, auf deren Leben und Überleben hin wir unser Handeln ausrichten sollen. Diese Zukunftsorientierung begründet der Autor mit einem Verweis auf die Vergangenheit: Was zur Zeit der Sklaverei utopisch aussah, sei heute ganz normal, und diejenigen, die sich damals für deren Freiheit einsetzten, seien zunächst auch nicht ernst genommen worden, erläutert Bertsch. Der Kritiker ist sich noch nicht ganz sicher, ob man sich ganz der Unsicherheit der Zukunft hingeben sollte, erkennt aber abschließend an, dass es ein wichtiges Anliegen ist, die Folgen unseres Handelns zu berücksichtigen. Auf alle Fälle liest er hier ein "bestens recherchiertes" Werk.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.09.2023Lieber an Raumfahrtunternehmen spenden?
Das neue Buch von William MacAskill, dessen „effektiver Altruismus“ Armut rational bekämpfen will
Ein junger Mann namens Sam zeigte eine Begabung für Mathematik. Nach seinem Physikstudium wollte er sich beruflich für Tierschutz einsetzen. Er interessierte sich sehr für Ethik. Also traf er sich mit William MacAskill, einem nur wenige Jahre älteren, damals 25-jährigen Oxford-Doktoranden der Philosophie, der ihm bei einem gemeinsamen Mittagessen riet, weniger auf sein Herz und mehr auf seinen Kopf zu vertrauen. Wenn er die Welt effektiv zum Guten verändern wolle, sagte MacAskill, dann solle er lieber sein Talent für Zahlen nutzen und viel Geld verdienen, um es anschließend zu spenden: „earn to give“.
Genau das tat Sam Bankman-Fried, so der vollständige Name des jungen Mannes. Noch vor seinem dreißigsten Geburtstag wurde er als Betreiber einer Krypto-Plattform einer der reichsten Menschen des Planeten. Er ging extrem hohe Risiken ein, schließlich verzockte er sich. Inzwischen sitzt er in Untersuchungshaft, die US-Staatsanwalt wirft ihm Betrug „epischen Ausmaßes“ vor. Weil der Zweck die Mittel heiligen sollte?
Und damit von der Gefängniszelle zurück in die Welt der Worte und Ideen, zu MacAskills Buch „Was wir der Zukunft schulden“, das nun auf Deutsch vorliegt. Der Philosoph, inzwischen Professor in Oxford, erhöht darin die Einsätze seiner Philosophie. In „Gutes besser tun“, 2016 auf Deutsch erschienen, hatte MacAskill noch das Denken des „Effektiven Altruismus“ grundsätzlich vorgestellt. Er plädierte dafür, anknüpfend an Ideen Peter Singers, ethische Entscheidungen im Alltag konsequent zu verwissenschaftlichen. Gute Absichten zählten nicht, es komme darauf an, messbar mehr Glück zu produzieren. Etwa wenn man für einen besseren Bildungszugang kenianischer Kindern sorgen will. Viele von ihnen sind mit Parasiten befallen, werden krank und verpassen dadurch die Schule, deshalb sei die effektivste Bildungsmaßnahme, in Wurmkuren zu investieren. Mit tausend Dollar könne man so im Schnitt 139 zusätzliche Schuljahre produzieren – statt nur 2,7, wenn man dieselbe Summe in Schulstipendien stecke. Es gelte, seinen Intuitionen zu misstrauen. Rational zu sein. In „Was wir der Zukunft schulden“ rechnet MacAskill nicht mehr nur die unterschiedlichen Wege zum optimalen Glück utilitaristisch durch, sondern auch die Wahl der zu Beglückenden. Und wieder kommt er zu unorthodoxen Ergebnissen. Zum Beispiel dem, dass man sehr viel Gutes für Menschen tun könne, die noch gar nicht geboren sind, deren Glück und Unglück aber gleichwohl von heutigen Entscheidungen abhängt.
