»Welcher Qualitäten bedarf es also, um möglichst viele Frauen zu verführen? Alle, über die ein italienischer Futurist natürlicherweise verfügt. Einen agilen, starken, aggressiven Körper. Militärisch gestählte Muskeln. Die Eleganz und den wunderbaren Haarschopf Bruno Corras beziehungsweise die elektrische Kahlheit Marinettis.« Komplett unironisch, völlig absurd und unglaublich komisch: Filippo Tommaso Marinetti, der Begründer des Futurismus, erklärt in seinem Verführerhandbuch von 1916 wie Mann Frau zur willenlosen Dienerin seines Begehrens macht, wie man sich »der Frau« nähert, wann der Wein entkorkt werden soll und wann es an der Zeit ist, die Hand auf ihr Knie wandern zu lassen. Mit diesem Manifest gegen die Verbürgerlichung der Liebe schrieb Marinetti die Blaupause für alle späteren Liebesratgeber und lieferte gleichzeitig ein skurril-unterhaltsames Beispiel für die Stilisierung von Geschlechterrollen in den kulturellen Avantgardebewegungen der Moderne.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.08.2015Aus dem Leben eines Frauenjägers
Mit militärisch gedrillten Lippen: Filippo Tommaso Marinetti lehrt die Kunst der erotischen Verführung
"Dieses vom Leben beglaubigte Buch", heißt es im Vorsatz, verfasst von ihm selbst, habe Marinetti im September 1916 geschrieben, bevor er als freiwilliger Artillerist an die Front ging, und korrigiert habe er es als Verwundeter im Militärlazarett von Udine. Tatsächlich hat Filippo Tommaso Marinetti für die Italiener im Ersten Weltkrieg gekämpft.
Da hatte er schon einen Namen als Propagandist des Futurismus, sein "Manifest" hatte er 1909, damals lebte er in Paris, auf der Titelseite der französischen Zeitung "Le Figaro" plaziert: das volle Programm beschleunigter Existenz, inklusive Vitalismus, Anarchismus, Gewalt- und Kriegsverherrlichung, als Maßnahmen einer psychischen und physischen "Hygiene". Das Ganze war, aus seiner Sicht, zweifellos direkt auf den Umgang mit Frauen übertragbar, gern unter Voraussetzung maschineller Beschleunigung wie Besitz eines schnellen Autos; davon legt seine abstruse Fibel "Wie man die Frauen verführt" sattsam Zeugnis ab.
Gleich eingangs steht da: "Der Krieg verleiht der Frau ihren wahren Geschmack und ihren echten Wert." So geht es über gut hundert Seiten dahin, und eigentlich ist damit schon alles gesagt über Marinettis Position im Geschlechterverhältnis, vulgo Geschlechterkampf. Das ist, nicht erst heutzutage, eine zähe Lektüre - trotz aller Bildhaftigkeit und Metaphernseligkeit oder gerade deswegen. Jeder zweite Satz bildet eine von Virilität durchtränkte Pointe, jedes der dreiundzwanzig Kapitel repetiert dieses erotische Getue, in dem noch der Schwulst des Fin de Siècle nachwabert.
Nein, das ist nicht die verquere Bisexualität, mit der der Wiener Otto Weininger 1903 in "Geschlecht und Charakter" seine Frauenverachtung unzureichend bemäntelt; Misogynie lässt sich Marinetti nicht wirklich bescheinigen. Sondern am Grund dieser Frauenjägerphantasien liegt das heruntergebrochene Modell von Friedrich Nietzsches Übermensch.
Am meisten belustigen können in diesem Werk noch die "Simultanen Novellen", die sich in "11 Küsse für Rosa di Belgrado" ergießen und bei einem Tanzvergnügen in der deutschen Botschaft (die Deutschen schätzt Marinetti ansonsten gar nicht) ihren Ausgang nehmen. Die Begegnung führt zu einem Briefverkehr, aus dem eine besonders hübsche Passage zitiert sei: "Trotz der Explosionen des Genusses bleiben meine Lippen militärisch gedrillt, während die Ihren sich entlang des Flusslaufs winden, der Ihren Park leckt und zu den Zahnrädern jener blühenden Mühle fließt, in der mein Leben sich in das Mehl für Ihr tägliches Brot zu verwandeln trachtet."
Ja, so ist er, der metallische Mann, gestählt und poetisch zugleich. Da hatte es sogar Marcel Duchamp mit seiner "Schokoladenreibe" besser. Und immerhin war Marinetti, Jahrgang 1876, da schon neununddreißig Jahre alt, als ihm solch steiler Kitsch aus der Feder floss - übrigens garantiert ironiefrei.
In ihrem Nachwort weist die Übersetzerin Stefanie Golisch darauf hin, dass Marinettis Handbuch im Sinn "seines absoluten Ideals überlegener Männlichkeit" verfasst sei; da hat sie wohl recht. Ob sie allerdings auch damit recht hat, dass dieses Elaborat heute, allererst wieder, lesbar sei als Zeugnis eines unverbesserlichen Romantikers, der seiner eigenen Obsession aufsitzt, sei dahingestellt. Immerhin führten Marinettis ursprünglich futuristische, persönliche Vorlieben an die Seite des italienischen Faschismus eines Benito Mussolini.
Aber ein Zeitzeugnis erster Güte hat der Verlag Matthes & Seitz in bewährter Manier einmal mehr vorgelegt, mit einer verferkelten Collage des amerikanischen Künstlers James Gallagher auf dem Schutzumschlag und im knallpinkfarbenen Hardcover darunter. Da kann kein Feminist meckern.
ROSE-MARIA GROPP.
Filippo Tommaso Marinetti: "Wie man die Frauen verführt".
Aus dem Italienischen von Stefanie Golisch. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2015. 123 S., geb., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit militärisch gedrillten Lippen: Filippo Tommaso Marinetti lehrt die Kunst der erotischen Verführung
"Dieses vom Leben beglaubigte Buch", heißt es im Vorsatz, verfasst von ihm selbst, habe Marinetti im September 1916 geschrieben, bevor er als freiwilliger Artillerist an die Front ging, und korrigiert habe er es als Verwundeter im Militärlazarett von Udine. Tatsächlich hat Filippo Tommaso Marinetti für die Italiener im Ersten Weltkrieg gekämpft.
Da hatte er schon einen Namen als Propagandist des Futurismus, sein "Manifest" hatte er 1909, damals lebte er in Paris, auf der Titelseite der französischen Zeitung "Le Figaro" plaziert: das volle Programm beschleunigter Existenz, inklusive Vitalismus, Anarchismus, Gewalt- und Kriegsverherrlichung, als Maßnahmen einer psychischen und physischen "Hygiene". Das Ganze war, aus seiner Sicht, zweifellos direkt auf den Umgang mit Frauen übertragbar, gern unter Voraussetzung maschineller Beschleunigung wie Besitz eines schnellen Autos; davon legt seine abstruse Fibel "Wie man die Frauen verführt" sattsam Zeugnis ab.
Gleich eingangs steht da: "Der Krieg verleiht der Frau ihren wahren Geschmack und ihren echten Wert." So geht es über gut hundert Seiten dahin, und eigentlich ist damit schon alles gesagt über Marinettis Position im Geschlechterverhältnis, vulgo Geschlechterkampf. Das ist, nicht erst heutzutage, eine zähe Lektüre - trotz aller Bildhaftigkeit und Metaphernseligkeit oder gerade deswegen. Jeder zweite Satz bildet eine von Virilität durchtränkte Pointe, jedes der dreiundzwanzig Kapitel repetiert dieses erotische Getue, in dem noch der Schwulst des Fin de Siècle nachwabert.
Nein, das ist nicht die verquere Bisexualität, mit der der Wiener Otto Weininger 1903 in "Geschlecht und Charakter" seine Frauenverachtung unzureichend bemäntelt; Misogynie lässt sich Marinetti nicht wirklich bescheinigen. Sondern am Grund dieser Frauenjägerphantasien liegt das heruntergebrochene Modell von Friedrich Nietzsches Übermensch.
Am meisten belustigen können in diesem Werk noch die "Simultanen Novellen", die sich in "11 Küsse für Rosa di Belgrado" ergießen und bei einem Tanzvergnügen in der deutschen Botschaft (die Deutschen schätzt Marinetti ansonsten gar nicht) ihren Ausgang nehmen. Die Begegnung führt zu einem Briefverkehr, aus dem eine besonders hübsche Passage zitiert sei: "Trotz der Explosionen des Genusses bleiben meine Lippen militärisch gedrillt, während die Ihren sich entlang des Flusslaufs winden, der Ihren Park leckt und zu den Zahnrädern jener blühenden Mühle fließt, in der mein Leben sich in das Mehl für Ihr tägliches Brot zu verwandeln trachtet."
Ja, so ist er, der metallische Mann, gestählt und poetisch zugleich. Da hatte es sogar Marcel Duchamp mit seiner "Schokoladenreibe" besser. Und immerhin war Marinetti, Jahrgang 1876, da schon neununddreißig Jahre alt, als ihm solch steiler Kitsch aus der Feder floss - übrigens garantiert ironiefrei.
In ihrem Nachwort weist die Übersetzerin Stefanie Golisch darauf hin, dass Marinettis Handbuch im Sinn "seines absoluten Ideals überlegener Männlichkeit" verfasst sei; da hat sie wohl recht. Ob sie allerdings auch damit recht hat, dass dieses Elaborat heute, allererst wieder, lesbar sei als Zeugnis eines unverbesserlichen Romantikers, der seiner eigenen Obsession aufsitzt, sei dahingestellt. Immerhin führten Marinettis ursprünglich futuristische, persönliche Vorlieben an die Seite des italienischen Faschismus eines Benito Mussolini.
Aber ein Zeitzeugnis erster Güte hat der Verlag Matthes & Seitz in bewährter Manier einmal mehr vorgelegt, mit einer verferkelten Collage des amerikanischen Künstlers James Gallagher auf dem Schutzumschlag und im knallpinkfarbenen Hardcover darunter. Da kann kein Feminist meckern.
ROSE-MARIA GROPP.
Filippo Tommaso Marinetti: "Wie man die Frauen verführt".
Aus dem Italienischen von Stefanie Golisch. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2015. 123 S., geb., 14,90 [Euro].
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