Seit Henry David Thoreaus "Walden, or, Life in the Woods" (1854) etabliert sich das Nachdenken und Schreiben über Wildnis als Dreh- und Angelpunkt des geschichtlichen, kulturellen und politischen Selbstverständnisses der USA. Arno Heller stellt die Formen dieser Auseinandersetzung von ihren Anfängen bis in die unmittelbare Gegenwart vor und entfaltet ein kulturhistorisch ungemein aufschlussreiches Panorama, das in der europäischen und deutschen Kultur keine Entsprechung hat. Nicht nur die großen Erinnerungsorte in Neuengland, wo die zentralen Fragen nach nationaler Identität erstmals gestellt wurden, sondern auch diese Wilderness-Texte widerlegen eindrucksvoll das europäische Vorurteil eines geschichtslosen Amerikas. Vor nur 200 Jahren war die gesamte Westhälfte des amerikanischen Kontinents eine spärlich bewohnte Wildnis. In einem gewaltigen Kraftakt gelang es der berühmt-berüchtigten 'Westexpansion', dieses riesige Territorium zu 'erobern' und der 'westlichen Zivilisation' zugänglich zu machen. Diese Erfahrung blieb als prägendes Urerlebnis im kollektiven Bewusstsein Nordamerikas lebendig. Sie brachte einen spezifischen Mythos der Wildnis hervor, der bis heute in zahllosen Büchern und Filmen nachwirkt. Trotz der enormen Vielfalt von Schauplätzen, Charakteren und individuellen Zugängen zeichnet sich dabei ein wiederkehrendes Strukturmuster ab: Die Protagonisten sind wilderness-Enthusiasten, Einzelgängerinnen, survival-Abenteurer, zivilisationsmüde Aussteiger, patriarchalisch traumatisierte Frauen, Naturforscherinnen und spirituelle Sinnsucher. Sie unternehmen eine äußere Reise aus der Zivilisation in eine unberührte Wildnis, die sich zu einer "inneren Landschaft" ausweitet und einen tiefgreifenden persönlichen Wandel auslöst.
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