Richard Overy zeichnet ein umfassendes, neues Bild des Zweiten Weltkriegs - als das letzte Aufbäumen des Imperialismus. Er zeigt ihn als den alles Vorangegangene übertreffenden imperialistischen Krieg - in dem sämtliche Kriegsparteien, Alliierte ebenso wie Achsenmächte, danach strebten, Imperien zu befestigen, zu verteidigen, zu erweitern oder auch erst zu schaffen. Ein weltumspannendes, zeitlich weit ausgreifendes Geschehen und eine Perspektive, in der etwa der Krieg im Pazifik stärker als bisher üblich in den Blick gerät; beginnend bereits 1931 mit dem Einfall des Japanischen Kaiserreichs in der Mandschurei, der die Richtung vorgab für das exzessive Expansionsstreben Nazideutschlands und Italiens. Overy schildert die Ereignisse, die in die Katastrophe führten, ebenso wie die gewaltsamen Folgen über 1945 hinaus; er zeigt die geopolitisch-strategische ebenso wie die menschliche Dimension dieses Krieges, mit dem das imperialistische Zeitalter erst wirklich zu Ende ging. Das Opus magnum eines der bedeutendsten Historiker des Zweiten Weltkriegs, das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung - und eine Neubewertung dieses destruktivsten aller Kriege, die uns auch unsere Gegenwart mit anderen Augen sehen lässt.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Oliver Weber bekommt jede Menge Debattenstoff mit Herfried Münklers neuem Buch, das Münklers Gedanken aus vergangenen Jahrzehnten versammelt, ohne daraus "aufrüttelnde Thesen" abzuleiten. Sinn und Zweck des endnotenstarken Potpourris aus historischen Beschreibungen und Figurenporträts ist laut Weber nicht prophetische Tagesaktualität, sondern die Vermittlung von historischer Erfahrung im Sinne politischer Handlungsfähigkeit. Dabei bleibt der Autor angenehm skeptisch und stellt sein Modell eines Fünfmächte-Systems im 21. Jahrhundert vorbehaltlich vor, meint Weber.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2024Was kommt nach der bipolaren Weltordnung?
Historische Reflexion und analytische Kombinatorik: Herfried Münkler über die mögliche zukünftige Konstellation von Großmächten
"Es ist möglich, das Kommende vorherzusagen, nur dass man das einzelne nicht prophezeien wolle" - unter dieser methodischen Prämisse wagte der Historiker Lorenz von Stein einst eine Prognose jener sozialen Kämpfe, die das Zeitalter der Industrialisierung mit sich bringen würde. Gestützt auf die Erfahrung, welche die Geschichte bereithält, ließen sich - wenn nicht schon genaue Zukünfte deduzieren - wenigstens Bedingungen angeben, die das Morgen und Übermorgen strukturieren werden. Mit seinem neuesten Buch hat der Politische Theoretiker und Ideenhistoriker Herfried Münkler jetzt eine ähnliche Prognose gewagt: Kein amerikanisches Imperium, keine liberale Rechts- und Wirtschaftsordnung, sondern die Balance von fünf Großmächten wird in diesem Jahrhundert das Geschick des Planeten bestimmen.
"Welt in Aufruhr" ist kein Sachbuch, das seine Leser mit aufrüttelnden Thesen und journalistischer Tagesaktualität zu einem schnellen Kauf und einer schnellen Lektüre überreden will. Von stattlichem Umfang und ausgestattet mit beinahe siebzig Seiten Endnoten, findet man in ihm die meisten Gedanken wieder, die sein Autor in den vergangenen Jahrzehnten öffentlich entwickelt hat: Etwa die These von den "neuen Kriegen" (2002), deren asymmetrische oder hybride Natur die Üblichkeiten konventioneller Staatenkriege ablöse, was man - Ausnahmen wie der Ukrainekrieg bestätigen die Regel - hauptsächlich an der Einmischung Russlands und Chinas in die Konflikte des afrikanischen Kontinents beobachten könne. Oder die Analyse der "Imperien" (2005), die Münkler stets mit der Warnung vor einer "imperialen Überdehnung" verband, einem Zuviel an Aufgaben bei einem Zuwenig an Kraft. Der hektische Rückzug der Vereinigten Staaten aus Afghanistan lieferte hierfür zuletzt ein anschauliches Beispiel. Auch die ausführlich in "Macht in der Mitte" (2015) begründete Doktrin, wonach die Europäische Union zum weltpolitikfähigen Akteur werden und die Bundesrepublik zu diesem Zweck als Hegemon wirken muss, spielt in "Welt in Aufruhr" wieder eine wichtige Rolle.
