Eine schöne Auswahl!
Bialik war mir bisher kein Begriff; und inzwischen weiß ich, dass er die hebräische Sprache aus der religiösen Ecke herausnahm, sie für die Literatur öffnete und damit wieder lebendig machte, was ihn zum israelischen Nationaldichter machte. In diesem Buch geht es um sein
Herkunftsland: Wolhynien, ehemals Sowjetunion, heute Teil der Ukraine.
Bialik erzählt von einer…mehrEine schöne Auswahl!
Bialik war mir bisher kein Begriff; und inzwischen weiß ich, dass er die hebräische Sprache aus der religiösen Ecke herausnahm, sie für die Literatur öffnete und damit wieder lebendig machte, was ihn zum israelischen Nationaldichter machte. In diesem Buch geht es um sein Herkunftsland: Wolhynien, ehemals Sowjetunion, heute Teil der Ukraine.
Bialik erzählt von einer untergegangenen Welt: der Welt des osteuropäischen Judentums. Dabei malt er ein durchaus ambivalentes Bild seiner jüdischen Dorfgemeinschaft. Die Juden müssen zwar Gewalt und Willkür ertragen, aber umgekehrt üben auch sie Gewalt aus. Sie werden ausgegrenzt, aber grenzen selber auch aus. Das Verhältnis zur Tradition wird besonders deutlich in der Erzählung „Hinter dem Zaun“. Noah, der Protagonist, ist ein rebellischer junger Mann, der gegen die traditionsverhafteten Eltern aufbegehrt und sich mit dem nicht-jüdischen Nachbarsmädchen anfreundet. Das Schlussbild zeigt ihn jedoch als feige: er verleugnet das gemeinsame Kind, das ihn nun „hinter dem Zaun“ nur durch ein Astloch sehen kann, und fügt sich in die von seinen Eltern arrangierte Ehe. Die Rebellion gegen die Tradition ist beendet, und an ihre Stelle ist das Bewusstsein der Verwurzelung in diese Traditionen getreten, womit er allerdings Schuld auf sich lädt. In „Wildwuchs“, der Titelerzählung, erzählt Bialik ebenfalls von einem jungen Menschen, dessen Lebensauffassung der seines tätigen Vaters diametral widerspricht. Der Vater arbeitet und sorgt für die Familie, während der Sohn gedankenversunken auf der Wiese liegt und in die umgebende Natur das Heilige Land und die Geschichten des Alten Testaments hineinträumt. Immer gelingen Bialik poetische, leicht melancholische Naturbeschreibungen seiner Heimat, die wie zart hingetupfte Bilder wirken.
Ganz anders klingt das abschließende Langgedicht „In der Stadt des Tötens“, eine Totenklage, die die Schrecken eines Pogroms in grellen Bildern deutlich macht. Auch hier zeigt sich Bialiks ambivalente Haltung. Das Gedicht ist nicht nur eine Totenklage, sondern auch eine sehr kritische Anklage an die jüdischen Männer, die der Massenvergewaltigung und -abschlachtung der Frauen wie verängstigte Mäuse aus einem Mauseloch zusehen statt sich zu wehren. Damit hat das Gedicht einen deutlich appellativen Charakter und weist auf die Schaffung eines jüdischen wehrbereiten Staats hin.
Verschiedene Nachworte informieren den Leser über die Biografie Bialiks, die Übersetzungsproblematik und die biografischen Anteile an den Erzählungen.
Eine lohnende Lektüre!