Der große Musikkritiker Greil Marcus über Van Morrison Kein Album hat Greil Marcus in seinem Leben öfter gehört als Van Morrisons Meisterwerk »Astral Weeks« aus dem Jahr 1968. Kein Album hat ihn mehr bewegt und mit mehr Rätseln zurückgelassen. »Die Menschen nehmen Van Morrison persönlich«, stellt Greil Marcus fest. »Begebenheiten aus seinen Songs werden zu Ereignissen in ihrem Leben. Es ist, als ob er sie persönlich in ihr Leben gepflanzt hat. Als ob er >da< ist. Nicht in einem magischen Sinne. Sondern in dem Sinne, in dem Kunst wirken sollte: Sie berührt dich.« In »When That Rough God Goes Riding« forscht Greil Marcus nach den Ausnahmemomenten, die Van Morrison in seiner Musik immer wieder kreiert. Diese Augenblicke versucht Marcus auszukosten, zu analysieren und so dem Geheimnis der großen Kunst Van Morrisons ein Stück näher zu kommen, ohne es zu zerstören. Wie in seinen berühmten Werken »Mystery Train« oder »Lipstick Traces« besticht Marcus auch hier durch seine hellwachen Analysen, das Schlagen überraschender Querverbindungen und einen Formulierungsfuror, der den Leser in den Bann schlägt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2011Hymnen an das Schweigen
Was wissen wir über Van Morrison? Nicht viel. Der Kritikerpapst Greil Marcus analysiert die Lieder dieses einzigartigen Rocksängers.
Von Edo Reents
Was ist so interessant an diesem kleinen, kahlköpfigen Mann, der so breit wie lang ist und schlecht gelaunt wie kein Zweiter? Die Faszination Van Morrisons rührt wahrscheinlich auch daher, dass bei ihm Person und Stil weniger voneinander zu trennen sind als bei den allermeisten anderen Rockmusikern; beides fällt zusammen, was umso bemerkenswerter ist, als Morrison sich der Tradition immer in ungewöhnlich starkem Maße verpflichtet wusste. Durch seine Lieder geistern die Großen aus Rock, Soul, Blues und Country. Um aus jeder Sparte jeweils nur den Allerwichtigsten zu nennen: Elvis Presley, Ray Charles, John Lee Hooker und Hank Williams.
Es wäre aber sinnlos, seine Wirkung dadurch erklären zu wollen, dass man sie auf diese (und andere) Einflüsse zurückführt. Seine Musik ist, weil und vielleicht auch obwohl sie so traditionsgesättigt ist, eine rein persönliche Angelegenheit - geheimnisvoll und launisch, heftig und tiefsinnig. Und anders als bei Bob Dylan, den er mit seinen Studioplatten mengenmäßig sogar übertrifft, scheint die Tatsache, dass man wenig über ihn weiß, auf die Exegeten so entmutigend zu wirken, dass auch seine Musik kaum interpretiert wird; nicht zu vergleichen jedenfalls mit der Deutungswut, die Dylan entfacht.
Schon in diesem Sinne und obwohl sie zum Heiligen Gral der Rockmusik gehört, ist Van Morrisons Musik nach wie vor unabgegolten. Und wer wäre berufener, daran etwas zu ändern, als der Kritikerpapst, der schon über die erste ganz wichtige Platte, "Astral Weeks" (1968), festgestellt hatte, was heute fürs Gesamtwerk gilt: dass sie "die Grenzen des Blues aufhob"? Aber das Buch, das Greil Marcus nun auch auf Deutsch vorlegt, ist nicht nur vom Umfang her eine Enttäuschung. "When That Rough God Goes Riding" borgt seinen Titel bei einem Song von dem Album "The Healing Game" (1997). Der Fan ist immer geneigt, seinem Idol eine heilende Kraft zuzugestehen - bei Van Morrison spielt dieser Aspekt in der Tat eine zentrale Rolle, auf die Marcus aber nur am Rande eingeht. Seiner Ansicht nach hat Morrison mit dieser Platte eine achtzehnjährige Durststrecke beendet. Es mag ein Zeichen von Souveränität sein, die sechzehn Platten, die in dieser Zeit erschienen, einfach so zu kassieren. Aber hat Morrison denn überhaupt je ein schlechtes Album gemacht, und sind nicht zumindest "Hymns To The Silence" (1991) und "Too Long In Exile" (1993) gute Rhythm & Blues-Platten? Aber über solche Wertungen kann man sich wenigstens streiten. Man muss sie nicht wie das Evangelium hinnehmen, wie Greil Marcus das von den Leuten gewohnt ist.
