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Werte sind selbstverständlich. Über sie redet jeder. Und jeder nimmt sie für sich in Anspruch. Häufig für Widersprüchliches: beispielsweise ebenso dafür, sich für Flüchtlinge einzusetzen, wie dafür, sie abzuweisen. Werte scheinen allgegenwärtig und alternativlos. Und doch sind Werte eine moderne Erfindung und näher besehen gar nicht selbstverständlich. Dieses Buch fragt, worüber wir reden, wenn wir über Werte reden und sie in Anspruch nehmen. Vielleicht gibt es keine Werte. Vielleicht sind Werte Fiktionen. Vielleicht aber nützliche Fiktionen.

Produktbeschreibung
Werte sind selbstverständlich. Über sie redet jeder. Und jeder nimmt sie für sich in Anspruch. Häufig für Widersprüchliches: beispielsweise ebenso dafür, sich für Flüchtlinge einzusetzen, wie dafür, sie abzuweisen. Werte scheinen allgegenwärtig und alternativlos. Und doch sind Werte eine moderne Erfindung und näher besehen gar nicht selbstverständlich. Dieses Buch fragt, worüber wir reden, wenn wir über Werte reden und sie in Anspruch nehmen. Vielleicht gibt es keine Werte. Vielleicht sind Werte Fiktionen. Vielleicht aber nützliche Fiktionen.
Autorenporträt
Andreas Urs Sommer (*1972) lehrt Philosophie an der Universität Freiburg i.B. und leitet die Forschungsstelle Nietzsche-Kommentar der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Einem breiteren Publikum ist er mit Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln sowie insbesondere mit seinen Büchern "Die Kunst, selber zu denken", "Lohnt es sich, ein guter Mensch zu sein?" sowie "Die Kunst des Zweifelns" bekannt geworden.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Michael Pawlik findet das Buch des Philosophen Andreas Urs Sommer wertvoll. Allerdings nicht als Darstellung der Zusammenhänge zwischen Massendemokratie, Medienöffentlichkeit und Wertediskurs, sondern als Skizze einer Naturgeschichte der Werte. Was Sommer über Werte und ihre gesellschaftliche Funktion herauszufinden vermag (sie bieten Vielfalt und Wandlungsfähigkeit), genügt Pawlik allerdings nicht. Zumal der Autor zu einer Verzerrung philosophischer Ethikmodelle neigt, um die Werterhetorik zu preisen, wie er erklärt. Dass der Wertebesitz nicht per se Zusammenhalt stiftet, sondern erst die allgemeine Akzeptanz der Werte, kommt für Pawlik bei Sommer auch zu wenig durch. Ihre nivellierende Kraft allerdings kann ihm der Autor nachvollziehbar als spezifische Qualität der Werte darstellen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.09.2016

Zum Juchtenkäfer fällt jedem etwas ein

Prinzipien, Pflichten? Das war einmal. Der Philosoph Andreas Urs Sommer geht der Frage nach, warum wir so bereitwillig von Werten reden und sie dabei ständig neu definieren. Und was das über unsere Gesellschaft verrät.

Heutige Moralphilosophen diskutieren über den kategorischen Imperativ oder das größte Glück der größten Zahl. Die Politiker sprechen derweil über Werte. Ob in der Eurokrise, der Flüchtlingsfrage oder der Burka-Diskussion, gegen die Beschwörung "unserer Werte" hat die Berufung auf die weniger emphatischen Kategorien des Rechts oder gar des Interesses kaum eine Chance. Die eher zartbesaiteten Kritiker dieser Werthuberei pflegen deren intellektuelle Unzulänglichkeit zu beklagen, während ihre polemischer veranlagten Kollegen eine "Tyrannei der Werte" heraufziehen sehen.

Verheißungsvoller als diese inzwischen reichlich abgedroschenen Vorwürfe sind die Fragen, mit denen der Freiburger Philosoph Andreas Urs Sommer den Werten zu Leibe rückt. Sein Standpunkt ist nicht derjenige eines Teilnehmers an der Wertediskussion, sondern derjenige eines Beobachters. Statt der Semantik der Werte ein weiteres Mal die Leviten zu lesen und daraufhin miterleben zu müssen, dass diese sich dadurch nicht im mindesten irritieren lässt, sucht Sommer die Gründe zu ermitteln, denen die Werte ihre diskursive Attraktivität verdanken. "Was verrät es über eine Gesellschaft, dass sie ausgerechnet Werte braucht? Welchen Sinn, welchen Nutzen hat es für eine Gesellschaft, sich über Werte zu definieren?"