Diese Überlegungen bieten viel Angriffsfläche. Trotzdem sollte man besser nicht dem Reflex nachgeben, sie allzu schnell zu verwerfen. Wenn MacAskill schreibt, die künftigen Menschen zählten schon deshalb, weil es „möglicherweise sehr viele von ihnen geben“ wird, dann ist das entscheidende Wörtchen zweifellos „möglicherweise“: Wer nur potenziell existiert, der existiert erst mal gar nicht. Die Zukunft ist radikal ungewiss. Darauf weist MacAskill selbst immer wieder hin, es ist aber auch das Argument von Menschen, die sich lieber nicht zu intensiv mit der Zukunft beschäftigen wollen. So als müsse man die Folgen heutiger Handlungen, nur weil man ihren exakten Verlauf nicht berechnen kann, gar nicht in die Kalkulationen der Gegenwart einbeziehen.
MacAskill hat dafür ein schönes Beispiel. Skeptiker des Klimawandels weisen gern darauf hin, wie viele Ungewissheiten Klimamodelle enthalten, woraus sie ableiten: Nur keine Panik! Die Zeitung Die Welt beschäftigt einen Wissenschaftsjournalisten mit dem spaßigen Titel „Chefreporter Wissenschaft“, dessen Job im Wesentlichen darin besteht, dieses Argument an immer neuen Beispielen durchzuexerzieren. MacAskill weist darauf hin, dass die Ungewissheit in beide Richtungen geht – und die Worst-Case-Szenarien deutlich schlimmer sind als die Best-Case-Szenarien besser. Er zeigt das am Beispiel von Zahlen und führt einfache Wahrscheinlichkeitsrechnungen durch. Die Ungewissheit gebe, mathematisch betrachtet, mehr Anlass zur Sorge, nicht weniger. Die Verpflichtungen gegenüber der Zukunft konkreter zu fassen, gern auch bis auf die Nachkommastelle, wäre in der Tat geboten: In dem Maß, in dem die technologische Entwicklung voranschreitet, haben die Handlungen der Gegenwart immer stärkere, potenziell irreversible Auswirkungen auf die Zukunft. Das liberale Versprechen der Moderne, „das Kontinuum der Geschichte aufzusprengen“, wie Jürgen Habermas schrieb, sich immer wieder völlig frei neu erfinden zu können, ohne zurück oder nach vorn zu blicken, wird heute von der wachsenden Gruppe alternder Besitzstandswahrer verteidigt – nicht mehr gegen die dogmatischen Ansprüche der Tradition, sondern die praktischen der Zukunft. Auf der anderen Seite stehen junge Menschen, die einen vagen, sie überrollenden Begriff von der Zukunft haben. Ist die Zukunft wirklich aufgebraucht, durch die Schornsteine geblasen wie ein Rohstoff, ist sie „kolonisiert“, wie David Van Reybrouck sagte, sind wir gar die „letzte Generation“?
MacAskills Ansatz, bestimmten Szenarien Wahrscheinlichkeiten und Werte – wie gut oder schlimm? – zuzuordnen, dann zu multiplizieren und zu vergleichen, kann beunruhigen, aber auf eine beruhigende Weise. Was man in eine Excel-Tabelle geschrieben hat, wirkt gleich beherrschbarer. Betriebswirte lieben diesen Trick. Es weitet zweifellos den Blick, zur Abwechslung mal in Jahrmillionen zu denken. Aber der Blick hört dann nicht mehr auf, sich zu weiten. Es gibt keine Grenze. Es darf keine geben. „Mehr ist besser“, schreibt MacAskill. Um das „Gesamtglück“ zu maximieren, sei es wichtig, dafür zu sorgen, dass zukünftige Menschen überhaupt erst einmal existieren. Also: Was ist „effektiver“? Millionen heute hungernden Kindern helfen? Oder Billiarden zukünftiger Kinder das Glück verwehren, geboren zu werden? Lieber an Raumfahrtunternehmen als an Hilfsorganisationen spenden? Sollte man da auch seiner moralischen Intuition misstrauen?
Und damit wären wir wieder bei Sam Bankman-Fried. Immer wieder warnt MacAskill vor moralischem Rigorismus, davor, sich zu sicher zu sein, was das Gute ist und wie die Welt sich entwickelt. Sein Ton ist freundlich, adrett, ein bisschen klassenprimushaft. Um die eigenen Ziele zu erreichen, sei es falsch zu lügen, schreibt er, denn Lügen „haben viele indirekte negative Folgen, die schwer zu erkennen sind, ganz abgesehen davon, dass es vermutlich moralisch falsch ist“. Er sehe „die langfristige Sicht als Ergänzung zur Alltagsmoral und nicht als Ersatz“. Die gegenwärtig existierenden Menschen dürften übrigens schon auch weiterhin größeres Gewicht haben als die der Zukunft, ihm gehe es lediglich darum, „dass die künftigen ein spürbares Gewicht erhalten“. Aber wie groß genau? Solche argumentativen Stoßdämpfer überliest man leicht.