Zumindest in diesem Fall hat er sich für seine Masche den falschen Gegenstand ausgesucht. Ihm ist es immer gleich um eine ganze Kulturgeschichte zu tun, die er auch hier wieder nach einer fast aufreizend assoziativen Methode ausbreitet. Das hat etwas Wichtigtuerisches und Mystifizierendes an sich und geht auf die Nerven. Man kann das an einem einfachen Beispiel zeigen. Besonders leiht Marcus sein Ohr "Astral Weeks", das bis heute als Morrisons Hauptwerk gilt, 1968 binnen zwei Tagen in New York mit Jazzmusikern eingespielt: "Man lebte in der Gewissheit, mit jedem Atemzug immer gleichzeitig auch Geschichte einzuatmen - oder deren Rauch -, was aber nicht bedeutet, dass man gewusst hätte, was Geschichte war oder werden sollte. Jeden Augenblick wurde Geschichte gemacht, was aber nichts darüber aussagte, ob sie je Eingang in die Bücher finden würde."
Selbst wenn es so wäre - was hat das mit den acht Liedern von "Astral Weeks" zu tun? Man könnte das doch genauso gut über jede andere Platte von 1968 behaupten. Greil scheint das zu ahnen und schreibt dann auch lieber über Dylans "All Along the Watchtower", das er in einen Zusammenhang mit Bob Beamons Acht-Meter-neunzig-Sprung setzt. "Hier rast ein scharfer Verstand im höchsten Gang": Vielleicht hat der Klappentext auf eine andere Weise ja recht?
Es kann kein Zweifel sein, dass Greil Marcus zutreffende Analysen liefert und insbesondere die spirituelle, gleichsam transzendente Dimension von Morrisons Musik erfasst hat. Aber die oft ermüdend genauen Songbeschreibungen sind garniert mit Floskeln, die sich weder bestreiten noch belegen lassen, nach Art von: Die Musik gebe nichts über sich preis. Womöglich wird das deskriptive Verfahren in der Rockmusikkritik zu wenig gepflegt. Aber der Van-Morrison-Hörer kennt die Lieder doch schon lange.
So wendet man sich ab, und wenn gerade keine Van-Morrison-Platte griffbereit ist, schaltet man auf YouTube zum Beispiel den Song "Ballerina" ein, mit das Beste, was der Meister je gemacht hat. Und dann liest man einen Hörerkommentar: "All human emotion is crystallised here, and subtly vocalised: desire, joy, hope, world weariness, consolation, awe and anticipation." Daraus hat man mehr gelernt als aus diesen ärgerlichen päpstlichen Mitteilungen.
Greil Marcus: "When That Rough God Goes Riding. Über Van Morrison".
Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2011. 224 S., br., 8,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was wissen wir über Van Morrison? Nicht viel. Der Kritikerpapst Greil Marcus analysiert die Lieder dieses einzigartigen Rocksängers.
Von Edo Reents
Was ist so interessant an diesem kleinen, kahlköpfigen Mann, der so breit wie lang ist und schlecht gelaunt wie kein Zweiter? Die Faszination Van Morrisons rührt wahrscheinlich auch daher, dass bei ihm Person und Stil weniger voneinander zu trennen sind als bei den allermeisten anderen Rockmusikern; beides fällt zusammen, was umso bemerkenswerter ist, als Morrison sich der Tradition immer in ungewöhnlich starkem Maße verpflichtet wusste. Durch seine Lieder geistern die Großen aus Rock, Soul, Blues und Country. Um aus jeder Sparte jeweils nur den Allerwichtigsten zu nennen: Elvis Presley, Ray Charles, John Lee Hooker und Hank Williams.
Es wäre aber sinnlos, seine Wirkung dadurch erklären zu wollen, dass man sie auf diese (und andere) Einflüsse zurückführt. Seine Musik ist, weil und vielleicht auch obwohl sie so traditionsgesättigt ist, eine rein persönliche Angelegenheit - geheimnisvoll und launisch, heftig und tiefsinnig. Und anders als bei Bob Dylan, den er mit seinen Studioplatten mengenmäßig sogar übertrifft, scheint die Tatsache, dass man wenig über ihn weiß, auf die Exegeten so entmutigend zu wirken, dass auch seine Musik kaum interpretiert wird; nicht zu vergleichen jedenfalls mit der Deutungswut, die Dylan entfacht.
Schon in diesem Sinne und obwohl sie zum Heiligen Gral der Rockmusik gehört, ist Van Morrisons Musik nach wie vor unabgegolten. Und wer wäre berufener, daran etwas zu ändern, als der Kritikerpapst, der schon über die erste ganz wichtige Platte, "Astral Weeks" (1968), festgestellt hatte, was heute fürs Gesamtwerk gilt: dass sie "die Grenzen des Blues aufhob"? Aber das Buch, das Greil Marcus nun auch auf Deutsch vorlegt, ist nicht nur vom Umfang her eine Enttäuschung. "When That Rough God Goes Riding" borgt seinen Titel bei einem Song von dem Album "The Healing Game" (1997). Der Fan ist immer geneigt, seinem Idol eine heilende Kraft zuzugestehen - bei Van Morrison spielt dieser Aspekt in der Tat eine zentrale Rolle, auf die Marcus aber nur am Rande eingeht. Seiner Ansicht nach hat Morrison mit dieser Platte eine achtzehnjährige Durststrecke beendet. Es mag ein Zeichen von Souveränität sein, die sechzehn Platten, die in dieser Zeit erschienen, einfach so zu kassieren. Aber hat Morrison denn überhaupt je ein schlechtes Album gemacht, und sind nicht zumindest "Hymns To The Silence" (1991) und "Too Long In Exile" (1993) gute Rhythm & Blues-Platten? Aber über solche Wertungen kann man sich wenigstens streiten. Man muss sie nicht wie das Evangelium hinnehmen, wie Greil Marcus das von den Leuten gewohnt ist.
