Ein Tabu-Thema rückt in den Fokus
Gleich zu Beginn des Buches gibt Christian Schüle einen Sicherheitshinweis: „...nicht alles, was verhandelt wird, lässt sich empirisch beweisen“ und „An keiner Stelle wird es eine Handlungsanleitung geben“. Er will nicht belehren, sondern dazu ermutigen, sich
individuell mit einem schwierigen Thema auseinanderzusetzen.
Es gibt wenige sichere Ereignisse, der…mehrEin Tabu-Thema rückt in den Fokus
Gleich zu Beginn des Buches gibt Christian Schüle einen Sicherheitshinweis: „...nicht alles, was verhandelt wird, lässt sich empirisch beweisen“ und „An keiner Stelle wird es eine Handlungsanleitung geben“. Er will nicht belehren, sondern dazu ermutigen, sich individuell mit einem schwierigen Thema auseinanderzusetzen.
Es gibt wenige sichere Ereignisse, der Tod gehört zweifelsohne dazu. Und so hat Autor Schüle recht, wenn er sinniert, dass „der Kampf gegen den Tod schon bei der Geburt verloren ist“. Trotz dieser trivialen Erkenntnis ist ein Wandel im Denken erkennbar. Der Mensch sucht Trost im Diesseits, nimmt sein Leben selbstbestimmt in die eigene Hand. Die Technik ermöglicht und verführt zu einem schmerzfreien, leidlosen, nicht ewigem, aber langem Leben. Eine Ethik ohne Gott ist Folge dieser Diesseitsbejahung.
Was ist Sterben? Oder anders gefragt: Wann ist der Mensch tot?. Diese Frage ist aus medizinischer Sicht nicht leicht zu beantworten. Schüle macht an einem fiktiven Beispiel deutlich, dass der Hirntod ein unscharfes Kriterium ist, da das Kleinhirn, welches aus verschiedenen Gründen meist nicht untersucht wird, noch aktiv sein kann, wenn Großhirn und Stammhirn keine Reaktionen mehr zeigen. Auch machen Untersuchungen deutlich, dass die Organentnahme bei Hirntoten zu messbaren Stressreaktionen führen kann.
Schüle beschreibt einen Wandel beim Umgang mit dem Sterben, ausgelöst durch Randgruppen der Gesellschaft, die reichlich Erfahrungen mit einem würdelosen Tod gesammelt haben. Auch die Kirchen folgen mehr der Seelsorge des Sterbenden und weniger dem Dogma der Erbsünde, wonach sich der Mensch nicht selbst erlösen kann. Ist der Tod der größte Gleichmacher einer Welt ungleicher Individuen? „Der Tod ebnet [zweifelsohne] soziale, kulturelle, ökonomische Unterschiede und Hierarchien ein“.
Nach der Enttabuisierung der Sexualität Ende der 1960er Jahre steht eine Generation später der Tod im Brennpunkt der Öffentlichkeit. Lady Di, Papst Johannes Paul II und Michael Jackson sind Beispiele für die totale Medialisierung des Todes und für öffentliche Trauer. Die mediale Vernetzung beeinflusst das Verhältnis zur Trauer, rückt das Private in die Öffentlichkeit; Grenzen werden verschoben.
Die psychischen Nachfolgeerkrankungen eines unbewältigten Todes verursachen volkswirtschaftlich gesehen gewaltige Schäden; Krebserkrankungen auf nicht verarbeitete Traumata zurückzuführen bleibt aber spekulativ. Trauer lässt sich nicht kulturell, religiös oder staatlich verordnen, gefragt ist Individualität. Und so beschreibt Schüle in „Die allerletzten Dinge“ vier Erkenntnisse, die er im Hinblick auf das Sterben für bedeutend hält.
Autor Schüle gibt in fünf Introspektionen Einblick in das, was er selbst glaubt und dazu gehört u.a. die Unbestechlichkeit der Natur. Das Leben sieht er nicht als Geschenk an, da er gegen seinen Willen ins Leben geworfen wurde. Er legt Wert auf ein selbstbestimmtes Leben, auch dann, wenn es sich dem Ende zuneigt. „Ich will den Tod, wenn er eines Tages kommen wird, als notwendigen Teil meines Lebens begriffen haben“.
Es handelt sich bei diesem Buch nicht um leichte Lektüre. Dies gilt hinsichtlich des Themas und auch hinsichtlich der Sprache (eher „Spiegel“-Niveau als „Bild“-Niveau). Trotz Untergliederung in fünf Teile und vierzig Kapitel, vermisse ich einen stringenten Aufbau. Dennoch ist es Christian Schüle gelungen, sich mit diesem sensiblen Thema angemessen auseinanderzusetzen, ohne belehrend zu wirken oder ins Religiöse abzugleiten. Wenn ein Gedanke in seinen Ausführungen prägnant ist, dann die Aufforderung zum selbst Denken bzw. zum selbstbestimmten Leben.