Sam ist elf und hat Leukämie. So erschüttert seine Umwelt reagiert, so tapfer geht Sam damit um. Er nutzt die verbleibende Zeit und schreibt wild entschlossen ein Tagebuch über die Fragen, die er noch hat: zu Ufos, Horrorfilmen und Mädchen - aber vor allem die Fragen, die ihm keiner beantwortet: "Wieso lässt Gott Kinder krank werden? Tut Sterben weh?" Nicht nur seine Erkenntnisse, sondern auch seine Wünsche hält er in zahlreichen Listen fest, zum Beispiel: in einem Luftschiff fahren, einen Weltrekord aufstellen und Teenager sein - das heißt für Sam: rauchen, trinken, eine Freundin haben. Mit seinem Freund Felix gelingt es ihm sogar, diese Liste auf höchst originelle Weise abzuarbeiten. Ermutigendes Bestseller-Debüt einer 23-Jährigen aus England zu einem wichtigen Thema!
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.11.2015Was sollen wir lesen?
Jetzt beginnt die dunkle Jahreszeit. Das heißt aber auch: mehr Zeit für Bücher. Tilman Spreckelsen hat in alten und neuen Werken für junge Leser gestöbert. Und einige gefunden, an denen Kinder verschiedener Altersstufen Freude haben.
Eins, Zwei, Drei, Tier.
Bilderbücher, in denen genau das gemalt ist, was auch im Text vorkommt, sind entsetzlich langweilig - eigentlich. In Nadia Buddes "Eins Zwei Drei Tier" ist das ganz anders. Auf jeder Seite sind vier Wesen dargestellt. Drei gehören zusammen, etwa die Jungen Benno, Eddi und Rolf. Der vierte ergibt sich aus dem Reim. Auf Rolf folgt ein Wolf, und den gibt es dann auf der nächsten Seite in drei Fassungen: "Groß", "Mittel" und "Klein" steht nacheinander über den drei Wölfen, die immer mehr einschrumpfen, bis dann das vierte Bild kommt. Auf "klein" folgt "Schwein", und so geht das immer weiter.
Genial einfach ist das, natürlich, aber auch höchst wirkungsvoll beim Vorlesen. Eltern werden sich ebenso wie ihre Kinder fragen, worauf die aberwitzige Kette von Buddes Begriffen jetzt wieder hinauswill, die Zeichnungen mit dem klaren Strich und der flächigen Farbe sind auf das Allerschönste reduziert, das Buch ist ein Kunstwerk, entsprungen aus vollkommener geistiger Unabhängigkeit und der schieren Lust am Reim.
Auf den Hund mit Fliege folgt da die Ziege, die, blättert man um, nacheinander "mit Vollbart", "mit Brille" und "mit Blase" auftritt. Die letzte hält dann auch einen Luftballon mit den Kiefern fest, der das Tier in die Luft reißt. Sie flöge wahrscheinlich weg, und das Buch wäre schon zu Ende, aber zum Glück reimt sich auf "Blase" das Wort "Hase", und so steht der auf dem Boden, eine Schnur in der Hand, an der die Ziege festgebunden ist, und es geht weiter und weiter.
Auf dem vorletzten Bild ist ein Känguru, darauf reimt sich "Du", und man möchte sofort wieder von vorn anfangen. Tut man dann ja auch.
Nadia Budde: "Eins Zwei Drei Tier". Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2008. 18 S., 11,90 Euro. Ab 2 Jahren.
Viel Spaß mit Onkel Tobi.
Wahrscheinlich war das so eine Sternstunde wie die erste Begegnung von Goscinny und Uderzo, Laurel und Hardy oder Kaltz und Hrubesch. Hans-Georg Lenzen, der an der Werkkunstschule in Düsseldorf unterrichtete, hatte eine Studentin namens Sigrid Hanck, die illustrieren wollte, aber nicht wusste, was. Lenzen tat ihr den Gefallen und verfasste eine kleine, gereimte Geschichte um den freundlichen Onkel Tobi, der allein in einem Haus auf dem Land lebt und zum wöchentlichen Einkauf mit seinem Pferdewagen in die Stadt fährt. Wen er unterwegs trifft, der gibt ihm noch eine Bestellung mit, und die Liste wird immer länger: "Hut und Pfanne, Kaffeekanne, / Bretter und ein Päckchen Nägel, / für den dicken Bauer Kregel, / ferner: einen Haustürschlüssel, / für die Äpfel eine Schüssel, / einen Besen für den Stall, für die Katze einen Ball.".
