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Sasa Stanisics Roman vom Soldaten und dem Grammofon
Morgen wird zum zweiten Mal der deutsche Buchpreis vergeben, und die Tatsache, daß man eigentlich meint, den gebe es fast schon immer und er sei eine längst etablierte feste Größe im deutschen Bücherleben, erscheint als glänzendes Zeichen dafür, daß den Initiatoren da etwas sehr Gutes gelungen ist. Der Preisträger des vergangenen Jahres, Arno Geiger, trat mit seinem Roman "Alles wird gut" schon kurz nach der Bekanntgabe seines Sieges eine Reise durch die nationalen und internationalen Bestsellerlisten an; und auch in diesem Jahr wurden die Titel, die auf der sogenannten Long- beziehungsweise Short-List stehen, von der Branche dankbar und meist wohlwollend diskutiert. Nur Autoren kann man mitunter treffen, die von den Prozeduren der Listenverkürzung und der künstlichen Dramatik wahnsinnig genervt sind.
Aber Kritiker können sich schön dran abarbeiten: "Die sechs Titel, die jetzt, am Tag vor der Bekanntgabe, auf der Liste stehen, hätte ich nicht darauf gestellt, aber . . ."
Also: Die sechs Titel, die jetzt auf der Liste stehen, hätte ich so sicher nicht darauf gestellt, aber das erfreulichste an der Liste (siehe Kasten) ist die Tatsache, daß die Jury da einen Neuling unter die letzten sechs gewählt hat, der vielleicht nicht gewinnen wird, aber, vielleicht, als krasser Außenseiter von einer selbstbewußten Jury, eben doch. Er heißt Sasa Stanisic, wurde 1978 in Visegrad, damals Jugoslawien, heute Bosnien-Hercegovina, geboren und floh vor dem Krieg mit seiner Familie 1992 nach Heidelberg. Und sein Roman, sein erster, "Wie der Soldat das Grammofon repariert", ist die Geschichte einer Kindheit in Visegrad, einer Stadt an der Drina, in der Christen und Muslime, Bosnier und Serben friedlich miteinander leben, bis die Politik, bis der Krieg, bis rätselhafte Mächte diesen Frieden zerstören. Und wie Sasa Stanisic die Geschichten dieser Stadt mit unglaublicher Lust am Erzählen und Erfinden in dieses Buch hineinschreibt und wie er diese Stadt dann wenig später, mit winzigen Details zunächst, vom Haß, vom Blut, vom Krieg verschlingen läßt, das ist große Kunst. Am Anfang ist es eine merkwürdige Musik, ein Gespräch auf dem Schulhof, eine erste Beschimpfung. "Dann brach der Krieg aus, und niemand nannte ihn Krieg. Das, sagte man. Oder Scheiße. Oder Gleichvorbei." Doch er bleibt. Stanisic schildert den Ausbruch aus der Sicht des Kindes, naiv, doch rasend schnell erwachsen werdend, sich immer weiter in ein Phantasiereich flüchtend, die Erzählungen von Opa Slavko, der in den knapp zehn Sekunden sein Leben aushauchte, in denen Carl Lewis Weltrekord lief, weiter und weiter ausfabulierend. Denn der Riß, der das Land entzweit, geht mitten durch den Helden hindurch: "Ich bin ein Gemisch. Ich bin Halbhalb. Ich bin Jugoslawe - ich zerfalle also. Es gab den Schulhof, der sich wunderte, wie ich so etwas Ungenaues sein konnte, es gab Diskussionen, wessen Blut im Körper stärker ist, das männliche oder das weibliche, es gab mich, der gerne etwas Eindeutigeres gewesen wäre oder etwas Erfundenes."
Und so erfindet er sich und die Welt um ihn herum. Aber die Wirklichkeit schlägt immer brutaler zu. Die Familie flieht nach Serbien, dann nach Deutschland. Viel später kehrt der Held zurück, sucht eine Freundin von einst, sucht sie in jedem Winkel des untergegangenen Landes. Er sammelt die unglaublichsten Greuelgeschichten, setzt zusammen, was kein zusammenhängendes Bild mehr ergeben kann. Versucht zurückzukehren in ein Land, wo es kein Zurück mehr gibt. Weil verschwunden ist, was man einst verließ. Bilder, Menschen und ein Vertrauen in die Welt, die verloren ist, für immer. Und so erzählt Sasa Stanisic auch die Geschichte, wie einer zum Erzähler wird, zum Schriftsteller, wie einer zwischen Geschichten von Idyllen und Grauen das Bild eines Landes entstehen läßt, das es nicht mehr gibt. Und eines Krieges, der fast vergessen scheint.
VOLKER WEIDERMANN.
Sasa Stanisic: "Wie der Soldat das Grammofon repariert". Luchterhand 2006. 315 Seiten, 19,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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"Und wie Saša Stanišic die Geschichten dieser Stadt mit unglaublicher Lust am Erzählen und Erfinden in dieses Buch hineinschreibt und wie er diese Stadt dann wenig später, mit winzigen Details zunächst, vom Hass, vom Blut, vom Krieg verschlingen lässt, das ist groÃe Kunst." Volker Weidermann, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
"Diesen Roman muss man lesen, wie man Schokolade isst: nicht zu schnell und nicht alles auf ein Mal. Damit man zu jeder Zeit spürt, wie gut und besonders das ist, was man zu sich nimmt." Christine Westermann, WDR2
"Stanišics Geschichte ist voll von skurrilen Menschen und sprühenden Einfällen - der ahnungslos-verwunderte Blick eines Heranwachsenden auf die absurden Drehungen der Welt, mit einer Sprache, die benutzt wird wie ein lustiges neues Spielzeug." Andrea Ritter, Stern
"Saša Stanišic hat einen erstaunlichen Erstling geschrieben, weitherzig, rasant, mutig. Es steht vieles darin, das wir unbedingt jetzt wissen sollten." Hauke Hückstädt, Frankfurter Rundschau
"Wir aber können uns freuen über die Ankunft eines jungen, hochbegabten Erzählers in der deutschen Literatur." Richard Kämmerlings, FAZ
"Ein hochtalentierter, leidenschaftlicher Erzähler." Jörg Magenau, taz
"Lesen sollte, ja muss man den Roman in jedem Fall, und im Ãbrigen ist es der beste Roman des Jahres 2006." Hanne Kulessa, Hessischer Rundfunk