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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Thomas Blubacher erzählt von deutschen Exilanten in Pacific Palisades
Das Bel-Air-Feuer von 1961 war einer der schlimmsten Waldbrände in der dokumentierten Geschichte Kaliforniens. Es zerstörte fast fünfhundert Häuser und verwüstete vierundzwanzig Quadratkilometer Land. Angetrieben von Santa-Ana-Winden, hätte das Feuer beinahe auch ein Gebäude vernichtet, das es in der deutschen Kulturpolitik noch einmal zu Berühmtheit bringen sollte: die Villa Aurora in Pacific Palisades, das Heim des zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbenen Schriftstellers Lion Feuchtwanger und seiner Frau Marta. Die Witwe "wässerte das glücklicherweise nicht mit Holz, sondern mit Ziegeln gedeckte Dach, auf das heiße Asche flog. Halb Pacific Palisades drohte ein Raub der Flammen zu werden. Als endlich auch die bis zum letzten Moment ausharrende Marta Feuchtwanger die Feuerwehr anrufen und sich abholen lassen wollte, drehte der Wind." In der Sprache Hollywoods nennt man eine solche Rettung eine "last minute rescue". In diesem Fall waren es die Elemente selbst, die zu Hilfe eilten respektive sich verzogen.
Thomas Blubacher, der in seinem Buch über Pacific Palisades vom Bel-Air-Feuer im Tonfall eines versierten Salonplauderers berichtet, hat später auch persönlich von der Rettung des Gebäudes profitiert. Er war zu Beginn der Nullerjahre Stipendiat in der Villa Aurora, die inzwischen als Künstlerresidenz von der Bundesrepublik Deutschland betrieben und unterstützt wird. Die Idee zu seinem Buch geht auf diese Zeit persönlicher Anschauung zurück, als Blubacher, Schweizer Theatermacher und Sachbuchautor, in Pacific Palisades einige der letzten Zeitgenossen der vielen Exilierten traf, die in den Dreißiger- und Vierzigerjahren nach Kalifornien gekommen waren. Thomas Mann, Arnold Schönberg, Salka Viertel, Max Reinhardt, Leonhard Frank, Emil Ludwig, das sind nur ein paar der Namen einer vielfältigen Gemeinde von Ausgewanderten, von denen einige der wichtigsten in Pacific Palisades ein Domizil fanden.
Von ihnen erzählt Blubacher in seinem kurzweilig geschriebenen Buch. Den Untertitel löst er dabei streng genommen nicht oder nur zum Teil ein. Das hat mit der besonderen Perspektive zu tun, die er gewählt hat, denn einerseits versucht er, so etwas wie eine Biographie des Örtchens zu schreiben, das sich neben Beverly Hills (wo die reichen Leute wohnen) und Malibu (Ort der Berühmten) als die Heimat der Glücklichen versteht (sofern man geneigt ist, der in dieser Frage naturgemäß befangenen "Palisadian Post" zu folgen). Die Beschränkung auf Pacific Palisades, die Blubacher allerdings auch nicht ganz strikt nimmt, hindert ihn an einer Darstellung der Erfindung Hollywoods, die mehr wäre als nur ein Seitenstrang. Da verspricht er also ein bisschen zu viel. Andererseits ist auch die Frage, worin das Erbe des Exils besteht, von dem im Untertitel die Rede ist, nicht leicht zu beantworten. Es bedürfte dazu einer Erörterung, sofern man sich nicht für die praktische Lösung entscheidet, der zufolge das Erbe des Exils eben in der Villa Aurora besteht, wodurch Thomas Blubacher als Stipendiat selbst zu einem Erben wird.
Er tritt dieses Erbe jedenfalls mit seinem Buch bereitwillig an, und zwar mit einer Mischung aus Anekdoten und Zusammenfassungen im sprachlich leicht aufgemöbelten Wikipedia-Stil. Das Exil hat gerade auch mit Blick auf die Filmschaffenden in den letzten Jahrzehnten immer größere Aufmerksamkeit gefunden, es wurde viel geforscht, und auch die Zeitzeugen wurden, soweit man sie noch treffen konnte, befragt. Zudem liegt eine enorme Vielfalt an Memoirenliteratur vor. Blubacher kann also auf einen reichen Bestand zurückgreifen. Allein aus dem Umfeld von Thomas Mann, dem prominentesten Palisadianer, gibt es Quellen sonder Zahl. In den Tagebüchern von Mann hat Blubacher einen Satz aufgestöbert, der gut zum Ausdruck bringt, dass nicht nur Solidarität unter den deutschen Ausgewanderten herrschte: "Die alberne Zerrissenheit der Emigration, der neidische Hass auf mich und meine Haltung kommen hinzu, die Freude (über die deutsche Niederlage 1945) niederzuhalten." Und dann fügt Mann, in einem herrlich verunglückten Understatement, einen Satz für die Unsterblichkeit hinzu: "Eine gewisse Genugtuung ist das physische Überleben."
Pacific Palisades verdankt sich einer interessanten Kombination aus religiösem Eifer und bodenspekulativem Interesse. Ursprünglich waren es Anhänger der methodistischen Kirche, die sich im frühen zwanzigsten Jahrhunderts in der Gegend einkauften, die nicht nur von Los Angeles, sondern auch von der damals schon blühenden Filmindustrie eigentlich ein Stück zu weit weg war. Das kalifornische "Sonnengefängnis" (Georg Kreisler) kannte in der Gegend von Pacific Palisades durchaus auch die eine oder andere hartnäckige Nebelbank, der Ort selbst aber lag hoch genug, um weitgehend davon verschont zu bleiben.
Das regionalhistorische Kapitel über die gottgefällige Gründung eines späteren "Refugiums der Reichen" ist eines der aufschlussreichsten in Blubachers Buch. Die deutschen Kulturschaffenden, die vor den Nazis auf oft verschlungenen Wegen an die amerikanische Westküste flohen, trafen dort auf eine "Take it easy"-Kultur, der sie mit ausladenden Menüs einen heimatlichen Stempel aufzudrücken versuchten. Das Buch hat seine Qualitäten vor allem dort, wo der Autor neben vielen schon bekannten Geschichten auch die weniger geläufigen Exilierten mit kurzen Überblicksdarstellungen bedenkt: auf ein, zwei Seiten findet man da Lebensläufe wie die des Komponisten Ernst Toch oder des Schauspielers Eric Braeden. Und wer kennt heute noch Martin Kosleck, der in über vierzig Filmen den "bad German" spielte, in "Casablanca" dann aber um ein Haar doch nicht dabei war?
Wendungen des Schicksals oder des blinden Zufalls sind häufig in Thomas Blubachers Buch. Und vielleicht kann man es doch als ein "Erbe des Exils" nehmen, dass Marta Feuchtwanger 1969 nach längerem Zögern eine Einladung annahm und sich vor Ort von der "Wandlung in Deutschland" überzeugen ließ. BERT REBHANDL
Thomas Blubacher: "Weimar unter Palmen - Pacific Palisades". Die Erfindung Hollywoods und das Erbe des Exils.
Piper Verlag, München 2022. 272 S., geb.,
24,- Euro.
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