In this "crisp, engaging, and very smart" (The New York Times Book Review) work, The Washington Post's Pulitzer Prizewinning book critic digs into books of the Trump era and finds that our response to this presidency often reflects the same polarization, contradictions, and resentments that made it possible. It is an irony of our age that a man who rarely reads has unleashed an onslaught of books about his tenure and his time. Dissections of the white working class. Manifestos of political resistance. Works on identity, gender, and migration. Memoirs on race and protest. Revelations of White House mayhem. Warnings over the future of conservatism, progressivism, and of American democracy itself. As a book critic for The Washington Post, Carlos Lozada has read just about all of them. In What Were We Thinking, he draws on some 150 recent volumes to explore how we understand ourselves in the Trump era. Lozada's characters are not the president, his advisers, or his antagonists but the political and cultural ideas at playand at stakein America. Just as Trump's election upended the country's political establishment, it shocked its intellectual class. Though some of the books of the Trump era skillfully illuminate the challenges and transformations the nation faces, too many works are more defensive than incisive, more righteous than right. Lozada offers a provocative argument: Whether written by liberals or conservatives, activists or academics, true believers or harsh critics, the books of Trump's America are vulnerable to the same failures of imagination that gave us this presidency in the first place. In What Were We Thinking, Lozada's selections range from bestselling titles to little-known works, from thoroughly reported accounts of the administration to partisan polemics, from meditations on the fate of truth to memoirs about enduringor enablingthe Trump presidency. He also identifies books that challenge entrenched assumptions and shift our vantage points, the books that best help us make sense of this era. The result is an "elegant yet lacerating" (The Guardian) intellectual history of our time, a work that transcends daily headlines to discern how we got here and how we thought here. What Were We Thinking will help today's readers understand America, and will help tomorrow's readers look back and understand us.
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Süddeutsche ZeitungDie Beobachtung der Beobachter
Mehr als 1200 Trump-Bücher in den vergangenen vier Jahren. Und jetzt auch noch ein Buch über Trump-Bücher?
Unbedingt! Carlos Lozadas „What were we thinking“ ist die große Geschichte des politischen Denkens der Gegenwart
VON JENS-CHRISTIAN RABE
Zu den besonderen Kuriositäten der Ära Trump gehört auch, dass kein anderer Mensch die Welt in so kurzer Zeit zu so vielen Büchern inspiriert haben dürfte - und zu so vielen irrsinnig erfolgreichen. Der jüngste, im Mai erschienene Band der Hunger-Games-Serie verkaufte sich bis Ende August über 1,3 Millionen Mal. Das in diesem August erschienene Buch von Mary L. Trump über ihren Onkel „Zu viel und nie genug – Wie meine Familie den gefährlichsten Mann der Welt erschuf“ verkaufte sich allein in der ersten Woche nach seiner Veröffentlichung häufiger.
Insgesamt geht das amerikanische Marktforschungsunternehmen NPD Book Scan von mehr als 1200 Trump-Büchern in den vergangenen vier Jahren aus, bei Obama seien es nach dessen erster Amtszeit gerade einmal rund 500 gewesen. Und jetzt gibt es auch noch ein Buch über die Trump-Bücher. Der Sachbuchkritiker der Washington Post, Carlos Lozada, hat die titanische Aufgabe auf sich genommen hat, über 150 von ihnen ein weiteres Buch zu schreiben. In der amerikanischen Originalausgabe ist es soeben erschienen, unter dem schönen Titel: „What we were thinking“. Was wir uns dabei gedacht haben. Oder eben: Was haben wir uns dabei bloß gedacht?
Der Untertitel verspricht eine „kurze intellektuelle Geschichte der Ära Trump“, aber das ist untertrieben. Schon allein Lozadas Ordnungsleistung ist eindrucksvoll. Um den Stoff in den Griff zu bekommen, hat er zehn Typen von Trump-Büchern identifiziert. Jedes der zehn Kapitel des Buches ist wiederum einem bestimmten Typ Trump-Buch gewidmet, von dem dann von Lozada jeweils 15 Varianten genauer unter die Lupe genommen werden.
Es gibt die „Chaos-im-Weißen-Haus“-Bücher, die die hanebüchene Amtsführung des Präsidenten haarklein dokumentieren, die „Das-Ende-der-Wahrheit-Bücher, die Trump-und-die-Frauen-Bücher, die „Die-weiße-Arbeiterklasse“-Bücher oder die „Der-Tod-der-Demokratie“-Bücher.