Nicht immer ist im jüngsten Buch ganz klar, wie diese und andere Grundgedanken zusammenhängen. Auf historische Beschreibungen von "Großreichsbildungen" und Kriegskonstellationen folgen Clausewitz- und Machiavelli-Porträts - auch sie Ergebnisse zurückliegender Studien - und ausführliche Referate von Klassikern der Geopolitik, unterbrochen von häufigen Anknüpfungen an Carl Schmitt und stets neuen Verweisen auf den Ukrainekrieg.
Nach und nach begreift man erst, wie diese kaleidoskopartige Anordnung letztlich der Sache dient: Wenn es stimmt, dass die politische Ordnung des Planeten gerade eine grundsätzlich andere Gestalt annimmt, wäre es dann wirklich sinnvoll, dem Leser mit Theorien, die sich genaue Vorhersagen zutrauen, eine falsche Gewissheit vorzugaukeln? Münkler wählt einen anderen Weg. Sein Buch will genügend geschichtliche Erfahrungen, typische weltpolitische Konstellationen und Probleme, vergangene Analysestrategien versammeln, damit die Leser Einsicht in eine "Grammatik des politischen Handelns" gewinnen, die auch die Gegenwart bestimmt. Wer in der Lage ist zu vergleichen, so die didaktische Maxime, der sieht auch das Beharrliche im Neuen und - noch wichtiger - den Bruch im scheinbar Gleichen. So ist es nur konsequent, dass erst das letzte Kapitel sich explizit und umfangreich der eigentlichen Gegenwartsfrage zuwendet: Wie könnte die "Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert" aussehen?
Münkler modelliert ein "System der fünf Vormächte, die Pentarchie des 21. Jahrhunderts". Die Vereinigten Staaten werden nicht mehr Ressourcen genug haben und willens sein, ein wirklich planetarisches Imperium aufrechtzuerhalten, trotzdem aber die wohl bedeutendste Macht der neuen Ordnung bleiben. Dicht gefolgt von China, das, so Münkler, entlang der "neuen Seidenstraße" einen Block von Staaten anführen wird. Die Zukunft der restlichen drei Großmächte ist mit mehr Fragezeichen versehen: Wird Russland den Ukrainekrieg militärisch, ökonomisch und politisch überstehen oder weltpolitisch in die dritte oder vierte Reihe verbannt werden? Kann Indien seine demographischen und ökonomischen Potentiale nutzen, um eine globale Ordnungsrolle zu spielen? Und nicht zuletzt: Wird die Europäische Union über ihre Funktion als "Regelgeber und Regelbewirtschafter" hinauswachsen können, das heißt andere Machtformen ausspielen lernen als nur ökonomische Interdependenz und völkerrechtliche Sentenzen?
Münkler ist durchaus skeptisch, was die Beantwortbarkeit der einzelnen Fragen betrifft, stellt sein Modell deswegen "unter den Vorbehalt, dass die politischen Eliten der fraglichen Mächte keine gravierenden Fehlentscheidungen treffen und obendrein die erforderlichen Schritte machen, um den ihnen möglichen, aber keineswegs sicheren Platz in einem System der globalen Vormächte einzunehmen". Die daraus abgeleitete Prognose selber gründet sich auf einer Mischung aus historischer Reflexion und analytischer Kombinatorik: In der europäischen Geschichte habe es meist eine Neigung zu Pentarchien gegeben, weil eine kleinere Zahl von Großmächten zu unflexibel und, gemessen an den Kosten globaler Ordnungsproduktion, auch zu teuer wäre, und weil eine größere Zahl im "Direktorium der globalen Ordnung" zu Instabilität und Trittbrettfahrern tendiert. Ungerade muss die Zahl der Mächte sein, weil nur so ein "Zünglein an der Waage" existiert, um das Gleichgewicht des Systems zu garantieren.