Der gesellschaftliche Nutzen der Werte liegt Sommer zufolge ausgerechnet in jener Eigenschaft, die aus der Sicht der philosophischen Kritiker ihre zentrale Schwäche darstellt: ihrer Vielfalt und Veränderungsanfälligkeit. Zum einen werden laufend neue Werte in die Welt gesetzt, während andere zurücktreten und schließlich in gesellschaftlichen Nischen verschwinden. Wer sich vor einer Generation in einer westdeutschen Vorstadtsiedlung zu den Werten sexueller Vielfalt oder einer ökologisch korrekten Ernährung bekannt hätte, wäre bestenfalls ungläubig angestarrt worden. Wer umgekehrt dort heute noch vom Wert der Pflichterfüllung für das Vaterland spricht, gilt als Fall für den Verfassungsschutz.

Zum anderen wird das Verhältnis der vorhandenen Werte zueinander beständig neu ausbalanciert, was zu ebenso subtilen wie tiefgreifenden inhaltlichen Verschiebungen führt. So hat die rasant gestiegene Wertschätzung der beruflichen Selbstverwirklichung von Frauen zu einer weitreichenden Neudefinition des Werts elterlicher Fürsorge geführt. Wahre Fürsorge zeigt sich jetzt darin, den Kindern möglichst frühzeitig die Segnungen professioneller Fremdbetreuung zukommen zu lassen, statt sie egoistisch zu Hause zu behalten.

Dank ihrer Wandlungsfähigkeit vermögen Werte nach Sommers Überzeugung der Dynamik, die die Moderne auszeichnet, weitaus besser Rechnung zu tragen als die herkömmlichen Prinzipien-, Pflichten- oder Tugendethiken. Modernität bedeute vor allem eine Vervielfältigung der Lebenswirklichkeiten. Die Pluralisierung unseres Lebens aber erfordere eine Pluralisierung der seiner Bewältigung dienenden Werte. "Wir brauchen für all die unterschiedlichen Bereiche unserer Leben unterschiedliche Werte, weil diese Leben anders als die Leben in traditionalen Gesellschaften unterschiedlichste Facetten aufweisen. Diese Polymorphie unserer modernen Leben lässt sich nicht auf die Kanten eines so groben Klotzes zurechtzimmern, wie es das Gute mit seinen vermeintlich ein- für allemal festgelegten Maßen war." Ein Wechsel der Werte und ein ständiges Neuaustarieren ihres situativen Gebrauchsnutzens seien vor diesem Hintergrund nicht nur unvermeidlich, sondern sinnvoll, weil sie unseren Wirklichkeitszugriff und unsere Wirklichkeitsmodellierung verfeinerten.

Damit verzerrt Sommer Anspruch und Leistungsfähigkeit der philosophisch dominierenden Ethikmodelle allerdings fast bis zur Karikatur. Keines dieser Modelle läuft auf die Proklamierung eines unveränderlichen Normenkatalogs hinaus. Gerade um eine solche Konsequenz zu vermeiden, fasst Kant seinen kategorischen Imperativ als ein rein formales Beurteilungsprinzip, betont Hegel die Geschichtlichkeit des objektiven Geistes und beziehen sich die Utilitaristen auf die konkreten gesellschaftlichen Interessen und Bedürfnisse.

Was diese Konzeptionen tatsächlich von der Werterhetorik unterscheidet, ist ihr Verständnis dessen, was eine gute Begründung ausmacht. Statt Werte einfach als geltend zu behaupten, suchen sie deren Relevanz durch höherstufige Begründungs- und Legitimationsmaßstäbe auszuweisen. Man glaubt Sommer zwar aufs Wort, dass derartige Anforderungen im Kampf um die diskursive Deutungshoheit lästig erscheinen. Aber Sommer äußert sich nicht als Politikberater, sondern als Philosoph. Dass er den diskursstrategischen Vorzug der Werterhetorik unterstreicht, den dafür zu zahlenden Preis in Gestalt einer begründungstheoretischen Niveauabsenkung aber verschweigt, ist enttäuschend.

