Auf der Shortlist für den Internationalen Literaturpreis 2023 Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis 2022 Auf Platz 1 der Litprom-Bestenliste »Ein kraftvoller und schonungsloser Roman über die dunklen Seiten eines Inselparadieses.« Bookseller Baxter’s Beach, Barbados: das perfekte Paradies, solange niemand an der Oberfläche kratzt. Cherie Jones erzählt in eindringlicher, lyrischer Sprache, wie Liebe und Verbrechen das Leben ihrer Figuren über alle Klassenschranken und Hautfarben hinweg auf dramatische Weise verändern. Die Legende von der einarmigen Schwester sollte Lala eigentlich davor warnen, was mit Mädchen geschieht, die ihren Müttern nicht gehorchen. Doch für Lala ist es die verheißungsvolle Geschichte einer Abenteurerin, und als sie erwachsen ist und auf schreckliche Weise ein Baby verliert, schöpft sie ausgerechnet daraus Hoffnung auf ein besseres Leben. Adan ist ein charismatischer, aber gewissenloser Kleinkrimineller, dessen Einbruch in eine der Strandvillen eine Kette von furchtbaren Ereignissen auslöst: ein Schuss, den niemand hören sollte. Ein Mord, der alles verändert und der auch Lala an einen Wendepunkt führt, denn Adan ist ihr Ehemann: Wird sie es endlich schaffen, dem Kreislauf aus Armut und Gewalt zu entkommen? »Cherie Jones erzählt von den Katastrophen, die eintreten, wenn Not und Reichtum aufeinandertreffen.« Elle »Cherie Jones’ Roman wirft einen genauen Blick auf das Leben der einheimischen Barbadier und der wohlhabenden Touristen, die ihre Lebenswelten besetzen.« Publishers Weekly
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2022Tunnel unter dem Urlaubsparadies
Fatales Begehren: Cherie Jones durchleuchtet in ihrem Debütroman Frauenschicksale auf Barbados
Geh nicht in die Tunnel, hatte die Großmutter Lala gewarnt. Und zur Abschreckung erzählte sie dem Mädchen die Geschichte von der Pfarrerstochter, welche die Warnungen ihrer Mutter ignorierte, nachts hinausschlich und in den unterirdischen Gängen ihren Arm an ein Monster verlor. Mit nur einem Arm würde sie nie einen Mann finden und die Familie versorgen können, so die Botschaft der Großmutter, denn wie will man denn mit nur einem Arm das Haus fegen?
Was Lala hört, ist eine Geschichte über die Feigheit der anderen Inselbewohner. Warum niemand in die Tunnel gegangen sei, um den Arm zurückzuholen, fragt die Dreizehnjährige. Da weiß ihre Großmutter, dass ihr Schauermärchen seine Wirkung verfehlt hat. Natürlich ging es bei der Geschichte, wie bei allen Märchen, weniger um fiktive Monster als vielmehr um reale Gefahren, vor denen sie die Enkelin bewahren will. Denn die Großmutter fürchtet, dass die Frauen in ihrer Familie verflucht sind. Zu leicht verdrehen sie Männern den Kopf, und meist endet das für sie tödlich.
So erging es Lalas Mutter. Und auch das Mädchen wird das Haus der Großmutter bald mit einem Mann verlassen, der sich zwar in sie verliebt, sie jedoch keineswegs so behandelt, wie sie es sich erträumte. Blaue Flecken, Narben und Wunden erzählen von seinen Ausbrüchen, doch Lala bleibt auch dann bei ihm, als sie ein Kind erwartet. Die Großmutter aber irrte, das wird schnell klar.
Denn das fatale männliche Begehren, das so schnell in Gewalt umschlagen kann, lastet nicht nur auf den Frauen ihrer Familie als schicksalhaftes Verhängnis, jede Frau auf Barbados kann ihre eigene Geschichte darüber erzählen.
Cherie Jones beschreibt in ihrem Debütroman "Wie die einarmige Schwester das Haus fegt" eine Vielzahl solcher Frauenschicksale auf ihrer Heimatinsel. Dass sie die titelgebende Legende gleich an den Anfang des Buches setzt, gibt den Ton vor und kann als Warnung gelesen werden, dass die folgenden Protagonisten allesamt so versehrt sind wie jene fegende Einarmige, aber auch: dass sie es wie sie trotzdem schaffen müssen, ihr Leben zu meistern.
Die Kapitel wechseln zwischen diesen Figuren ab, tragen die jeweiligen Namen als Titel. So folgt man mal der hochschwangeren Lala auf der Suche nach ihrem Mann vom schäbigen Holzhaus am Strand zu den hohen Toren der Urlaubervillen. Mal schaut man einer Frau, die durch einen nächtlichen Überfall in einer ebendieser Villen zur Witwe wurde, dabei zu, wie sie ihren Schmerz zu verarbeiten sucht. Mal blickt man dem Polizisten über die Schulter, der im Mordfall dieses Mannes zwischen den Urlaubsdomizilen der reichen Ausländer und den Armenvierteln der Einheimischen ermittelt und dabei selbst immer wieder von einer Prostituierten träumt, mit der er seine Ehefrau betrogen hat und die er selbst so heftig begehrt, dass er für sie töten würde.