All das schreibt er nicht etwa auf, sondern singt sich die ständig wachsende Liste geradezu vor, und wer das liest oder hört, wird diesen Klang lange nicht mehr los. Lenzen, der auch die Geschichten vom "Kleinen Nick" ins Deutsche gebracht hat, erweist sich mit diesem Buch - dem noch drei weitere Onkel-Tobi-Geschichten folgen sollten - als großer melodischer Dichter, und Hancks Bilder stehen ihm an Raffinesse in nichts nach. Übrigens hat Onkel Tobi natürlich etwas vergessen. Grämt er sich? Ach was, der nächste Samstag kommt bestimmt, und das Pferdchen freut sich schon.
Hans-Georg Lenzen, Sigrid Hanck: "Viel Spaß mit Onkel Tobi". Alle Geschichten in einem Band. Verlag CBJ, München 1994. 128 S., 15 Euro. Ab 5 Jahren.
Der kleine Ritter Trenk.
Der Name Tausendschlag kann Glanz und Unglück bedeuten, je nachdem, wer ihn trägt. Für einen Ritter ist der Name verheißungsvoll - seht her, tausend Schläge teilt er aus, im Turnier und in der Schlacht. Ein Leibeigener dagegen trägt den Namen als Bürde - tausend Schläge empfängt er, wenn er nicht spurt. Der kleine Trenk Tausendschlag, Sohn eines Leibeigenen, erlebt am Beispiel seines Vaters die schmerzhafte Wirklichkeit und träumt sich in die glanzvolle Ritterwelt hinein: Was, wenn er allein durch den Aufstieg von ganz unten bis fast nach oben dem Familiennamen eine neue Bedeutung gäbe?
Kirsten Boies Mittelalterroman für Kinder ist insgesamt an der Realität jener Zeit orientiert und vermittelt eine Menge Kenntnisse, im Detail der Trenkgeschichte aber pfeift er auf die festgefügte Ordnung der Zeit und beschert dem kleinen Helden einen - allerdings hart erarbeiteten - Triumphzug, der ihm schließlich den Ritterschlag einträgt. Das alles wird so dicht und warmherzig erzählt, wie man es von Boie kennt, und die Bilder von Barbara Scholz tun das Ihre, um dieses Buch zu einer rundum erfreulichen Kinderlektüre zu machen.
Natürlich kann man das Drumherum beklagen, die einfallslosen Hefte zu Ritter Trenk, die Fernsehserie, den matten Kinofilm. All das wird eines Tages vergessen sein, wenn das bezaubernde "Ja, Pustekuchen" von Trenks resoluter Freundin Thekla noch immer als angemessener Kommentar zu jeder Ordnung erscheint, die sich anmaßt, den einen unten und den anderen oben zu halten.
Kirsten Boie: "Der kleine Ritter Trenk". Oetinger Verlag, Hamburg 2006. 280 S, 16,90 Euro. Ab 7 Jahren.
Das schaurige Haus.
Kinder lieben Gruselgeschichten, und Gruselgeschichten für Kinder sind sehr schwer zu schreiben. Weil für Kinder andere Dinge unheimlich sind als für Erwachsene, weil Anspielungen auf den verborgenen Schrecken dem besonderen Horizont der jungen Leser entsprechen sollten und weil schließlich ja immer noch die Eltern bei der Auswahl der Lektüre mitreden wollen und dies zu grausam, jenes zu verstörend finden.