Man kann, wie Münkler selbst zugibt, über diese Prognose trefflich streiten - die Zukunft fügt sich allzu leicht den Kalkulationen des Modells. Aber der Autor hat wohl recht, wenn er für sich beansprucht, von weitaus realistischeren Annahmen auszugehen als jene, die von einem neuen Kalten Krieg, einer bipolaren Ordnung also, sprechen oder an eine von Freihandel und supranationalen Organisationen geprägten Fortsetzung der letzten Jahrzehnte glauben. "Das Weltordnungsmodell des freien Marktes ist inzwischen zur wirtschaftspolitischen Binnenordnung des Westens" geworden. "Mit dem System der Fünf wird sich anstelle der zeitweilig erwarteten und auch erhofften global integrierten Wirtschaft ein Nebeneinander von mehreren ökonomisch hochgradig integrierten Großräumen entwickeln." Wie genau diese Weltordnung aussehen wird, muss am Ende wohl doch der Geschichte überlassen bleiben. Wenn sie aber eine lebenswerte sein soll, kann man sich kaum früh genug mit ihr befassen. OLIVER WEBER
Herfried Münkler: "Welt in Aufruhr". Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2023. 528 S., geb., 30,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Historische Reflexion und analytische Kombinatorik: Herfried Münkler über die mögliche zukünftige Konstellation von Großmächten
"Es ist möglich, das Kommende vorherzusagen, nur dass man das einzelne nicht prophezeien wolle" - unter dieser methodischen Prämisse wagte der Historiker Lorenz von Stein einst eine Prognose jener sozialen Kämpfe, die das Zeitalter der Industrialisierung mit sich bringen würde. Gestützt auf die Erfahrung, welche die Geschichte bereithält, ließen sich - wenn nicht schon genaue Zukünfte deduzieren - wenigstens Bedingungen angeben, die das Morgen und Übermorgen strukturieren werden. Mit seinem neuesten Buch hat der Politische Theoretiker und Ideenhistoriker Herfried Münkler jetzt eine ähnliche Prognose gewagt: Kein amerikanisches Imperium, keine liberale Rechts- und Wirtschaftsordnung, sondern die Balance von fünf Großmächten wird in diesem Jahrhundert das Geschick des Planeten bestimmen.
"Welt in Aufruhr" ist kein Sachbuch, das seine Leser mit aufrüttelnden Thesen und journalistischer Tagesaktualität zu einem schnellen Kauf und einer schnellen Lektüre überreden will. Von stattlichem Umfang und ausgestattet mit beinahe siebzig Seiten Endnoten, findet man in ihm die meisten Gedanken wieder, die sein Autor in den vergangenen Jahrzehnten öffentlich entwickelt hat: Etwa die These von den "neuen Kriegen" (2002), deren asymmetrische oder hybride Natur die Üblichkeiten konventioneller Staatenkriege ablöse, was man - Ausnahmen wie der Ukrainekrieg bestätigen die Regel - hauptsächlich an der Einmischung Russlands und Chinas in die Konflikte des afrikanischen Kontinents beobachten könne. Oder die Analyse der "Imperien" (2005), die Münkler stets mit der Warnung vor einer "imperialen Überdehnung" verband, einem Zuviel an Aufgaben bei einem Zuwenig an Kraft. Der hektische Rückzug der Vereinigten Staaten aus Afghanistan lieferte hierfür zuletzt ein anschauliches Beispiel. Auch die ausführlich in "Macht in der Mitte" (2015) begründete Doktrin, wonach die Europäische Union zum weltpolitikfähigen Akteur werden und die Bundesrepublik zu diesem Zweck als Hegemon wirken muss, spielt in "Welt in Aufruhr" wieder eine wichtige Rolle.
Nicht immer ist im jüngsten Buch ganz klar, wie diese und andere Grundgedanken zusammenhängen. Auf historische Beschreibungen von "Großreichsbildungen" und Kriegskonstellationen folgen Clausewitz- und Machiavelli-Porträts - auch sie Ergebnisse zurückliegender Studien - und ausführliche Referate von Klassikern der Geopolitik, unterbrochen von häufigen Anknüpfungen an Carl Schmitt und stets neuen Verweisen auf den Ukrainekrieg.