Nicht weniger anfechtbar ist ein zweiter von Sommer vorgetragener Begründungsansatz. Dank ihrer Unbestimmtheit seien Werte Projektionsflächen, die es einem jeden erlaubten, darauf einzutragen, was er für wichtig halte. Der Hedonist könne sich ebenso zu Werten bekennen wie der Idealist, der Kantianer ebenso wie der Utilitarist - vom Christen und seinen christlichen Werten ganz zu schweigen. "Solche Projektionsflächen sind jetzt und künftig nötig, weil unterschiedlichste Menschen in modernen Gesellschaften zusammenfinden müssen, deren Bedürfnisse, Interessen, Präferenzen denkbar verschieden sind. Unter der Projektionspräambel von Werten können sie sich zusammenfinden."

Wirklich? Auch IS-Terroristen haben bekanntlich ihre Werte. Ihre Untaten werden dadurch aber um keinen Deut entschuldbarer. Nicht der Besitz von Werten als solcher, sondern die Akzeptabilität dieser Werte für andere stiftet Zusammengehörigkeit.

Näher an die Ursachen des Erfolgs der Wertesemantik gegenüber ihren philosophisch besser beleumdeten Konkurrentinnen führt eine dritte Überlegung Sommers. Die spezifische Qualität der Werte besteht danach in ihrer nivellierenden Kraft. "Was das Geld in der sozialen Alltagspraxis ermöglicht, ermöglichen die Werte in der sozialen Denk- und Gefühlspraxis. Werte sind ein Zaubermittel, alles mit allem in Beziehung zu setzen." Eine bestimmte Kleiderordnung am Strand kann so zur Repräsentantin des Werts der Laizität aufsteigen, und der Erhalt einer Juchtenkäferkolonie kann für wertvoller erklärt werden als ein Bahnhofsneubau. Die Hochschätzung der Werte, denen, wie Sommer zu Recht hervorhebt, der Relativismus notwendig eingepflanzt ist, reflektiert zugleich die Aversion moderner Gesellschaften gegen alles Absolute, der Verrechenbarkeit Entzogene. Insofern kommt der Rede von den Werten hierzulande eine ähnliche Funktion zu, wie sie im englischsprachigen Raum der Utilitarismus übernimmt.

Vor allem aber erlaubt es die Wertesemantik kraft ihrer Tendenz zu Amalgamierungen, sämtliche Sachprobleme als Moralfragen zu deklarieren und sie damit auf ein Feld zu verlagern, in dem sich jedermann ein Urteil zutraut. Im Hinblick auf ihre politische Mobilisierungskraft sind die Werte deshalb unschlagbar. Was die Einzelregelungen des TTIP genau besagen, vermögen allenfalls Experten einzuschätzen. Dass dadurch unseren Werten schwerer Schaden zugefügt werden würde, weiß auch die evangelische Kirche in der Wetterau. Leider blendet Sommer den Zusammenhang zwischen Massendemokratie, Medienöffentlichkeit und Werterhetorik weitgehend aus. Dadurch vergibt er ein Gutteil der in seiner Themenstellung steckenden Möglichkeiten. Als "Skizze zu einer historia naturalis valorum, einer Naturgeschichte der Werte, die andere schreiben mögen", ist sein Buch aber trotzdem anregend, Verzeihung: wertvoll.

MICHAEL PAWLIK.

Andreas Urs Sommer: "Werte". Warum man sie braucht, obwohl es sie nicht gibt.

J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2016. 199 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.12.2016

