Mit 15 Zeichnungen Wenn ein Mann aus der Vergangenheit die Zukunft regiert. Graham verfällt in einen totenähnlichen Schlaf und wacht 203 Jahre später im London der Zukunft wieder auf. Plötzlich ist er der reichste Mann auf Erden, denn während seines "Todes" ist sein Vermögen ins Unermessliche gestiegen. Doch kann er seinen Reichtum nicht genießen, denn schnell wird er zum Spielball verschiedenster Interessengruppen. Schließlich stellt sich Graham auf die Seite der Unterprivilegierten und Armen – es kommt zur Konfrontation mit den Mächtigen. Dieses Buch ist das prophetischte Buch Wells' und gleichzeitig auch eines seiner unterhaltsamsten und spannendsten. Wieder einmal beschäftigt sich der Autor mit seinen Lieblingsfragen: Müssen wir die Zukunft fürchten oder können wir sie gestalten und als Chance verstehen? Was passiert mit uns? Ist der technische Fortschritt ein Segen oder ein Fluch? Und kann der menschliche Geist mithalten oder wird er das Opfer einiger weniger Auserwählter? Wells fabuliert bereits 1899 über Flugmaschinen, Massenhysterien, Medienmanipulationen und Wirtschaftsmacht. Null Papier Verlag
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2002SCIENCE FACTION
Erzählungen von gestern mit den Themen von heute
Ende des 19. Jahrhunderts schaute der Autor H. G. Wells, ein Zeitgenosse Aldous Huxleys, zweihundert Jahre in die Zukunft. Die Hauptperson seines Romans "When the sleeper wakes" ist der Engländer Graham. Der fällt in eine Art Koma und wacht erst nach 203 Jahren wieder auf. Die Welt um Graham hat sich völlig verändert, und zwar so, wie sich Wells die Zukunft damals vorgestellt hat: Die meisten Länder der Erde werden vom Weißen Rat regiert - im Namen Grahams, des Schläfers. Sein Reichtum ist in den Jahres seines Schlafs ins nahezu Unermeßliche gestiegen und beherrscht die Welt. In seinem Alltag begegnen Graham zahllose neue und erstaunliche Dinge: Luftschiffe transportieren Rohstoffe, Waren und Menschen um die ganze Erde, ein Glas zerspringt nicht, als es ihm auf den Boden neben seinem Bett fällt, und der Schneider legt kaum selber Hand an, um einen maßgefertigten Anzug herzustellen. Es gibt eine Riesenstadt, die Tag und Nacht hell erleuchtet ist und deren Türme aus Materialien erbaut sind, die Graham nicht kennt. Auch London hat sich verändert. Mehr als 33 Millionen Menschen leben inzwischen hier. Nicht nur in der ursprünglichen Stadt, sondern auch in neu gebauten Schichten darüber und darunter. Im Umland Londons dagegen wohnt kaum noch jemand. Die Flächen dienen allein der landwirtschaftlichen Produktion. Es gibt weder Bücher noch Zeitungen: Informationen erhalten die Menschen aus permanent plärrenden Brabbelmaschinen, und sie können sich an jedem Ort der Welt mittels Bildern und Tönen unterhalten. In den Schulen werden Lehrfilme gezeigt, Lehrer gibt es nicht mehr. Die Neuigkeiten und Unterschiede zu seiner Zeit werden Graham einfach so erklärt: "Ideale verändern sich mit dem Wandel der Bedürfnisse." Tatsächlich profitiert jedoch nur eine kleine Elite von den Fortschritten. Die breite Masse der Menschen lebt und arbeitet unter miserablen Bedingungen. Sie müssen die großen, leuchtenden Freudenstädte unterhalten und können sich für ihr Lebensende das teure Geschenk der Euthanasie erhoffen. Das Resümee des Romanhelds Grahams: "Wir waren so damit beschäftigt, die Zukunft zu erschaffen, daß sich niemand die Zeit nahm, darüber nachzudenken, was für eine Zukunft es denn sein wird. Hier sehen wir nun das Ergebnis."
Wolfgang Treß.
