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Antike Architekturteile wie Säulen, Kapitelle, Gesimse, aber auch Statuen, Sarkophage, Reliefs, Inschriften sind im Mittelalter einfallsreich wiederverwendet worden, wobei die Motive von bloßer materieller Verwertung über interpretatio christiana bis zu politischer Legitimierung reichen. Der Autor zeigt, wie diese so genannte Spolienverwendung, sichtbarster Ausdruck des Nachlebens der Antike, von Archäologen, Historikern und Kunsthistorikern bewertet wird und was diese Fächer mit ihrer spezifischen Kompetenz daraus an Erkenntnis ziehen.

Produktbeschreibung


Antike Architekturteile wie Säulen, Kapitelle, Gesimse, aber auch Statuen, Sarkophage, Reliefs, Inschriften sind im Mittelalter einfallsreich wiederverwendet worden, wobei die Motive von bloßer materieller Verwertung über interpretatio christiana bis zu politischer Legitimierung reichen. Der Autor zeigt, wie diese so genannte Spolienverwendung, sichtbarster Ausdruck des Nachlebens der Antike, von Archäologen, Historikern und Kunsthistorikern bewertet wird und was diese Fächer mit ihrer spezifischen Kompetenz daraus an Erkenntnis ziehen.


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Autorenporträt


Arnold Esch, Klassischer Archäologe und Historiker, ist emeritierter Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Bern und leitete 1988-2001 das Deutsche Historische Institut in Rom.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2005

Die Überlieferungschance
Arnold Eschs kleine Studie über die Wiederverwendung von Antike im Mittelalter / Von Henning Ritter

Anfang der sechziger Jahre wurde in Berlin der Anhalter Bahnhof, der als Ruine überdauert hatte, abgerissen. Die Fassade blieb bis heute auf dem leeren Platz stehen, als ein musealer Rest, ein Denkmal des schlechten Gewissens. Vielleicht überdauert heute noch das eine oder andere ornamentierte Fragment als Buchstütze. Damals erschien auch Wolf Jobst Siedlers Pamphlet "Die gemordete Stadt", das die mutwillige Zerstörung des städtebaulichen Erbes des neunzehnten Jahrhunderts geißelte. Als wenige Jahre später die nostalgische Wiederentdeckung dieses Erbes einsetzte, war es nicht allein der Geschmackswandel, der zur Rettung des Erbes beitrug, sondern die Idee der Umfunktionierung. Das funktionalistische Credo war das entscheidende Hindernis gewesen, alte Bauten in den Dienst neuer Zwecke zu stellen. So überlebte in Paris der funktionslos gewordene Orsay-Bahnhof als Museum, und nach diesem Muster hätten auch die legendären Hallen oder der Anhalter Bahnhof eine Zukunftschance bekommen können.

"Umnutzung" gehört auch zum Vokabular einer faszinierenden schmalen Abhandlung von Arnold Esch über "Wiederverwendung der Antike im Mittelalter". Nur durch Umnutzung konnten antike Bauten als Ganze in der christlichen Epoche überleben. Nur durch Umnutzung konnte dem Risiko einer am Ende zerstörerischen Verwertung entzogen werden, was von der antiken Kultur erhalten geblieben war. Aus Theatern mochten Stadtpaläste werden, während Tempel zu Steinbrüchen wurden, denen über Jahrhunderte das Material für alle möglichen Bauten entnommen wurde. Das Ergebnis waren jene berüchtigten Spolienbauten, über die Goethe gesagt hat, sie seien "zusammengeflickt, nicht dumm, aber toll". Zwischen dem Recyclying antiker Reste und der mit Bedacht betriebenen Umnutzung gab es eine Fülle von Zwischenformen, in denen sich das kulturelle Erbe der Antike ins Mittelalter und schließlich zu den Ufern ihrer neuen Hochschätzung in der Renaissance retten konnte.

Der ehemalige Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom, einer der besten Kenner Roms, gibt auf gerade einmal sechzig Seiten eine faszinierende Skizze der typischen Verläufe der Überführung des als Spolien verfügbar gewordenen antiken Erbes in mittelalterliche Bauten. Die Wiederverwendung dieses Erbes bahnte die Wege, auf denen die antiken Reste ihre abenteuerliche Reise durch die Zeit antraten. Alles, betont Esch, "buchstäblich alles war der Gefahr wie der Chance der Wiederverwendung ausgesetzt". Gefahr und Chance hielten sich die Waage. Seit der Mitte des elften Jahrhunderts, immerhin schon einige Jahrhunderte nach dem Untergang der Antike, ist ein weites Spektrum der Spolienverwertung zu erkennen: Es wird auf Qualität, Maße und Einheitlichkeit des antiken Materials geachtet, man ergänzt und arbeitet sogar nach antikem Muster an den Überresten weiter, man betont ihren antiken Charakter durch prominente Plazierung in Portal, Apsis oder Campanile.

Mit der Bestandsaufnahme dieser Vorgänge könnte man Bände füllen. Arnold Esch, der sich der Fülle dieses Materials nicht verschließt, ist freilich auf etwas anderes aus. In einem Aufsatz hat er es "Überlieferungschance und Überlieferungszufall" genannt. Während der Archäologe auf dem zerklüfteten Feld der Bewirtschaftung von Spolien nur auf die Herkunft der Stücke und ihren ursprünglichen Kontext zu achten hat, interessiert sich der Historiker für das Nachleben, für den Übergang in neue Kontexte, vor allem aber für die Chance des Überlebens und Nachlebens der nichtliterarischen Überlieferung.

