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Annette Dufner befasst sich in ihrem Buch mit dem medizinethischen Dilemma der Verteilungsgerechtigkeit. Im Fokus stehen dabei Situationen, in denen Patient*innen um begrenzte Ressourcen konkurrieren und nicht allen geholfen werden kann, wie es zuletzt auch im Zusammenhang mit dem Corona-Virus zu beobachten war. Derartige Hilfskonflikte sind gekennzeichnet durch ein elementares Spannungsverhältnis zwischen den Geboten der Fairness und der Effizienz. Dufner zeigt, wie diese gegenläufigen Gebote ins Verhältnis gesetzt werden können und was eine solche Position für die Medizin etwa bei der Verteilung von Spenderorganen oder in Triage-Situationen bedeutet.…mehr

Produktbeschreibung
Annette Dufner befasst sich in ihrem Buch mit dem medizinethischen Dilemma der Verteilungsgerechtigkeit. Im Fokus stehen dabei Situationen, in denen Patient*innen um begrenzte Ressourcen konkurrieren und nicht allen geholfen werden kann, wie es zuletzt auch im Zusammenhang mit dem Corona-Virus zu beobachten war. Derartige Hilfskonflikte sind gekennzeichnet durch ein elementares Spannungsverhältnis zwischen den Geboten der Fairness und der Effizienz. Dufner zeigt, wie diese gegenläufigen Gebote ins Verhältnis gesetzt werden können und was eine solche Position für die Medizin etwa bei der Verteilung von Spenderorganen oder in Triage-Situationen bedeutet.


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Autorenporträt
Annette Dufner ist Professorin für Ethik und Medizinethik an der Universität Bonn.

Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Stephan Sahm wälzt mit Annette Dufner Fragen zur "moralischen Aggregation". Darf und soll man Leben gegen Leben aufwiegen? Die Autorin gräbt in ihrem Buch laut Rezensent tiefer als bis zu den Grenzen des Gesundheitssystems in der Pandemie und forscht nach einer Lösung "medizinischer Hilfskonflikte". Der Leser lernt dabei die Literatur zur "konsequentialistischen Normenbegründung" sowie Momente der Entscheidungstheorie kennen, erklärt Sahm. Dass Dufner zwar keine endgültigen Lösungen, aber die Grenzen bestehender Grundsätze aufzeigt, findet er nachvollziehbar.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.08.2021

Soll die größere Zahl entscheiden?
Annette Dufner sucht nach Prinzipien einer Ethik für medizinische Konfliktfälle

Auf die Folgen sehen, zählt zu den Ingredienzen jedes medizinischen Kalküls. Jede medizinische Entscheidung (auch die einer Unterlassung) ist eine Handlung, die sich mit Blick auf eine Folgenabschätzung rechtfertigen lassen muss. Der erst Anfang des Jahres verstorbene Herzspezialist, Forscher und Autor Bernard Lown setzte den Standard: nach jedem Arztbesuch solle es den Patienten ein wenig besser gehen. Und sei es nur ein Anflug seelischer Beruhigung.

Die Medizin und ihre ethischen Herausforderungen ein Eldorado für Konsequentialisten? Der Eindruck drängt sich auf nach der Lektüre von Annette Dufners Analyse zum Umgang mit knappen Ressourcen in der Medizin. Die Probleme sind auch einer breiten Öffentlichkeit bewusst geworden anlässlich der drohenden Überforderung des Gesundheitswesens durch die Covid-19-Pandemie. Die Triage bei der Verteilung von Beatmungsgeräten wird jedoch bei Dufner nur als Anhang abgehandelt. Der Text wurde im Blick auf einen seit Jahren bestehenden, oft übersehenen Verteilungskonflikt abgefasst, nämlich die Zuteilung von Spenderorganen in der Transplantationsmedizin angesichts langer Wartelisten. Doch weisen beide Konfliktfelder viele Gemeinsamkeiten auf.

Im Zentrum von Dufners Argumentation steht die Rechtfertigung dessen, was als "moralische Aggregation" bezeichnet wird. Darf im Konfliktfall die größere Zahl möglicher Lebensrettungen den Ausschlag geben? Ist es zulässig, Leben gegen Leben aufzuwiegen? Ist es moralisch zu rechtfertigen, ein Leben zu opfern, um womöglich zwei oder mehr Leben zu retten? Überwiegt das aggregierte Wohlergehen der größeren Zahl? Gibt es mithin die Perspektive eines von einzelnen Personen unabhängigen Guten, welches das individuelle Gut auszustechen vermag?

