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Goethes Roman von den »Leiden des jungen Werthers« war ein Großereignis der deutschen und europäischen Literaturgeschichte. Worüber diskutierte die Lesewelt 1774, wen traf der eben 25-jährige Autor – und was passierte sonst in Europa und der Welt? Davon erzählt dieses Panorama: Tagesgenau, reich bebildert mit zeitgenössischen Porträts, ergänzt durch eine Galerie wichtiger oder kurioser Bücher aller Fachgebiete, die zugleich erschienen. Der Streifzug führt von Kapitän Cooks Antarktis-Fahrten über Operntriumphe in Paris bis zu den Hochstapeleien einer falschen Zarin; man erfährt von…mehr

Produktbeschreibung
Goethes Roman von den »Leiden des jungen Werthers« war ein Großereignis der deutschen und europäischen Literaturgeschichte. Worüber diskutierte die Lesewelt 1774, wen traf der eben 25-jährige Autor – und was passierte sonst in Europa und der Welt? Davon erzählt dieses Panorama: Tagesgenau, reich bebildert mit zeitgenössischen Porträts, ergänzt durch eine Galerie wichtiger oder kurioser Bücher aller Fachgebiete, die zugleich erschienen. Der Streifzug führt von Kapitän Cooks Antarktis-Fahrten über Operntriumphe in Paris bis zu den Hochstapeleien einer falschen Zarin; man erfährt von Turmfrisuren, Rokoko-Palästen, Sektierern und Erpressern, von fleißigen Kupferstechern und findigen Physikern, erlebt Professoren als Kurgäste und Monarchen bei der riskanten Pockenimpfung. Man hört vom ersten recycelten Papier, ja sogar einem elektrischen Telegraphen. Aber auch einige Anzeichen revolutionären Geistes sind schon zu spüren.
Autorenporträt
Johannes Saltzwedel, geboren 1962, ist promovierter Germanist und Kulturhistoriker und Goethe-Forscher aus Leidenschaft. Dreißig Jahre arbeitete er als Redakteur in Hamburg. Bei zu Klampen veröffentlichte er 'Finderglück' (2010) und 'Werthers Welt' (2023).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.2023

Wie das Eau de Werther wohl gerochen haben mag?
Bilder, Bücher und Geschichten: Johannes Saltzwedel versammelt vermischte Nachrichten aus dem Jahr 1774

Am 19. September 1774 hielt Goethe die ersten drei Exemplare seines größten Buchmarkterfolgs in den Händen: "Die Leiden des jungen Werthers". Ein Exemplar schickte er an Sophie La Roche, von deren Tochter Maximiliane sich Goethe die schwarzen Augen für Werthers geliebte Lotte geliehen hatte. Ein zweites Exemplar ging an Charlotte Kestner, die Namensgeberin. Beide Frauen hatte Goethe vor deren Heirat kennengelernt. Mit Christian Kestner verstand er sich mindestens so gut wie Werther mit Albert, Lottes Verlobtem und späterem Ehemann, der die Eskapaden des Hausfreunds erstaunlich billigend hinnahm. Peter Anton Brentano betrachtete die Beziehung des jungen Frankfurter Anwalts und angehenden Literaturstars mit seiner zwanzig Jahre jüngeren Ehefrau weniger konziliant und ließ es zum Eklat kommen. Nimmt man dann noch den Selbstmord von Carl Wilhelm Jerusalem hinzu, den Goethe vom Studium kannte und der ebenfalls in eine Dreiecksbeziehung verstrickt war, dann wird klar, wie schnell die "Leiden des jungen Werthers" in die vermischten Nachrichten von Spätaufklärung und Sturm und Drang führen.

Johannes Saltzwedel hat diesen Weg konsequent eingeschlagen und "Werthers Welt" aus der Perspektive der Faits divers betrachtet. Für das Erscheinungsjahr des Romans hat er zu jedem Tag Bedeutendes und Unbedeutendes gesammelt, treffend illustriert und mit kurzen Essays über philosophische, theologische und literarische Schriften der Zeit verbunden, sodass "das Jahr 1774 in Bildern, Büchern und Geschichten" vor dem geistigen Auge wiederersteht. So erfahren wir etwa, dass am 4. März 1774 Johann Jacob Wilhelm Heinse in Halberstadt ein Gedicht zu einer Sammlung von Johann Wilhelm Ludwig Gleim beigetragen hat; dass in Wetzlar ein Kammergerichts-Assessor, den Goethe in "Götz von Berlichingen" in der Figur des "Sapupi" verspottet hatte, abgesetzt wurde; dass Friedrich Wilhelm Herschel in Bath "mit einem selbstgebauten sechs Fuß langen Spiegelteleskop" den Orionnebel gesichtet hat, womit seine jahrelangen Forschungen zu Sternennebeln begannen; und dass in London ein Shakespeare-Kommentator, ein frisch entlassener Finanzsekretär, ein Politiker sowie ein Arzt als neue Mitglieder in Dr. Johnsons "Literary Club" aufgenommen wurden.

