Früher entwarfen Designer Gegenstände. Heute wird praktisch alles designt: das Klima, Prozesse, Flüchtlingslager. Wenn jedoch alles designt wird, ist es höchste Zeit, Design nicht länger allein nach ästhetischen Gesichtspunkten zu bewerten. Wir brauchen, so Friedrich von Borries, eine politische Designtheorie. Der Mensch ist gezwungen, die Bedingungen, unter denen er lebt, zu gestalten. Geschieht dies so, dass Handlungsoptionen reduziert werden, haben wir es mit Unterwerfung zu tun.
In seinem Manifest plädiert von Borries für ein entwerfendes Design (des Überlebens, der Gesellschaft, des Selbst), das sich der totalitären Logik der Versicherheitlichung entzieht und gegen die Ideologie der Alternativlosigkeit neue Formen des Zusammenlebens imaginiert.
In seinem Manifest plädiert von Borries für ein entwerfendes Design (des Überlebens, der Gesellschaft, des Selbst), das sich der totalitären Logik der Versicherheitlichung entzieht und gegen die Ideologie der Alternativlosigkeit neue Formen des Zusammenlebens imaginiert.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2016Die Welt ist alles, was gestaltet ist
Mit seiner „politischen Designtheorie“ bietet Friedrich von Borries die Möglichkeit, auf systemkonforme Weise dissident zu sein
Als die Populisten noch fast keine Wahlen gewonnen hatten, aber die nicht enden wollende Finanzkrise schon so manche bequeme Überzeugung erschütterte, begann im Westen eine große Diskussion über den Kapitalismus und die Frage, ob eigentlich eine andere, eine bessere, eine gerechtere Ordnung denkbar ist. Manch einer erinnert sich vielleicht noch. Das Erstaunlichste an dieser Diskussion, die ja gerade einmal ein paar Jahre her ist, war allerdings nicht, wie verrückt folgenlos sie bis zu den Wahlerfolgen von Populisten auf der ganzen Welt blieb.
Das Erstaunlichste an der Diskussion war, wer sich plötzlich an den notorisch dominanten, aber zunehmend ratlos-desillusionierten alten Diskurs-Piloten vorbei – den Soziologen, Philosophen, Journalisten, Politikern und sonstigen Theoretikern – als leitender revolutionärer Intellektueller ins Cockpit gemogelt hatte: der Architekt und Designer. Und das gar nicht unverdient. Die, die einmal eigentlich vor allem dafür zuständig waren, dass Alltagsobjekte wie Häuser oder Stühle irgendwie aussehen (im besten Fall ganz hübsch) und nicht vollkommen unpraktisch sind (und im besten Fall sogar richtig nützlich), hielten auf den wichtigsten Zukunftskonferenzen ja nicht selten längst die interessantesten und optimistischsten Vorträge. Hatte man Jahre lang einfach nur die falschen Leute gefragt, wie man die Welt rettet? Oder ist der politische Anspruch des Designs nicht doch noch mehr Teil unserer Probleme als ihrer Lösung?
Tja. Um diese Frage zu beantworten, hilft ein Blick in ein neues Buch, das „Weltentwerfen“ heißt und im Untertitel selbstbewusst eine „politische Designtheorie“ verspricht. Es ist das neue Buch des 1974 geborenen, umtriebigen Architekten, Designers und Designtheoretikers Friedrich von Borries, der im Hauptberuf Professor an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg ist. Und der Anspruch leuchtet sofort ein, man ist schließlich gut eingenordet: das Wesen des Designs ist nicht oberflächlich, sondern politisch – und omnivor. Gestaltet werden können soll alles, von physischen und virtuellen Gegenständen über Innen- und Außenräume bis zu Informationen und sozialen Beziehungen.
Vom Philosophen und Kunsttheoretiker Boris Groys weiß man , dass modernes Design längst nicht mehr nur die Oberflächen der Dinge gestalten will, sondern – im Gegenteil! – wie Kunst und Philosophie das „verborgene Wesen der Dinge“ zu offenbaren versucht. Und – mehr noch – dass der Gestaltungswille des modernen Designs längst von der Welt der Dinge auf den Menschen selbst übergegangen ist; den Menschen, der im Zeitalter der Technik und Technologie genau genommen doch nichts anderes ist, als ein Ding unter Dingen. Und man hat auch einen neuen Band schon gesehen mit dem nicht gerade bescheidenen Titel „Social Design – Gestalten für eine Transformation der Gesellschaft“ (Herausgegeben von Claudia Banz, Transcript Verlag, Bielefeld 2016).
