»Jan Skudlarek lädt uns dazu ein, das Kindergartenniveau aktueller liberaler Freiheitsvorstellungen zu überdenken. Es geht um nicht weniger als unsere Zukunft.« Max Czollek Ob Impfpflicht, Abtreibungsverbot, Wehrdienst oder Cannabislegalisierung – ethische Fragen betreffen uns alle. Allgemeinwohl vor Eigeninteresse? Oder: Mein Körper, meine Entscheidung? Der Philosoph Jan Skudlarek erörtert die großen Streitfragen unserer Gesellschaft, deckt gängige Irrtümer und falsche Argumentationen auf und entwirft so eine konkrete Handreichung für solidarisches Handeln im Zeitalter der Krisen. Vor über vierzig Jahren erschien das Hauptwerk des Philosophen Hans Jonas, in dem er sich damit beschäftigt, wo die Freiheit des Einzelnen endet: Das Prinzip Verantwortung. Heute ist die Frage nach Freiheit und Verantwortung brennender denn je – und gleichzeitig ungelöst. Was ist das eigentlich, Verantwortung? Warum fällt sie uns so schwer? Und wieso ist eben nicht an alle gedacht, wenn jeder an sich denkt? Ebenso wie ein Mensch mehr ist als die Summe seiner Zellen und eine Stadt mehr als die Summe ihrer Häuser, zeigen uns die gegenwärtigen Krisen, dass die menschliche Gemeinschaft mehr ist als die bloße Summe ihrer egoistischen Individuen. Doch wie gelingt gesellschaftlicher Zusammenhalt in Krisenzeiten? Jan Skudlarek entwirft in diesem Buch ein neues Wir: eines, das sich mit unserem Streben nach Freiheit und Selbstbestimmung vereinen lässt. Eines, das solidarisch ist. Ein Wir, das trägt und verbindet, statt ausgrenzt und spaltet. »Wenn Freiheit toxisch wird, ist Solidarität die Antwort. Jan Skudlarek entwirft einen neuen Freiheitsbegriff, der uns durch die Krisen unserer Zeit navigiert. Ein kluges, differenziertes Buch.« Pia Lamberty
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Stephan Speicher wird nicht warm mit Jan Skudlareks Rundumschlag gegen Individualismus und Neoliberalismus. Wenn der Autor gegen Langduscher und Porschefahrer wettert, fehlen Speicher der ideengeschichtliche Hintergrund und eine Differenzierung, die auch auf den Familien- und Unternehmenseigennutz früherer Generationen schaut. Skudlareks moralisierender, belehrender Tonfall sagt Speicher ebenfalls nicht zu.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.2023Irgendwie egoistisch
Schlicht: Jan Skudlarek sucht ein neues Wir
Selbstbescheidung ist Jan Skudlareks Sache nicht. Das "Großprojekt" seines neuen Buches, so sagt er es selbst, ist die "Versöhnung zwischen dem Ich und dem Wir". In früheren Zeiten galt dieser Konflikt als unauflöslich, als ein Ursprung des Tragischen, so Goethe in der "Rede Zum Shakespeares-Tag", wo er von dem "geheimen Punkt" spricht, "in dem das Eigentümliche unseres Ichs, die prätendierte Freiheit unseres Wollens, mit dem notwendigen Gang des Ganzen zusammenstößt". Skudlarek geht es um Versöhnung. Wie kommt er zu der selbst gestellten Aufgabe?
Der Titel des Buches "Wenn jeder an sich denkt, ist NICHT an alle gedacht", klingt nach einer Kritik des Liberalismus oder Neoliberalismus, und auf dem Buchdeckel ein Einkaufskorb, übervoll mit Klopapierrollen, erinnert an die Corona-Zeit. Dann tritt auf den ersten Seiten auch noch Wolfgang Kubicki auf, der sich kürzlich in der "Bild"-Zeitung gegen die Empfehlung, nur kurz zu duschen, wandte ("Ich dusche so lange, bis ich fertig bin"), und schon ist klar, dass es um eine Kritik gegenwärtiger Verhaltensweisen geht, um die "individualistische, neoliberale Rücksichtslosigkeit". Von der heißt es jedoch, sie habe "sich in den letzten Jahrhunderten etabliert". Was das nun genauer bedeutet - die letzten Jahrhunderte sind eine lange Zeit -, wird nicht geklärt. Wohl hält der Autor Descartes, Industrialisierung und Liberalismus für die "drei Säulen des Individualismus", ist allerdings vorsichtig genug, den Individualismus nicht mit dem Egoismus zu identifizieren; doch "das eine dürfte das andere begünstigt haben".