Sehr rasch wird in Diskussionen über diese Fragen mit der Verfassung gefuchtelt: Die Würde der Person verbiete die Aufrechnung von Leben zugunsten anderer. Dabei wird vergessen, dass es bei medizinischen Hilfskonflikten nicht um die Instrumentalisierung von Personen geht, sondern es mangelt schlicht an der Ressource. Im Falle der Transplantationsmedizin lässt sie sich auch nicht durch mehr Geld vermehren. Daher ist das in solchen Debatten oft zitierte Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftverkehrsgesetz nicht einschlägig, worauf Dufner mit Recht hinweist. Darin untersagte das Gericht den Abschuss eines entführten und zu Zerstörung und vielleicht tausendfachem Tod in ein Ziel gelenkten Verkehrsflugzeugs mit Blick auf das Instrumentalisierungsverbot.

Die Suche nach einem Prinzip zur Lösung medizinischer Hilfskonflikte macht den Hauptteil des Textes aus. Dabei geleitet Annette Dufner den Leser in einer Art Parforce-Ritt durch die gängige analytische Literatur zur konsequentialistischen Normenbegründung. Ausgesprochen feingliedriger Begründung bedarf die von Dufner angestrebte Apologie der moralischen Aggregation, will man nicht allein die Zahl möglicher zu rettender Personen, sondern auch das Maß des Nutzens und das Niveau der jeweiligen Bedürftigkeit mit in Anschlag bringen. In ihrer Argumentation berücksichtigt Dufner zudem Aspekte der Entscheidungstheorie. Deren Vertreter wollen nicht selten den moralischen Kalkül in der Form mathematischer Formeln auszudrücken. Doch damit wird die ethische Herausforderung lediglich verschoben in die Definition der Elemente der Gleichungen, oder das ethische Problem wird gleich ganz eskamotiert. Denn wie Leszek Kolakowski zu Recht bemerkte, hört ein Wert auf ein solcher zu sein, wenn er kausal erklärt wird.

Die Ausführungen Dufners, die nicht frei vom Jargon konsequentialistischer Milieus gehalten sind, münden in die Formulierung eines Prinzips das sie zur Lösung medizinischer Hilfskonflikte geeignet hält und mit dem Kürzel ARP versieht: "Befördere das aggregierte Gute in Konfliktfällen zwischen relevanten Interessen auf prioritaristische Art und Weise." Will sagen, es soll stets die Rettung möglichst vieler versucht werden, wobei deren Interessen (Notlagen) relevant sein müssen und die bedürftigsten Personen vorzuziehen sind.

Letztbegründungen sind hier nicht zu erwarten, Dufner bezeichnet ARP denn auch als ein mittleres Prinzip. Auf solche rekurriert die Medizinethik nicht ungern. Vor Jahren schon haben Tom Beauchamp und James Childress ihre einflussreiche Ethik vorgestellt, die die Beachtung von vier mittleren Prinzipien verlangt: Respekt vor der Autonomie der Patienten, Pflicht zur Schadensvermeidung ebenso wie zur Fürsorge und Beachtung der Gerechtigkeit. Welchen Gewinn ARP im Vergleich dazu haben soll, ist nicht leicht einzusehen.

Mag mit ARP kein dicker Fisch ins Netz gegangen sein, so ist der Beifang doch bemerkenswert. Denn wie Dufners Analyse im zweiten, der Anwendung von ARP gewidmeten Teil ihres Buchs zeigt, ist es in der Medizin bei der Entscheidung über die Zuteilung begrenzter Ressourcen - etwa knapper Plätze auf Intensivstationen oder nie ausreichend vorhandener Spenderorgane - unumgänglich, in begrenztem Umfang auch Urteile über Lebensqualität zu fällen. Ein Sachverhalt, der nicht selten übersehen wird. Gilt doch gemeinhin und zu Recht der Grundsatz, Ärzte sollen bei der Zuteilung knapper medizinischer Ressourcen ohne Ansehen der Person entscheiden, sich mithin eines Urteils über die Lebensqualität der Betroffenen, wenn immer möglich, enthalten. Dufner will den Grundsatz nicht aufheben, sie verweist nur auf seine Grenzen. STEPHAN SAHM

Annette Dufner: "Welche Leben soll man retten?" Eine Ethik für medizinische Hilfskonflikte.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 261 S., br., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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