Die Bildhauerin und Ausdruckstänzerin Oda Schottmüller verkehrte im Freundeskreis um Harro Schulze-Boysen und wurde 1942 von der Gestapo im Rahmen des Fahndungskomplexes 'Rote Kapelle' festgenommen. Man unterstellte ihr, sich an Funkversuchen nach Moskau beteiligt zu haben. Obwohl ihr das nicht nachgewiesen werden konnte, wurde sie zum Tode verurteilt und hingerichtet. Basierend auf der Gestapo-Lüge, der Kreis um Harro Schulze-Boysen sei Teil der sowjetischen Auslandsspionage gewesen, wurde er in der Bundesrepublik bis Mitte der 1980er Jahre aus dem offiziellen Gedenken an den Widerstand gegen das NS-Regime ausgegrenzt; Oda Schottmüller galt als 'Agentenflittchen'. In der DDR hingegen deutete das MfS die 'Rote Kapelle' systematisch zur 'Kundschafterorganisation für die Sowjetunion' um und popularisierte dieses ebenfalls entstellende Geschichtsbild. Geheimdienstmitarbeiter versuchten gar, eine dazu passende Biographie Oda Schottmüllers zu erfinden. Absurder Höhepunkt war die 1983 erschienene Monographie von Norbert Molkenbur und Klaus Hörhold, in der sie Oda Schottmüller zur 'Kundschafterin' und 'sozialistisch-realistischen' Tänzerin verzerrten. Geertje Andresen, die 2005 die erste fundierte Biographie der Künstlerin und Nazigegnerin vorgelegt hat, dekonstruiert in ihrem neuen Buch zahllose Lügen über die 'Rote Kapelle' sowie die Phantasien über Oda Schottmüller. Damit leistet sie zugleich einen wichtigen Beitrag, die politische Mentalitätsgeschichte sowohl der alten Bundesrepublik als auch der DDR zu beschreiben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.12.2012Lügen-Linien
Oda Schottmüller, die Gestapo und das MfS
Die Tänzerin und Bildhauerin Oda Schottmüller verkehrte im Freundeskreis um Harro Schulze-Boysen. Vor 70 Jahren wurde sie im Rahmen der Gestapo-Fahndung "Rote Kapelle" verhaftet und im Januar 1943 vom Reichskriegsgericht wegen "Beihilfe zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und zur Feindbegünstigung" zum Tode verurteilt. Geertje Andresen hinterfragt detailliert - wenn auch mit zu vielen Anmerkungen - jene Zerrbilder, die über die Regimegegnerin nach 1945 im Westen und im Osten Deutschlands in Umlauf waren. In der Bonner Republik diffamierten der ehemalige Ankläger Manfred Roeder, einige Boulevardblätter und der "Spiegel"-Haushistoriker Heinz Höhne die Künstlerin als Triebhaft-Naive, als Geliebte von Schulze-Boysen, der den Reizen der exotisch-schönen Frau erlegen sei und der aus ihrem Berliner Atelier Funkkontakt mit Moskau gehalten habe.
Demgegenüber hielt sich Ost-Berlin bei der Bewertung der "Roten Kapelle" wegen des hohen Mitgliederanteils von "Bürgerlichen" zurück. Erst Mitte der sechziger Jahre nahm sich das Ministerium für Staatssicherheit der Thematik an, behauptete "die angebliche Anleitung der Berliner Gruppen durch die Moskauer Führung der Exil-KPD" und machte aus der "Roten Kapelle" eine "Kundschafterorganisation" für die Sowjetunion. Erich Mielkes Mannen erweckten nun den Eindruck, dass die Kreise um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen eine "Vorläuferinstitution" der im Kalten Krieg zusammenwirkenden Geheimdienste KGB und MfS gewesen seien. Vor der "Konstruktion einer gänzlich falschen Biographie" von Oda Schottmüller sei man dabei nicht zurückgeschreckt, trotz mancher interner Proteste von Überlebenden der "Roten Kapelle". Zur Legendenbildung habe auch der Roman "Die innere Front" von Juri Korolkow beigetragen, dann die 1983 publizierte "Dokumentation" über die Künstlerin von Norbert Molkenbur und Klaus Hörhold. Die mit Fehlern, Verkürzungen und "Erfindungen" behaftete Publikation seziert die Autorin nach allen Regeln der Kunst und wirft Molkenbur und Hörhold vor, "nicht zwischen belegbaren Tatsachen und fiktionalen Schilderungen" zu trennen. Zunächst war in der DDR eine überarbeitete Neuauflage geplant, zu der es schließlich nicht mehr kam.