"When the sleeper wakes" erscheint im englischen Original bei der Orion Publishing Group, London. Die deutsche Übersetzung "Wenn der Schläfer erwacht" ist bei dtv, München, erschienen.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erzählungen von gestern mit den Themen von heute
Ende des 19. Jahrhunderts schaute der Autor H. G. Wells, ein Zeitgenosse Aldous Huxleys, zweihundert Jahre in die Zukunft. Die Hauptperson seines Romans "When the sleeper wakes" ist der Engländer Graham. Der fällt in eine Art Koma und wacht erst nach 203 Jahren wieder auf. Die Welt um Graham hat sich völlig verändert, und zwar so, wie sich Wells die Zukunft damals vorgestellt hat: Die meisten Länder der Erde werden vom Weißen Rat regiert - im Namen Grahams, des Schläfers. Sein Reichtum ist in den Jahres seines Schlafs ins nahezu Unermeßliche gestiegen und beherrscht die Welt. In seinem Alltag begegnen Graham zahllose neue und erstaunliche Dinge: Luftschiffe transportieren Rohstoffe, Waren und Menschen um die ganze Erde, ein Glas zerspringt nicht, als es ihm auf den Boden neben seinem Bett fällt, und der Schneider legt kaum selber Hand an, um einen maßgefertigten Anzug herzustellen. Es gibt eine Riesenstadt, die Tag und Nacht hell erleuchtet ist und deren Türme aus Materialien erbaut sind, die Graham nicht kennt. Auch London hat sich verändert. Mehr als 33 Millionen Menschen leben inzwischen hier. Nicht nur in der ursprünglichen Stadt, sondern auch in neu gebauten Schichten darüber und darunter. Im Umland Londons dagegen wohnt kaum noch jemand. Die Flächen dienen allein der landwirtschaftlichen Produktion. Es gibt weder Bücher noch Zeitungen: Informationen erhalten die Menschen aus permanent plärrenden Brabbelmaschinen, und sie können sich an jedem Ort der Welt mittels Bildern und Tönen unterhalten. In den Schulen werden Lehrfilme gezeigt, Lehrer gibt es nicht mehr. Die Neuigkeiten und Unterschiede zu seiner Zeit werden Graham einfach so erklärt: "Ideale verändern sich mit dem Wandel der Bedürfnisse." Tatsächlich profitiert jedoch nur eine kleine Elite von den Fortschritten. Die breite Masse der Menschen lebt und arbeitet unter miserablen Bedingungen. Sie müssen die großen, leuchtenden Freudenstädte unterhalten und können sich für ihr Lebensende das teure Geschenk der Euthanasie erhoffen. Das Resümee des Romanhelds Grahams: "Wir waren so damit beschäftigt, die Zukunft zu erschaffen, daß sich niemand die Zeit nahm, darüber nachzudenken, was für eine Zukunft es denn sein wird. Hier sehen wir nun das Ergebnis."
Wolfgang Treß.
"When the sleeper wakes" erscheint im englischen Original bei der Orion Publishing Group, London. Die deutsche Übersetzung "Wenn der Schläfer erwacht" ist bei dtv, München, erschienen.
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»Der englische Schriftsteller Herbert George Wells wurde durch seine Romane [...] zum Mitbegründer der modernen Science-Fiction. [...] H.G. Wells wies in seinen Erzählungen auf die Auswirkungen menschlichen Handelns hin und kritisierte durch seine düsteren Zukunftsvisionen seine zeitgenössische Gesellschaft.« -- Buchreport 11.08.2011
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.01.2016NEUE TASCHENBÜCHER
„Wenn der Schläfer erwacht“,
eine Dornröschen-Utopie von H. G. Wells
Karriere machen im Schlaf, das passiert dem jungen Graham in diesem Buch. Müdigkeit überfällt ihn, Apathie, wie ein großer Schatten, an der Küste von Pentargen. Dann schläft er ein und schläft und schläft, wird intravenös ernährt. Als er wieder erwacht, ist es 203 Jahre später, und weil sein Geld so genial angelegt wurde, ist er der reichste Mann der Welt. Und ein Unterpfand der Machthaber, der Atlas, der die Welt stemmt. „Nur langsam wurde er sich dessen bewußt, was er erlebt hatte; es schien ihm so unwirklich, als hätte er die Geschichte von jemandem gehört oder sie in einem Buch gelesen . . . Ihm gehörte nun die halbe Welt, er war der Herr der Welt. Diese neue große Zeit war im vollen Sinn des Wortes sein. Er hoffte nicht mehr wie einst, seine Erlebnisse wären nur ein Traum, jetzt wollte er sich davon überzeugen, daß sie Wirklichkeit waren.“
