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Longlist des Deutschen Buchpreis 2016 Karl, ein pensionierter Lehrer, macht sich eines Tages auf, herauszufinden, was das Glück sei. Einen nur leicht veränderten Fragebogen im Gepäck, mithilfe dessen seit 1979 das ›Bruttonationalglück‹ in Bhutan ermittelt wird, lässt sich der Glücksforscher in einem schneelosen Skiort nieder, dessen Bewohner er nun in unbekanntem Auftrag nach ihrer Lebenszufriedenheit befragen will. Das Hotel Post, in dem Karl als einziger Gast unterkommt, wird bewirtschaftet von einer namenlosen Frau und ihrer Hündin Annemarie. Von hier aus beginnt er seine Forschungen,…mehr

Produktbeschreibung
Longlist des Deutschen Buchpreis 2016 Karl, ein pensionierter Lehrer, macht sich eines Tages auf, herauszufinden, was das Glück sei. Einen nur leicht veränderten Fragebogen im Gepäck, mithilfe dessen seit 1979 das ›Bruttonationalglück‹ in Bhutan ermittelt wird, lässt sich der Glücksforscher in einem schneelosen Skiort nieder, dessen Bewohner er nun in unbekanntem Auftrag nach ihrer Lebenszufriedenheit befragen will. Das Hotel Post, in dem Karl als einziger Gast unterkommt, wird bewirtschaftet von einer namenlosen Frau und ihrer Hündin Annemarie. Von hier aus beginnt er seine Forschungen, unterbrochen von konfliktgeladenen Telefongesprächen mit seiner Frau Margit. Bald erhält seine Reise Züge einer Flucht, und der Fragende wird unmerklich zum Objekt der Befragung anderer.

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Autorenporträt
Anna Weidenholzer, geboren 1984 in Linz, lebt in Wien. Mit ihrem ersten Buch, Der Platz des Hundes (2010), war sie 2011 für das Europäische Festival des Debutromans in Kiel nominiert. Ihr zweiter Roman Der Winter tut den Fischen gut war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. 2013 wurde sie mit dem Reinhard-Priessnitz-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Am liebsten würde Rezensentin Sabine Vogel jeden einzelnen Satz aus Anna Weidenholzers neuem Roman zitieren - so hingerissen ist die Kritikerin von der Sogkraft, der "pulsierenden Zartheit" und "subtilen Wucht" dieses Buches. Und so rät die Rezensentin zu äußerst "behutsamer" Lektüre der Geschichte um den einsamen und schrulligen Rentner Karl, der auf einer Autofahrt zu seiner Margit in Gedankengängen die Bedingungen des Glücks auslotet. Beeindruckende Lakonie, feinsinnige Beobachtungen und pointierte, witzige Details machen diesen Roman für Vogel zu einem Kunstwerk.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.10.2016