Die Lebenswege aller Handelnden verlaufen über Kreuz und verwickeln sich immer mehr ineinander. Jones gelingt es dabei, einen Blick hinter die Fassaden des Urlaubsparadieses zu werfen, von Armut und prekären Familienverhältnissen zu erzählen, von Vergewaltigungen und Liebestaumeln, von Aufstiegsträumen und der Flucht ins Ausland. Das Panorama ihrer Figuren umfasst nicht nur alle Gesellschaftsschichten, es verästelt sich auch mit jedem Kapitel immer weiter in die Vergangenheit. Die Autorin widmet also auch den Vorfahren ihrer Protagonisten jeweils eigene Kapitel, erzählt, wie Kühnheit als Charaktereigenschaft in mehreren Mitgliedern einer Familie zu finden ist und wie Gewalt eine Kettenreaktion über Generationen hinweg auslösen kann. Es gibt hier keine rein guten oder bösen Personen, niemand ist nur Opfer oder Täter, jede Person hat eine Vorgeschichte, geprägt von Missbrauch in der Kindheit, Gewalt durch Eltern oder sexuellen Übergriffen durch Unbekannte.
Wie sich diese Erlebnisse auswirken, mag Jones von ihrer Arbeit als Anwältin auf Barbados her wissen. Als Schriftstellerin schreibt sie bei ihren Lesern das Verständnis für die Handlungen dieser Versehrten in nüchterner, präziser Sprache herbei. Spielereien erlaubt sie sich nur beim Beschreiben der Szenerie und entkommt so den kitschigen Bildern, die mancher vom Karibik-Idyll im Kopf haben mag.
Hier gibt es keinen Platz für glitzernde Pools und kühle Rum-Getränke. Stattdessen haben die Kokospalmen "rachitische Stämme, die sich voneinander wegbiegen", und werfen "Schatten mit Krallen" auf Treppenstufen. Wenn der Wind hindurchgeht, regnet es Tausendfüßler, die auf Beton zerquetscht werden. Und das Meer hat Tage, an denen "das Wasser morgens verkatert ist" und "der Strand nach gärendem Moos stinkt". Von Idylle können diejenigen träumen, die nur wenige Tage im Jahr hier verbringen, für alle anderen ist es ein gefährlicher Ort, der sie verschlingen kann, wenn sie nicht aufpassen wie die einarmige Schwester. MARIA WIESNER
Cherie Jones: "Wie die einarmige Schwester das Haus fegt". Roman.
Aus dem Englischen von Karen Gerwig. CulturBooks, Hamburg 2022.
325 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fatales Begehren: Cherie Jones durchleuchtet in ihrem Debütroman Frauenschicksale auf Barbados
Geh nicht in die Tunnel, hatte die Großmutter Lala gewarnt. Und zur Abschreckung erzählte sie dem Mädchen die Geschichte von der Pfarrerstochter, welche die Warnungen ihrer Mutter ignorierte, nachts hinausschlich und in den unterirdischen Gängen ihren Arm an ein Monster verlor. Mit nur einem Arm würde sie nie einen Mann finden und die Familie versorgen können, so die Botschaft der Großmutter, denn wie will man denn mit nur einem Arm das Haus fegen?
Was Lala hört, ist eine Geschichte über die Feigheit der anderen Inselbewohner. Warum niemand in die Tunnel gegangen sei, um den Arm zurückzuholen, fragt die Dreizehnjährige. Da weiß ihre Großmutter, dass ihr Schauermärchen seine Wirkung verfehlt hat. Natürlich ging es bei der Geschichte, wie bei allen Märchen, weniger um fiktive Monster als vielmehr um reale Gefahren, vor denen sie die Enkelin bewahren will. Denn die Großmutter fürchtet, dass die Frauen in ihrer Familie verflucht sind. Zu leicht verdrehen sie Männern den Kopf, und meist endet das für sie tödlich.
So erging es Lalas Mutter. Und auch das Mädchen wird das Haus der Großmutter bald mit einem Mann verlassen, der sich zwar in sie verliebt, sie jedoch keineswegs so behandelt, wie sie es sich erträumte. Blaue Flecken, Narben und Wunden erzählen von seinen Ausbrüchen, doch Lala bleibt auch dann bei ihm, als sie ein Kind erwartet. Die Großmutter aber irrte, das wird schnell klar.
Denn das fatale männliche Begehren, das so schnell in Gewalt umschlagen kann, lastet nicht nur auf den Frauen ihrer Familie als schicksalhaftes Verhängnis, jede Frau auf Barbados kann ihre eigene Geschichte darüber erzählen.