"Das schaurige Haus" der mehrfach preisgekrönten Jugendbuchautorin Martina Wildner schafft diese Vermittlung zwischen der erwachsenen Schreibperspektive und dem kindlichen Publikum spielend. Es geht um eine sächsische Familie, die im Allgäu ein Haus bezieht, in dem sich immer noch die früheren Bewohner aufhalten, allerdings als Tote, und weil Eddi, der jüngere Sohn der Familie, dafür besonders sensibel ist, gerät er rasch ins Visier der Geister. Aber über all den schaurigen Accessoires, die Wildner lustvoll zitiert, den Schnecken, die das Grundstück förmlich fluten, den abgewetzten Möbeln, die ihre eigene Geschichte besitzen, dem nahen Friedhof und dergleichen mehr deutet die Autorin behutsam noch in eine andere Richtung. Denn es geht ihr in der Darstellung des im Haus waltenden Schreckens auch um die Schwierigkeiten der zugezogenen Familie mit den Alteingesessenen - und umgekehrt. Das wird mit leichter Hand, aber unerbittlich dargestellt. Wer je eine naive Landlust verspürte, gar mit dem Gedanken spielte, wie es wäre, die Stadt hinter sich zu lassen und ins Grüne zu ziehen, wird hier immerhin gewarnt.
Auch das furiose Finale verknüpft die Welt der Gespenster mit der Ländlichkeit: In beiden sind die Zugezogenen so fremd, wie sie es nur sein können, und beide stellen aggressive Ansprüche an die Familie, deren sie sich mit aller Kraft erwehren müssen.
Junge Leser werden das verstehen. Sie werden sich gruseln, sie werden mit den Brüdern Hendrik und Eddi langsam entschlüsseln, worum es eigentlich geht. Und sie werden um die Brüder bangen, wenn es schon fast zu spät ist.
Martina Wildner: "Das schaurige Haus". Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2015. 240 S., 7,95 Euro. Ab 11 Jahren.
Die maskierte Makrone.
Harriet ist eine Hundedame in einer ausschließlich von Tieren bewohnten Stadt. Sie lebt allein, führt eine Konditorei und ist als Bäckerin so zum Verzweifeln schlecht, dass sie den großen Wurf wagt: Was, wenn es ihr gelingt, das Croissant aller Croissants zu backen, so leicht, so schmackhaft, dass ihre Mitbürger die Konditorei vor Begeisterung stürmen werden? Dann aber gerät sie selbst in ihren Teig und verwandelt sich darin in eine Superheldin, die sich "Die maskierte Makrone" nennt und sich anschickt, die Stadt vor dem gefährlichen Feuerteufel zu retten.
Dass die schwedische Autorin Frida Nilsson sehr, sehr lustig schreiben kann, ist spätestens seit ihrer "Hedvig"-Reihe bekannt. Ihre Lust am Wahnwitz und ihr Gespür für jene Tragik, die aus verpassten Liebesgeschichten erwächst, hat sie nie so schön gezeigt wie in diesem Buch. Es ist Superheldenparodie und Superheldensaga in einem, man sehnt sich nach einer Fortsetzung der rasanten Geschichte. Und wünscht Harriet dort ein bisschen mehr Glück im Umgang mit denjenigen, die sie lieben.
Frida Nilsson: "Die maskierte Makrone auf der Jagd nach dem Feuerteufel". Aus dem Schwedischen von Friederike Buchinger. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2012. 176 S., 5 Euro. Ab 8 Jahren.
Das große Hobbit-Buch.
Natürlich kann man sich damit begnügen, vom Auszug des Hobbit aus dem behaglichen Auenland zu lesen, von Abenteuern mit Trollen, Waldelben, Spinnen und einem Drachen, der zwischen Schmeichelei und Todesdrohung nur einen Wimpernschlag legt. Man kann die Geschichte eines Kerlchens genießen, das, einmal aus der Bahn geschleudert, über sich hinauswächst oder gerade dorthin kommt, wo es hingehört, in das aufregende Leben eines Meisterdiebs unter martialischen Gestalten. Schließlich gibt Tolkiens "Der Hobbit" als Blaupause und Auftakt für "Der Herr der Ringe" genügend her, gerade für jüngere Leser.
