Schriftsteller sind beliebte Interviewpartner, aus zweierlei Gründen: Man erhofft sich von ihnen Aufschluss über ihre eigenen Werke und Aufklärung über die allgemeine Weltlage. Das Schriftstellerinterview ist eine Fortsetzung der Literatur mit den Mitteln der Mediensprache. Es lebt von der Unmittelbarkeit, mit der sich Schriftsteller zu Wort melden und zu literarischen, gesellschaftlichen und politischen Themen Stellung beziehen.
Max Frisch war der Inbegriff eines Schriftstellers, der sich einmischt und gehört wird. Er hat unzählige Interviews gegeben, obwohl er sie eigentlich gar nicht mochte. Umso virtuoser beherrschte er sie: Er war ein master conversationalist, wie sich Jodi Daynard ausdrückt, die ihn in den achtziger Jahren drei Tage lang interviewte.
Nun erscheint erstmals eine Auswahl der besten Interviews und Gespräche mit Max Frisch. Einige davon werden zum ersten Mal überhaupt oder zum ersten Mal in voller Länge oder zum ersten Mal in deutscher Sprache veröffentlicht. Im Gespräch über Themen wie Vernunft und Utopie, Ideologie und Kritik, Hass und Gewalt, aber auch über Fakt und Fiktion, Poesie und Polemik werden Fragen beantwortet, die bis heute aktuell sind.
Max Frisch war der Inbegriff eines Schriftstellers, der sich einmischt und gehört wird. Er hat unzählige Interviews gegeben, obwohl er sie eigentlich gar nicht mochte. Umso virtuoser beherrschte er sie: Er war ein master conversationalist, wie sich Jodi Daynard ausdrückt, die ihn in den achtziger Jahren drei Tage lang interviewte.
Nun erscheint erstmals eine Auswahl der besten Interviews und Gespräche mit Max Frisch. Einige davon werden zum ersten Mal überhaupt oder zum ersten Mal in voller Länge oder zum ersten Mal in deutscher Sprache veröffentlicht. Im Gespräch über Themen wie Vernunft und Utopie, Ideologie und Kritik, Hass und Gewalt, aber auch über Fakt und Fiktion, Poesie und Polemik werden Fragen beantwortet, die bis heute aktuell sind.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.06.2017„Man redet in Watte hinein“
Ein Band mit Gesprächen und Interviews macht nicht nur Lust auf das Werk
von Max Frisch. Er zeigt auch, wie geschickt der Autor mit seinem Bild in der Öffentlichkeit zu spielen verstand
VON HELMUT BÖTTIGER
Max Frisch hat immer viel berechnet. Er hat regelrechte Slogans geschaffen: „Ich probiere Geschichten an wie Kleider“, oder: „Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen“. Sie finden sich in seinen Büchern. Interviews hingegen hat er eher ungern gegeben. Wenn jetzt zum ersten Mal ein Band mit Gesprächen Max Frischs erscheint, ist dies durchaus als ein Beitrag zu seinem Werk zu verstehen. Wie in seinen literarischen Texten experimentiert er mit der Rolle des Schriftstellers und sieht auch diese Form von Öffentlichkeit als ein Spiel, ein spezielles Versteck- und Identitätsspiel, bei dem etwas vermeintlich preisgegeben, danach aber wieder artifiziell aufgehoben wird. Sein Kollege Horst Bienek befragte ihn 1961 und beschrieb, wie Frisch dabei auf ihn wirkte: „Er zieht an seiner Pfeife, die ständig ausgeht, die er aber unermüdlich und sehr geduldig wieder anzündet.“
Die Interviews, die sehr verstreut erschienen sind und zum Teil jetzt das erste Mal überhaupt veröffentlicht werden, erstrecken sich von 1959 bis 1989, zwei Jahre vor Frischs Tod. Vorgeschaltet hat der Herausgeber Thomas Strässle allerdings einen Fund aus dem Jahr 1934, in dem jemand namens „Max Frisch“ zwar als Gesprächspartner auftaucht, es aber nicht ist. Eduard Korrodi, der Feuilletonchef der Neuen Zürcher Zeitung, schrieb keine Besprechung des soeben erschienenen Debütromans „Jörg Reinhart“ des gerade 23 Jahre alten Max Frisch, sondern druckte einen Dialog zwischen einer Figur namens „Max Frisch“ und jemandem, der einfach „Der Andere“ heißt und der Dinge sagt, die Korrodi vermutlich in seiner Rezension weitaus härter formuliert hätte. Es ist von einer abgründigen Komik, dass im ersten erhaltenen Zeugnis über den Schriftsteller Max Frisch schon das Leitmotiv seines späteren Werks auftaucht: Jedes Ich ist eine Erfindung. Aber Korrodi hatte sicher auch den konkreten jungen Mitarbeiter der Neuen Zürcher Zeitung vor Augen, dessen Beiträge er druckte, wenn er seinen „Max Frisch“ das Gespräch gleich mit der kecken Bemerkung beginnen lässt: „Herr Doktor, es überrascht mich, dass Sie über mein Buch Jürg Reinhart nicht schreiben.“ Vielleicht war Max Frisch schon früh der Stratege, als der er sich später erwies.
