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Diese reichen Schnösel sind gar nicht so übel, solange man sie nicht töten muss: Maggie Stiefvater lässt ein erfolgloses Medium von seinem künftigen Opfer träumen.
Wer oder was ist der Corvus corax? Seine schwarzen Federn glänzen edel, er krächzt rauh, und er ist laut neuester Forschung so intelligent, dass er auf versteckte Ursachen schließen kann. Der Rest ist Mythos, Sage, Literatur: Barbarossa ist zum Schlaf im Inneren des Kyffhäuser-Bergs verdammt, bis die dort kreisenden Unglücksraben fortziehen, der germanische Kriegsgott Odin schart die Kolkraben Hugin und Munin um sich, die Müllersburschen in Otfried Preußlers "Krabat" verwandeln sich in die Vögel, wenn sie sich der schwarzen Magie hingeben. Und in Edgar Allan Poes Gedicht "The Raven" beantwortet ein Rabe jede Frage eines jungen Mannes, der um seine verstorbene Geliebte Lenore trauert, unerbittlich mit "Nimmermehr" - und treibt ihn so in den Wahnsinn.
Schier zum Verrücktwerden ist auch Blue Sargents Lage in Maggie Stiefvaters Roman "Wen der Rabe ruft", nur heißt ihre Lenore Gansey, nur reicht ihre Verbindung zu Übersinnlichem über die Lektüre von magischen Schriften hinaus. Die sechzehnjährige Blue ist das jüngste Glied eines Wahrsagermatriarchats im Kleinstadt-Nirgendwo Henrietta, West Virginia. Im Gegensatz zu ihrer Mutter Maura und deren Busenfreundinnen Persephone und Calla (sowie zu ihrer Tante Neeve und ihrer Cousine Orla) hat Blue aber keine übersinnlichen Fähigkeiten.
Umso überraschender ist, dass Blue während eines nächtlichen Friedhofsbesuchs am Markustag (an diesem Datum treten jene Gestalten in Erscheinung, die im Laufe des nächsten Jahres ihr Leben lassen werden) plötzlich der Geist eines wortkargen jungen Mannes erscheint, der sich als "Gansey" zu erkennen gibt. Dass eine Nicht-Sehende einen Bald-Toten identifizieren kann, hat laut Tante Neeve einen von zwei Gründen: "Entweder du bist seine wahre Liebe, oder du hast ihn getötet." Wie Blue wenig später in Erfahrung bringt, ist dessen fleischliche Inkarnation ein Schüler an der Aglionby Academy, einer Privatschule für die höheren Söhne und Töchter Virginias, deren edle Herkunft im Rabenemblem der Schuluniform ihre Verbildlichung findet. Doch die Jungen sind nicht nur reiche Schnösel, sondern neugierig, gebildet und abenteuerlustig. Und sie haben eine Mission: jenen Energiepfad ausfindig zu machen, unter welchem seit Jahrhunderten ein schlafender walisischer König liegen soll.
Zwar wartet die für ihre "Shiver"-Trilogie gefeierte Stiefvater in "Wen der Rabe ruft" mit Ley-Linien, Latein sprechenden Bäumen und Korrespondenzen mit britischen Mittelalterforschern auf. Auch bevölkern exzentrische Wahrsagerinnen den Roman. Doch dass man diese Damen ganz prosaisch per Telefon erreicht ("Für dich, Orla, das Universum auf Leitung zwei!") und dass die Hotline sich lediglich in einer Ziffer von einem Begleitservice unterscheidet, trägt nicht zur Glaubwürdigkeit dieser Frauen bei. Die des Romans hingegen profitiert immens von Stiefvaters Mischung aus Mystischem und Irdischem.
Bis Blue sich entschließt, Gansey, Adam und ihren Freunden bei deren okkulter Suche nach König Glendower behilflich zu sein, offenbart sich folglich so mancher Konflikt. Blue entstammt einer frauendominierten Künstlerfamilie mit einer liberalen Mutter, die sie "inmitten von lauter Fragezeichen mit Befehlscharakter" erzogen hat. Drastischer könnte der Kontrast zu den Aglionby-Jungen nicht sein, denen dank ihres Überschusses an Testosteron, Geld und konservativen Werten im Leben alles in den überbehüteten Schoß gefallen zu sein scheint.
Von klar umrissenem Antagonismus sieht die Autorin jedoch ab und stattet ihre Figuren mit der Fähigkeit aus, sich von den eigenen sozialen Umständen zu distanzieren. Geradezu schmerzlich bewusst ist sich Gansey seiner privilegierten Position. Seinem Kapitalismusreflex, sich aus brenzligen Situationen herauszukaufen, geht er zwar wiederholt nach, bereut diesen jedoch stets. Auch die Grenzen der Geschlechterrollen verschwimmen durch Stiefvaters Sinn für absurde Komik. Blue, die sich weigert, das Haus zu verlassen, ohne ihre Haare an die Grenzen der Kämmbarkeit frisiert zu haben, und Ganseys Freund und Nebenbuhler Adam, der sich bei ihr durch das Schenken eines besonders kleinen Blumenstraußes beliebt macht, geben in der Tat ein unkonventionelles Gespann ab: "Sie sahen, wie Blue mit einem unbehaglichen Gefühl aufging, wahrscheinlich kein bisschen wie ein Paar aus, sondern eher so, als wäre sie gerade dabei, Adam zu entführen."
Die Kollaboration zwischen Blue und den Aglionby-Jungen in diesem ersten Band der "Raven Boys"-Reihe mag so nicht nur als Mikrokosmos einer zaghaften Annäherung im Geschlechter-, sondern ebenso im Klassenkampf gelesen werden. Zwar scheint der schonungslose Rabe aus Poes Gedicht - eine Strophe daraus zitiert die Autorin im Epigraph - über Stiefvaters Protagonisten und deren problematischen romantischen Hoffnungen zu kreisen. Doch im Unterschied zu Poes Jüngling ist Blue Sargent Manns genug, sich davon nicht von ihrer großen, magischen gesellschaftlichen Aufgabe abbringen zu lassen.
KATHARINA LASZLO
Maggie Stiefvater: "Wen der Rabe ruft".
Aus dem Englischen von Jessika Komina. Verlag Script5, Bindlach 2013. 460 S., geb., 18,95 [Euro]. Ab 14 J.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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"Ein ausnehmend gut geschriebener Fantasy-Roman, der spannend, atmosphärisch dicht und geheimnisvoll ist." Nina Daebel, Münchner Merkur
"Als Meisterin des Unausgesprochenen lässt Stiefvater das Geheimnisvolle durch die ansonsten realistische Erzählung wabern." Sabine Janssen, Rheinische Post
"Auftakt einer meisterhaft geschriebenen Mystery-Romanserie." Beate Strobel, Magazin SCHULE
"Maggie Stiefvater zieht einen bald ohne Widerrede ganz tief hinein in ihre Geschichte. Ein grandioses Jugendbuch für Erwachsene." Mathias Ziegler, wienerzeitung.at
"Herzstück des Romans sind die skurrilen und liebenswerten Figuren." Christian Handel, Nautilus