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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Der Staat ist schon längst nicht mehr das Böse schlechthin: Robert Habeck stellt Wegweiser auf, wie die Politik der Grünen künftig aussehen könnte.
Von Dirk von Petersdorff
Robert Habeck möchte Spitzenkandidat der Grünen für die kommende Bundestagswahl werden, und da macht es sich gut, aus seinem Leben zu erzählen, seine Überzeugungen zu erklären und zu sagen, was man anders und besser machen möchte als die Konkurrenz. Aber dies ist auch das Buch eines Schriftstellers. Bevor Habeck in die Politik ging, Umweltminister und stellvertretender Ministerpräsident in Schleswig-Holstein wurde, veröffentlichte er gemeinsam mit seiner Frau Andrea Paluch mehrere belletristische Bücher, darunter den Nordsee- und Schimmelreiter-Krimi "Hauke Haiens Tod".
Die Lust am Erzählen ist auch in "Wer wagt, beginnt" zu spüren, so wenn er die Phase als Autor und Vater von drei kleinen Kindern anschaulich schildert: "Nie wieder habe ich in meinem Leben so starken Kaffee getrunken. Und wenn einer den Mittagsschlaf zu früh beendet hatte, dann packten wir ihn in den Kinderwagen, stellten den in die Küche und wippten beim Reden an der Karre, um wenigstens noch ein bisschen arbeiten zu können. Ganze Kapitel entstanden so im Rhythmus des Anschubsens, mit dem Fuß auf dem Rad des wackelnden Kinderwagens."
Stärker als andere Politikerbücher ist Habecks Selbstauskunft daher auch autobiographisch geformt. So sucht er in seiner Jugend und Studienzeit nach "Fingerzeigen" und "Wegweisern" in das spätere Leben. Hier erzählt jemand, wie es ihm ergangen ist, versucht eine Struktur und vielleicht auch einen Sinn darin zu finden. "Wie man wird, was man ist", so hat Nietzsche dieses Muster genannt.
Da Habeck höchst aufmerksam durchs Leben läuft, reichlich Erfahrungen gesammelt hat und eine Freude an der Weltdeutung besitzt, geht es in diesem Buch auch um jene Ideen, die das Politische fundieren. Und da tritt mit Habeck ein neuer Typus bei den Grünen und in der politischen Linken hervor. Das beginnt damit, dass er von der Freiheit des Einzelmenschen ausgeht. Freiheit ist nicht etwas, das man zähneknirschend hinnimmt und irgendwie ins politische Programm integrieren muss, sondern mit der Freiheit fängt alles an.
Diese Freiheit soll man dazu nutzen, vernunftgeleitete Entscheidungen zu treffen - Habeck hält die Fahne der Vernunft hoch, bekennt sich wiederholt zu Kant und zu einer in seiner Freiburger Studienzeit erworbenen gesunden Distanz zu Heidegger. Die Vernunft versucht zum Beispiel das Verhältnis des Menschen zur Natur zu bestimmen, und in der Politik werden dann Entscheidungen getroffen, die die Strukturen der Agrarpolitik ändern. Das aber ist etwas anderes, als den Leuten, wie im letzten Wahlkampf geschehen, einen "Veggie-Day" verordnen zu wollen, denn darin schlug in kurioser Spätgestalt noch einmal die Idee durch, dass der Staat Lebensformen bestimmen solle.
Habeck meint, dass Politik einen Rahmen geben, nicht aber das Bild des Lebens malen soll. Dafür hat er selbst viel zu viel Freude an der unregulierbaren Fülle der Erscheinungen. Hier zeigt sich auch die Zugehörigkeit zu einer Generation - er ist 1969 geboren -, die ohne Masterplan groß wurde, mit Zweifeln imprägniert war und ihre Ideen erst aus dem großen "Kuddelmuddel des Lebens" herausziehen musste. Zur Abrüstung der Großbegriffe gehört schließlich, dass sich Habeck gegen ein zu starkes Verständnis von Natur wendet. Dass die Natur etwas von uns will, dass wir auf die Stimme der Natur hören sollen, dass ein bestimmtes Verhalten naturgemäß sei - damit räumt er auf, schüttelt den zivilisationskritischen Ballast ab, der die deutsche Intellektuellengeschichte, aber auch die Grünen so lange beschwert hat.
Es ist wichtig, dass ein überzeugter Umweltpolitiker so argumentiert, dessen Beschreibungen von Meereslandschaften man anmerkt, wie viel ihm das Erleben der Natur bedeutet. Deshalb plädiert er für einen planerischen Umgang mit ihr, sagt auch einmal, dass Naturschutz unser Leben reicher mache, geht aber eben nicht so weit, ein "echtes" oder "wahres" Leben zu definieren. Es wundert nicht, dass ein solcher Politikertyp keine Probleme mit Institutionen hat. Man muss nicht durch die Institutionen marschieren, sondern kann in ihnen und mit ihnen wirken. Seinen Ministereid hat er mit Ernst gesprochen, aber ein linkes Bekenntnis zum Staat abzulegen fällt ihm nicht schwer.
Manchmal gewinnt man den Eindruck, dass der Staat schon deshalb nichts grundsätzlich Übergriffiges sein kann, weil er es zuließ, dass Robert Habeck Minister wurde. Denn sein Selbstbewusstsein ist gut entwickelt. Und er hat Spaß an der Sache: "Der Fraktionsvorsitz war mir ungeheuer wichtig, und ich freute mich auf jede Landtagssitzung und den Schlagabtausch dort."
Wenn man sagt, dass es sich um einen Politiker mit weitem Horizont handelt, dann ist diese Metapher gerechtfertigt, denn Habeck bekennt sich zur Offenheit des Blicks, die er am Meer gelernt hat. Zu seinem Bildungsroman gehört die Prägung durch die norddeutsche Küstenlandschaft. Dass er nun nach Berlin strebt, ist kein Widerspruch: Das Meer fordert zum Aufbruch.
Robert Habeck: "Wer wagt, beginnt". Die Politik und ich.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2016. 288 S., br., 14,99 [Euro].
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