Cherie Jones beschreibt in ihrem Debütroman "Wie die einarmige Schwester das Haus fegt" eine Vielzahl solcher Frauenschicksale auf ihrer Heimatinsel. Dass sie die titelgebende Legende gleich an den Anfang des Buches setzt, gibt den Ton vor und kann als Warnung gelesen werden, dass die folgenden Protagonisten allesamt so versehrt sind wie jene fegende Einarmige, aber auch: dass sie es wie sie trotzdem schaffen müssen, ihr Leben zu meistern.
Die Kapitel wechseln zwischen diesen Figuren ab, tragen die jeweiligen Namen als Titel. So folgt man mal der hochschwangeren Lala auf der Suche nach ihrem Mann vom schäbigen Holzhaus am Strand zu den hohen Toren der Urlaubervillen. Mal schaut man einer Frau, die durch einen nächtlichen Überfall in einer ebendieser Villen zur Witwe wurde, dabei zu, wie sie ihren Schmerz zu verarbeiten sucht. Mal blickt man dem Polizisten über die Schulter, der im Mordfall dieses Mannes zwischen den Urlaubsdomizilen der reichen Ausländer und den Armenvierteln der Einheimischen ermittelt und dabei selbst immer wieder von einer Prostituierten träumt, mit der er seine Ehefrau betrogen hat und die er selbst so heftig begehrt, dass er für sie töten würde.
Die Lebenswege aller Handelnden verlaufen über Kreuz und verwickeln sich immer mehr ineinander. Jones gelingt es dabei, einen Blick hinter die Fassaden des Urlaubsparadieses zu werfen, von Armut und prekären Familienverhältnissen zu erzählen, von Vergewaltigungen und Liebestaumeln, von Aufstiegsträumen und der Flucht ins Ausland. Das Panorama ihrer Figuren umfasst nicht nur alle Gesellschaftsschichten, es verästelt sich auch mit jedem Kapitel immer weiter in die Vergangenheit. Die Autorin widmet also auch den Vorfahren ihrer Protagonisten jeweils eigene Kapitel, erzählt, wie Kühnheit als Charaktereigenschaft in mehreren Mitgliedern einer Familie zu finden ist und wie Gewalt eine Kettenreaktion über Generationen hinweg auslösen kann. Es gibt hier keine rein guten oder bösen Personen, niemand ist nur Opfer oder Täter, jede Person hat eine Vorgeschichte, geprägt von Missbrauch in der Kindheit, Gewalt durch Eltern oder sexuellen Übergriffen durch Unbekannte.
Wie sich diese Erlebnisse auswirken, mag Jones von ihrer Arbeit als Anwältin auf Barbados her wissen. Als Schriftstellerin schreibt sie bei ihren Lesern das Verständnis für die Handlungen dieser Versehrten in nüchterner, präziser Sprache herbei. Spielereien erlaubt sie sich nur beim Beschreiben der Szenerie und entkommt so den kitschigen Bildern, die mancher vom Karibik-Idyll im Kopf haben mag.
Hier gibt es keinen Platz für glitzernde Pools und kühle Rum-Getränke. Stattdessen haben die Kokospalmen "rachitische Stämme, die sich voneinander wegbiegen", und werfen "Schatten mit Krallen" auf Treppenstufen. Wenn der Wind hindurchgeht, regnet es Tausendfüßler, die auf Beton zerquetscht werden. Und das Meer hat Tage, an denen "das Wasser morgens verkatert ist" und "der Strand nach gärendem Moos stinkt". Von Idylle können diejenigen träumen, die nur wenige Tage im Jahr hier verbringen, für alle anderen ist es ein gefährlicher Ort, der sie verschlingen kann, wenn sie nicht aufpassen wie die einarmige Schwester. MARIA WIESNER
Cherie Jones: "Wie die einarmige Schwester das Haus fegt". Roman.
Aus dem Englischen von Karen Gerwig. CulturBooks, Hamburg 2022.
325 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Maria Wiesner bekommt in Cherie Jones Debütroman einen Einblick in das gewaltvolle Leben verschiedener Frauen auf Barbados. Jones erzählt in sich abwechselnden Kapiteln von sich immer mehr ineinander verwickelnden Frauenschicksalen, darunter beispielsweise von Lala, die trotz der titelgebenden Schauergeschichte ihrer Großmutter in eine gewalt-geprägte Beziehung gerät, erklärt Wiesner. Die nüchterne, präzise Sprache schwenkt der Rezensentin zufolge nur dann ins Spielerische um, wenn Jones die Inselkulisse beschreibt und dabei erfolgreich Kitsch und Klischees vermeidet. Nach dieser Lektüre ist für Wiesner klar: eine Trauminsel ist Barbados nur für die Touristen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Der furchtlose Roman einer kühnen neuen Autorin.« Bernardine Evaristo