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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Ach, wüsstest du, wie's Fischlein ist so wohlig auf dem Grund: John von Düffel, Autor, Schwimmer und Dramatiker, zeigt in seinen "Wassererzählungen" keine Angst vor nassen Füßen.
Vielleicht war das alles ein Irrtum, diese Landnahme. Der Mensch ist bekanntlich ein Flüssigkeitswesen geblieben, nicht nur im Inneren, auch in seiner Genese. Behäbig tapst er nach Verlassen des mütterlichen Privatozeans auf der Erde herum, schleppt sich schwitzend durch Steppen und Lebensläufe. Nur wenn wir zurückkehren zum Wasser, spüren wir echte Leichtigkeit, urzeitliches Aufgehobensein. Wer schwimmt, ist wieder Teil des Ganzen, ist Flüssigkeit in Flüssigkeit, ein kaum merklich, fast versuchsweise abgegrenztes Ich durch "Haut, die nicht länger ein Panzer ist, keine Front, sondern bloß eine dünne Membran, auf der sich der Schock in Schmerz verwandelt und die Kälte zu einer Empfindung wird, während sie durchzieht".
Nichts fasziniert den Berliner Schriftsteller John von Düffel so sehr wie der Mensch im Wasser. Verlockende Küsten, geheimnisvolle Seen und dunkle Pools: Seit dem 1998 erschienenen Debüt "Vom Wasser" kehren diese Orte der Entgrenzung in seinem Werk wieder, so auch in den aktuellen "Wassererzählungen". Von Düffels Poetik funktioniert nicht sehr viel anders: Die Erzählungen, Romane und Stücke bestehen aus kaum merklich, fast versuchsweise vom großen Ganzen des Alltags abgegrenzten Szenen.
Dieser Alltag ist bei Düffel nicht durch Beruf und Karriere geprägt, sondern durch Näheverhältnisse, freilich meist in eigentümlich retrospektiver Brechung. Vorherrschend sind melancholische Rückblicke auf ehemaliges, mit den Jahren zerstobenes Glück. In den meisten Erzählungen treffen wir auf zerfallende Familien: auseinandergelebte Ehen, erwachsen werdende Kinder, sterbende Eltern, betrügende Partner, Patchworklügen. Stark ist von Düffel immer dann, wenn er dem Missverstehen unter ehemals Liebenden nachspürt, das oft ein gezieltes ist, eben weil man sich so genau versteht und anders nicht voneinander loskommt. Distanznahmen dieser Art bestimmen etwa jenes Telefongespräch, das ein Teilzeitvater von einem Kreuzfahrtschiff mit seiner Exfrau führt. Eigentlich hatte er seiner Teenager-Tochter noch einmal näherkommen wollen, doch wird die Reise zu einem Abschied, ja zu einer großen Allegorie auf sein als ziellos verrinnend empfundenes Leben.
Es ist überhaupt immer wieder das Wasser samt seinen Wassergeistern in Gestalt mysteriöser Kinder oder Tiere, das hier Erkenntnis und Trost spendet: Eine schwangere Frau gesteht sich ein, dass das Kind in ihrem Bauch seit Tagen tot ist; eine Tochter rettet, während der Vater stirbt, drei gestrandete Fische; ein Lehrer, dessen Frau an Krebs stirbt, überlässt sich der Gnade der Flut; ein Mann verdankt der Herbeischaffung von Molch Lurchi einen letzten Auftritt als bewunderter Vater. "Schwimmen vertreibt die bösen Geister", sagt eine der Figuren einmal, aber es sind keine Angreifer von außen, sondern innere Dämonen, die besänftigt werden - und das hat hier und da fast ein wenig Coelho-Anmutung.
In immer neuen Anläufen geht es um das Loslassen, um das Durchbrechen einer Angststarre oder Verzweiflungsroutine. Dabei lassen sich die Erzählungen jeweils Leitmotiven wie Gnade, Stille, Schönheit, Einsamkeit, Furcht, Trauer oder Eifersucht zuordnen.
Leider aber gleitet der Autor nicht allzu elegant durch sein Element, sondern eher mit kraftzehrenden, bemüht wirkenden Schwimmzügen. Zwar gehen die Erzählungen nicht ganz unter, denn immer wieder finden sich überraschende Einfälle wie die Idee, den deutsch-japanischen Kulturabstand anhand der Suche nach einer Nacktschwimmerin für den Pool eines japanischen Architekten zu vermessen. Aber ein ums andere Mal wirkt die Umsetzung sprachlich mager, durchsichtig konstruiert und symbolisch überfrachtet. Natürlich scheint es etwas streng, einem Schriftsteller, der sich vorgenommen hat, die alltägliche Sprache einzufangen, Alltagssprachlichkeit vorzuwerfen. Ein echtes Kunstwerk aber würde doch erst daraus, wenn die O-Töne eingelassen wären in eine eigene Sprache, selbst wenn man diese an der Oberfläche gar nicht zu bemerken brauchte.
Hier aber schlummert keine tiefere Bedeutung unter Sätzen wie: "Und dann sehe ich Jessika, und mir wird ganz schlecht, wenn ich daran denke, was noch alles auf sie zukommt und wie schwer sie es haben wird" oder "Ob wir eigentlich schon Kiemen hätten, fragte uns der Hotelangestellte, der den Pool für die Nacht abdecken wollte". Noch schlimmer ist es, dass die Erzählungen fast immer mit einer Einsicht enden, einer sinnierenden Mönch-am-Meer-Pose mit Geigenmusik sozusagen. Das Berechnende und zugleich doch Triviale dieser Erzählungen nährt im Leser die aufrührerische Sehnsucht nach einer gewaltigen, verbotenerweise vom Beckenrand ausgeführten Arschbombe.
OLIVER JUNGEN
John von Düffel: "Wassererzählungen".
DuMont Buchverlag, Köln 2014. 256 S., geb., 19,99 [Euro].
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