Im August 1964, im Jahr von „Mein Name sei Gantenbein“, beendete er ein Interview über sein Verhältnis zur Schweiz mit dem Satz: „Warten wir den Roman ab. Er erscheint am 1. September.“ In Eduard Korrodis liebevoll-ironisch erfundenen Frisch-Sätzen aus dem Jahr 1934 scheint sich der junge Autor seiner literarischen Absichten sehr bewusst zu sein und definiert das Ende des Romans so, dass es seine Hauptfigur „weit über das Geschlechtliche hinaushebt, das ihn zu vernichten drohte.“ Bis weit in die Sechzigerjahre hinein fällt auf, wie sehr sich Max Frisch als politisch engagierter Schriftsteller begreift. Die Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht Ende der Vierzigerjahre bildet für ihn noch lange einen Maßstab. Es fallen Sätze über die Bedeutung des Theaters nach dem „Bankrott einer Kultur, der wir angehört haben“. Interessant ist Frischs Begründung, warum in den ersten Jahren nach dem Krieg mit ihm und Dürrenmatt ausgerechnet zwei Schweizer die deutsche Literaturszene beherrschten: Es existiere in Deutschland kein Bürgertum mehr, das kulturell in diesem Sinn empfindlich sei, es gebe kein Drama „vor Tarnkappen“. Dasselbe Schweizer Bürgertum indes ist bis zum Schluss Frischs Problem: „Realität gibt es in der Schweiz nur im Geschäftsleben“, sagt er 1964, und 1984 resümiert er über seine Beziehung zu seinem Heimatland: „Man redet in Watte hinein.“
Mit der Zeit sieht Frisch das Verhältnis zwischen Schriftsteller und Politik skeptischer. 1974 sagt er, dass alles, was er politisch gemacht habe, eher eine „Donquichotterie“ sei: „Sie müssen mir nur eine Windmühle aufstellen, und ich reite.“ Es kommt in den Interviews also gelegentlich zu genauso griffigen Sätzen wie in den Büchern. Auch das merkwürdig schweizspezifische Freund-Konkurrenzverhältnis zu Dürrenmatt hatte etwas mit derlei „Windmühlen“ zu tun. Dürrenmatt galt als eine Art nationales Denkmal, obwohl er in seinen Dramen genauso mit seinem Staat ins Gericht ging wie Frisch. Dass Frisch dagegen immer als Nestbeschmutzer galt, lag wohl an seinen Statements in den Medien, an seinen konkreten politischen Äußerungen. Frisch wurde dabei immer unwohler. Mehrmals griff er in den letzten Jahren zu der Formulierung, dass die Literatur „keine Gegenmacht“ sei, aber immerhin eine „Gegenposition zur Macht“ – hier ist eine allmähliche Verschiebung von Brecht hin zu Robert Walser zu ahnen.
Manchmal vergisst sich Frisch in diesen Konfrontationen. Auffällig ist, wie sehr er sich über den Interviewer Fritz J. Raddatz aufregt. 1981 setzte dieser ihm privat zu und arbeitete mit Suggestivfragen und ungenauen Zitaten, entsprach also einem selbstreferenziellen, effektgeladenen Begriff von Journalismus. Raddatz wollte etwas über Frischs Beziehung zu Bachmann wissen und fragte nach dem „Hochmut“ des Schriftstellers, anderen etwas über das eigene Gefühlsleben mitzuteilen. Hier entfährt Frisch der Ausruf „Wie Sie mir auf den Leib rücken!“, der dem Band den Titel gegeben hat, aber er verfügt über die Ironie, Raddatz schließlich als lästigen Wichtigtuer dastehen zu lassen.