MacAskill wäre nicht der Philosoph, der sich bei besten Absichten in der Gesellschaft von Menschen wiederfand, die das Gefühl hatten, ihre imperialistischen Gefühle für die Welt endlich einmal glücklich ausformuliert bekommen zu haben. Unter denen seiner Generation ist er sicher der einflussreichste – er kennt die richtigen Leute. Seine Bewegung ist in den Eliteuniversitäten und in den Chefetagen des Silicon Valley extrem gut vernetzt. Elon Musk nannte „Was wir der Zukunft“ schulden „eine ziemlich genaue Entsprechung meiner Philosophie“.
MacAskill leistet keinen Widerstand gegen diese Vereinnahmung. An keiner der Stelle des Buchs macht er sich Gedanken darüber, wie es möglich wäre, Entwürfe der Zukunft so zu diskutieren, dass dabei nicht nur die lautesten und mächtigsten gehört werden. Die Zukunft ist ein Datensturm, der entschlüsselt werden muss. Wer führt die Berechnungen durch? Und wer erzählt, jenseits der Grenzen dessen, was sich in Wahrscheinlichkeitsrechnungen einfangen lässt, im gewaltigen Bereich des Ungewissen, die bessere Geschichte? Wem hört man dann zu?
„Es gibt bekannte Bekannte – das sind die Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie wissen. Wir wissen auch, dass es bekannte Unbekannte gibt – das heißt, wir wissen, dass es Dinge gibt, die wir nicht wissen. Aber es gibt auch unbekannte Unbekannte – das sind Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen.“ MacAskill zitiert hier den ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und lobt ihn für die „wichtige philosophische Aussage“, übersieht aber die Pointe: Rumsfeld sprach über fehlende Beweise für die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak. Die „unbekannten Unbekannten“ dienten dazu, einen Krieg zu rechtfertigen.
PHILIPP BOVERMANN
William MacAskill:
Was wir der Zukunft schulden. Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer. Siedler Verlag, München 2023. 448 Seiten, 26 Euro.
Strand bei Manila: Was sind die Armen von heute im Vergleich zu den Billionen, die noch gar nicht geboren sind?
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Das neue Buch von William MacAskill, dessen „effektiver Altruismus“ Armut rational bekämpfen will
Ein junger Mann namens Sam zeigte eine Begabung für Mathematik. Nach seinem Physikstudium wollte er sich beruflich für Tierschutz einsetzen. Er interessierte sich sehr für Ethik. Also traf er sich mit William MacAskill, einem nur wenige Jahre älteren, damals 25-jährigen Oxford-Doktoranden der Philosophie, der ihm bei einem gemeinsamen Mittagessen riet, weniger auf sein Herz und mehr auf seinen Kopf zu vertrauen. Wenn er die Welt effektiv zum Guten verändern wolle, sagte MacAskill, dann solle er lieber sein Talent für Zahlen nutzen und viel Geld verdienen, um es anschließend zu spenden: „earn to give“.
Genau das tat Sam Bankman-Fried, so der vollständige Name des jungen Mannes. Noch vor seinem dreißigsten Geburtstag wurde er als Betreiber einer Krypto-Plattform einer der reichsten Menschen des Planeten. Er ging extrem hohe Risiken ein, schließlich verzockte er sich. Inzwischen sitzt er in Untersuchungshaft, die US-Staatsanwalt wirft ihm Betrug „epischen Ausmaßes“ vor. Weil der Zweck die Mittel heiligen sollte?