Vom Träumer, der zum tatkräftigen Revolutionär wird, erzählt H. G. Wells in seinem Roman, 1899 erstmals erschienen, nun wiederaufgelegt bei dtv – wo auch manch andere der fantastisch-pragmatischen Visionen von Wells verfügbar sind, „Die Zeitmaschine“ oder „Der Unsichtbare“. Es ist ein Buch der Ernüchterung, Virginia Woolf hat damals freundlich-kritisch Wells zu den Autoren gerechnet, die man halt braucht nach der schöpferischen Emsigkeit der viktorianischen Großschriftsteller. Was Wells’ Schläfer erwartet, klingt uns ganz aktuell. Gewaltige Großbauten und weitläufige Transportsysteme, eine skrupellose Vernetzung von Politik & Banken & Großkapital, die Ausbeutung der Arbeiter und ihr Widerstand, das Verschwinden der Dörfer und Kleinstädte – außer London gibt’s in dieser Zukunft in Großbritannien nur noch Edinburgh, Portsmouth, Manchester, Shrewsbury. Aber es gibt die Freudenstädte, sybaritische Vergnügungsparks der Kunst und Liebe, „einer käuflichen Kunst und käuflicher Liebe“. Schriftsteller gibt’s nur wenige, verschrobene Typen, streiten sich um den Vortritt auf der Treppe. Aber als „Kapillotom“ kann man schön Karriere machen, als Haarkünstler. FRITZ GÖTTLER
H. G. Wells: Wenn der Schläfer erwacht. Roman. Aus dem Englischen von Ida Koch-Loepringen. dtv, München 2015. 229 Seiten, 9,90 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
„Wenn der Schläfer erwacht“,
eine Dornröschen-Utopie von H. G. Wells
Karriere machen im Schlaf, das passiert dem jungen Graham in diesem Buch. Müdigkeit überfällt ihn, Apathie, wie ein großer Schatten, an der Küste von Pentargen. Dann schläft er ein und schläft und schläft, wird intravenös ernährt. Als er wieder erwacht, ist es 203 Jahre später, und weil sein Geld so genial angelegt wurde, ist er der reichste Mann der Welt. Und ein Unterpfand der Machthaber, der Atlas, der die Welt stemmt. „Nur langsam wurde er sich dessen bewußt, was er erlebt hatte; es schien ihm so unwirklich, als hätte er die Geschichte von jemandem gehört oder sie in einem Buch gelesen . . . Ihm gehörte nun die halbe Welt, er war der Herr der Welt. Diese neue große Zeit war im vollen Sinn des Wortes sein. Er hoffte nicht mehr wie einst, seine Erlebnisse wären nur ein Traum, jetzt wollte er sich davon überzeugen, daß sie Wirklichkeit waren.“
Vom Träumer, der zum tatkräftigen Revolutionär wird, erzählt H. G. Wells in seinem Roman, 1899 erstmals erschienen, nun wiederaufgelegt bei dtv – wo auch manch andere der fantastisch-pragmatischen Visionen von Wells verfügbar sind, „Die Zeitmaschine“ oder „Der Unsichtbare“. Es ist ein Buch der Ernüchterung, Virginia Woolf hat damals freundlich-kritisch Wells zu den Autoren gerechnet, die man halt braucht nach der schöpferischen Emsigkeit der viktorianischen Großschriftsteller. Was Wells’ Schläfer erwartet, klingt uns ganz aktuell. Gewaltige Großbauten und weitläufige Transportsysteme, eine skrupellose Vernetzung von Politik & Banken & Großkapital, die Ausbeutung der Arbeiter und ihr Widerstand, das Verschwinden der Dörfer und Kleinstädte – außer London gibt’s in dieser Zukunft in Großbritannien nur noch Edinburgh, Portsmouth, Manchester, Shrewsbury. Aber es gibt die Freudenstädte, sybaritische Vergnügungsparks der Kunst und Liebe, „einer käuflichen Kunst und käuflicher Liebe“. Schriftsteller gibt’s nur wenige, verschrobene Typen, streiten sich um den Vortritt auf der Treppe. Aber als „Kapillotom“ kann man schön Karriere machen, als Haarkünstler. FRITZ GÖTTLER
H. G. Wells: Wenn der Schläfer erwacht. Roman. Aus dem Englischen von Ida Koch-Loepringen. dtv, München 2015. 229 Seiten, 9,90 Euro.
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