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Autobiographisch überzeugend, politisch naiv: Joumana Haddad stellt sich mit dem Bericht ihrer Selbstbefreiung forsch zwischen alle Stühle, macht sich weder mit den Klischees westlicher Islamkritik noch mit jenen der arabischen Apologetik gemein.
Zwei Lieblingsbeschäftigungen hatte sie als Kind, die unbedingt die Einsamkeit erfordern, um voll genossen zu werden: Lesen und Masturbieren. Die aufgeklärteste Pädagogik erscheint bieder im Vergleich zum Programm, das sich Joumana Haddad im Alter von zwölf - die Israelis belagerten in jenem Jahr 1982 ihre Heimatstadt Beirut - selbst auferlegte. Kaum hatte sie nämlich Balzac ausgelesen, entdeckte sie in der Bibliothek ihres Vaters de Sade: "De Sade griff mich an den Schultern und sprach: ,Die Phantasie ist dein Königreich. Alles ist möglich.'"
Der alte Franzose sollte recht behalten: Für Joumana Haddad schien fortan nichts mehr unmöglich, geschweige denn indezent: weder als Frau in einem arabischen Gedicht das Wort "Penis" zu benutzen noch die Herausgabe einer in Beirut erscheinenden Hochglanzzeitschrift mit dem Titel "Körper" - kein Pornoheft, aber doch eine lustvolle Durchkreuzung aller nahöstlichen Tabus, die sich um den Körper und die Sexualität ranken. Das jetzt auf Deutsch erschienene Bekenntnisbuch der 1970 geborenen libanesischen Schriftstellerin hat denn auch mehr von einem J'accuse, einer Anklage, als von einer Confessio, einer Beichte. Es ist ein kleiner, wilder Leserausch, der unser Bild von der arabischen Welt auf den Kopf stellen will - und es zumindest ein Stück vom angestammten Platz wegrückt.
Die Frage einer schwedischen Journalistin, ob es als arabische Frau überhaupt möglich sei, eine erotische Zeitschrift zu machen, war der Anlass für diese ,Ermordung' Scheherazades, der Erzählerin der Geschichten von "1001 Nacht", die hier (ein wenig mutwillig freilich) als Symbolfigur für das westliche Orientphantasma begriffen wird. Joumana Haddad erklärt ihren journalistischen Mut aus ihrem biographischen Werdegang.
Aber das Buch ist mehr als die Darstellung von Haddads Selbstbefreiung und auch mehr als die Widerlegung der westlichen Klischees von den unterdrückten arabischen Frauen. Es ist vor allem eine Kampfansage an die herrschenden, körper- und frauenfeindlichen Strukturen in der arabischen Welt, die es schonungslos benennt, eine Kampfansage auch an Klischees und Verallgemeinerungen. "Die" arabische Frau gibt es nicht: "Ich bin nicht einmal eine typische Vertreterin meiner selbst!"
Der mit ebenso viel Herzblut wie Wut geschriebene Essay wird allerdings von der Dialektik zwischen individueller Befreiung und gesellschaftlicher Unterdrückung fast zerrissen: Einerseits zeichnet Haddad in den autobiographischen Partien das Bild einer tabulosen, befreiten Frau, andererseits beklagt sie gleichzeitig die Unüberwindbarkeit der Tabus; einerseits empört Haddad sich zu Recht über die westlichen Klischees, andererseits muss sie zugleich feststellen: Vieles davon stimmt, und alle Frauen in der arabischen Welt leiden darunter, vor allem sie selbst; einerseits fordert sie zu Recht Aufklärung für die eigene Gesellschaft, andererseits wehrt sie sich gegen den verächtlichen Blick von außen, der die Araber als hoffnungslos unaufgeklärt abtut.
Als gebürtige Christin droht ihr zudem immer der Einwand, sie könne nicht für die muslimische Araberin sprechen und verdanke ihre Freiheit der größeren Toleranz des Christentums. Klug nimmt sie diesen Einwand vorweg und entgegnet scharf: "Gibt es einen echten, wesentlichen, letztendlichen Unterschied zwischen der Situation muslimischer und christlicher arabischer Frauen? Ich fürchte, den gibt es nicht." Hier nur eines von den vielen Beispielen, die Haddad anführt: "Der Islam trennt nicht zwischen Staat und Religion? Das Christentum trennt Körper und Seele, was auch nicht besser ist."
Joumana Haddad stellt sich damit forsch zwischen alle Stühle, macht sich weder mit westlicher Islamkritik noch mit arabischer Apologetik gemein. Das ist bisweilen verwirrend, in der Summe jedoch ein erfrischend unvoreingenommener Blick auf die Thematik, zumal Haddad mit ihrem Selbst- und Sendungsbewusstsein nicht hinter dem Berg hält. Der Stolz, eine freie, hochgebildete, weitgereiste und dabei zugleich modebewusste und lebenslustige Frau zu sein, dieser Stolz schwingt durch jede Zeile und versieht das Buch mit einem Optimismus, der auch vor den Schilderungen einer schmerzhaften Kindheit im libanesischen Bürgerkrieg und des entmutigenden Gesamtzustandes der arabischen Welt nicht verblasst. Es ist ein Optimismus, der vom unerschütterlichen Glauben an die Freiheit des Einzelnen lebt, sein Schicksal selbst zu wählen.
Das ist die Größe, aber auch die Grenze dieses Essays. Sosehr Haddad Kritik an den Umständen in der arabischen Welt übt, so unpolitisch ist doch ihre Sichtweise auf die Probleme. Denn die Annahme, die Befreiung der arabischen Frau sei unabhängig von sozialen und politischen, vor allem aber auch den ökonomischen Rahmenbedingungen, ist naiv. Dem Buch fehlt, was es zugestandenermaßen auch nicht sein will: eine tiefere Analyse der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Empfehlenswert ist es daher vor allem als autobiographischer Essay einer faszinierenden Persönlichkeit. Als Rezept für die Befreiung der arabischen Frau lässt sich hingegen eigentlich nur das herausdestillieren, was schon bei Joumana Haddad selbst am besten gewirkt hat: Lest mehr de Sade!
STEFAN WEIDNER
Joumana Haddad: "Wie ich Scheherazade tötete". Bekenntnisse einer zornigen arabischen Frau.
Aus dem Englischen von Michael Hörmann. Hans Schiler Verlag, Berlin 2010. 127 S., br., 18,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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