Über die Zusammenschau hinaus ist der Ansatz Lozadas immer da besonders einleuchtend, wo er etwa – wie im ersten Kapitel über die White-Workingclass-Bücher - denselben Protagonisten in zwei verschiedenen Büchern entdeckt. Harry, Vorarbeiter aus Luzerne County, Pennsylvania, Vietnam-Veteran, in seinen Siebzigern, sein Leben lang überzeugter Demokrat - und 2016 dann doch Trump-Wähler. Einer dieser ominösen Wechselwähler, die in den USA als wahlentscheidend gelten. In einer Sache unterscheidet sich der Harry des einen Buches (Salena Zitos’ und Brad Todds’ „The Great Revolt“) vom Harry des anderen (Ben Bradlee Jr.’s „The Forgotten“) allerdings fundamental: in seinem Motiv für die Wahl Trumps.
Im ersten ist Harry ein wirtschaftsorientierter Populist, der dem Establishment mit großer Skepsis begegnet und glaubt, dass die Demokraten die Arbeiterklasse vergessen haben. Alles in allem, ist dieser Harry aber noch einer von den Guten. Im anderen ist er sei dem 11. September ein Kulturkämpfer und Verschwörungstheoretiker, der über Transgender-Toiletten schimpft und glaubt, die Black-Lives-Matter-Aktivisten würden mit Millionenbeträgen von George Soros finanziert. Diesen Harry wolle man nur an seiner Seite haben, so Lozada, wenn man sich schon für eine sehr spezielle Seite entschieden habe.
Die Pointe der Gegenüberstellung: Die Antworten auf die Frage, warum Harry als ehemaliger Demokrat Trump wählte, sagen womöglich noch etwas mehr über die Ansichten seiner jeweiligen Beobachter als über ihn selbst aus: „Ja, die weiße Arbeiterklasse mag dabei geholfen haben, Trump ins Weiße Haus zu bugsieren“, so Lozada. Aber die sie könne auch einfach eine Erklärung dafür sein, die gut zu lange zuvor bestehenden soziologisch-politischen Interpretationsmustern der Autoren passe. Es ist so eine große Stärke des Buches, den Blick immer wieder kühl zurück auf die Vorurteile und blinden Flecken der Autoren zu richten - und die ihrer Leser.
Michael Wolff, der wenige Monate nach der Inauguration mit seinem Superbestseller „Fire and Fury“ schon die ersten erschütternden Einblicke lieferte in die Zustände von Trumps alltäglicher Amtsführung, kritisiert Lozada in diesem Sinn auch nicht für seine Fehler und den Affären-Klatsch. Wolff sei vielmehr verantwortlich für die Blaupause eines „Das-Chaos-im-Weißen-Haus“-Buches, an der sich danach auch weitaus bessere Reporter orientierten, ob bewusst oder unbewusst. Im Kern aller folgenden Bücher aus dem Zentrum der Macht habe danach nicht mehr die gewissenhafte Ermittlung von Zusammenhängen gestanden, sondern mehr oder weniger bloß noch die Jagd nach der einen noch explosiveren, noch verrückteren, noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehenden einzelnen Anekdote. Das Ergebnis sei schließlich allein Abstumpfung der Öffentlichkeit gewesen, die Normalisierung dessen, was doch eigentlich auf keinen Fall als normal angesehen werden dürfte. Und profitiert habe letztlich nur einer: Trump. Dessen Markenkern sei nur noch immer stärker gemacht worden.
Abgesehen davon sei, habe der Erfolg der so konzipierten Bücher in weiten Teilen der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, dass die Chaosanekdoten-Sammlungen schon die ganze Geschichte zur Lage der aktuellen Politik lieferten. Obwohl die Bücher, die davon handeln, was das Chaos bedeutet und warum genau es uns nicht egal sein sollte, eigentlich die Bücher sind, an die sich am längsten erinnert werden wird. Am Ende mag „What we were thinking“ mit seinen gerade einmal 260 Seiten ein kurzes Buch sein, die kundige Auswahl und Auswertung der Bücher und zentralen Themen machen es eher zu einer großen Geschichte des Nachdenkens über Politik und Gesellschaft in der Trump-Ära. Jeder, der sich dereinst einen Überblick über diese turbulente Zeit verschaffen möchte oder muss, kann guten Gewissens erst einmal bloß zu diesem einen Buch greifen. Die Zusammenfassungen und Kontextualisierungen Lozadas lassen fast auf jeder Seite in einem Ausmaß Überblick und Tiefenschärfe erkennen, das die Arbeit fast übermenschlich erscheinen lässt. Zumal es angesichts der Fülle des verarbeiteten Materials auch noch verblüffend essayhaft schwungvoll geschrieben ist.