Und damit von der Gefängniszelle zurück in die Welt der Worte und Ideen, zu MacAskills Buch „Was wir der Zukunft schulden“, das nun auf Deutsch vorliegt. Der Philosoph, inzwischen Professor in Oxford, erhöht darin die Einsätze seiner Philosophie. In „Gutes besser tun“, 2016 auf Deutsch erschienen, hatte MacAskill noch das Denken des „Effektiven Altruismus“ grundsätzlich vorgestellt. Er plädierte dafür, anknüpfend an Ideen Peter Singers, ethische Entscheidungen im Alltag konsequent zu verwissenschaftlichen. Gute Absichten zählten nicht, es komme darauf an, messbar mehr Glück zu produzieren. Etwa wenn man für einen besseren Bildungszugang kenianischer Kindern sorgen will. Viele von ihnen sind mit Parasiten befallen, werden krank und verpassen dadurch die Schule, deshalb sei die effektivste Bildungsmaßnahme, in Wurmkuren zu investieren. Mit tausend Dollar könne man so im Schnitt 139 zusätzliche Schuljahre produzieren – statt nur 2,7, wenn man dieselbe Summe in Schulstipendien stecke. Es gelte, seinen Intuitionen zu misstrauen. Rational zu sein. In „Was wir der Zukunft schulden“ rechnet MacAskill nicht mehr nur die unterschiedlichen Wege zum optimalen Glück utilitaristisch durch, sondern auch die Wahl der zu Beglückenden. Und wieder kommt er zu unorthodoxen Ergebnissen. Zum Beispiel dem, dass man sehr viel Gutes für Menschen tun könne, die noch gar nicht geboren sind, deren Glück und Unglück aber gleichwohl von heutigen Entscheidungen abhängt.
Diese Überlegungen bieten viel Angriffsfläche. Trotzdem sollte man besser nicht dem Reflex nachgeben, sie allzu schnell zu verwerfen. Wenn MacAskill schreibt, die künftigen Menschen zählten schon deshalb, weil es „möglicherweise sehr viele von ihnen geben“ wird, dann ist das entscheidende Wörtchen zweifellos „möglicherweise“: Wer nur potenziell existiert, der existiert erst mal gar nicht. Die Zukunft ist radikal ungewiss. Darauf weist MacAskill selbst immer wieder hin, es ist aber auch das Argument von Menschen, die sich lieber nicht zu intensiv mit der Zukunft beschäftigen wollen. So als müsse man die Folgen heutiger Handlungen, nur weil man ihren exakten Verlauf nicht berechnen kann, gar nicht in die Kalkulationen der Gegenwart einbeziehen.
MacAskill hat dafür ein schönes Beispiel. Skeptiker des Klimawandels weisen gern darauf hin, wie viele Ungewissheiten Klimamodelle enthalten, woraus sie ableiten: Nur keine Panik! Die Zeitung Die Welt beschäftigt einen Wissenschaftsjournalisten mit dem spaßigen Titel „Chefreporter Wissenschaft“, dessen Job im Wesentlichen darin besteht, dieses Argument an immer neuen Beispielen durchzuexerzieren. MacAskill weist darauf hin, dass die Ungewissheit in beide Richtungen geht – und die Worst-Case-Szenarien deutlich schlimmer sind als die Best-Case-Szenarien besser. Er zeigt das am Beispiel von Zahlen und führt einfache Wahrscheinlichkeitsrechnungen durch. Die Ungewissheit gebe, mathematisch betrachtet, mehr Anlass zur Sorge, nicht weniger. Die Verpflichtungen gegenüber der Zukunft konkreter zu fassen, gern auch bis auf die Nachkommastelle, wäre in der Tat geboten: In dem Maß, in dem die technologische Entwicklung voranschreitet, haben die Handlungen der Gegenwart immer stärkere, potenziell irreversible Auswirkungen auf die Zukunft. Das liberale Versprechen der Moderne, „das Kontinuum der Geschichte aufzusprengen“, wie Jürgen Habermas schrieb, sich immer wieder völlig frei neu erfinden zu können, ohne zurück oder nach vorn zu blicken, wird heute von der wachsenden Gruppe alternder Besitzstandswahrer verteidigt – nicht mehr gegen die dogmatischen Ansprüche der Tradition, sondern die praktischen der Zukunft. Auf der anderen Seite stehen junge Menschen, die einen vagen, sie überrollenden Begriff von der Zukunft haben. Ist die Zukunft wirklich aufgebraucht, durch die Schornsteine geblasen wie ein Rohstoff, ist sie „kolonisiert“, wie David Van Reybrouck sagte, sind wir gar die „letzte Generation“?