Die "von Geheimdienstmitarbeitern konstruierten Lügen" würden sich bis heute halten. Oda Schottmüller war "keine Spionin", aber eine "konsequente Gegnerin der Nationalsozialisten", "befreundet mit Menschen, die sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln der NS-Diktatur widersetzen". Sie gab Flugschriften weiter, half rassisch und politisch Verfolgten und wurde "wegen einer unbewiesenen Behauptung am 5. August 1943 in Plötzensee ermordet".
RAINER BLASIUS
Geertje Andresen: Wer war Oda Schottmüller? Zwei Versionen ihrer Biographie und deren Rezeption in der alten Bundesrepublik und in der DDR. Lukas Verlag, Berlin 2012. 248 S.,19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Oda Schottmüller, die Gestapo und das MfS
Die Tänzerin und Bildhauerin Oda Schottmüller verkehrte im Freundeskreis um Harro Schulze-Boysen. Vor 70 Jahren wurde sie im Rahmen der Gestapo-Fahndung "Rote Kapelle" verhaftet und im Januar 1943 vom Reichskriegsgericht wegen "Beihilfe zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und zur Feindbegünstigung" zum Tode verurteilt. Geertje Andresen hinterfragt detailliert - wenn auch mit zu vielen Anmerkungen - jene Zerrbilder, die über die Regimegegnerin nach 1945 im Westen und im Osten Deutschlands in Umlauf waren. In der Bonner Republik diffamierten der ehemalige Ankläger Manfred Roeder, einige Boulevardblätter und der "Spiegel"-Haushistoriker Heinz Höhne die Künstlerin als Triebhaft-Naive, als Geliebte von Schulze-Boysen, der den Reizen der exotisch-schönen Frau erlegen sei und der aus ihrem Berliner Atelier Funkkontakt mit Moskau gehalten habe.
Demgegenüber hielt sich Ost-Berlin bei der Bewertung der "Roten Kapelle" wegen des hohen Mitgliederanteils von "Bürgerlichen" zurück. Erst Mitte der sechziger Jahre nahm sich das Ministerium für Staatssicherheit der Thematik an, behauptete "die angebliche Anleitung der Berliner Gruppen durch die Moskauer Führung der Exil-KPD" und machte aus der "Roten Kapelle" eine "Kundschafterorganisation" für die Sowjetunion. Erich Mielkes Mannen erweckten nun den Eindruck, dass die Kreise um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen eine "Vorläuferinstitution" der im Kalten Krieg zusammenwirkenden Geheimdienste KGB und MfS gewesen seien. Vor der "Konstruktion einer gänzlich falschen Biographie" von Oda Schottmüller sei man dabei nicht zurückgeschreckt, trotz mancher interner Proteste von Überlebenden der "Roten Kapelle". Zur Legendenbildung habe auch der Roman "Die innere Front" von Juri Korolkow beigetragen, dann die 1983 publizierte "Dokumentation" über die Künstlerin von Norbert Molkenbur und Klaus Hörhold. Die mit Fehlern, Verkürzungen und "Erfindungen" behaftete Publikation seziert die Autorin nach allen Regeln der Kunst und wirft Molkenbur und Hörhold vor, "nicht zwischen belegbaren Tatsachen und fiktionalen Schilderungen" zu trennen. Zunächst war in der DDR eine überarbeitete Neuauflage geplant, zu der es schließlich nicht mehr kam.
Die "von Geheimdienstmitarbeitern konstruierten Lügen" würden sich bis heute halten. Oda Schottmüller war "keine Spionin", aber eine "konsequente Gegnerin der Nationalsozialisten", "befreundet mit Menschen, die sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln der NS-Diktatur widersetzen". Sie gab Flugschriften weiter, half rassisch und politisch Verfolgten und wurde "wegen einer unbewiesenen Behauptung am 5. August 1943 in Plötzensee ermordet".
RAINER BLASIUS
Geertje Andresen: Wer war Oda Schottmüller? Zwei Versionen ihrer Biographie und deren Rezeption in der alten Bundesrepublik und in der DDR. Lukas Verlag, Berlin 2012. 248 S.,19,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main