Der Herr Norbert spricht mit seinem Hund. Der Herr Norbert spricht aber auch mit seinem Therapeuten in der Männerberatungsstelle. Er erzählt vor allem von seiner Kindheit in einem Dorf an der steirischen Südbahnstrecke. Norberts Mutter war Magd auf dem Leitenbauerhof, Norbert ihr Bankert, von der Familie geduldet, von der Mutter geliebt. Von der Mutter jedoch auch unter Tränen in die Stadt verschickt: Norbert hatte sie beim Tête-à-Tête mit dem Hofherrn erwischt und diesen niedergeschlagen. Worauf der Bauer das ohnedies unnütze Kind in einen Zug setzen und ins Kinderheim schaffen ließ. Dass den kleinen Norbert nur kurze Zeit später die Nachricht vom Tod seiner Mutter erreichte, stellte die Weichen für sein Leben: Das will und will nicht glücken, auch als er eine Ausbildungsstelle und später eine Arbeit findet; die Frauen misst er alle an seiner einzigen großen Liebe, die ihm entzogen wurde. In unverwechselbarem Ton, gemahnend an Thomas Bernhard, schockierend wie Franz Innerhofer, gibt Harald Darer in seinem grandiosen Debüt dem Herrn Norbert eine Stimme, einen unwiderstehlichen Erzählfluss, der den Leser dort packt, wo es am meisten wehtut: in der Seele.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.03.2013Aus einem
Hundeleben
Harald Darers Romandebüt
erzählt vom Elend der Provinz
Da arbeitet einer sein schlimmes Leben auf. Er heißt Norbert und hat als Trambahnfahrer eine Gruppe japanischer Wien-Touristen über den Haufen gefahren. Sein Ansprechpartner ist ein Hund, dem er den Namen des früheren österreichischen Bundeskanzlers gegeben hat: Kreisky. Denn mit seinem Tier zu reden, fällt Norbert leichter als mit dem Therapeuten in der Männerberatungsstelle. Mit Menschen kann oder mag er nicht mehr, weil er es immer nur mit Idioten zu tun hatte. Vater, Mutter, Pfarrer, der Metzger um die Ecke, die Kollegen – alles Idioten oder Scheusale oder beides. Wenn dieser Norbert einmal in die Literaturgeschichte eingeht, dann als Pechvogel. Rabenschwarz, aber auch ziemlich flügellahm.
Norbert ist ein Geschöpf des österreichischen Romandebütanten Harald Darer, geboren 1975. In „Wer mit Hunden schläft“ nennt er ihn meistens Herr Norbert, denn es ist eine österreichische Marotte, weniger bemittelte Männer mit Herr und Vornamen anzusprechen. Beide, Norbert und Darer selbst, kommen aus der Steiermark: der gelernte Elektroinstallateur Darer aus der Provinzstadt Mürzzuschlag, seine Figur aus einem Dorf im Mürztal. Eine finstere Gegend in einem finsteren Land in einer finsteren Welt. Für Norbert jedenfalls, das Daueropfer, das all die vertrottelten Bösewichte verachtet und doch ertragen muss, gibt es so gut wie keine hellen Tage in diesem Leben. Selbstverständlich auch dann nicht, als ihn seine Mutter fortschickt in ein Kinderheim nach Wien.
Im Klappentext wird Darer wegen seines Erzähltones mit Thomas Bernhard verglichen. Alles in allem wirkt der Vergleich mit dem Großmeister der Österreich-Beschimpfung vermessen: Hat bei Bernhard die Depression Wucht und Glamour, wirkt sie bei Darer nur düster, schwer, einfältig. Norbert wächst als uneheliches Kind einer Dienstmagd auf einem Bauernhof auf. Wie sich später herausstellt, als er die hässlichen Ohren und die unvorteilhafte Kopfform des Vaters und der Halbbrüder beim Blick in den Spiegel entdeckt, hat der Bauer ihn gezeugt. Dieser Mann, seine Ehefrau und ihre beiden Söhne vereinen alles Schlechte, was man sich vorstellen kann: Fremdenhass, Geiz, Trunksucht, Scheinheiligkeit. Im Jahr 2013 wirkt es jedoch nicht mehr so originell wie zu Bernhards Zeiten, wenn ein Schriftsteller seinen traurigen Helden zum Ankläger eines ruchlosen Priesters und von Dorfrassisten macht, die in den Siebzigerjahren „die unschuldigen Neger sofort als Räuber, Totschläger und Vergewaltiger“ verunglimpften. Durch Plattheiten wie diese und eine abgegriffene Ausbeutungsromantik mit unterdrückten Frauen, die in der Fabrik den nächsten Rausch ihres Mannes erwirtschaften müssen, biedern sich Darer und sein Norbert dem Lesepublikum an.