MacAskills Ansatz, bestimmten Szenarien Wahrscheinlichkeiten und Werte – wie gut oder schlimm? – zuzuordnen, dann zu multiplizieren und zu vergleichen, kann beunruhigen, aber auf eine beruhigende Weise. Was man in eine Excel-Tabelle geschrieben hat, wirkt gleich beherrschbarer. Betriebswirte lieben diesen Trick. Es weitet zweifellos den Blick, zur Abwechslung mal in Jahrmillionen zu denken. Aber der Blick hört dann nicht mehr auf, sich zu weiten. Es gibt keine Grenze. Es darf keine geben. „Mehr ist besser“, schreibt MacAskill. Um das „Gesamtglück“ zu maximieren, sei es wichtig, dafür zu sorgen, dass zukünftige Menschen überhaupt erst einmal existieren. Also: Was ist „effektiver“? Millionen heute hungernden Kindern helfen? Oder Billiarden zukünftiger Kinder das Glück verwehren, geboren zu werden? Lieber an Raumfahrtunternehmen als an Hilfsorganisationen spenden? Sollte man da auch seiner moralischen Intuition misstrauen?
Und damit wären wir wieder bei Sam Bankman-Fried. Immer wieder warnt MacAskill vor moralischem Rigorismus, davor, sich zu sicher zu sein, was das Gute ist und wie die Welt sich entwickelt. Sein Ton ist freundlich, adrett, ein bisschen klassenprimushaft. Um die eigenen Ziele zu erreichen, sei es falsch zu lügen, schreibt er, denn Lügen „haben viele indirekte negative Folgen, die schwer zu erkennen sind, ganz abgesehen davon, dass es vermutlich moralisch falsch ist“. Er sehe „die langfristige Sicht als Ergänzung zur Alltagsmoral und nicht als Ersatz“. Die gegenwärtig existierenden Menschen dürften übrigens schon auch weiterhin größeres Gewicht haben als die der Zukunft, ihm gehe es lediglich darum, „dass die künftigen ein spürbares Gewicht erhalten“. Aber wie groß genau? Solche argumentativen Stoßdämpfer überliest man leicht.
MacAskill wäre nicht der Philosoph, der sich bei besten Absichten in der Gesellschaft von Menschen wiederfand, die das Gefühl hatten, ihre imperialistischen Gefühle für die Welt endlich einmal glücklich ausformuliert bekommen zu haben. Unter denen seiner Generation ist er sicher der einflussreichste – er kennt die richtigen Leute. Seine Bewegung ist in den Eliteuniversitäten und in den Chefetagen des Silicon Valley extrem gut vernetzt. Elon Musk nannte „Was wir der Zukunft“ schulden „eine ziemlich genaue Entsprechung meiner Philosophie“.
MacAskill leistet keinen Widerstand gegen diese Vereinnahmung. An keiner der Stelle des Buchs macht er sich Gedanken darüber, wie es möglich wäre, Entwürfe der Zukunft so zu diskutieren, dass dabei nicht nur die lautesten und mächtigsten gehört werden. Die Zukunft ist ein Datensturm, der entschlüsselt werden muss. Wer führt die Berechnungen durch? Und wer erzählt, jenseits der Grenzen dessen, was sich in Wahrscheinlichkeitsrechnungen einfangen lässt, im gewaltigen Bereich des Ungewissen, die bessere Geschichte? Wem hört man dann zu?
„Es gibt bekannte Bekannte – das sind die Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie wissen. Wir wissen auch, dass es bekannte Unbekannte gibt – das heißt, wir wissen, dass es Dinge gibt, die wir nicht wissen. Aber es gibt auch unbekannte Unbekannte – das sind Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen.“ MacAskill zitiert hier den ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und lobt ihn für die „wichtige philosophische Aussage“, übersieht aber die Pointe: Rumsfeld sprach über fehlende Beweise für die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak. Die „unbekannten Unbekannten“ dienten dazu, einen Krieg zu rechtfertigen.
PHILIPP BOVERMANN
William MacAskill:
Was wir der Zukunft schulden. Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer. Siedler Verlag, München 2023. 448 Seiten, 26 Euro.
Strand bei Manila: Was sind die Armen von heute im Vergleich zu den Billionen, die noch gar nicht geboren sind?
Foto: Getty Images
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