Borries selbst hat vor ein paar Jahren eine Text-Sammlung herausgegeben, die „Weil Design die Welt verändert …“ heißt. Und in seinem als Roman getarnten Essay „RLF“ (ein Kürzel für „das Richtige Leben im falschen“) ging es darum, den Widerstand so sexy und begehrlich zu gestalten wie die Konsumprodukte, die man sonst so besitzen will, um dann Produkte zu entwickeln, die man für viel Geld verkauft, um mit dem Geld dann die Revolution zu finanzieren. Die Revolution des Systems mit seinen eigenen Mitteln! Wenn man sie nur geschickt genug gestaltet.
Ja, man hat das schon verstanden, denkt man sich, während man versonnen auf den hübschen weißen Umschlag von „Weltentwerfen“ blickt, auf dem ein Paar des ikonischen, auf’s Wesentliche reduzierte Türgriffs zu sehen ist, den der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein Mitte der Zwanzigerjahre für das – ebenfalls von ihm entworfene, auf’s Wesentliche reduzierte – Haus seiner Schwester in Wien entwickelt hat (Groys nennt modernes Design auch „Anti-Design“, das nicht verführen will, sondern den Blick des Betrachters so gestalten will, „dass er fähig wird, die Dinge selbst zu entdecken“).
Passend dazu hat Friedrich von Borries die Abschnitte zu den sechs Thesen seines Buches so kleinteilig durchnummeriert hat wie Wittgenstein einst sein 1921 erschienenes berühmtes sprachkritisches Frühwerk „Tractatus logico-philosophicus“, da soll also die Latte liegen. Die Welt ist alles, was gestaltet ist.
Die sechs großen Thesen behaupten auf jeden Fall nichts Geringeres. Sie lauten, hier und da entsprechend der internationalen Theoriefolklore offensiv tautologisch: „Entwerfen ist das Gegenteil von Unterwerfen“, „Überlebensdesign ist das Design von Überleben“, „Sicherheitsdesign ist das Design von Sicherheit“, „Gesellschaftsdesign ist das Design von Gesellschaft“, „Selbstdesign ist das Design von Selbst“, „Welt ist Gegenstand und Ergebnis von Sein“.
Im Kern geht es Borries damit einerseits darum, noch einmal zu beweisen, warum Design nicht nur nach ästhetischen, funktionalen und ökonomischen Kriterien bewertet werden darf, sondern auch durchaus gesellschaftspolitisch relevante Seiten hat. Das gelingt eindrucksvoll. Andererseits möchte er in eben diesem Geist, aber auch mit dem breiten Pinsel zur Revolution rufen: Revolution gegen die „Logik des Kapitalismus“, gegen die „Ideologie der Alternativlosigkeit“ und für „neue Formen des Zusammenlebens“. Und da knirscht es dann doch ziemlich und man ist bei der Frage, ob dieser politische Anspruch des Designs nicht vielleicht doch noch eher ein Problem als eine Lösung ist?
Borries bietet die – zugegeben äußerst verführerische – Möglichkeit an, systemkonform dissident zu sein. Er will das System mit seinen eigenen Mitteln schlagen. Ein Widerspruch in sich, ist das nur, wenn man Design als Politik begreift. Es also der politischen Logik unterwirft, die sich vielleicht als Moderation von im Zweifel unlösbaren Konflikten umschreiben lässt; als das berühmte Bohren der dicken Bretter. Darum allerdings – und das ist der entscheidende, feine Unterschied und der Clou – geht es der politischen Designtheorie genau nicht. Es geht ihr darum, die Politik ihrer eigenen Logik, der Logik des Designs zu unterwerfen. Diese jedoch dreht sich mehr um das vergleichsweise akute und eindeutige Lösen von Problemen.
Das aber ist nun etwas völlig anderes als zähe Konfliktmoderation – und also leider doch keine Politik. Es ist, um im Bild zu bleiben, im Vergleich zum Bohren dicker Bretter eher das kundige Verschrauben von dünneren Brettern. Das kann natürlich auch sehr vernünftig sein, ohne die Löcher aber kommt man dabei nicht allzu weit.