Nach und nach begreift man erst, wie diese kaleidoskopartige Anordnung letztlich der Sache dient: Wenn es stimmt, dass die politische Ordnung des Planeten gerade eine grundsätzlich andere Gestalt annimmt, wäre es dann wirklich sinnvoll, dem Leser mit Theorien, die sich genaue Vorhersagen zutrauen, eine falsche Gewissheit vorzugaukeln? Münkler wählt einen anderen Weg. Sein Buch will genügend geschichtliche Erfahrungen, typische weltpolitische Konstellationen und Probleme, vergangene Analysestrategien versammeln, damit die Leser Einsicht in eine "Grammatik des politischen Handelns" gewinnen, die auch die Gegenwart bestimmt. Wer in der Lage ist zu vergleichen, so die didaktische Maxime, der sieht auch das Beharrliche im Neuen und - noch wichtiger - den Bruch im scheinbar Gleichen. So ist es nur konsequent, dass erst das letzte Kapitel sich explizit und umfangreich der eigentlichen Gegenwartsfrage zuwendet: Wie könnte die "Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert" aussehen?
Münkler modelliert ein "System der fünf Vormächte, die Pentarchie des 21. Jahrhunderts". Die Vereinigten Staaten werden nicht mehr Ressourcen genug haben und willens sein, ein wirklich planetarisches Imperium aufrechtzuerhalten, trotzdem aber die wohl bedeutendste Macht der neuen Ordnung bleiben. Dicht gefolgt von China, das, so Münkler, entlang der "neuen Seidenstraße" einen Block von Staaten anführen wird. Die Zukunft der restlichen drei Großmächte ist mit mehr Fragezeichen versehen: Wird Russland den Ukrainekrieg militärisch, ökonomisch und politisch überstehen oder weltpolitisch in die dritte oder vierte Reihe verbannt werden? Kann Indien seine demographischen und ökonomischen Potentiale nutzen, um eine globale Ordnungsrolle zu spielen? Und nicht zuletzt: Wird die Europäische Union über ihre Funktion als "Regelgeber und Regelbewirtschafter" hinauswachsen können, das heißt andere Machtformen ausspielen lernen als nur ökonomische Interdependenz und völkerrechtliche Sentenzen?
Münkler ist durchaus skeptisch, was die Beantwortbarkeit der einzelnen Fragen betrifft, stellt sein Modell deswegen "unter den Vorbehalt, dass die politischen Eliten der fraglichen Mächte keine gravierenden Fehlentscheidungen treffen und obendrein die erforderlichen Schritte machen, um den ihnen möglichen, aber keineswegs sicheren Platz in einem System der globalen Vormächte einzunehmen". Die daraus abgeleitete Prognose selber gründet sich auf einer Mischung aus historischer Reflexion und analytischer Kombinatorik: In der europäischen Geschichte habe es meist eine Neigung zu Pentarchien gegeben, weil eine kleinere Zahl von Großmächten zu unflexibel und, gemessen an den Kosten globaler Ordnungsproduktion, auch zu teuer wäre, und weil eine größere Zahl im "Direktorium der globalen Ordnung" zu Instabilität und Trittbrettfahrern tendiert. Ungerade muss die Zahl der Mächte sein, weil nur so ein "Zünglein an der Waage" existiert, um das Gleichgewicht des Systems zu garantieren.
Man kann, wie Münkler selbst zugibt, über diese Prognose trefflich streiten - die Zukunft fügt sich allzu leicht den Kalkulationen des Modells. Aber der Autor hat wohl recht, wenn er für sich beansprucht, von weitaus realistischeren Annahmen auszugehen als jene, die von einem neuen Kalten Krieg, einer bipolaren Ordnung also, sprechen oder an eine von Freihandel und supranationalen Organisationen geprägten Fortsetzung der letzten Jahrzehnte glauben. "Das Weltordnungsmodell des freien Marktes ist inzwischen zur wirtschaftspolitischen Binnenordnung des Westens" geworden. "Mit dem System der Fünf wird sich anstelle der zeitweilig erwarteten und auch erhofften global integrierten Wirtschaft ein Nebeneinander von mehreren ökonomisch hochgradig integrierten Großräumen entwickeln." Wie genau diese Weltordnung aussehen wird, muss am Ende wohl doch der Geschichte überlassen bleiben. Wenn sie aber eine lebenswerte sein soll, kann man sich kaum früh genug mit ihr befassen. OLIVER WEBER
Herfried Münkler: "Welt in Aufruhr". Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2023. 528 S., geb., 30,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Analysestark, einleuchtend und bestechend klug. Denis Scheck