Lob der Unschärfe
Der Philosoph Andreas Urs Sommer diskutiert, wie fiktiv Werte sein dürfen und wie sie funktionieren
Nicht wenige Menschen glauben an die Existenz von Engeln, Vampiren, Gnomen und gar Spaghetti-Monstern. Sehr viel mehr noch beschwören das Vorhandensein von Werten. Gerade in Krisen des demokratischen Gemeinwesens klagen diese „Wertgläubigen“ über den Rechtsgehorsam der Bürger hinaus eine innere Bindung an „Grundwerte“ sowie zivilreligiöse Treue zu „unserer westlichen Wertegemeinschaft“ ein. Gern wird auch über „Werteverfall“ gejammert und eine neue „objektive Werteordnung“ gefordert. Mit Begriffen wie „Wertewandel“, „Werturteil“, „Mehrwert“ und „Wertepluralismus“ wird der Wertbegriff in ganz unterschiedlichen diskursiven Kontexten verwendet.
Der Freiburger Philosoph Andreas Urs Sommer spricht deshalb von „inflationärem Wertgerede“ und will die in den offenen Gesellschaften „des Westens“ herrschende „soziale Nötigung zum Werteglauben“ kritisch untersuchen. Diese Kritik dient einer konstruktiven Absicht: Sommer möchte zeigen, dass schnell sich wandelnde moderne Gesellschaften auf immer neue Wertdebatten angewiesen sind. Seine Analysen des möglichen Nachteils von Wertrhetorik dient der Bekräftigung ihres Nutzens.
In einem unterhaltsam zu lesenden, weil weithin ohne philosophischen Jargon geschriebenen Essay will der prominente Nietzsche-Forscher drei relativ simple, aber bald in elementare Ungewissheit führende Fragen beantworten: Was ist das, woran ich zu glauben genötigt werde? Warum soll ich an Werte zu glauben genötigt sein? Schließlich: Was sagt es über eine moderne Gesellschaft aus, dass sie nach Meinung vieler Leute unausweichlich Werte braucht?
Wert war ursprünglich ein Begriff der ökonomischen Sprache. Erst vergleichsweise spät, im frühen 19. Jahrhundert, wanderte er allmählich in ethische Diskurse ein. Nicht nur jüdische wie christliche Theologen und Philosophen benutzten ihn, sondern auch gelehrte Juristen, vor allem Staatsrechtslehrer, und Sozialwissenschaftler. Doch trotz aller akademischen Bemühungen, begrifflich prägnant anzugeben, was denn ein Wert sei, blieb die Karriere des ethischen Begriffs immer von scharfer Kritik begleitet. Für diese Kritiker waren Werte nur leere Worte, mit denen die Werteprediger bloß ihre eigenen, also partikularen moralischen Normen anderen aufzuzwingen suchten.
Der Gegeneinwand, dass wir fortwährend bewerten und dabei immer schon die Existenz von „Werten“ voraussetzten, wird von Sommer klug entkräftet. Obgleich er durch kritische Analyse die Leistungskraft von Wertedebatten erweisen will, lehnt er jede Wertontologie mit ihrem Glauben an das Immerschongegebensein von Werten in einem „Wertehimmel“ ab. Gegen jede „materiale Wertethik“, wie sie vor allem katholische Gelehrte im Anschluss an Max Scheler entwarfen, mobilisiert er „hochdosierte Skepsis“ und erklärt „Werte“ zu „Fiktionen“.
Dies schließe ihre „Existenz“ jedoch nicht aus. Nicht nur werde „Existenz überschätzt“. Vielmehr müsse man auch den Seinsbegriff differenzieren und unterschiedliche Modi von Existenz unterscheiden. Auch flüchtige Gedanken oder von Menschen entworfene Fiktionen seien Fakten. In kritischer Auseinandersetzung mit den Kulturwerttheorien der Südwestdeutschen Schule des Neukantianismus um Wilhelm Windelband und Heinrich Rickert sieht Sommer in Werten „Als Ob-Substanzen“. Gültig sind sie insoweit, „als ob“ es sie tatsächlich gäbe.
Stärker als andere Verteidiger des Wertbegriffs betont Sommer die Geschichtlichkeit und hohe Plastizität moralischer Werte. Sie veränderten sich fortlaufend, und durch die Pluralisierung von Werten würden fortwährend neue Werte gezeugt. Seine Sicht des Wertewandels fasst Sommer in einer überraschenden These zusammen: Die für moderne Gesellschaften typische Moralinflation bedeute keine Entwertung von Werten, sondern umgekehrt deren Stärkung und Aufwertung. Wertedeflation mit der Tendenz zur Minimierung oder gar Abschaffung des Wertepluralismus drohe nur in die diktatorische Alleinherrschaft eines einzigen Letztwertes zu führen. Sommer verweist dazu auf die von Vordenkern des Nationalsozialismus geschätzte Rede von den „arischen Werten“.