Allerdings bleiben einige Bilder haften, ekelhafte, schmerzhafte, bewegende: abgeschnittene Katzenschwänze, der Suizid des zweitgeborenen Bauernsohnes unter der Holzspaltemaschine, die Engelmacherin. Sie kratzt Norberts Mutter das Kind aus dem Unterleib, das der Bauer vor Norberts Augen zeugte. So viel Lebensmüll ist – auch als Lektüre – schwer auszuhalten. Ob der Pechvogel am Ende abstürzt, lässt Darer offen.
RUDOLF NEUMAIER
Harald Darer: Wer mit Hunden schläft. Roman. Picus Verlag, Wien 2013. 223 Seiten, 19,90 Euro.
„Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden“ – Georg Trakls Vers trifft allemal auf den Roboter-Züchter und Erzähler des Romans zu.
FOTO: GETTY IMAGES, BEARBEITUNG: SZ
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Hundeleben
Harald Darers Romandebüt
erzählt vom Elend der Provinz
Da arbeitet einer sein schlimmes Leben auf. Er heißt Norbert und hat als Trambahnfahrer eine Gruppe japanischer Wien-Touristen über den Haufen gefahren. Sein Ansprechpartner ist ein Hund, dem er den Namen des früheren österreichischen Bundeskanzlers gegeben hat: Kreisky. Denn mit seinem Tier zu reden, fällt Norbert leichter als mit dem Therapeuten in der Männerberatungsstelle. Mit Menschen kann oder mag er nicht mehr, weil er es immer nur mit Idioten zu tun hatte. Vater, Mutter, Pfarrer, der Metzger um die Ecke, die Kollegen – alles Idioten oder Scheusale oder beides. Wenn dieser Norbert einmal in die Literaturgeschichte eingeht, dann als Pechvogel. Rabenschwarz, aber auch ziemlich flügellahm.
Norbert ist ein Geschöpf des österreichischen Romandebütanten Harald Darer, geboren 1975. In „Wer mit Hunden schläft“ nennt er ihn meistens Herr Norbert, denn es ist eine österreichische Marotte, weniger bemittelte Männer mit Herr und Vornamen anzusprechen. Beide, Norbert und Darer selbst, kommen aus der Steiermark: der gelernte Elektroinstallateur Darer aus der Provinzstadt Mürzzuschlag, seine Figur aus einem Dorf im Mürztal. Eine finstere Gegend in einem finsteren Land in einer finsteren Welt. Für Norbert jedenfalls, das Daueropfer, das all die vertrottelten Bösewichte verachtet und doch ertragen muss, gibt es so gut wie keine hellen Tage in diesem Leben. Selbstverständlich auch dann nicht, als ihn seine Mutter fortschickt in ein Kinderheim nach Wien.
Im Klappentext wird Darer wegen seines Erzähltones mit Thomas Bernhard verglichen. Alles in allem wirkt der Vergleich mit dem Großmeister der Österreich-Beschimpfung vermessen: Hat bei Bernhard die Depression Wucht und Glamour, wirkt sie bei Darer nur düster, schwer, einfältig. Norbert wächst als uneheliches Kind einer Dienstmagd auf einem Bauernhof auf. Wie sich später herausstellt, als er die hässlichen Ohren und die unvorteilhafte Kopfform des Vaters und der Halbbrüder beim Blick in den Spiegel entdeckt, hat der Bauer ihn gezeugt. Dieser Mann, seine Ehefrau und ihre beiden Söhne vereinen alles Schlechte, was man sich vorstellen kann: Fremdenhass, Geiz, Trunksucht, Scheinheiligkeit. Im Jahr 2013 wirkt es jedoch nicht mehr so originell wie zu Bernhards Zeiten, wenn ein Schriftsteller seinen traurigen Helden zum Ankläger eines ruchlosen Priesters und von Dorfrassisten macht, die in den Siebzigerjahren „die unschuldigen Neger sofort als Räuber, Totschläger und Vergewaltiger“ verunglimpften. Durch Plattheiten wie diese und eine abgegriffene Ausbeutungsromantik mit unterdrückten Frauen, die in der Fabrik den nächsten Rausch ihres Mannes erwirtschaften müssen, biedern sich Darer und sein Norbert dem Lesepublikum an.
