"Das ist zu gefährlich für dich! Mach dich nicht schmutzig!" Erziehungsgrundsätze wie diese sorgen dafür, dass Mädchen eine körperliche Zurückhaltung entwickeln. Doch warum werden Mädchen so häufig konditioniert, ihre Körper als derart zerbrechlich zu empfinden? Und wie wird Körperwahrnehmung gesellschaftlich konstruiert, und zwar auch jenseits der Sphäre der Erziehung? – Iris Marion Youngs Aufsatz gilt als Klassiker der feministischen Theorie. Die Politikwissenschaftlerin macht auf die empirischen Unterschiede männlichen und weiblichen Körperverhaltens aufmerksam und lenkt den Blick auf geschlechtsbedingte Ungerechtigkeiten, die noch heute der Überwindung harren.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.01.2021Körper in Bewegung
"Throwing like a girl" - wie ein Mädchen zu werfen - war lange ein geflügeltes Wort, um Jungs zu beleidigen, die es im Sport einfach nicht so drauf hatten. Es ist aber auch der Titel eines der berühmtesten Aufsätze feministischer Theorie. In ihrem erstmals 1980 erschienenen Essay ging die 2006 verstorbene amerikanische Politikwissenschaftlerin Iris Marion Young der Frage nach, warum Frauen, wie sie sagt, anders werfen als Männer. Denn der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Bewegungsabläufen zeige sich vor allem an der Tatsache, dass Männer ihren ganzen Körper zum Einsatz brächten, Frauen dagegen nicht. Young, die sich in ihrem Text in großen Teilen auf Simone de Beauvoir bezieht, spricht ausschließlich von "Frauen in zeitgenössischen, fortgeschritten industrialisierten, städtischen Handlungsgesellschaften". Diese Einschränkung stellt sich vierzig Jahre nach Erscheinen des Aufsatzes als allzu wahr heraus: Liest man Youngs Beschreibungen weiblicher Bewegungsabläufe, so hat man unwillkürlich ein zartes - vermutlich weißes - Mädchen der Mittelschicht vor Augen, das mit vielen selbstbewussten sportlichen Mädchen heutzutage nicht besonders viel gemein hat.
Trotzdem gibt es gute Gründe, Youngs Text wiederzuentdecken. Denn die Autorin beschreibt, was es mit Mädchen macht, wenn ihnen von klein auf beigebracht wird, auf ihr Äußeres zu achten. Das führt dazu, dass Mädchen ihren Körper deutlicher als Jungen als Objekt wahrnehmen und so in ihren Bewegungsabläufen im Vergleich gehemmter seien. Selbst wenn viele Frauen sich inzwischen weniger um gesellschaftliche Urteile scheren und es jede Menge erfolgreicher Sportlerinnen gibt, genügt ein Blick in die Sportberichterstattung, um zu sehen, wie unterschiedlich Männer und Frauen nicht nur in diesem Kontext immer noch wahrgenommen und kommentiert werden.
anvo
Iris Marion Young: "Werfen wie ein Mädchen". Ein Essay über weibliches Körperbewusstsein.
Reclam Verlag, Leipzig 2020. 70 S., br., 6,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Throwing like a girl" - wie ein Mädchen zu werfen - war lange ein geflügeltes Wort, um Jungs zu beleidigen, die es im Sport einfach nicht so drauf hatten. Es ist aber auch der Titel eines der berühmtesten Aufsätze feministischer Theorie. In ihrem erstmals 1980 erschienenen Essay ging die 2006 verstorbene amerikanische Politikwissenschaftlerin Iris Marion Young der Frage nach, warum Frauen, wie sie sagt, anders werfen als Männer. Denn der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Bewegungsabläufen zeige sich vor allem an der Tatsache, dass Männer ihren ganzen Körper zum Einsatz brächten, Frauen dagegen nicht. Young, die sich in ihrem Text in großen Teilen auf Simone de Beauvoir bezieht, spricht ausschließlich von "Frauen in zeitgenössischen, fortgeschritten industrialisierten, städtischen Handlungsgesellschaften". Diese Einschränkung stellt sich vierzig Jahre nach Erscheinen des Aufsatzes als allzu wahr heraus: Liest man Youngs Beschreibungen weiblicher Bewegungsabläufe, so hat man unwillkürlich ein zartes - vermutlich weißes - Mädchen der Mittelschicht vor Augen, das mit vielen selbstbewussten sportlichen Mädchen heutzutage nicht besonders viel gemein hat.
Trotzdem gibt es gute Gründe, Youngs Text wiederzuentdecken. Denn die Autorin beschreibt, was es mit Mädchen macht, wenn ihnen von klein auf beigebracht wird, auf ihr Äußeres zu achten. Das führt dazu, dass Mädchen ihren Körper deutlicher als Jungen als Objekt wahrnehmen und so in ihren Bewegungsabläufen im Vergleich gehemmter seien. Selbst wenn viele Frauen sich inzwischen weniger um gesellschaftliche Urteile scheren und es jede Menge erfolgreicher Sportlerinnen gibt, genügt ein Blick in die Sportberichterstattung, um zu sehen, wie unterschiedlich Männer und Frauen nicht nur in diesem Kontext immer noch wahrgenommen und kommentiert werden.
anvo
Iris Marion Young: "Werfen wie ein Mädchen". Ein Essay über weibliches Körperbewusstsein.
Reclam Verlag, Leipzig 2020. 70 S., br., 6,- [Euro].
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