JENS-CHRISTIAN RABE
Hier soll auch die Politik
der Logik der Produktgestaltung
unterworfen werden
Friedrich von Borries:
Weltentwerfen – Eine
politische Designtheorie.
Suhrkamp Verlag,
Berlin 2016. 144 Seiten,
14 Euro. E-Book 13,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Mit seiner „politischen Designtheorie“ bietet Friedrich von Borries die Möglichkeit, auf systemkonforme Weise dissident zu sein
Als die Populisten noch fast keine Wahlen gewonnen hatten, aber die nicht enden wollende Finanzkrise schon so manche bequeme Überzeugung erschütterte, begann im Westen eine große Diskussion über den Kapitalismus und die Frage, ob eigentlich eine andere, eine bessere, eine gerechtere Ordnung denkbar ist. Manch einer erinnert sich vielleicht noch. Das Erstaunlichste an dieser Diskussion, die ja gerade einmal ein paar Jahre her ist, war allerdings nicht, wie verrückt folgenlos sie bis zu den Wahlerfolgen von Populisten auf der ganzen Welt blieb.
Das Erstaunlichste an der Diskussion war, wer sich plötzlich an den notorisch dominanten, aber zunehmend ratlos-desillusionierten alten Diskurs-Piloten vorbei – den Soziologen, Philosophen, Journalisten, Politikern und sonstigen Theoretikern – als leitender revolutionärer Intellektueller ins Cockpit gemogelt hatte: der Architekt und Designer. Und das gar nicht unverdient. Die, die einmal eigentlich vor allem dafür zuständig waren, dass Alltagsobjekte wie Häuser oder Stühle irgendwie aussehen (im besten Fall ganz hübsch) und nicht vollkommen unpraktisch sind (und im besten Fall sogar richtig nützlich), hielten auf den wichtigsten Zukunftskonferenzen ja nicht selten längst die interessantesten und optimistischsten Vorträge. Hatte man Jahre lang einfach nur die falschen Leute gefragt, wie man die Welt rettet? Oder ist der politische Anspruch des Designs nicht doch noch mehr Teil unserer Probleme als ihrer Lösung?
Tja. Um diese Frage zu beantworten, hilft ein Blick in ein neues Buch, das „Weltentwerfen“ heißt und im Untertitel selbstbewusst eine „politische Designtheorie“ verspricht. Es ist das neue Buch des 1974 geborenen, umtriebigen Architekten, Designers und Designtheoretikers Friedrich von Borries, der im Hauptberuf Professor an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg ist. Und der Anspruch leuchtet sofort ein, man ist schließlich gut eingenordet: das Wesen des Designs ist nicht oberflächlich, sondern politisch – und omnivor. Gestaltet werden können soll alles, von physischen und virtuellen Gegenständen über Innen- und Außenräume bis zu Informationen und sozialen Beziehungen.
Vom Philosophen und Kunsttheoretiker Boris Groys weiß man , dass modernes Design längst nicht mehr nur die Oberflächen der Dinge gestalten will, sondern – im Gegenteil! – wie Kunst und Philosophie das „verborgene Wesen der Dinge“ zu offenbaren versucht. Und – mehr noch – dass der Gestaltungswille des modernen Designs längst von der Welt der Dinge auf den Menschen selbst übergegangen ist; den Menschen, der im Zeitalter der Technik und Technologie genau genommen doch nichts anderes ist, als ein Ding unter Dingen. Und man hat auch einen neuen Band schon gesehen mit dem nicht gerade bescheidenen Titel „Social Design – Gestalten für eine Transformation der Gesellschaft“ (Herausgegeben von Claudia Banz, Transcript Verlag, Bielefeld 2016).
Borries selbst hat vor ein paar Jahren eine Text-Sammlung herausgegeben, die „Weil Design die Welt verändert …“ heißt. Und in seinem als Roman getarnten Essay „RLF“ (ein Kürzel für „das Richtige Leben im falschen“) ging es darum, den Widerstand so sexy und begehrlich zu gestalten wie die Konsumprodukte, die man sonst so besitzen will, um dann Produkte zu entwickeln, die man für viel Geld verkauft, um mit dem Geld dann die Revolution zu finanzieren. Die Revolution des Systems mit seinen eigenen Mitteln! Wenn man sie nur geschickt genug gestaltet.