Allerdings bleiben einige Bilder haften, ekelhafte, schmerzhafte, bewegende: abgeschnittene Katzenschwänze, der Suizid des zweitgeborenen Bauernsohnes unter der Holzspaltemaschine, die Engelmacherin. Sie kratzt Norberts Mutter das Kind aus dem Unterleib, das der Bauer vor Norberts Augen zeugte. So viel Lebensmüll ist – auch als Lektüre – schwer auszuhalten. Ob der Pechvogel am Ende abstürzt, lässt Darer offen.
RUDOLF NEUMAIER
Harald Darer: Wer mit Hunden schläft. Roman. Picus Verlag, Wien 2013. 223 Seiten, 19,90 Euro.
„Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden“ – Georg Trakls Vers trifft allemal auf den Roboter-Züchter und Erzähler des Romans zu.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2013Nur der Hund hört ihm zu
Hass auf die Welt und den Sonntagsausgehwalkjanker: Harald Darers Debütroman beschreibt jemanden, der im glücklichen Österreich ganz unglücklich ist.
Eine Kindheit auf dem Land in Österreich, in der Steiermark. Bauernhofkind, dann mit etwa zehn Jahren von der Mutter auf Betreiben des Pfarrers ins Heim gegeben, und zwar nicht bloß in die Nachbarstadt, nein, gleich über den Semmering hinaus, nach Wien. Ganz zufrieden mit der neuen Situation gewesen, erst Lehrling bei der Bundesbahn, dann Fahrer der Straßenbahn - Tramway oder Bim, wie man hier sagt - geworden. Und jetzt, nach einem ziemlich schlimmen Verkehrsunfall, ausgelöst durch menschliches Versagen, wie es heißt, daheim sitzen und auf eine Entscheidung der Behörden warten. Nur der Hund bleibt zum Reden. Menschliche Kontakte? Fehlanzeige!
Das sind so ungefähr die Eckdaten im Leben von Norbert, Herrn Norbert, wie ihn Harald Darer nennt und damit gleich ein bisschen auf Distanz hält. Darers Debütroman "Wer mit Hunden schläft" besticht vom ersten Satz an durch seine eigenwillige lakonische Schreibweise. Ein wenig erinnert Darer damit an Albert Drach und dessen Protokollstil. "Wie jeden Freitag sitzt der Herr Norbert bei seiner vom Gericht verordneten Therapiesitzung im kleinen Therapieraum der ihm zugewiesenen Männerberatungsstelle auf dem abgewetzten Drehsessel." Aber anstatt mit seinem Therapeuten zu reden, erzählt er alles dem Kreisky. Das ist sein Hund, benannt nach dem mittlerweile geradezu legendären österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky. Oft beendet er eine Schilderung mit den Worten "Wirklich wahr" oder auch mit der wohl an die gesamte Menschheit gerichteten Aufforderung, sich geschlossen auf die Toilette zu verziehen. Nett ist das nicht.
Aber man kann ihn verstehen. Das Landleben oder gar das im Kinderheim, mutmaßlich in den siebziger und achtziger Jahren, war, zumal für uneheliche Kinder, alles andere als idyllisch. Auch in Wien, Graz, Innsbruck und so fort tauchen in jüngster Zeit immer neue Vorwürfe auf, untersuchen Kommissionen Missbrauchsfälle, die noch nicht alle verjährt sein dürften. Nichts wirklich Strafbares schildert Harald Darer, nur den deprimierenden Alltag und eine Stimmung, die letztlich die wirklich schlimmen Fälle gleichmütig hingenommen, wenn nicht gar begünstigt hat: Grausamkeiten der Väter und Erzieher, die sich im Tierequälen durch die Kinder fortsetzen, lockerer Umgang mit dem Beichtgeheimnis beim Frühschoppen nach der Messe bis hin zu erzwungenen Abtreibungen.
Harald Darer, 1975 in Mürzzuschlag, einer kleinen Industriestadt in der Obersteiermark, geboren, schreibt konsequent leidenschaftslos, schildert bisweilen witzig-sarkastisch all diese Widrigkeiten und Zumutungen (den Sonntagsausgehwalkjanker in Hellblau, den Norbert hasst), beschönigt nicht die kleinen und auch großen Fehler seines Protagonisten. Sympathisch ist der nicht, aber man darf mit ihm mitfühlen. Und man kann dieses Buch lesen, wirklich wahr.
MARTIN LHOTZKY
Harald Darer: "Wer mit Hunden schläft". Roman.
Picus Verlag, Wien 2013. 223 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hass auf die Welt und den Sonntagsausgehwalkjanker: Harald Darers Debütroman beschreibt jemanden, der im glücklichen Österreich ganz unglücklich ist.
