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Korfu 1970, beim Dreh eines Monumentalfilms über die Irrfahrten des Odysseus: Jules Jacobson, Regisseur der namhaften amerikanischen Firma Clytemnestra Films, sitzt zwischen allen Stühlen. Dem Produzenten schwebt ein spektakulärer Kassenschlager vor, die Geldgeber fordern hingegen künstlerische Treue zum homerischen Original, die Stars liegen ihm mit Sonderwünschen in den Ohren, und ein sexsüchtiges Starlet mischt die sittsame griechische Kleinstadt, in der das Filmteam logiert, gründlich auf. Es reicht nicht, dass ein eilig eingeflogener Historiker aus Cambridge die Auswahl der Drehorte und…mehr

Produktbeschreibung
Korfu 1970, beim Dreh eines Monumentalfilms über die Irrfahrten des Odysseus: Jules Jacobson, Regisseur der namhaften amerikanischen Firma Clytemnestra Films, sitzt zwischen allen Stühlen. Dem Produzenten schwebt ein spektakulärer Kassenschlager vor, die Geldgeber fordern hingegen künstlerische Treue zum homerischen Original, die Stars liegen ihm mit Sonderwünschen in den Ohren, und ein sexsüchtiges Starlet mischt die sittsame griechische Kleinstadt, in der das Filmteam logiert, gründlich auf. Es reicht nicht, dass ein eilig eingeflogener Historiker aus Cambridge die Auswahl der Drehorte und das Drehbuch einer kritischen Prüfung unterzogen hat — die Verse Homers sträuben sich gegen die Verwendung im Film. Ein versierter Schriftsteller mit einem Faible für Literatur der Antike muss her und verwendbare Filmdialoge schaffen — Fielding Gray, der sich am Ort des Geschehens aber nicht nur in die paradiesisch bezahlte Textarbeit vertieft. Er taucht ein in die Welt selbstsüchtiger Darsteller, millionenschwerer Förderer und listenreicher Filmemacher, bis der Strudel aus Begehrlichkeiten, Intrigen, Ruhmeswillen und Gier auch ihn selbst erfasst. Im achten Band der Romanreihe "Almosen fürs Vergessen" nimmt Simon Raven sich für seine Panoramaschau der gehobenen britischen Nachkriegsgesellschaft wie gewohnt mit Witz und Biss die Kulturindustrie und ihre Protagonisten vor.
Autorenporträt
Simon Raven (1927—2001) besuchte als Spross einer Strumpffabrikantenfamilie die elitäre Charterhouse School, von der er 1945 wegen homosexueller Handlungen relegiert wurde. Unter seinen Mitschülern waren u. a. James Prior (später Minister im Kabinett von Margaret Thatcher) sowie der spätere Herausgeber der "Times", William Rees-Mogg. Beide hat er in der Romanreihe "Almosen fürs Vergessen" literarisch verewigt. Nach seinem Militärdienst, den Raven als Offiziersanwärter in Indien ableistete, studierte er ab 1948 am King's College in Cambridge Altphilologie. Er wurde Vater eines Sohnes und heiratete widerwillig. In finanzielle Schwierigkeiten geraten, trat er erneut in die Armee ein, wurde in Deutschland und in Kenia stationiert, quittierte den Dienst aber schließlich, um eine unehrenhafte Entlassung wegen Wettschulden abzuwenden. Fortan widmete er sich der Schriftstellerei und arbeitete als Literaturkritiker. Der Verleger Anthony Blond nahm ihn 1958 unter der Bedingung, mindestens 50 Meilen von Londons Vergnügungsstätten entfernt zu wohnen, unter Vertrag — ein Arrangement, das sich drei Jahrzehnte bewährte. Ein ausschweifender Lebenswandel, kühne Meinungen, seine offen ausgelebte Bisexualität und die Tatsache, dass er das Material für seine Bücher aus dem unmittelbaren Freundeskreis gewann und mit freizügigen Sexszenen und scharfzüngigen Urteilen über die Gesellschaft kombinierte, verschafften ihm einen Ruf als Schandmaul unter den englischen Nachkriegsautoren. Gleichwohl wurde er von namhaften Kollegen wie etwa Anthony Powell nicht nur als Literaturkritiker, sondern auch als Literat geschätzt. Sein 10-bändiger Romanzyklus "Alms for Oblivion" (1964—1976) wird heute mit dem Werk von Lawrence Durrell, Graham Greene, Anthony Powell und Evelyn Waugh verglichen und Raven als "einer der brillantesten Romanciers seiner Generation" bewertet (Patrick Newley). Bekannt wurde Raven auch durch die Verfilmung von Trollopes "The Pallisers" (1974) und die Fernsehserie "Edward and Mrs. Simpson" (1978) sowie die Mitarbeit am Drehbuch für den James-Bond-Film "Im Geheimdienst Ihrer Majestät" (1969). Dem Vorwurf, ein Snob zu sein, begegnete er mit dem Hinweis, er schreibe "für Leute, die sind wie ich: gebildet, weltgewandt und skeptisch".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.01.2024

Antike, aber kritisch
In Simon Ravens Roman „Wie Schatten kommt“ will ein linksradikaler
Studentenbeirat die „Odyssee“ geschlechtergerecht überarbeiten.
