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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Gregor Gysi legt seine eigene Fassung linker Politik vor
Ein Systematiker ist Gregor Gysi offenbar nicht, es geht in seinem Buch kreuz und quer und wieder zurück von der Energiewende zur Altersarmut, von der Abschaffung prekärer Arbeit zur Abschaffung der Nato. Doch wer sich den Band mit dem Titel "Wie weiter?" kauft, auf dem der Autor zu sehen ist, wie er mit seinen Zeigefingern in entgegengesetzte Richtungen weist, mag ahnen, was auf ihn zukommt. "Nachdenken über Deutschland" ist der Untertitel des Büchleins, das es mit Fotos des Autors und eingestreuten Aufnahmen von diesem und jenem sowie 24 blanken Seiten auf 192 Seiten bringt. Woher die Texte stammen, wird nicht genannt, auch wenn Auslassungszeichen vermuten lassen, dass es sich um eine Zweit- oder Drittverwertung von Reden und Interviews handelt; das Format wurde als "Mao-Bibel" bekannt.
Weil im September ein neuer Bundestag gewählt wird, kann das Buch auch als Gysis Übersetzung des voluminösen Wahlprogramms seiner Partei oder als Ersatz für den Besuch von Wahlkundgebungen genutzt werden. Es liefert ein freundliches Bild dessen, wofür die Linkspartei steht, kann als Kaffeefahrt-Digest ihrer offiziellen Äußerungen gelesen werden, zusammengestellt von einem, der es gut mit ihr meint. Gysis Parlando ist immer höchst angenehm, auch wenn man sich oft schon zwei Sekunden nach der Lektüre fragt, ob er noch alle Tassen im Schrank haben kann. "Drei Schwächen der Linken" nennt er und rechnet dagegen auf "mindestens vier Gründe, weshalb ich den Kapitalismus überwinden will: Krieg, Hunger und die Unfähigkeit, soziale Gerechtigkeit und ,ökologische Nachhaltigkeit' herzustellen".
An einigen Stellen vermerkt man gerührt, dass der Prominente Gysi sich einen schärferen praktischen Blick bewahrt hat als viele seiner Parteifreunde. Sein Plädoyer für den Mindestlohn - mit dessen Höhe hält er sich nicht lange auf - ergänzt er durch die Beobachtung, dass nach dessen Einführung "auch die Preise beim Friseur, Bäcker, Fleischer" steigen werden, entwertet die Analyse jedoch gleich wieder mit der Beschwichtigung, das sei auch "machbar", weil dann "auch mehr Geld unter den Leuten sein wird".
Mit einem seiner typischen Rotary-Club-Sentenzen raubt er in Kapitel 7, "Soziale Gerechtigkeit für alle", den Ausführungen in Kapitel 24, "Für den sozial-ökologischen Umbau", viel an Glaubwürdigkeit: "Ich halte nichts davon, auf die kapitalistische Überproduktion mit der fortgesetzten Reduzierung des Konsums zu antworten." Im gleichen After-Dinner-Ton heißt es in Kapitel 24: "Wer den umfassenden grünen Wandel will, darf das rote Projekt der Gleichheit nicht vergessen."
Gregor Gysi nimmt man nicht übel, wenn er mal im Brustton Unsinn vorträgt und mal energisch für mehr Vernunft wirbt. "Vor zehn, fünfzehn Jahren", behauptet er kühn, obwohl er das Gegenteil aus der ersten Reihe beobachten konnte und seine Partei der Hauptprofiteur der Agenda 2010 war, "sprach kaum einer in unserem Land über soziale Fragen." Inzwischen aber sei seine Partei als Spezialist für soziale Gerechtigkeit bekannt. Und was die Forderung nach einer Bundesfinanzpolizei angeht: "Der Staatssekretär des Bundesfinanzministers hat dies auch gefordert. Also sehe ich bei Union und FDP keinen Grund mehr, sich weiterhin dagegen zu sträuben." So leicht könnte Politik sein, wenn nur alle vernünftig wären - so vernünftig wie der Vorsitzende der Linkspartei im Bundestag.
MECHTHILD KÜPPER
Gregor Gysi: Wie weiter? Nachdenken über Deutschland. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2013. 192 S., 12,99 [Euro].
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