Die fortwährende Steigerung von Wertevielfalt erzeugt das Folgeproblem, dass sich die vielen Werte wechselseitig relativieren. Sommer empfiehlt, die in allem Wertdenken angelegte Tendenz zum moralischen Relativismus gelassen hinzunehmen. Er lobt die notorische Unschärfe und diffuse Mehrdeutigkeit seines „Wertepluriversums“ als Befreiung von all jenen normativen Zwängen, die mit binären ethischen Codes wie „gut“ und „böse“ erzeugt würden. Die Übernahme von Begriffen Niklas Luhmanns kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sommer dessen These, Werte versprächen viel, hielten aber nichts, unterlaufen will. In einer funktional differenzierten Gesellschaft mit ihren je autonomen heterogenen Kultursphären könnten Werte die Grenzen zwischen den eigengesetzlichen Funktionslogiken überbrücken und erlaubten als „Verbindungsmaschinen“, „Beziehungsgeneratoren“ und „Transfervirtuosen“ ganz neue „Synthetisierungsleistungen“ zwischen dem sonst different Bleibenden.
In schwärmerischem Ton schreibt Sommer den Werten die Fähigkeit zu, analog zum Geld, dem allgemeinen Tauschmittel, alles mit jedem verbinden zu können. Wie sich die behauptete universale Verknüpfungskraft zur Einsicht verhält, dass Werte oft nur gruppenspezifisch sind und die normativen Konflikte in pluralistischen Gesellschaften gerade die elementaren Wertdissense zwischen konkurrierenden gesellschaftlichen Akteuren widerspiegeln, erklärt er nicht.
Sein Loblied der Wertevielfalt ist hier allzu eintönig. Bei Max Weber schließt der „Polytheismus der Werte“ eben auch harten Kampf ums Überleben der eigenen Gruppen mit ihren besonderen Wertorientierungen ein. Hier lässt sich im freien Spiel der vielen Kräfte nichts mit Werten „in der Schwebe halten“. Sie sind eben nicht nur „Beziehungsfiktionen, die potentiell alles mit allem in Verbindung setzen“, sondern zugleich auch Grenzmarker, die moralische Binnenwelten vor ihren Umwelten schützen wollen. Obendrein können Werte auch als Waffen im Ideenkampf dienen.
Bleibt noch eine Anmerkung zum Begriff der „Fiktionen“. Immer wieder betont Sommer, dass Menschen Werte nicht als gegeben vorfinden, sondern dass sie sich selbst ihre Werte machen. Wenn „Überzeugungen religiös-metaphysischer Arbeit ihre Bindungsfunktionen nicht länger gewährleisten“ können, sollen Werte den benötigten „neuen Kitt“ bieten. „All das natürlich unter der Bedingung, dass wir so tun, als ob es sie gäbe.“ Wer da nicht mitspielen will, wird bald als ein Gegner ausgegrenzt, der ans „metaphysische Gespenst des Universalismus“ glaubt. Kennt der Freiburger Nietzsche-Deuter keine guten Gründe für einen postmetaphysischen ethischen Universalismus? Die postmoderne Lässigkeit, mit der hier universalisierbare ethische Prinzipien verabschiedet werden, überrascht. Sind wirklich alle Werte gleich gültig? Sommers Rede von Werten als notwendigen „Fiktionen“ bleibt im Entscheidenden aporetisch. Werden Fiktionen als unverzichtbar entworfen, muss man ihren spezifischen Existenzmodus als „gemacht als nicht-gemacht“ bestimmen. Doch genau so gewinnen Werte unkontrollierbare Eigenmacht über ihre Produzenten.
FRIEDRICH WILHELM GRAF
Andreas Urs Sommer: Werte. Warum man sie braucht, obwohl es sie nicht gibt. Verlag J. B. Metzler, Stuttgart 2016. 199 Seiten, 19,95 Euro.
Eine Wertontologie lehnt Sommer
ab, Werte kommen
nicht aus einem „Wertehimmel“
Werte versprächen viel,
erklärte Niklas Luhmann,
hielten aber nichts
Sommers Rede von Werten als
notwendigen „Fiktionen“ bleibt
im Entscheidenden aporetisch
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"... lässt auch nicht eine gehörige Portion Ironie vermissen, eine Mischung, die die Lektüre auch zu einem sprachlichen Vergnügen werden lässt. Gerade in einer Zeit, in der moralisierende Parolen immer mehr rationale Argumente ersetzen, ist sein Buch über Werte ebenso empfehlenswert wie nötig." (Prof. Dr. Thomas Rießinger, in: Aufklärung und Kritik, Heft 3, 2016)