Groß ist das ideengeschichtliche Interesse des Autors nicht. Er sieht den Liberalismus, zumindest dessen radikalisierte Variante, zwar im Hintergrund der beklagten Missstände, widmet ihm aber wenig Aufmerksamkeit, nicht den Klassikern und auch nicht aktuellen Theorien. Den Egoismus oder "Autonomismus" (hier in Abgrenzung von der wünschenswerten Autonomie) hält er für eine Erscheinung der jüngeren Zeit. Aber er ist sehr undeutlich auch als Zeitdiagnostiker. Hat der Egoismus wirklich zugenommen? Vielleicht hat er nur seine Gestalt oder sein Subjekt geändert. Wir sind stärker individualisiert, weniger familiengebunden als unsere Großeltern. Aber waren sie uneigennütziger? Hat sich ihr Egoismus vielleicht weniger auf die eigene Person, dafür auf die Familie, den Stand, den Hof, das Unternehmen gerichtet? Von den Landwirten weiß man, dass sie schon vor 150 Jahren ihre Interessen sehr wuchtig in der Politik vertreten haben, war das nicht egoistisch? Umgekehrt kann man sich fragen, ob die alte Bundesrepublik in ihrem Korporatismus vielleicht doch eine sozialverträglichere Stimmung aufgebaut hatte, als wir sie heute erleben.
Das sind Fragen einer Art, die Skudlarek nicht beschäftigen. Er wendet sich verachtungsvoll dem "Porschefahrer-Liberalismus", SUV-Besitzern und den "Kubickis dieser Welt" zu, keinen sehr würdigen Gegnern.
Was Skudlarek interessiert, ist die Verteidigung der Moral und des Moralischen, in einem Ton, als ob er zu Jugendlichen spräche und die Notwendigkeit von Regeln und Regelgehorsam erklärte. Er stellt sich gegen die Kritik des Moralisten, aber auf recht simple Weise, wenn er seinen Gegnern in den Mund legt: "Moral ist was von gestern. Moral ist was für Freiheitsfeinde." Dabei gibt es doch auch substanzielle Kritik an einem grassierenden Moralisieren in Umweltfragen oder etwa Sprachregelungen.
Und im Übrigen will, auch wer nichts gegen Moral hat, doch nicht lesen, dass es beim Umweltschutz "um faktische, empirische Realität" gehe oder dass die Politik "den Mut wiederfinden" müsse, "mehr im Sinne der res publica, das heißt im Sinne des Gemeinwesens und somit der Menschen zu handeln". Oder: "Was unser Sozialleben unserem Wesen nach ausmacht, ist schlicht die Tatsache, dass es sozial ist." Das ist einfach zu schlicht. Irgendwann fragt man sich da, wer es doch war, der schrieb: "Ein bisschen mehr Frieden und weniger Streit; / ein bisschen mehr Güte und weniger Neid . . .". Das war (wahrscheinlich) Peter Rosegger, der Waldbauernbub (1843 - 1918). Und richtig, da kommt es auch schon: "Ein bisschen mehr Wir und weniger Ich." STEPHAN SPEICHER
Jan Skudlarek: "Wenn jeder an sich denkt, ist NICHT an alle gedacht". Streitschrift für ein neues Wir.
Tropen Verlag, Berlin 2023. 240 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schlicht: Jan Skudlarek sucht ein neues Wir
Selbstbescheidung ist Jan Skudlareks Sache nicht. Das "Großprojekt" seines neuen Buches, so sagt er es selbst, ist die "Versöhnung zwischen dem Ich und dem Wir". In früheren Zeiten galt dieser Konflikt als unauflöslich, als ein Ursprung des Tragischen, so Goethe in der "Rede Zum Shakespeares-Tag", wo er von dem "geheimen Punkt" spricht, "in dem das Eigentümliche unseres Ichs, die prätendierte Freiheit unseres Wollens, mit dem notwendigen Gang des Ganzen zusammenstößt". Skudlarek geht es um Versöhnung. Wie kommt er zu der selbst gestellten Aufgabe?