Und was haben wir uns jetzt dabei gedacht?
Die eine Antwort gibt das Buch darauf natürlich nicht direkt, dafür ist der Autor zu ernsthaft und zu bescheiden. Aber als Leser hat man eine Art Antwort am Ende dann doch immer deutlicher vor Augen - und keine bequeme: Wir haben uns womöglich zu viel mit den Abgründen Trumps und seiner Leute und zu wenig mit den Abgründen in uns selbst beschäftigt. Und damit, inwieweit dieser Mangel an Selbstreflexion überhaupt erst zur Wahl von Männern wie Donald Trump führt.
Das Kapitel zu den Post-Truth-Büchern endet dementsprechend nachdenklich mit einem Zitat aus Lee McIntyres Buch „Post-Truth“: „Der wichtigste Kampf gegen post-faktisches Denken findet in uns selbst statt.“ Es sei leicht, eine Wahrheit zu identifizieren, die jemand anderes nicht anerkennen wolle. „Aber wie viele von uns sind darauf vorbereitet, ihre eigenen Überzeugungen in Frage zu stellen? Etwas anzuzweifeln, das wir glauben wollen, selbst wenn ein winziger Teil von uns flüstert, dass wir gar nicht alle nötigen Fakten kennen?“
In diesem Sinn ist – mit Blick auf die Wahl am kommenden Dienstag – die düsterste Stelle dieses an düsteren Stellen nicht gerade armen Buches im Kapitel über die Trump-und-die-Frauen-Bücher. Mit Verweis auf Brittney Coopers Buch „Eloquent Rage – A Black Feminist Discovers Her Superpower“ wird Trumps Verhalten da mit häuslicher Gewalt von Männern gegenüber Frauen verglichen: Herablassung, Überreaktion, Beschämung, Erniedrigung, unablässige Angriffe. Nur dass Trump so mit einem ganzen Land umgehe. Die tödlichste Zeit wiederum für eine Frau in einer Beziehung, in der sie missbraucht wird, so Cooper, ist dann, „wenn sie sich dafür entscheidet, zu gehen“.
Carlos Lozada: What were we thinking - A brief intellectual History of the Trump Era. Simon & Schuster. 260 Seiten, 24 Euro.
Die vollmundige Ankündigung
im Untertitel ist
noch fast untertrieben
Postfaktisches Denken
Wie viele von uns sind
bereit, ihre eigenen
Überzeugungen in Frage zu stellen?
Der Präsident am Telefon, hinter ihm (von links): Steven Mnuchin, Mike Pompeo, Jared Kushner, Robert O’Brien.
Foto: Alex Brandon/AP
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Mehr als 1200 Trump-Bücher in den vergangenen vier Jahren. Und jetzt auch noch ein Buch über Trump-Bücher?
Unbedingt! Carlos Lozadas „What were we thinking“ ist die große Geschichte des politischen Denkens der Gegenwart
VON JENS-CHRISTIAN RABE
Zu den besonderen Kuriositäten der Ära Trump gehört auch, dass kein anderer Mensch die Welt in so kurzer Zeit zu so vielen Büchern inspiriert haben dürfte - und zu so vielen irrsinnig erfolgreichen. Der jüngste, im Mai erschienene Band der Hunger-Games-Serie verkaufte sich bis Ende August über 1,3 Millionen Mal. Das in diesem August erschienene Buch von Mary L. Trump über ihren Onkel „Zu viel und nie genug – Wie meine Familie den gefährlichsten Mann der Welt erschuf“ verkaufte sich allein in der ersten Woche nach seiner Veröffentlichung häufiger.