Selbst an Kennern des achtzehnten Jahrhunderts wird vieles von diesen Informationssternschnuppen vorbeirauschen, so wie man sich auch im Vermischten aktueller Tageszeitungen häufig fragt, warum dieses oder jenes Ereignis erwähnt wird (und nicht ein anderes) und warum es dieser Viertel-, Halb- oder Ganzprominente und jene Allerweltsperson bis auf den raren Platz der Zeitungsseite geschafft hat. Dass Saltzwedel das alles kommentarlos darbietet, ist ein interessantes Experiment, weil sich auf den Seiten seines Buchs vieles von dem verfängt, was normalerweise durchs historiographische Aufmerksamkeitsraster fällt. In gewisser Weise macht die Aufzeichnung der Vergangenheit in Form der vermischten Nachrichten die heimlichen geschichtsphilosophischen Muster bewusst, die dafür sorgen, dass man bestimmte Phänomene für wichtig, merkwürdig und studierenswert hält, andere hingegen nicht. Das entspricht ganz dem Zeitgeist von "Werthers Welt", in der die Effekte von scheinbaren "Kleinigkeiten" in der Psychologie, Kriminalistik, Jurisprudenz und gerade auch in der Romankunst immer wichtiger genommen wurden.

Einen etwas anderen Dreh bekommt das Vorgehen durch die "Vorbemerkung": Saltzwedel war vor einigen Jahren durch die - erst verdeckte, dann offene - Empfehlung von Rolf Peter Sieferles rechtslastiger Gedankensammlung "Finis Germania" in die Schlagzeilen geraten. Mit dem eigentlich eher unnötigen Hinweis, dass sich "Werthers Welt" in "Ausdruck und Schreibart ... fern von den Torheiten des momentanen Zeitgeistes" halte, stimmt er einen zeitkritischen Grundton an. Das Buch denkt er all jenen zu, "die das deutsch-europäische Geistesleben in seinem unerschöpflichen Reichtum noch ehren und lieben" - je nach Einstellung liest sich das "noch" mit mehr oder weniger großem kulturpessimistischen Akzent.

Diese "Vorbemerkung" ist nun deswegen so interessant, weil Goethes Roman tatsächlich immer schon die Frage provoziert hat, wie nah oder fern "Werthers Welt" den Nachkommen liegt. Handelt es sich um eine weit zurückliegende Epoche, die historiographisch gegen die "Torheiten des momentanen Zeitgeistes" und das Vergessen auf verlorenem Posten verteidigt werden muss? Oder um eine Phase des Umbruchs, in der die Weichen in Richtung Moderne gestellt werden und das "Alte Europa" für die jüngere Generation langsam als Vergangenheit Kontur gewinnt? Warum geistert der Held von Goethes erstem Roman so stabil durch jene Literatur, die gerade jugendliche Leser mitnimmt? Hätte sich Werther für eine Datensammlung wie die von Saltzwedel interessiert? Vermutlich wäre sie ihm zu antiquarisch gewesen, zu weit entfernt vom eigenen Leben.

Werther und Lotte lernen sich nicht umsonst beim Geplauder über aktuelle Familien- und Liebesromane auf dem Weg zu einer Party kennen. Sie kommen sich im Licht Klopstocks näher, dessen Oden sie wie die Songs einer gerade angesagten Band verinnerlicht haben. Der Roman erscheint in handlichem Format, sodass man das Buch immer bei sich tragen kann, so wie Werther dies mit dem geliebten "Homer" tut, als Albert ihm anstelle einer gelehrten Großedition eine kleine Taschenbuchausgabe geschenkt hat. Nicht umsonst schließt sich an den "Werther" eine der ersten großen Merchandisingkampagnen an: Kaffeeservice mit Werther-Motiven, Accessoires, Schmuck, Kleidung. Es soll sogar ein Parfum namens "Eau de Werther" gegeben haben. Und wie steht es um die Sprache dieses hinreißenden Buchs? "Unter uns", notiert Werther am 30. Juli 1771, "ich passe die Zeit ab, wenn er zu tun hat; wutsch! Bin ich drauß, und da ist mir's immer wohl, wenn ich sie allein finde" - für viele ältere Zeitgenossen war das die Sprache, in der sie die "Torheiten des momentanen Zeitgeistes" wahrnahmen und über deren Auslassungszeichen sie sich damals mindestens genauso aufregen konnten wie heute viele Leute über Gendersternchen oder andere Signale aus einer neuen "Welt". STEFFEN MARTUS

Johannes Saltzwedel: "Werthers Welt". Das Jahr 1774 in Bildern, Büchern und Geschichten.

Zu Klampen Verlag, Springe 2023.

312 S., Abb., geb.,

38,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Steffen Martus versenkt sich selig in Johannes Saltzwedels Informationswundertüte zum Jahr 1774. Spätaufklärung, Sturm und Drang, Theologisches, Literarisches und Philosophisches der Werther-Zeit kommen für Martus in den Blick und werden von Saltzwedel essayistisch "treffend" vorgestellt. Dabei geht Martus auf, wie willkürlich die Zeitgeschichte auswählt und -sondert. Einen leichten kulturpessimistischen Drall bemerkt der Rezensent naserümpfend im Buch, aber die bunte Menge an Bildern und Geschichten findet er doch recht einnehmend.

© Perlentaucher Medien GmbH