Sei gut zu deinem Schnitzel!
Ein wunderlich, unheimlicher Roman von Anna Weidenholzer
Kauzige Menschen haben etwas Zwiespältiges an sich. Manchmal sind sie auf ihre verschrobene Weise sensibel und liebenswert, und dass sie ihre Ziele so umwegig zu erreichen suchen, rührt einen fast. Aber unberechenbar sind sie eben auch, und oft man weiß nie recht, woran man bei ihnen ist.
  Was soll man beispielsweise davon halten, dass Karl, seit Kurzem pensionierter Lehrer, sich an ein Forschungsprojekt macht, das, dem Vorbild des Himalaja-Reichs Bhutan folgend, den Grad des Glücklichseins im ländlichen Österreich misst? Mit seinen Fragebögen zieht er nach dem Zufallsprinzip von Haus zu Haus und verwickelt sich mit seinen Probanden, obwohl er ihnen kühl wissenschaftlich nur Kennziffern von M 1 bis F 4 gibt (für männlich und weiblich), alsbald ins heillos Private. Denn wenn man fragt – das hat er nicht bedacht – kommen Gegenfragen, zumal wenn die Leute viel Zeit haben, weil jetzt, vor Weihnachten, eigentlich die Skisaison starten sollte, doch leider der Schnee fehlt.
  Karl heißt mit Nachnamen Hellmann, aber seine Welt ist sehr dunkel. Die 1984 geborene Anna Weidenholzer hat sich bei ihrem Roman für einen personalen Erzählstil entschieden, das heißt, es ist von Karl in der dritten Person die Rede, aber völlig aus seiner eigenen Sicht. Bedächtig und hilflos wirkt er und durchaus nicht unsympathisch, wenn man die nötige Geduld mitbringt. Sehr scheint ihm unterwegs seine Frau Margit zu fehlen, offenbar die Lebenspraktische der beiden, die er zärtlich in Gedanken „mein Mädchen“ nennt, obwohl sie kaum jünger sein kann als er selbst.
  Karl und Margit, da scheint das Glück im Winkel doch eigentlich garantiert. Aber früh schleichen sich leise Misstöne in die bieder-innige Stimmung. Die Versuche, mit Margit zu telefonieren (wo er sie doch so sehr bräuchte!), scheitern, schließlich stellt sich heraus, dass sie, ohne ihm etwas zu sagen, in Urlaub gefahren ist. Es geschehen Dinge, die je für sich genommen nichts bedeuten müssten, aber weil sie in dichter Folge kommen, Zweifel säen, ob man diesem Erzähler und seinem Kosmos trauen darf.
  Die Wirtin der Pension, in der Karl Quartier genommen hat, besitzt eine Hündin namens Annemarie, die von einer Gästin vergessen worden ist. (Es heißt wahrhaftig Gästin.) Wer vergisst schon einen Hund? Und wer nennt so einen Hund Annemarie? Karl begleitet einen seiner Probanden nach Hause, dieser entschuldigt sich beim Eintreten, er müsse sich erst die Haare waschen – welcher Mann wäscht sich mit solcher Dringlichkeit mitten am Tag die Haare? Margit hängt Bilder verstorbener Verwandter nicht an die Wand, sondern steckt sie in leere Marmeladengläser; das wird mitgeteilt, als verstünde es sich von selbst. Auch hat sie in der Küche einen Spruch hängen: Ein gutes Schnitzel ist eines, das ein Lächeln gesehen hat. Was bitte soll das heißen? Und so wird dem Leser ganz allmählich mulmig zumute, wie wenn im Film bei fortdauernder idyllischer Kulisse die Musik ins Unheimliche hinübergleitet und man sich wappnet: Achtung, gleich passiert’s!
  Spätestens nachdem die Wirtin das Tarot-Spiel ausgepackt und Karl die Karte mit dem Mond und den zwei schakalköpfigen Wächtern gezogen hat, wartet man mit wachsender Spannung, man weiß nicht auf was. Soll man es als die Kunst oder die Schwäche des Romans bezeichnen, dass er sich dieser Erwartung verweigert und Karl am Ende verwirrt in die eheliche Wohnung zurückkehren lässt?
  Dieses Ende, das man deshalb auch ungescheut verraten darf, ist mehr als offen; es franst aus ins Leere. So verhält es sich auch mit dem Titel, der ein charmantes Rätsel verheißt: „Weshalb die Herren Seesterne tragen“. Ja, weshalb?   Es gibt da ein altes Foto, auf dem neun Männer, Freunde anscheinend, zu sehen sind, die sich alle einen Seestern an die Brust geheftet haben. Daran knüpfen sich verschiedene halb märchenhafte Erklärungsansätze, von denen keiner recht zufriedenstellt. Der Leser bewundert den Aufwand, der hier getrieben wird, und sieht ihn dann verstimmt zu einem hübschen Nichts zerrinnen.
BURKHARD MÜLLER
Anna Weidenholzer: Weshalb die Herren Seesterne tragen. Roman. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2016. 192 Seiten, 20 Euro. E-Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.09.2016

Wie das raschelt, wenn Hühner sich schütteln
In Anna Weidenholzers feinsinnig versponnenem Roman "Weshalb die Herren Seesterne tragen" tritt ein einsamer Forschungsreisender an, das Glück zu vermessen

"Und alle Fenster finster und hier draußen ich" hebt einer der wunderlichsten Romane dieser Saison an: "Weshalb die Herren Seesterne tragen" von Anna Weidenholzer. Das "ich" des Textes gehört einem pensionierten Lehrer, Karl Hellmann, der sich zu Forschungszwecken in einem Skigebiet aufhält. Doch seine Untersuchung kreist nicht etwa um Tourismus, Reiserouten oder Schneeverhältnisse, wenngleich es dazu viele Fragen gibt in dem namenlosen Ort. Der Schnee will partout nicht fallen, und die Wintergäste bleiben fern. Karl hat Größeres im Sinn. Seine Recherche zielt auf eines der ungelösten Rätsel der Menschheit: die Frage nach dem Glück.

Den Ort unweit der Autobahn, in dessen Zentrum keine Kirche thront, dafür ein Supermarkt, hat er per Zufallsprinzip ermittelt, um den Bewohnern möglichst unvoreingenommen auf den Leib zu rücken. "Wir müssen neue Wege finden, es liegt an uns, damit zu beginnen", ist Karl überzeugt, und sei es, dass er sich dafür bloß in einen Bus Richtung Endstation setzt. Die Erfahrungen der Menschen will er zum Sprechen bringen, um die Gesellschaft zu verstehen. Abgeschaut hat er sich das beim König von Bhutan. Die Himalaja-Monarchie, eines der ärmsten Länder der Welt, lässt tatsächlich das "Bruttonationalglück" ihrer Bewohner amtlich vermessen.