Man kann aber auch exakt diesen Lesern demonstrieren, was für ein Gewinn es ist, wenn man kluge Menschen hat, die einem die Hintergründe eines geliebten Buches ausleuchten. Die einen furiosen Kommentar verfassen, der sich rings um den eigentlichen Text legt und in Wort und Bild erklärt, wo Tolkien welches Motiv herhatte und was er so alles anklingen lässt. Derart traktierte Kinder werden später nicht mehr fragen, wozu Philologie eigentlich gut ist. Weil sie es wissen.
J. R. R. Tolkien: "Das große Hobbit-Buch". Aus dem Englischen von Wolfgang Krege und Lisa Kuppler. Klett-Cotta, Stuttgart 2012. 418 S., 29,95 Euro. Ab 14 Jahren.
Wie man unsterblich wird.
Wenn man wie der elfjährige Sam sterben wird, bald schon, weit vor der Zeit, dann ist das eine Katastrophe für alle, die damit zu tun haben: Eltern, Geschwister, Freunde, Lehrer, Sam selbst, der die verrinnende Zeit vielleicht am dringlichsten wahrnimmt. Was er dagegen unternimmt, und davon erzählt dieses Buch aus Sams Perspektive, ist zunächst getragen von Kampfgeist und Abenteuerlust. Wenn schon die Tage gezählt sind, dann kann man vielleicht zuvor noch so viel hineinstopfen, wie nur irgend geht - ins Guinness-Buch der Rekorde kommen, ein Mädchen küssen und dergleichen mehr.
Dann aber kommen die Momente der Angst häufiger, auch davon erzählt das Buch, von einem tapferen Kind, das nachts vor Furcht kein Auge schließt, und vor allem von einem Vater, der den Sohn meidet, weil er ihn zu sehr liebt, um den Verlust als Realität anzuerkennen.
Sam sieht das, wie sollte er nicht, er kämpft, auch um seinen Vater, um ein behütetes Ende, und wie Sally Nicholls das in ihrem ersten Buch hinbekommen hat, ist so schön und so abgrundtief traurig, dass man dafür den Berg an kitschigen Kinderkrebsbüchern, die derzeit die Buchhandlungen verstopfen, gern links liegen lässt.
Sally Nicholls: "Wie man unsterblich wird: Jede Minute zählt". Aus dem Englischen von Birgitt Kollmann. Reihe Hanser bei DTV, München 2010. 208 S., 8,95 Euro. Ab 12 Jahren.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jetzt beginnt die dunkle Jahreszeit. Das heißt aber auch: mehr Zeit für Bücher. Tilman Spreckelsen hat in alten und neuen Werken für junge Leser gestöbert. Und einige gefunden, an denen Kinder verschiedener Altersstufen Freude haben.
Eins, Zwei, Drei, Tier.
Bilderbücher, in denen genau das gemalt ist, was auch im Text vorkommt, sind entsetzlich langweilig - eigentlich. In Nadia Buddes "Eins Zwei Drei Tier" ist das ganz anders. Auf jeder Seite sind vier Wesen dargestellt. Drei gehören zusammen, etwa die Jungen Benno, Eddi und Rolf. Der vierte ergibt sich aus dem Reim. Auf Rolf folgt ein Wolf, und den gibt es dann auf der nächsten Seite in drei Fassungen: "Groß", "Mittel" und "Klein" steht nacheinander über den drei Wölfen, die immer mehr einschrumpfen, bis dann das vierte Bild kommt. Auf "klein" folgt "Schwein", und so geht das immer weiter.
Genial einfach ist das, natürlich, aber auch höchst wirkungsvoll beim Vorlesen. Eltern werden sich ebenso wie ihre Kinder fragen, worauf die aberwitzige Kette von Buddes Begriffen jetzt wieder hinauswill, die Zeichnungen mit dem klaren Strich und der flächigen Farbe sind auf das Allerschönste reduziert, das Buch ist ein Kunstwerk, entsprungen aus vollkommener geistiger Unabhängigkeit und der schieren Lust am Reim.
