Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, CY, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, IRL, I, L, M, NL, P, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Das Ruhrgebiet ist nicht nur eine Region, sondern auch ein Gefühlsraum. Geprägt von Sehnsüchten, von Nostalgie, von Verklärung. Die Hochzeit von Kohlebergbau und Stahlindustrie ist zwar längst vorüber, die damit einhergehenden Emotionen und Einstellungen leben aber weiter: vor allem in der Idee des Malochens, die sich im Fußball in der Forderung nach ehrlichem und gemeinschaftsorientiertem Arbeiten zeigt. Vom Malochen, so schreibt Christoph Biermann in seinem jüngst erschienenen Buch "Wenn wir vom Fußball träumen", sei das Ruhrgebiets geradezu "besessen". Das spezielle Gefühl ist über den Pott hinaus zu einem Kult geworden, mit und von dem die Profiklubs gut leben. Etwa wenn die Schalker Fans vor einem Spiel "Der Steiger kommt" singen, wenn Rot-Weiß Oberhausen mit dem Slogan "Elf Kumpel sollt ihr sein" wirbt, wenn der VfL Bochum den Spielertunnel im Ruhrstadion mit einer Fototapete zum Kohleflöz umgestaltet und das Motto "Mein Revier ist hier" verbreitet, oder wenn Borussia Dortmund Leitlinien entwirft, in denen der Klub sich zu den Guten zählt: "Stolz bekennt sich der BVB zu seiner Herkunft und Geschichte und bleibt sich und seinem Wesen treu, aufrichtig und bodenständig."
Überall wird das Malocher-Ideal hochgehalten, als würde es immer noch um die Kohle gehen, die früher massenweise zutage gefördert wurde, und nicht um jene "Kohle", die vonnöten ist, um im Millionengeschäft Fußball erfolgreich mitzumischen. Der Autor analysiert eindrucksvoll, wie kompliziert, mitunter aber auch wie starr die Frontlinie zwischen Geld und Gefühl verläuft. Besonders extrem musste das Mario Götze erleben, nachdem sein Wechsel vom BVB zum FC Bayern bekanntgeworden war. Vom Vorbild wurde er zum Verräter, weil er nicht der Region und den Fans treu blieb, sondern dem Ruf des Mammons folgte. Sollte Julian Draxler irgendwann Schalke 04 verlassen, droht ihm ähnliches Ungemach. Der Weltmeister weiß im Gespräch mit dem Autor den Konflikt zwischen Identifikation und Abgrenzung indes genau einzuschätzen.
Der im Ruhrgebiet aufgewachsene Wahl-Berliner Biermann räumt in seinem umfassend recherchierten Buch, das er im Untertitel "Eine Heimreise" nennt, mit vielerlei Mythen auf. Beispielsweise wenn er aufzeigt, dass der Begriff "Derby" zwischen Schalke und Dortmund noch nicht allzu lange gebräuchlich ist, und dass das allgegenwärtige Ruhrpottgefühl erst in den späten neunziger Jahren entstand und damit ein recht neues Phänomen ist. Nach Lektüre des Buches sieht man vielleicht nicht die Welt mit anderen Augen, aber doch jenen Teil, der sich Ruhrpott nennt.
kle.
Christoph Biermann: Wenn wir vom Fußball träumen. Eine Heimreise. Verlag Kiepenheuer & Witsch Köln 2014, 256 Seiten, gebunden 18,99 Euro, E-Book 16,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main