Anderen Interviewern gelang es dagegen, durch genaue Textkenntnis Frisch ziemlich tiefe Einblicke in seinen Schreibprozess zu entlocken und das Thema der Identität als Markenzeichen dieses Autors zu hinterfragen. In einem entlegenen Schweizer Interview blickt Frisch in den Achtzigerjahren auf sein autobiografisch grundiertes Buch „Montauk“ zurück, auf das Gefühl, „versöhnt“ und „angstfrei“ gewesen zu sein. Dann folgt der Satz: „Nachher ist die Angst dann wiedergekommen.“ In diesen Nebenwerken des Autors blitzt hin und wieder etwas so auf, dass man nachlesen möchte.
Max Frisch: „Wie Sie mir auf den Leib rücken!“ Interviews und Gespräche. Ausgewählt und herausgegeben von Thomas Strässle. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 236 Seiten, 22 Euro
Frischs Romandebüt
wurde in Form eines Gesprächs
mit ihm selbst rezensiert
Max Frisch konnte sich
sehr über Fritz J. Raddatz
aufregen
Inszenierung und Werk sind bei Max Frisch oft nicht eindeutig voneinander zu unterscheiden.
Foto: AP
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Ein Band mit Gesprächen und Interviews macht nicht nur Lust auf das Werk
von Max Frisch. Er zeigt auch, wie geschickt der Autor mit seinem Bild in der Öffentlichkeit zu spielen verstand
VON HELMUT BÖTTIGER
Max Frisch hat immer viel berechnet. Er hat regelrechte Slogans geschaffen: „Ich probiere Geschichten an wie Kleider“, oder: „Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen“. Sie finden sich in seinen Büchern. Interviews hingegen hat er eher ungern gegeben. Wenn jetzt zum ersten Mal ein Band mit Gesprächen Max Frischs erscheint, ist dies durchaus als ein Beitrag zu seinem Werk zu verstehen. Wie in seinen literarischen Texten experimentiert er mit der Rolle des Schriftstellers und sieht auch diese Form von Öffentlichkeit als ein Spiel, ein spezielles Versteck- und Identitätsspiel, bei dem etwas vermeintlich preisgegeben, danach aber wieder artifiziell aufgehoben wird. Sein Kollege Horst Bienek befragte ihn 1961 und beschrieb, wie Frisch dabei auf ihn wirkte: „Er zieht an seiner Pfeife, die ständig ausgeht, die er aber unermüdlich und sehr geduldig wieder anzündet.“
Die Interviews, die sehr verstreut erschienen sind und zum Teil jetzt das erste Mal überhaupt veröffentlicht werden, erstrecken sich von 1959 bis 1989, zwei Jahre vor Frischs Tod. Vorgeschaltet hat der Herausgeber Thomas Strässle allerdings einen Fund aus dem Jahr 1934, in dem jemand namens „Max Frisch“ zwar als Gesprächspartner auftaucht, es aber nicht ist. Eduard Korrodi, der Feuilletonchef der Neuen Zürcher Zeitung, schrieb keine Besprechung des soeben erschienenen Debütromans „Jörg Reinhart“ des gerade 23 Jahre alten Max Frisch, sondern druckte einen Dialog zwischen einer Figur namens „Max Frisch“ und jemandem, der einfach „Der Andere“ heißt und der Dinge sagt, die Korrodi vermutlich in seiner Rezension weitaus härter formuliert hätte. Es ist von einer abgründigen Komik, dass im ersten erhaltenen Zeugnis über den Schriftsteller Max Frisch schon das Leitmotiv seines späteren Werks auftaucht: Jedes Ich ist eine Erfindung. Aber Korrodi hatte sicher auch den konkreten jungen Mitarbeiter der Neuen Zürcher Zeitung vor Augen, dessen Beiträge er druckte, wenn er seinen „Max Frisch“ das Gespräch gleich mit der kecken Bemerkung beginnen lässt: „Herr Doktor, es überrascht mich, dass Sie über mein Buch Jürg Reinhart nicht schreiben.“ Vielleicht war Max Frisch schon früh der Stratege, als der er sich später erwies.