Der wundervolle zehnbändige Romanzyklus, den der britische Autor Simon Raven unter den schönen Titel „Almosen fürs Vergessen“ gestellt hat, gelangt nun auf seine Zielgerade. In diesem Jahr sollen die beiden letzten Bände der 2020 im Elfenbein-Verlag begonnenen Übersetzung erscheinen: eine Großleistung von am Ende mehr als dreitausend Seiten, für die der Übersetzerin Sabine Franke kaum genug zu danken ist, nicht zuletzt, wenn man ihre fast unbegreifliche Geschwindigkeit bedenkt. Fürs englische Original brauchte sein Verfasser immerhin zwölf Jahre (1964 bis 1976), dabei immer in Fühlung mit der voranschreitenden Zeitgeschichte bleibend.
Ravens Zyklus ist immer beides, melancholischer Rückblick auf das sich von der Geschichte verabschiedende britische Empire und zeitdiagnostische Beobachtung mit erstaunlichem Prognosepotenzial. Die Romane, im Wesentlichen für sich stehend, daher einzeln lesbar, verwirklichen diese historische Janusköpfigkeit in der Gestalt Fielding Grays, der im zeitlich am frühesten, im Frühjahr 1945, angesetzten Roman seine vorgezeichnete Karriere als brillanter Altphilologe in Cambridge aufgeben und eine Offizierslaufbahn einschlagen musste (SZ vom 6. Juli 2020). Der bisexuelle Macho Gray, halb Poet, halb Haudegen, wird auch zum raubeinig-sensiblen Träger der Genderaspekte im historischen Umbruch.
Wie weitblickend das war, sieht man eigentlich erst heute, eine Generation später – insofern darf die verspätete deutsche Rezeption des in England längst klassischen Zyklus jetzt auch als Chance und Glücksfall begriffen werden. Der jüngst erschienene achte Band zeigt das ein weiteres Mal unterhaltend und witzig. Der inzwischen arg ramponierte Gray – er hat bei einem Anschlag ein Auge verloren und lebt, von einer reichen Frau ausgehalten als freier Schriftsteller – ergreift eine brillante Verdienstmöglichkeit, indem er sich als altphilologischer Berater bei einer Verfilmung der homerischen Odyssee auf Korfu verdingt.
Das teure, zu großen Teilen über Stiftungsgelder finanzierte Projekt gerät in einen regelrechten Kulturkampf: Während die Produktionsfirma auf kassenfüllenden Sex und Kampfszenen setzt, will die finanzierende Stiftung einen Bildungsfilm mit maximaler Nähe zum Originaltext. Für beides und noch viel mehr bietet die „Odyssee“ genügend Gelegenheit, wo Blutbäder (unter den Freiern von Penelope) und sensibles Liebesschmachten (bei Nausikaa), edles Sprechen und landschaftlicher Lyrismus sich in den bekannten Abenteuern des listenreichen Helden verbinden. Fielding Gray greift für seine Drehbucharbeit in einem Luxushotel am Drehort tief in die englische Übersetzungshistorie, die Sabine Franke mit Proben aus der ebenso vielfältigen deutschen Homer-Tradition spiegeln kann (warum verzichtet sie auf Wolfgang Schadewaldt, wäre allerdings zu fragen).
Doch wie immer bei Raven: Die Handlung spielt an einem historischen Bruch, nämlich 1970. Die Bildungsideale ändern sich, die finanzkräftige althumanistische Stiftung wird neuerdings von einem linksradikalen studentischen Beirat gelenkt: Homer soll sozialkritisch und geschlechtergerecht modernisiert werden. Warum finden sich im Hades keine Vertreter der Unterschicht? Da muss sich doch etwas machen lassen! Gray muss sich mit den völlig neuartigen Problemen des Sensitivity Reading herumschlagen und die kontrollierende Studentin mit ausgefallenem Sex bei Laune halten.
Und natürlich kann am griechischen Schauplatz – wo damals noch eine Diktatur herrscht – auch eine an Eric Ambler erinnernde Geheimdienstvolte nicht fehlen, wir wollen schließlich nicht nur homerisch belehrt, sondern spannend unterhalten werden. Die Würze des wie immer in einem Rutsch zu lesenden Bandes liegt in Selbstironie und satirischem Humor. Hat Simon Raven begriffen, dass er 1972, als sein Roman erschien, einen weiten Blick in die Zukunft getan hatte?
Die Briten im Smoking, die am Ende über griechische Schotterfelder stiefeln, sieht man allerdings wie in einem umgedrehten Fernglas: Das Ende der zutiefst männlichen imperialen Dreierbeziehung von Gräzistik, Diplomatie und Militär vollzieht sich in altem Dresscode unter politisch höchst unkorrektem Sprachgebrauch. Vorbei, farewell, ruft auch dieses Buch wie so viele Kunstwerke, die bleiben.
GUSTAV SEIBT
Warum finden sich im
Hades keine Vertreter
der Unterschicht?
Die Würze dieses Buches
liegt in Selbstironie
und satirischem Humor
Dass man seine Romanreihe erst mit einem gewissen zeitlichen Abstand auf Deutsch lesen kann, ist auch eine Chance: der englische Schriftsteller Simon Raven.
Foto: Sophie Bassouls/Sygma via Getty
Simon Raven: Wie Schatten kommt. Almosen fürs Vergessen, Band 8. Aus dem Englischen von Sabine Franke. Elfenbein Verlag,
Berlin 2023. 278 Seiten, 22 Euro.
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