Eine Kindheit auf dem Land in Österreich, in der Steiermark. Bauernhofkind, dann mit etwa zehn Jahren von der Mutter auf Betreiben des Pfarrers ins Heim gegeben, und zwar nicht bloß in die Nachbarstadt, nein, gleich über den Semmering hinaus, nach Wien. Ganz zufrieden mit der neuen Situation gewesen, erst Lehrling bei der Bundesbahn, dann Fahrer der Straßenbahn - Tramway oder Bim, wie man hier sagt - geworden. Und jetzt, nach einem ziemlich schlimmen Verkehrsunfall, ausgelöst durch menschliches Versagen, wie es heißt, daheim sitzen und auf eine Entscheidung der Behörden warten. Nur der Hund bleibt zum Reden. Menschliche Kontakte? Fehlanzeige!
Das sind so ungefähr die Eckdaten im Leben von Norbert, Herrn Norbert, wie ihn Harald Darer nennt und damit gleich ein bisschen auf Distanz hält. Darers Debütroman "Wer mit Hunden schläft" besticht vom ersten Satz an durch seine eigenwillige lakonische Schreibweise. Ein wenig erinnert Darer damit an Albert Drach und dessen Protokollstil. "Wie jeden Freitag sitzt der Herr Norbert bei seiner vom Gericht verordneten Therapiesitzung im kleinen Therapieraum der ihm zugewiesenen Männerberatungsstelle auf dem abgewetzten Drehsessel." Aber anstatt mit seinem Therapeuten zu reden, erzählt er alles dem Kreisky. Das ist sein Hund, benannt nach dem mittlerweile geradezu legendären österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky. Oft beendet er eine Schilderung mit den Worten "Wirklich wahr" oder auch mit der wohl an die gesamte Menschheit gerichteten Aufforderung, sich geschlossen auf die Toilette zu verziehen. Nett ist das nicht.
Aber man kann ihn verstehen. Das Landleben oder gar das im Kinderheim, mutmaßlich in den siebziger und achtziger Jahren, war, zumal für uneheliche Kinder, alles andere als idyllisch. Auch in Wien, Graz, Innsbruck und so fort tauchen in jüngster Zeit immer neue Vorwürfe auf, untersuchen Kommissionen Missbrauchsfälle, die noch nicht alle verjährt sein dürften. Nichts wirklich Strafbares schildert Harald Darer, nur den deprimierenden Alltag und eine Stimmung, die letztlich die wirklich schlimmen Fälle gleichmütig hingenommen, wenn nicht gar begünstigt hat: Grausamkeiten der Väter und Erzieher, die sich im Tierequälen durch die Kinder fortsetzen, lockerer Umgang mit dem Beichtgeheimnis beim Frühschoppen nach der Messe bis hin zu erzwungenen Abtreibungen.
Harald Darer, 1975 in Mürzzuschlag, einer kleinen Industriestadt in der Obersteiermark, geboren, schreibt konsequent leidenschaftslos, schildert bisweilen witzig-sarkastisch all diese Widrigkeiten und Zumutungen (den Sonntagsausgehwalkjanker in Hellblau, den Norbert hasst), beschönigt nicht die kleinen und auch großen Fehler seines Protagonisten. Sympathisch ist der nicht, aber man darf mit ihm mitfühlen. Und man kann dieses Buch lesen, wirklich wahr.
MARTIN LHOTZKY
Harald Darer: "Wer mit Hunden schläft". Roman.
Picus Verlag, Wien 2013. 223 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Den Groll, den die vom Schicksal arg gebeutelte Hauptfigur in diesem Debüt gegenüber der Menschheit hegt, kann Martin Lhotzky durchaus verstehen. Auch ansonsten ist er diesem Buch wohlgesonnen: Darer schreibt auf sehr eigene Weise lakonisch - Lhotzky sieht eine Nähe zum Stil von Albert Drach - und zudem "konsequent leidenschaftslos" ohne es an sarkastischer Würze fehlen zu lassen, goutiert der Rezensent. Trotz aller Antipathien gegen die wenig sympathische Hauptfigur fühlt der Rezensent eben doch auch mit ihr mit - was auch an der schauderhaften Umwelt liegt, in die der Autor sie geworfen hat. Etwas lapidar, aber Darers Stil wohl angemessen, fällt Lhotzkys Leseempfehlung am Ende seiner vor allem aus einer Inhaltsangabe bestehenden Rezension aus.
© Perlentaucher Medien GmbH
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