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Das beeindruckende Werk von John Burnside ist durchsetzt von autobiographischen Schriften. In ihnen steckt die Essenz dieses Autors, so auch jetzt in "What light there is".
Dies ist ein Winterbuch. Im übertragenen wie im konkreten Sinne. Es bietet hinreißende Passagen wie die folgende: "Dies hier war einst Ackerland. Apfelbäume, Kiefern, Pferde auf der Weide. Schwärme von Honigbienen kartographieren die Wiesen mit ihrem Tanz und im Licht, Graugänse rudern über den Himmel und künden vom kommenden Winter. Die Bäume sind heute ohne Früchte, ohne Blätter; eine Amsel flitzt von einem zum anderen Ast, dann außer Sicht; und ich bleibe zurück; als ich der Amsel aber nachstürze, rieseln Eissplitter von den Zweigen, ein Lauf der Vorahnungen, zurechtgestutzt zu einer Erinnerung ans Wasser." Nature writing? Nein, viel eher Lebensbeschreibung anhand einer assoziativen Naturbetrachtung, die alle Jahreszeiten in einen einzigen Textabsatz fasst, der in den Winter mündet, ins Erstarren, wie es allem Lebendigen bevorsteht. Im weißen Raum.
Der ist die Echokammer für John Burnside, den heute fünfundsechzigjährigen schottischen Schriftsteller, der mit Lyrik und Prosa gleichermaßen brilliert und seit 2006 mehrere autobiographische Erörterungen publiziert hat, die bei uns zunächst mit gewisser zeitlicher Zurückhaltung, dann aber, stets präzise übersetzt von Bernhard Robben, in immer knapperen Abständen zu den englischen Originalveröffentlichungen erschienen sind. Mit dem neuesten, dem vierten Buch dieses autobiographischen Schreibprojekts, ist erstmals der Haymon Verlag zum Zuge gekommen, und er hat das Original sogar überholt: Die deutschsprachige Fassung mit dem gleichwohl englischen Titel "What light there is" erscheint, wieder in Übersetzung von Robben, früher. Wobei es sich diesmal weniger um ein am Leben des Schriftstellers orientiertes erzählerisches Buch handelt als um eines, das mit dessen Tod umzugehen versucht. Einen Essay. Ein Buch für erwachsene Leser. Weshalb es übel aufstößt, dass der Verlag sich nicht entblödet, seine Leser auf dem Umschlag kumpelhaft anzuduzen.
Wie schreibt man über das, was sich dem Erleben entzieht, das Sterben? Burnside greift dafür dann doch wieder tief ins eigene Leben zurück, bis in seine Studentenzeit in Cambridge, als er "längst ein geheimer Verehrer alles Kalten und Weißen" geworden war. Will sagen: der Vorwegnahme des Eingangs in ein großes leeres Nichts, wie der junge Mann es in zahlreichen Kunstwerken wiederfand. Im Gedicht "Der Schneemann" von Wallace Stevens, in Pieter Brueghels Winterlandschaften, in Orson Welles' Spielfilm "The Magnificent Ambersons", im Lied "Beim Schlafengehen" von Richard Strauss, in D. H. Lawrence' Roman "Liebende Frauen" und in Robert F. Scotts Tagebuch der tragisch geendeten Südpol-Expedition, in dem der junge Burnside das fand, was er als "wundervoll britische beau geste" bewunderte: den Tod von Scotts Mitstreiter Lawrence Oates, der in bereits stark geschwächtem Zustand ins Schneetreiben hinausging, um seinen Kameraden Mühe der Pflege und Proviantteilung zu ersparen. Überlebt hat von den vier anderen Pol-Pionieren trotzdem niemand.
Wobei Burnside auf sein jüngeres Selbst heute skeptisch zurückblickt, weil er in dessen ästhetischer Todessehnsucht auch ein Element der Weltverachtung ausmacht, eine Absage an das Leben. Seine nunmehrige Beschäftigung mit dem eigenen Tod ist eine lebenszugewandte, weil sie aus der Erkenntnis schöpft, dass man zwar über den eigenen Tod keine Erfahrung machen kann, es jedoch erlebte Momente gibt, die in ihrer stillen Schönheit den Frieden im weißen Raum vorwegnehmen. Das müssen gar nicht alles Wintereindrücke sein, aber alle bereiten uns vor auf den Tod "in der klassischen Manier der Ars Moriendi, einer Kunst, die meine kleine Meditation nachzuahmen strebt".
Im weißen Raum, wie Burnside ihn imaginiert, kommt einem nicht "irgendein Engel zuversichtlich aus dem Jenseits" entgegen, es ist ein gottloser, aber höchst menschlicher Zustand, der im Erleben von Schönheit vorauszuahnen ist: "Der Himmel kann warten, alles andere aber ist um uns, zeugt von den Grenzen unseres Verweilens hier, beschreibt eine Pose" - wäre hier nicht "Haltung" die bessere Wortwahl gewesen? - " zwischen dem Ich und dem Anderen, die eine Heimat schafft, erinnert an die Existenz von Licht und der prachtvollen Last der Farbe."
In der Vergegenwärtigung dieser Existenz besteht die Aufgabe von Kunst, auch der des John Burnside. Vorbild dabei ist ihm Joseph Brodsky mit dessen Venedig-Reminiszenzen in "Ufer der Verlorenen", alle angefertigt bei spätherbstlichen oder winterlichen Besuchen - Brodsky reiste nie im Sommer nach Venedig - und mündend in die Erkenntnis, dass "wir uns in Richtung Zukunft bewegen, während die Schönheit die ewige Gegenwart ist".
In diesem Licht wird Burnsides eigenes Werk neu lesbar: als Schreiben auf der Suche nach einem Himmel auf Erden, der sich dadurch auszeichnet, dass nichts passiert, also alles dauerhaft präsent ist. Ihn kann es nur in der Erinnerung an Momente einer ästhetischen Erfahrung geben, und zum Schluss seiner Ausführungen findet Burnside einen solchen Moment am vielleicht unwahrscheinlichsten Ort, nicht in Venedig, sondern auf einer Landstraße im östlichen Kansas: "An dem Weg, den ich einschlage, ist nichts bemerkenswert, und er führt zu dem, was man gemeinhin das Nirgendwo nennt, weshalb der restliche Tag für mich so angenehm verläuft. Ich will kein Lokalkolorit; ich will nichts Pittoreskes; und unter keinen Umständen möchte ich irgendwas erkennbar Historisches. Ich will das Hier und Jetzt, ich will die flüchtige Vergänglichkeit von Himmel und Jahreszeit, die subtile Schönheit des Unscheinbaren . . . Dem zufälligen Besucher ist dies einer der magischen Orte, an denen nie auch nur das geringste geschieht, weshalb ich ihn, als ich Tage später zurückkehre, wohl auch nicht wiederfinden kann."
Aber in John Burnsides neuem Buch können wir ihn wiederfinden, jederzeit. Es mag die Kälte unseres Lebenswinters vorführen, aber es ist voller Licht und Farbe.
ANDREAS PLATTHAUS
John Burnside: "What light there is". Über die Schönheit des Moments.
Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Haymon Verlag, Innsbruck 2020. 176 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
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