Insgesamt geht das amerikanische Marktforschungsunternehmen NPD Book Scan von mehr als 1200 Trump-Büchern in den vergangenen vier Jahren aus, bei Obama seien es nach dessen erster Amtszeit gerade einmal rund 500 gewesen. Und jetzt gibt es auch noch ein Buch über die Trump-Bücher. Der Sachbuchkritiker der Washington Post, Carlos Lozada, hat die titanische Aufgabe auf sich genommen hat, über 150 von ihnen ein weiteres Buch zu schreiben. In der amerikanischen Originalausgabe ist es soeben erschienen, unter dem schönen Titel: „What we were thinking“. Was wir uns dabei gedacht haben. Oder eben: Was haben wir uns dabei bloß gedacht?
Der Untertitel verspricht eine „kurze intellektuelle Geschichte der Ära Trump“, aber das ist untertrieben. Schon allein Lozadas Ordnungsleistung ist eindrucksvoll. Um den Stoff in den Griff zu bekommen, hat er zehn Typen von Trump-Büchern identifiziert. Jedes der zehn Kapitel des Buches ist wiederum einem bestimmten Typ Trump-Buch gewidmet, von dem dann von Lozada jeweils 15 Varianten genauer unter die Lupe genommen werden.
Es gibt die „Chaos-im-Weißen-Haus“-Bücher, die die hanebüchene Amtsführung des Präsidenten haarklein dokumentieren, die „Das-Ende-der-Wahrheit-Bücher, die Trump-und-die-Frauen-Bücher, die „Die-weiße-Arbeiterklasse“-Bücher oder die „Der-Tod-der-Demokratie“-Bücher.
Über die Zusammenschau hinaus ist der Ansatz Lozadas immer da besonders einleuchtend, wo er etwa – wie im ersten Kapitel über die White-Workingclass-Bücher - denselben Protagonisten in zwei verschiedenen Büchern entdeckt. Harry, Vorarbeiter aus Luzerne County, Pennsylvania, Vietnam-Veteran, in seinen Siebzigern, sein Leben lang überzeugter Demokrat - und 2016 dann doch Trump-Wähler. Einer dieser ominösen Wechselwähler, die in den USA als wahlentscheidend gelten. In einer Sache unterscheidet sich der Harry des einen Buches (Salena Zitos’ und Brad Todds’ „The Great Revolt“) vom Harry des anderen (Ben Bradlee Jr.’s „The Forgotten“) allerdings fundamental: in seinem Motiv für die Wahl Trumps.
Im ersten ist Harry ein wirtschaftsorientierter Populist, der dem Establishment mit großer Skepsis begegnet und glaubt, dass die Demokraten die Arbeiterklasse vergessen haben. Alles in allem, ist dieser Harry aber noch einer von den Guten. Im anderen ist er sei dem 11. September ein Kulturkämpfer und Verschwörungstheoretiker, der über Transgender-Toiletten schimpft und glaubt, die Black-Lives-Matter-Aktivisten würden mit Millionenbeträgen von George Soros finanziert. Diesen Harry wolle man nur an seiner Seite haben, so Lozada, wenn man sich schon für eine sehr spezielle Seite entschieden habe.
Die Pointe der Gegenüberstellung: Die Antworten auf die Frage, warum Harry als ehemaliger Demokrat Trump wählte, sagen womöglich noch etwas mehr über die Ansichten seiner jeweiligen Beobachter als über ihn selbst aus: „Ja, die weiße Arbeiterklasse mag dabei geholfen haben, Trump ins Weiße Haus zu bugsieren“, so Lozada. Aber die sie könne auch einfach eine Erklärung dafür sein, die gut zu lange zuvor bestehenden soziologisch-politischen Interpretationsmustern der Autoren passe. Es ist so eine große Stärke des Buches, den Blick immer wieder kühl zurück auf die Vorurteile und blinden Flecken der Autoren zu richten - und die ihrer Leser.
Michael Wolff, der wenige Monate nach der Inauguration mit seinem Superbestseller „Fire and Fury“ schon die ersten erschütternden Einblicke lieferte in die Zustände von Trumps alltäglicher Amtsführung, kritisiert Lozada in diesem Sinn auch nicht für seine Fehler und den Affären-Klatsch. Wolff sei vielmehr verantwortlich für die Blaupause eines „Das-Chaos-im-Weißen-Haus“-Buches, an der sich danach auch weitaus bessere Reporter orientierten, ob bewusst oder unbewusst. Im Kern aller folgenden Bücher aus dem Zentrum der Macht habe danach nicht mehr die gewissenhafte Ermittlung von Zusammenhängen gestanden, sondern mehr oder weniger bloß noch die Jagd nach der einen noch explosiveren, noch verrückteren, noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehenden einzelnen Anekdote. Das Ergebnis sei schließlich allein Abstumpfung der Öffentlichkeit gewesen, die Normalisierung dessen, was doch eigentlich auf keinen Fall als normal angesehen werden dürfte. Und profitiert habe letztlich nur einer: Trump. Dessen Markenkern sei nur noch immer stärker gemacht worden.