Die Spolien sind ein ideales Demonstrationsobjekt, um nachzuzeichnen, wie Überlieferung funktioniert, wie Absichten und Zufälle sich in die Arbeit an ihr teilen. Sogar in die massenhafte Verwertung, das bloße Recycling spielen Absichten hinein, indem auf der einen Seite massenhaft verworfen, andererseits aber Einzelstücke gezielt aufbewahrt werden. Zeiten mit Bedacht vorgenommener Wiederverwendung können zugleich Zeiten der Massenvernichtung sein. Den Historiker interessiert, unter welchen Gesichtspunkten das Mittelalter solche Auslese vollzog. Wiederwendung ist zweischneidig, was auf der einen Seite bewahrt wird, definiert auf der anderen Seite, was als nicht verwendbar gilt. Statuen waren hier gefährdeter als Baureste. Sie bedurften der "interpretatio christiana", um in das neue Zeitalter eintreten zu können, und überhaupt ist Interpretation für die anspruchsvollen Einzelstücke das Eintrittsticket zur Überlieferung.

Arnold Esch beherrscht meisterhaft die Kasuistik dieses Ausleseprozesses, bei dem es die Zufälle einzukreisen und die Absichten zu verdeutlichen gilt, ehe sich das Profil eines Überlieferungsprozesses abzuzeichnen beginnt. Niedriges und Hohes greifen hier ineinander, denn die Überlieferung bekommt ihren Inhalt immer nur ex post. Am Ende sind es die Humanisten und die Renaissance, die auf die Erträge eines in seinen Intentionen vieldeutigen Prozesses zurückgreifen können. Sie mußten erst freilegen, was sie für das antike Erbe hielten. Aber ohne die Arbeit der Wiederverwendung, die das Mittelalter leistete, wären sie auf einen minimalen Bestand zufällig erhaltener Werke angewiesen gewesen, der sozusagen ohne Kontext auf sie gekommen wäre.

Der Historiker kann sich nicht mit hochtrabenden Worten wie dem vom "Überlieferungsgeschehen" zufriedengeben. Auf beeindruckende Weise hat Arnold Esch eine eigene Methode des Buchstabierens von Überlieferungsvorgängen entwickelt, indem er herauspräpariert, was er "Überlieferungschancen" nennt: Welche Objekte haben in einem bestimmten Augenblick die Chance, in neue Zusammenhänge hineingenommen und so vor der bedenkenlosen Vernichtung bewahrt zu werden. Auch dies war, wenngleich auf Stufen von geringerer Bedeutsamkeit, ein Nachleben der Antike. Und die bescheidenste antike Spolie konnte doch jederzeit in ein volkstümliches Bewußtsein vom Altertum eingehen, sozusagen ein elementares Volkslatein sprechen. So wird man, aufgrund der Befunde von Esch und unabhängig von der Frage, ob es im Mittelalter echte Renaissancen gab, von einer kontinuierlichen Überlieferung der Antike im Mittalter sprechen können, die zur Möglichkeit der Renaissance mehr beigetragen hat, als diese dem Mittelalter zuzugestehen bereit war.

Überlieferung braucht Überlieferungschancen. Was als Ganzes nicht erhalten werden kann, mag in Teilen und in neuer Verwendung die Zeitreise antreten, oftmals in grotesker Verkürzung der urprünglichen Funktion und Bedeutung. Es ist ein Opfer, das der Überlieferungschance, dem Kampf ums kulturelle Dasein gebracht wird. Und so verhält es sich im Mittelalter mit dem antiken Erbe nicht anders als heute, wenn Kirchenbauten sich einer Umfunktionierung fügen müssen, um ihre Überlebenschance zu wahren.

Arnold Esch: "Wiederverwendung von Antike im Mittelalter". Die Sicht des Archäologen und des Historikers. Walter de Gruyter Verlag, Berlin, New York 2005. 75 S., 24 Abb., br., 14,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Fasziniert zeigt sich Rezensent Henning Ritter von Arnold Eschs schmaler Studie über "Wiederverwendung von Antike im Mittelalter". Er würdigt den Autor, den ehemaligen Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom, als einen der "besten Kenner" der Stadt. Esch zeige, dass es zwischen Recycling und bedachter Umnutzung viele Zwischenformen im Umgang mit antiken Bauten gab, in denen sich die Kultur der Antike durchs Mittelalter retten konnte, und er skizziere die typischen Verläufe der Überführung des antiker Erbes in mittelalterliche Bauten. Ritter hebt hervor, dass Esch mit der Bestandsaufnahme dieser Vorgänge Bände hätte füllen können. Aber als Historiker sei es ihm vor allem darum gegangen zu untersuchen, unter welchen Gesichtspunkten das Mittelalter Wiederverwertung betrieb und nach welchen Kriterien sich die Auslese vollzog.

© Perlentaucher Medien GmbH
"So wird man, aufgrund der Befunde von Esch und unabhängig von der Frage, ob es im Mittelalter echte Renaissancen gab, von einer kontinuierlichen Überlieferung der Antike im Mittelalter sprechen können, die zur Möglichkeit der Renaissance mehr beigetragen hat, als diese dem Mittelalterzuzugestehen bereit war."
Henning Ritter in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 2005

"In souveräner Manier durchschreitet Esch die Landschaften Italiens, um an Wegesrändern, in Klöstern und Palazzi, Wehrmauern und Kirchtürmen die Wiederverwendung antiker Steine, Inschriften, Skulpturen aufzuspüren und zu charakterisieren. [...] Eine Bibliografie zur Spolien-Forschung rundet den handlichen Band ab, der die Wiederverwendung der Antike als diachrone Spielart kulturellen Austauschs in gedanklich anregender und höchst lesenswerter Weise vorstellt.
Harald Müller in: H-Soz-u-Kult 2006