Auf den Hund mit Fliege folgt da die Ziege, die, blättert man um, nacheinander "mit Vollbart", "mit Brille" und "mit Blase" auftritt. Die letzte hält dann auch einen Luftballon mit den Kiefern fest, der das Tier in die Luft reißt. Sie flöge wahrscheinlich weg, und das Buch wäre schon zu Ende, aber zum Glück reimt sich auf "Blase" das Wort "Hase", und so steht der auf dem Boden, eine Schnur in der Hand, an der die Ziege festgebunden ist, und es geht weiter und weiter.
Auf dem vorletzten Bild ist ein Känguru, darauf reimt sich "Du", und man möchte sofort wieder von vorn anfangen. Tut man dann ja auch.
Nadia Budde: "Eins Zwei Drei Tier". Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2008. 18 S., 11,90 Euro. Ab 2 Jahren.
Viel Spaß mit Onkel Tobi.
Wahrscheinlich war das so eine Sternstunde wie die erste Begegnung von Goscinny und Uderzo, Laurel und Hardy oder Kaltz und Hrubesch. Hans-Georg Lenzen, der an der Werkkunstschule in Düsseldorf unterrichtete, hatte eine Studentin namens Sigrid Hanck, die illustrieren wollte, aber nicht wusste, was. Lenzen tat ihr den Gefallen und verfasste eine kleine, gereimte Geschichte um den freundlichen Onkel Tobi, der allein in einem Haus auf dem Land lebt und zum wöchentlichen Einkauf mit seinem Pferdewagen in die Stadt fährt. Wen er unterwegs trifft, der gibt ihm noch eine Bestellung mit, und die Liste wird immer länger: "Hut und Pfanne, Kaffeekanne, / Bretter und ein Päckchen Nägel, / für den dicken Bauer Kregel, / ferner: einen Haustürschlüssel, / für die Äpfel eine Schüssel, / einen Besen für den Stall, für die Katze einen Ball.".
All das schreibt er nicht etwa auf, sondern singt sich die ständig wachsende Liste geradezu vor, und wer das liest oder hört, wird diesen Klang lange nicht mehr los. Lenzen, der auch die Geschichten vom "Kleinen Nick" ins Deutsche gebracht hat, erweist sich mit diesem Buch - dem noch drei weitere Onkel-Tobi-Geschichten folgen sollten - als großer melodischer Dichter, und Hancks Bilder stehen ihm an Raffinesse in nichts nach. Übrigens hat Onkel Tobi natürlich etwas vergessen. Grämt er sich? Ach was, der nächste Samstag kommt bestimmt, und das Pferdchen freut sich schon.
Hans-Georg Lenzen, Sigrid Hanck: "Viel Spaß mit Onkel Tobi". Alle Geschichten in einem Band. Verlag CBJ, München 1994. 128 S., 15 Euro. Ab 5 Jahren.
Der kleine Ritter Trenk.
Der Name Tausendschlag kann Glanz und Unglück bedeuten, je nachdem, wer ihn trägt. Für einen Ritter ist der Name verheißungsvoll - seht her, tausend Schläge teilt er aus, im Turnier und in der Schlacht. Ein Leibeigener dagegen trägt den Namen als Bürde - tausend Schläge empfängt er, wenn er nicht spurt. Der kleine Trenk Tausendschlag, Sohn eines Leibeigenen, erlebt am Beispiel seines Vaters die schmerzhafte Wirklichkeit und träumt sich in die glanzvolle Ritterwelt hinein: Was, wenn er allein durch den Aufstieg von ganz unten bis fast nach oben dem Familiennamen eine neue Bedeutung gäbe?
Kirsten Boies Mittelalterroman für Kinder ist insgesamt an der Realität jener Zeit orientiert und vermittelt eine Menge Kenntnisse, im Detail der Trenkgeschichte aber pfeift er auf die festgefügte Ordnung der Zeit und beschert dem kleinen Helden einen - allerdings hart erarbeiteten - Triumphzug, der ihm schließlich den Ritterschlag einträgt. Das alles wird so dicht und warmherzig erzählt, wie man es von Boie kennt, und die Bilder von Barbara Scholz tun das Ihre, um dieses Buch zu einer rundum erfreulichen Kinderlektüre zu machen.