Im August 1964, im Jahr von „Mein Name sei Gantenbein“, beendete er ein Interview über sein Verhältnis zur Schweiz mit dem Satz: „Warten wir den Roman ab. Er erscheint am 1. September.“ In Eduard Korrodis liebevoll-ironisch erfundenen Frisch-Sätzen aus dem Jahr 1934 scheint sich der junge Autor seiner literarischen Absichten sehr bewusst zu sein und definiert das Ende des Romans so, dass es seine Hauptfigur „weit über das Geschlechtliche hinaushebt, das ihn zu vernichten drohte.“ Bis weit in die Sechzigerjahre hinein fällt auf, wie sehr sich Max Frisch als politisch engagierter Schriftsteller begreift. Die Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht Ende der Vierzigerjahre bildet für ihn noch lange einen Maßstab. Es fallen Sätze über die Bedeutung des Theaters nach dem „Bankrott einer Kultur, der wir angehört haben“. Interessant ist Frischs Begründung, warum in den ersten Jahren nach dem Krieg mit ihm und Dürrenmatt ausgerechnet zwei Schweizer die deutsche Literaturszene beherrschten: Es existiere in Deutschland kein Bürgertum mehr, das kulturell in diesem Sinn empfindlich sei, es gebe kein Drama „vor Tarnkappen“. Dasselbe Schweizer Bürgertum indes ist bis zum Schluss Frischs Problem: „Realität gibt es in der Schweiz nur im Geschäftsleben“, sagt er 1964, und 1984 resümiert er über seine Beziehung zu seinem Heimatland: „Man redet in Watte hinein.“
Mit der Zeit sieht Frisch das Verhältnis zwischen Schriftsteller und Politik skeptischer. 1974 sagt er, dass alles, was er politisch gemacht habe, eher eine „Donquichotterie“ sei: „Sie müssen mir nur eine Windmühle aufstellen, und ich reite.“ Es kommt in den Interviews also gelegentlich zu genauso griffigen Sätzen wie in den Büchern. Auch das merkwürdig schweizspezifische Freund-Konkurrenzverhältnis zu Dürrenmatt hatte etwas mit derlei „Windmühlen“ zu tun. Dürrenmatt galt als eine Art nationales Denkmal, obwohl er in seinen Dramen genauso mit seinem Staat ins Gericht ging wie Frisch. Dass Frisch dagegen immer als Nestbeschmutzer galt, lag wohl an seinen Statements in den Medien, an seinen konkreten politischen Äußerungen. Frisch wurde dabei immer unwohler. Mehrmals griff er in den letzten Jahren zu der Formulierung, dass die Literatur „keine Gegenmacht“ sei, aber immerhin eine „Gegenposition zur Macht“ – hier ist eine allmähliche Verschiebung von Brecht hin zu Robert Walser zu ahnen.
Manchmal vergisst sich Frisch in diesen Konfrontationen. Auffällig ist, wie sehr er sich über den Interviewer Fritz J. Raddatz aufregt. 1981 setzte dieser ihm privat zu und arbeitete mit Suggestivfragen und ungenauen Zitaten, entsprach also einem selbstreferenziellen, effektgeladenen Begriff von Journalismus. Raddatz wollte etwas über Frischs Beziehung zu Bachmann wissen und fragte nach dem „Hochmut“ des Schriftstellers, anderen etwas über das eigene Gefühlsleben mitzuteilen. Hier entfährt Frisch der Ausruf „Wie Sie mir auf den Leib rücken!“, der dem Band den Titel gegeben hat, aber er verfügt über die Ironie, Raddatz schließlich als lästigen Wichtigtuer dastehen zu lassen.
Anderen Interviewern gelang es dagegen, durch genaue Textkenntnis Frisch ziemlich tiefe Einblicke in seinen Schreibprozess zu entlocken und das Thema der Identität als Markenzeichen dieses Autors zu hinterfragen. In einem entlegenen Schweizer Interview blickt Frisch in den Achtzigerjahren auf sein autobiografisch grundiertes Buch „Montauk“ zurück, auf das Gefühl, „versöhnt“ und „angstfrei“ gewesen zu sein. Dann folgt der Satz: „Nachher ist die Angst dann wiedergekommen.“ In diesen Nebenwerken des Autors blitzt hin und wieder etwas so auf, dass man nachlesen möchte.
Max Frisch: „Wie Sie mir auf den Leib rücken!“ Interviews und Gespräche. Ausgewählt und herausgegeben von Thomas Strässle. Suhrkamp Verlag, Berlin 2017. 236 Seiten, 22 Euro
Frischs Romandebüt
wurde in Form eines Gesprächs
mit ihm selbst rezensiert
Max Frisch konnte sich
sehr über Fritz J. Raddatz
aufregen
Inszenierung und Werk sind bei Max Frisch oft nicht eindeutig voneinander zu unterscheiden.
Foto: AP
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»Ein Autor, der Leben und Schreiben existenziell miteinander verknüpft hat.« Volker Weidermann Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung