Wilhelm Tell ist ein Freiheitskämpfer. Aber er ist immer im Auftrag unterwegs - im Auftrag derjenigen, die von ihm erzählen. Im 13. Jahrhundert taucht er am nördlichen Rand Europas auf, 1470 erscheint er erstmals in der Schweiz, im "Weissen Buch von Sarnen". Über die Jahrhunderte verschlägt es ihn an die verschiedensten Orte, von Luzern bis Boston, Ägypten und Manila. Michael Blatter und Valentin Groebner folgen dem Mann mit der Armbrust auf seinen Streifzügen. Sie berichten von Tells Auftraggebern, die seine Geschichte für ihre Zwecke immer wieder neu und anders präsentiert, umgeschrieben und nachgespielt haben; und sie zeichnen nach, wie der Rebell kritisiert, in Erz gegossen, totgeschwiegen und verbrannt wurde. Ein historischer Essay mit überraschenden Bezügen zur Gegenwart - und ohne den bitteren Ernst, der Geschichten nationaler Gründerfiguren so oft eigen ist.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Seit Otto Marchis Studie "Schweizer Geschichte für Ketzer" ist es Gewissheit: Einen Beweis für die historische Existenz Wilhelm Tells gibt es nicht, informiert Rezensent Marc Tribelhorn. Kein Grund für die Historiker Michael Blatter und Valentin Groebner das Phänomen Tell nicht hinsichtlich seiner weiten Verbreitung zu untersuchen, fährt der Kritiker fort, der - man kann es in seinem Resümee nur erahnen, dieses "leichtfüßige" Essay mit Interesse gelesen hat. So erfährt der Rezensent hier, dass sich erste Hinweise auf die Geschichte schon in Persien fanden, bis sie im 12. Jahrhundert erstmals im dänischen Roskilde aufgeschrieben wurde. Aufmerksam liest Tribelhorn auch, wie die zwischen Opfer und Täter oszillierende Figur für die verschiedensten Kriege und Kämpfe instrumentalisiert wurde, etwa als Freiheitskämpfer "Guillaume Tell" bei den jakobinischen Umzügen im postrevolutionären Frankreich oder als Vorbild palästinensischer Terroristen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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