Natürlich kann man das Drumherum beklagen, die einfallslosen Hefte zu Ritter Trenk, die Fernsehserie, den matten Kinofilm. All das wird eines Tages vergessen sein, wenn das bezaubernde "Ja, Pustekuchen" von Trenks resoluter Freundin Thekla noch immer als angemessener Kommentar zu jeder Ordnung erscheint, die sich anmaßt, den einen unten und den anderen oben zu halten.
Kirsten Boie: "Der kleine Ritter Trenk". Oetinger Verlag, Hamburg 2006. 280 S, 16,90 Euro. Ab 7 Jahren.
Das schaurige Haus.
Kinder lieben Gruselgeschichten, und Gruselgeschichten für Kinder sind sehr schwer zu schreiben. Weil für Kinder andere Dinge unheimlich sind als für Erwachsene, weil Anspielungen auf den verborgenen Schrecken dem besonderen Horizont der jungen Leser entsprechen sollten und weil schließlich ja immer noch die Eltern bei der Auswahl der Lektüre mitreden wollen und dies zu grausam, jenes zu verstörend finden.
"Das schaurige Haus" der mehrfach preisgekrönten Jugendbuchautorin Martina Wildner schafft diese Vermittlung zwischen der erwachsenen Schreibperspektive und dem kindlichen Publikum spielend. Es geht um eine sächsische Familie, die im Allgäu ein Haus bezieht, in dem sich immer noch die früheren Bewohner aufhalten, allerdings als Tote, und weil Eddi, der jüngere Sohn der Familie, dafür besonders sensibel ist, gerät er rasch ins Visier der Geister. Aber über all den schaurigen Accessoires, die Wildner lustvoll zitiert, den Schnecken, die das Grundstück förmlich fluten, den abgewetzten Möbeln, die ihre eigene Geschichte besitzen, dem nahen Friedhof und dergleichen mehr deutet die Autorin behutsam noch in eine andere Richtung. Denn es geht ihr in der Darstellung des im Haus waltenden Schreckens auch um die Schwierigkeiten der zugezogenen Familie mit den Alteingesessenen - und umgekehrt. Das wird mit leichter Hand, aber unerbittlich dargestellt. Wer je eine naive Landlust verspürte, gar mit dem Gedanken spielte, wie es wäre, die Stadt hinter sich zu lassen und ins Grüne zu ziehen, wird hier immerhin gewarnt.
Auch das furiose Finale verknüpft die Welt der Gespenster mit der Ländlichkeit: In beiden sind die Zugezogenen so fremd, wie sie es nur sein können, und beide stellen aggressive Ansprüche an die Familie, deren sie sich mit aller Kraft erwehren müssen.
Junge Leser werden das verstehen. Sie werden sich gruseln, sie werden mit den Brüdern Hendrik und Eddi langsam entschlüsseln, worum es eigentlich geht. Und sie werden um die Brüder bangen, wenn es schon fast zu spät ist.
Martina Wildner: "Das schaurige Haus". Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2015. 240 S., 7,95 Euro. Ab 11 Jahren.
Die maskierte Makrone.
Harriet ist eine Hundedame in einer ausschließlich von Tieren bewohnten Stadt. Sie lebt allein, führt eine Konditorei und ist als Bäckerin so zum Verzweifeln schlecht, dass sie den großen Wurf wagt: Was, wenn es ihr gelingt, das Croissant aller Croissants zu backen, so leicht, so schmackhaft, dass ihre Mitbürger die Konditorei vor Begeisterung stürmen werden? Dann aber gerät sie selbst in ihren Teig und verwandelt sich darin in eine Superheldin, die sich "Die maskierte Makrone" nennt und sich anschickt, die Stadt vor dem gefährlichen Feuerteufel zu retten.