Ja, man hat das schon verstanden, denkt man sich, während man versonnen auf den hübschen weißen Umschlag von „Weltentwerfen“ blickt, auf dem ein Paar des ikonischen, auf’s Wesentliche reduzierte Türgriffs zu sehen ist, den der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein Mitte der Zwanzigerjahre für das – ebenfalls von ihm entworfene, auf’s Wesentliche reduzierte – Haus seiner Schwester in Wien entwickelt hat (Groys nennt modernes Design auch „Anti-Design“, das nicht verführen will, sondern den Blick des Betrachters so gestalten will, „dass er fähig wird, die Dinge selbst zu entdecken“).
Passend dazu hat Friedrich von Borries die Abschnitte zu den sechs Thesen seines Buches so kleinteilig durchnummeriert hat wie Wittgenstein einst sein 1921 erschienenes berühmtes sprachkritisches Frühwerk „Tractatus logico-philosophicus“, da soll also die Latte liegen. Die Welt ist alles, was gestaltet ist.
Die sechs großen Thesen behaupten auf jeden Fall nichts Geringeres. Sie lauten, hier und da entsprechend der internationalen Theoriefolklore offensiv tautologisch: „Entwerfen ist das Gegenteil von Unterwerfen“, „Überlebensdesign ist das Design von Überleben“, „Sicherheitsdesign ist das Design von Sicherheit“, „Gesellschaftsdesign ist das Design von Gesellschaft“, „Selbstdesign ist das Design von Selbst“, „Welt ist Gegenstand und Ergebnis von Sein“.
Im Kern geht es Borries damit einerseits darum, noch einmal zu beweisen, warum Design nicht nur nach ästhetischen, funktionalen und ökonomischen Kriterien bewertet werden darf, sondern auch durchaus gesellschaftspolitisch relevante Seiten hat. Das gelingt eindrucksvoll. Andererseits möchte er in eben diesem Geist, aber auch mit dem breiten Pinsel zur Revolution rufen: Revolution gegen die „Logik des Kapitalismus“, gegen die „Ideologie der Alternativlosigkeit“ und für „neue Formen des Zusammenlebens“. Und da knirscht es dann doch ziemlich und man ist bei der Frage, ob dieser politische Anspruch des Designs nicht vielleicht doch noch eher ein Problem als eine Lösung ist?
Borries bietet die – zugegeben äußerst verführerische – Möglichkeit an, systemkonform dissident zu sein. Er will das System mit seinen eigenen Mitteln schlagen. Ein Widerspruch in sich, ist das nur, wenn man Design als Politik begreift. Es also der politischen Logik unterwirft, die sich vielleicht als Moderation von im Zweifel unlösbaren Konflikten umschreiben lässt; als das berühmte Bohren der dicken Bretter. Darum allerdings – und das ist der entscheidende, feine Unterschied und der Clou – geht es der politischen Designtheorie genau nicht. Es geht ihr darum, die Politik ihrer eigenen Logik, der Logik des Designs zu unterwerfen. Diese jedoch dreht sich mehr um das vergleichsweise akute und eindeutige Lösen von Problemen.
Das aber ist nun etwas völlig anderes als zähe Konfliktmoderation – und also leider doch keine Politik. Es ist, um im Bild zu bleiben, im Vergleich zum Bohren dicker Bretter eher das kundige Verschrauben von dünneren Brettern. Das kann natürlich auch sehr vernünftig sein, ohne die Löcher aber kommt man dabei nicht allzu weit.
JENS-CHRISTIAN RABE
Hier soll auch die Politik
der Logik der Produktgestaltung
unterworfen werden
Friedrich von Borries:
Weltentwerfen – Eine
politische Designtheorie.
Suhrkamp Verlag,
Berlin 2016. 144 Seiten,
14 Euro. E-Book 13,99 Euro.
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»Vielleicht muss man sich dieses Buch als einen Akt produktiver Sabotage vorstellen, ... um einem Publikum ein politisches Bewusstsein unterzujubeln, das gewohnheitsmäßig lieber über Design spricht.« Felix Stephan ZEIT ONLINE 20161101