Auch wenn sich Weidenholzers Glückstheoretiker, abgesehen von den Telefonaten mit seiner Frau, allein auf weiter Flur befindet, geht er seine Sache ähnlich entschieden an. Seinen Fragebogen hat er nach scheinbar messbaren Kriterien wie Gesundheit, Bildung, Zeiteinteilung oder Gemeinschaftsgefühl unterteilt. Doch schon sein Interview mit "F1", der ersten Frau, die er befragt, lässt die Aussichtslosigkeit des Unterfangens erahnen. F1 ist die Wirtin der "Post", bei der Karl als einziger Gast ein Zimmer bezogen hat. Das Tonband läuft, und der gespitzte Bleistift liegt bereit, doch schon nach wenigen Minuten nimmt die Befragte selbst das Heft in die Hand und bringt ihr Gegenüber mit anderen Fragen und weitschweifigen Überlegungen aus dem Konzept. Auch ein Redeschwall kann von unangenehmen Situationen ablenken, weiß Karl aus Erfahrung. Die Sitzung endet, indem die Wirtin ihm Tarotkarten legt. Sein Plan war das nicht.

Anna Weidenholzers Prosa lebt von der Skurrilität der Situation, die im spannungsvollen Kontrast zur nüchternen Sprache der zweiunddreißigjährigen Österreicherin steht. Die im enigmatischen Titel aufgeworfene Frage, weshalb eine Gruppe Herren auf einer historischen Fotografie Seesterne am Revers tragen, bleibt dabei so offen wie andere Fragen im Roman. Lesarten gibt es dafür viele, nicht nur, was die Seesterne betrifft, die Statussymbol, Hinweis auf Kinderreichtum oder einfach nur Dankeschön für ein Geschenk sein könnten.

Die Seestern-Episode, nur eine der zahlreichen maritimen Metaphern, die sich in dieser Gebirgsgeschichte finden, ist beispielhaft für den kühn-verschmitzten Text, der gleichwohl von traurigem Ernst grundiert ist. Erst im Laufe der Erzählung begreift man warum: dass dieser Karl Hellmann sich auf Glückssuche begibt, weil er sich selbst abhandengekommen ist. Und so kippt die Suche nach dem Glück mehr und mehr um in die bohrende Frage nach der Angst. Dieses Gefühl, das sich für Karl so unaufhaltsam ausbreitet wie der Flügelknöterich im Garten.

Dem traurigen Glückssucher läuft die Recherche auch sonst aus dem Ruder. Nicht nur hat er Mühe, Gesprächspartner zu finden, nach denen er im Telefonbuch oder auf der Straße fahndet. Bald tuscheln die Bewohner im Ort über ihn, die Frauen fürchten den seltsamen Fremden. "Da kommen Sie mit Ihren Fragen und bringen alles durcheinander", wirft man ihm vor. Das größte Durcheinander freilich herrscht im Forschungsreisenden selbst.

Findet Karl doch einmal Gehör und wird etwa von einem Handwerker, "M1" genannt, in dessen Haus gebeten, dann sieht er sich mit so viel Intimität konfrontiert, die sich beim besten Willen nicht objektivieren lässt. Auch andere Bewohner des Ortes haben eigentümliche Strategien entwickelt gegen das Unvorhergesehene im Leben. Sie klauen Einkaufswagen im Supermarkt oder horten Postkarten, Mineralien oder Servietten bei sich zu Hause. Karl, der vor lauter Information längst den Überblick und die Distanz verloren hat, kommen immer mehr Zweifel an seinem Vorhaben.

"Sie haben sich den Ort ausgesucht", sagt ihm darauf einer auf den Kopf zu, "jetzt müssen Sie auch damit zurechtkommen." Dass Karl am Ende mehr Fragen als Antworten haben würde, ist die simple Pointe, auf der sich die Erzählung aber nicht ausruht. Die feinsinnig versponnene Parabel lebt vielmehr von kleinen hinreißenden Beobachtungen, etwa "wie das raschelt, wenn Hühner sich schütteln", oder warum ein Schlafkleid, das Beinfreiheit ermöglicht, glücklich macht, ein Möbelhaus dagegen nicht. Karl selbst faltet, wenn er nicht mehr weiterweiß, die Pullover im Schrank. Darin findet er seine Ablenkung von der Welt. "Happiness is a warm gun", sangen einst die Beatles. Glück ist keine Frage von brutto und netto, sondern eine Waffe, an der man sich auch die Finger verbrennen kann.

SANDRA KEGEL

Anna Weidenholzer: "Weshalb die Herren Seesterne tragen". Roman.

Verlag Matthes &Seitz, Berlin 2016. 192 S., geb., 20,- [Euro].

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