Dass die schwedische Autorin Frida Nilsson sehr, sehr lustig schreiben kann, ist spätestens seit ihrer "Hedvig"-Reihe bekannt. Ihre Lust am Wahnwitz und ihr Gespür für jene Tragik, die aus verpassten Liebesgeschichten erwächst, hat sie nie so schön gezeigt wie in diesem Buch. Es ist Superheldenparodie und Superheldensaga in einem, man sehnt sich nach einer Fortsetzung der rasanten Geschichte. Und wünscht Harriet dort ein bisschen mehr Glück im Umgang mit denjenigen, die sie lieben.
Frida Nilsson: "Die maskierte Makrone auf der Jagd nach dem Feuerteufel". Aus dem Schwedischen von Friederike Buchinger. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2012. 176 S., 5 Euro. Ab 8 Jahren.
Das große Hobbit-Buch.
Natürlich kann man sich damit begnügen, vom Auszug des Hobbit aus dem behaglichen Auenland zu lesen, von Abenteuern mit Trollen, Waldelben, Spinnen und einem Drachen, der zwischen Schmeichelei und Todesdrohung nur einen Wimpernschlag legt. Man kann die Geschichte eines Kerlchens genießen, das, einmal aus der Bahn geschleudert, über sich hinauswächst oder gerade dorthin kommt, wo es hingehört, in das aufregende Leben eines Meisterdiebs unter martialischen Gestalten. Schließlich gibt Tolkiens "Der Hobbit" als Blaupause und Auftakt für "Der Herr der Ringe" genügend her, gerade für jüngere Leser.
Man kann aber auch exakt diesen Lesern demonstrieren, was für ein Gewinn es ist, wenn man kluge Menschen hat, die einem die Hintergründe eines geliebten Buches ausleuchten. Die einen furiosen Kommentar verfassen, der sich rings um den eigentlichen Text legt und in Wort und Bild erklärt, wo Tolkien welches Motiv herhatte und was er so alles anklingen lässt. Derart traktierte Kinder werden später nicht mehr fragen, wozu Philologie eigentlich gut ist. Weil sie es wissen.
J. R. R. Tolkien: "Das große Hobbit-Buch". Aus dem Englischen von Wolfgang Krege und Lisa Kuppler. Klett-Cotta, Stuttgart 2012. 418 S., 29,95 Euro. Ab 14 Jahren.
Wie man unsterblich wird.
Wenn man wie der elfjährige Sam sterben wird, bald schon, weit vor der Zeit, dann ist das eine Katastrophe für alle, die damit zu tun haben: Eltern, Geschwister, Freunde, Lehrer, Sam selbst, der die verrinnende Zeit vielleicht am dringlichsten wahrnimmt. Was er dagegen unternimmt, und davon erzählt dieses Buch aus Sams Perspektive, ist zunächst getragen von Kampfgeist und Abenteuerlust. Wenn schon die Tage gezählt sind, dann kann man vielleicht zuvor noch so viel hineinstopfen, wie nur irgend geht - ins Guinness-Buch der Rekorde kommen, ein Mädchen küssen und dergleichen mehr.
Dann aber kommen die Momente der Angst häufiger, auch davon erzählt das Buch, von einem tapferen Kind, das nachts vor Furcht kein Auge schließt, und vor allem von einem Vater, der den Sohn meidet, weil er ihn zu sehr liebt, um den Verlust als Realität anzuerkennen.
Sam sieht das, wie sollte er nicht, er kämpft, auch um seinen Vater, um ein behütetes Ende, und wie Sally Nicholls das in ihrem ersten Buch hinbekommen hat, ist so schön und so abgrundtief traurig, dass man dafür den Berg an kitschigen Kinderkrebsbüchern, die derzeit die Buchhandlungen verstopfen, gern links liegen lässt.
Sally Nicholls: "Wie man unsterblich wird: Jede Minute zählt". Aus dem Englischen von Birgitt Kollmann. Reihe Hanser bei DTV, München 2010. 208 S., 8,95 Euro. Ab 12 Jahren.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main