Der Titel des Buches "Wenn jeder an sich denkt, ist NICHT an alle gedacht", klingt nach einer Kritik des Liberalismus oder Neoliberalismus, und auf dem Buchdeckel ein Einkaufskorb, übervoll mit Klopapierrollen, erinnert an die Corona-Zeit. Dann tritt auf den ersten Seiten auch noch Wolfgang Kubicki auf, der sich kürzlich in der "Bild"-Zeitung gegen die Empfehlung, nur kurz zu duschen, wandte ("Ich dusche so lange, bis ich fertig bin"), und schon ist klar, dass es um eine Kritik gegenwärtiger Verhaltensweisen geht, um die "individualistische, neoliberale Rücksichtslosigkeit". Von der heißt es jedoch, sie habe "sich in den letzten Jahrhunderten etabliert". Was das nun genauer bedeutet - die letzten Jahrhunderte sind eine lange Zeit -, wird nicht geklärt. Wohl hält der Autor Descartes, Industrialisierung und Liberalismus für die "drei Säulen des Individualismus", ist allerdings vorsichtig genug, den Individualismus nicht mit dem Egoismus zu identifizieren; doch "das eine dürfte das andere begünstigt haben".
Groß ist das ideengeschichtliche Interesse des Autors nicht. Er sieht den Liberalismus, zumindest dessen radikalisierte Variante, zwar im Hintergrund der beklagten Missstände, widmet ihm aber wenig Aufmerksamkeit, nicht den Klassikern und auch nicht aktuellen Theorien. Den Egoismus oder "Autonomismus" (hier in Abgrenzung von der wünschenswerten Autonomie) hält er für eine Erscheinung der jüngeren Zeit. Aber er ist sehr undeutlich auch als Zeitdiagnostiker. Hat der Egoismus wirklich zugenommen? Vielleicht hat er nur seine Gestalt oder sein Subjekt geändert. Wir sind stärker individualisiert, weniger familiengebunden als unsere Großeltern. Aber waren sie uneigennütziger? Hat sich ihr Egoismus vielleicht weniger auf die eigene Person, dafür auf die Familie, den Stand, den Hof, das Unternehmen gerichtet? Von den Landwirten weiß man, dass sie schon vor 150 Jahren ihre Interessen sehr wuchtig in der Politik vertreten haben, war das nicht egoistisch? Umgekehrt kann man sich fragen, ob die alte Bundesrepublik in ihrem Korporatismus vielleicht doch eine sozialverträglichere Stimmung aufgebaut hatte, als wir sie heute erleben.
Das sind Fragen einer Art, die Skudlarek nicht beschäftigen. Er wendet sich verachtungsvoll dem "Porschefahrer-Liberalismus", SUV-Besitzern und den "Kubickis dieser Welt" zu, keinen sehr würdigen Gegnern.
Was Skudlarek interessiert, ist die Verteidigung der Moral und des Moralischen, in einem Ton, als ob er zu Jugendlichen spräche und die Notwendigkeit von Regeln und Regelgehorsam erklärte. Er stellt sich gegen die Kritik des Moralisten, aber auf recht simple Weise, wenn er seinen Gegnern in den Mund legt: "Moral ist was von gestern. Moral ist was für Freiheitsfeinde." Dabei gibt es doch auch substanzielle Kritik an einem grassierenden Moralisieren in Umweltfragen oder etwa Sprachregelungen.
Und im Übrigen will, auch wer nichts gegen Moral hat, doch nicht lesen, dass es beim Umweltschutz "um faktische, empirische Realität" gehe oder dass die Politik "den Mut wiederfinden" müsse, "mehr im Sinne der res publica, das heißt im Sinne des Gemeinwesens und somit der Menschen zu handeln". Oder: "Was unser Sozialleben unserem Wesen nach ausmacht, ist schlicht die Tatsache, dass es sozial ist." Das ist einfach zu schlicht. Irgendwann fragt man sich da, wer es doch war, der schrieb: "Ein bisschen mehr Frieden und weniger Streit; / ein bisschen mehr Güte und weniger Neid . . .". Das war (wahrscheinlich) Peter Rosegger, der Waldbauernbub (1843 - 1918). Und richtig, da kommt es auch schon: "Ein bisschen mehr Wir und weniger Ich." STEPHAN SPEICHER
Jan Skudlarek: "Wenn jeder an sich denkt, ist NICHT an alle gedacht". Streitschrift für ein neues Wir.
Tropen Verlag, Berlin 2023. 240 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»[Das Buch ist] auch wegen seiner kleinen Beispiele oder auch Gleichnisse kurzweilig und gut zu lesen, und macht nachdenklich. Es macht deutlich, dass die Freiheit des Einzelnen immer nur zu haben ist, wenn auch die Gesellschaft erhalten bleibt.« Helmut Schaaf, Hallo, 30. Dezember 2023 Helmut Schaaf Hallo 20231230