Abgesehen davon sei, habe der Erfolg der so konzipierten Bücher in weiten Teilen der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, dass die Chaosanekdoten-Sammlungen schon die ganze Geschichte zur Lage der aktuellen Politik lieferten. Obwohl die Bücher, die davon handeln, was das Chaos bedeutet und warum genau es uns nicht egal sein sollte, eigentlich die Bücher sind, an die sich am längsten erinnert werden wird. Am Ende mag „What we were thinking“ mit seinen gerade einmal 260 Seiten ein kurzes Buch sein, die kundige Auswahl und Auswertung der Bücher und zentralen Themen machen es eher zu einer großen Geschichte des Nachdenkens über Politik und Gesellschaft in der Trump-Ära. Jeder, der sich dereinst einen Überblick über diese turbulente Zeit verschaffen möchte oder muss, kann guten Gewissens erst einmal bloß zu diesem einen Buch greifen. Die Zusammenfassungen und Kontextualisierungen Lozadas lassen fast auf jeder Seite in einem Ausmaß Überblick und Tiefenschärfe erkennen, das die Arbeit fast übermenschlich erscheinen lässt. Zumal es angesichts der Fülle des verarbeiteten Materials auch noch verblüffend essayhaft schwungvoll geschrieben ist.
Und was haben wir uns jetzt dabei gedacht?
Die eine Antwort gibt das Buch darauf natürlich nicht direkt, dafür ist der Autor zu ernsthaft und zu bescheiden. Aber als Leser hat man eine Art Antwort am Ende dann doch immer deutlicher vor Augen - und keine bequeme: Wir haben uns womöglich zu viel mit den Abgründen Trumps und seiner Leute und zu wenig mit den Abgründen in uns selbst beschäftigt. Und damit, inwieweit dieser Mangel an Selbstreflexion überhaupt erst zur Wahl von Männern wie Donald Trump führt.
Das Kapitel zu den Post-Truth-Büchern endet dementsprechend nachdenklich mit einem Zitat aus Lee McIntyres Buch „Post-Truth“: „Der wichtigste Kampf gegen post-faktisches Denken findet in uns selbst statt.“ Es sei leicht, eine Wahrheit zu identifizieren, die jemand anderes nicht anerkennen wolle. „Aber wie viele von uns sind darauf vorbereitet, ihre eigenen Überzeugungen in Frage zu stellen? Etwas anzuzweifeln, das wir glauben wollen, selbst wenn ein winziger Teil von uns flüstert, dass wir gar nicht alle nötigen Fakten kennen?“
In diesem Sinn ist – mit Blick auf die Wahl am kommenden Dienstag – die düsterste Stelle dieses an düsteren Stellen nicht gerade armen Buches im Kapitel über die Trump-und-die-Frauen-Bücher. Mit Verweis auf Brittney Coopers Buch „Eloquent Rage – A Black Feminist Discovers Her Superpower“ wird Trumps Verhalten da mit häuslicher Gewalt von Männern gegenüber Frauen verglichen: Herablassung, Überreaktion, Beschämung, Erniedrigung, unablässige Angriffe. Nur dass Trump so mit einem ganzen Land umgehe. Die tödlichste Zeit wiederum für eine Frau in einer Beziehung, in der sie missbraucht wird, so Cooper, ist dann, „wenn sie sich dafür entscheidet, zu gehen“.
Carlos Lozada: What were we thinking - A brief intellectual History of the Trump Era. Simon & Schuster. 260 Seiten, 24 Euro.
Die vollmundige Ankündigung
im Untertitel ist
noch fast untertrieben
Postfaktisches Denken
Wie viele von uns sind
bereit, ihre eigenen
Überzeugungen in Frage zu stellen?
Der Präsident am Telefon, hinter ihm (von links): Steven Mnuchin, Mike Pompeo, Jared Kushner, Robert O’Brien.
Foto: Alex Brandon/AP
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