Zumindest in diesem Fall hat er sich für seine Masche den falschen Gegenstand ausgesucht. Ihm ist es immer gleich um eine ganze Kulturgeschichte zu tun, die er auch hier wieder nach einer fast aufreizend assoziativen Methode ausbreitet. Das hat etwas Wichtigtuerisches und Mystifizierendes an sich und geht auf die Nerven. Man kann das an einem einfachen Beispiel zeigen. Besonders leiht Marcus sein Ohr "Astral Weeks", das bis heute als Morrisons Hauptwerk gilt, 1968 binnen zwei Tagen in New York mit Jazzmusikern eingespielt: "Man lebte in der Gewissheit, mit jedem Atemzug immer gleichzeitig auch Geschichte einzuatmen - oder deren Rauch -, was aber nicht bedeutet, dass man gewusst hätte, was Geschichte war oder werden sollte. Jeden Augenblick wurde Geschichte gemacht, was aber nichts darüber aussagte, ob sie je Eingang in die Bücher finden würde."
Selbst wenn es so wäre - was hat das mit den acht Liedern von "Astral Weeks" zu tun? Man könnte das doch genauso gut über jede andere Platte von 1968 behaupten. Greil scheint das zu ahnen und schreibt dann auch lieber über Dylans "All Along the Watchtower", das er in einen Zusammenhang mit Bob Beamons Acht-Meter-neunzig-Sprung setzt. "Hier rast ein scharfer Verstand im höchsten Gang": Vielleicht hat der Klappentext auf eine andere Weise ja recht?
Es kann kein Zweifel sein, dass Greil Marcus zutreffende Analysen liefert und insbesondere die spirituelle, gleichsam transzendente Dimension von Morrisons Musik erfasst hat. Aber die oft ermüdend genauen Songbeschreibungen sind garniert mit Floskeln, die sich weder bestreiten noch belegen lassen, nach Art von: Die Musik gebe nichts über sich preis. Womöglich wird das deskriptive Verfahren in der Rockmusikkritik zu wenig gepflegt. Aber der Van-Morrison-Hörer kennt die Lieder doch schon lange.
So wendet man sich ab, und wenn gerade keine Van-Morrison-Platte griffbereit ist, schaltet man auf YouTube zum Beispiel den Song "Ballerina" ein, mit das Beste, was der Meister je gemacht hat. Und dann liest man einen Hörerkommentar: "All human emotion is crystallised here, and subtly vocalised: desire, joy, hope, world weariness, consolation, awe and anticipation." Daraus hat man mehr gelernt als aus diesen ärgerlichen päpstlichen Mitteilungen.
Greil Marcus: "When That Rough God Goes Riding. Über Van Morrison".
Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2011. 224 S., br., 8,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
In Sachen Van Morrison klickt sich Edo Reents lieber durch die Kommentare zu einem Song des Meisters auf YouTube, als sich mit den päpstlichen Floskeln von Greil Marcus abzugeben. Also gut, für die Rezension muss er dennoch ran und übermittelt uns, dass in diesem Buch über die Faszination des kleinen, dicken, launischen Mannes, der den Blues transzendierte, eigentlich nichts Weltbewegendes drinsteht. Was Marcus dafür hält, das kulturgeschichtlich Relevante an Van Morrisons Stücken, von ihm assoziativ herauspräpariert, kann Reents zwar erkennen. Das mystische Geraune des Autors zusammen mit einer ausgeprägten Neigung zu Floskeln, geht ihm allerdings ziemlich auf die Nerven. Prägnanter und im Zweifelsfall auch direkt nachprüfbar, meint er, sprechen Ton und Text auf YouTube.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Hier rast ein scharfer Verstand im höchsten Gang." -- The Irish Times
"In beschwörenden Sätzen gelingt es Marcus, Van Morrisons zerebrale Soul Musik leuchten zu lassen." -- The New York Times
"In beschwörenden Sätzen gelingt es Marcus, Van Morrisons zerebrale Soul Musik leuchten zu lassen." -- The New York Times
»In beschwörenden Sätzen gelingt es Marcus, Van Morrisons zerebrale Soul- musik leuchten zu lassen.« The New York Times