Mit einer Auseinandersetzung über die Liebe beginnt Hannah Arendts lebenslanger, inniger Streit mit Martin Heidegger. Doch Werke können sich gegen die Wucht des Lebens manchmal nur schwer behaupten. Wie sonst ist es zu erklären, dass die Liebesbeziehung beider in aller Munde, ihre philosophischen Überlegungen zum Liebesbegriff aber nahezu unbekannt sind? Sind sie überhaupt von Bedeutung? Tatjana Noemi Tömmel erkundet in ihrem luziden Buch diese »Terra incognita«. Aus einer Vielzahl von Fragmenten rekonstruiert sie die systematische Funktion, die der Liebesbegriff im Werk beider Autoren hat, und zeichnet dabei auch den stillen Dialog nach, den Arendt mit Heidegger über die Liebe führte.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
In vielerlei Hinsicht ist diese Arbeit von Tatjana Noemi Tömmel für Josef Früchtl ein Gewinn. Zunächst erscheint ihm der Liebesbegriff im Zusammenhang mit der Beziehung zwischen Martin Heidegger und Hannah Arendt und beider Werk ein neuer Ansatz zu sein. Ferner findet er die Ausführungen der Autorin dazu kundig, differenziert, sinnvoll systematisierend und lesbar. Schließlich ergibt sich aus der Rekonstruktionsarbeit der Autorin an Vorlesungen, Briefen, Notizen und Entwürfen beider Philosophen für den Rezensenten eine Philosophie der Liebe mit besonderer Beachtung ihrer kognitiven Funktion. Dass Tömmel bei dieser mächtigen Agenda nicht der Versuchung der Übersystematisierung erliegt, hält Früchtl überdies für bemerkenswert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.01.2014Sie hatten eine Fernbeziehung
Was Heidegger und Arendt mit der Liebe verbinden
Die europäische Kultur kennt berühmte tragische Liebespaare. Auch in der Philosophie haben sie ihren bescheidenen Platz. Martin Heidegger und Hannah Arendt bieten dafür den besten Beweis. Dass eine achtzehnjährige Studentin sich in einen siebzehn Jahre älteren verheirateten Professor verliebt und mit ihm eine Affäre beginnt, wäre für sich genommen nicht bemerkenswert. Aber dieser Professor schickte sich bereits an, zur Berühmtheit zu werden, und diente sich überdies den Nationalsozialisten zur selben Zeit an, in der die Geliebte als Jüdin das Land verlassen musste.
Dem Verhältnis des Philosophen und seiner später gleichfalls berühmten Schülerin haben sich inzwischen zahlreiche Publikationen gewidmet. Nun aber ist ein ganz anderes und doch verwandtes Thema aufgegriffen worden: die Liebesbegriffe im Werk Heideggers und Arendts. Tatjana Noemi Tömmel legt eine äußerst kundige, hilfreich systematisierende und angenehm lesbare Darstellung vor. Am Ende hält man nicht weniger als eine Philosophie der Liebe in Händen.
Freilich bedarf es dazu einiger Rekonstruktionsarbeit. So finden sich bei Heidegger keine längeren publizierten Passagen zu diesem Thema. Bei Arendt ist das insofern anders, als sie ihre Dissertation über den Liebesbegriff bei Augustinus geschrieben hat, Gedanken über die Liebe in allen größeren Publikationen nach dem Zweiten Weltkrieg ausgebreitet werden und das Hauptwerk "Vita activa" ursprünglich den Titel "Amor mundi" tragen sollte. Dennoch muss Tömmel für ihre Arbeit insgesamt einen "großzügigen Werkbegriff" ansetzen und sich neben den Vorlesungen auch und vor allem auf Briefe, Notizen, Entwürfe und Gedichte stützen.
Auf diese Weise kann sie zeigen, dass der Liebesbegriff im unpublizierten Werk des Liebes- und späteren Freundschaftspaares "zum beherrschenden Thema" wird. Denn bei beiden lasse sich die kognitive und modellhafte Funktion der Liebe herausstellen. Zentral für Arendt scheint jene Liebesformel, die sie von Heidegger übernimmt, der sie wiederum aus Augustinus herausliest: amo, volo ut sis; "ich liebe dich - ich will, dass du seist (was du bist)". Liebe ist hier, wie Arendt sagt, "die höchste Form der Anerkennung", eine Bestimmung, die es Tömmel erlaubt, sie in den Zusammenhang einer Theorie der Anerkennung zu stellen, wie sie ihr Doktorvater Axel Honneth entwickelt hat.
Doch ist sie auch hier darauf bedacht, keine undifferenzierte Vereinheitlichung vorzunehmen. Es gibt bei Arendt mehrere Liebesbegriffe, und den stärksten Kontrast zum augustinischen formuliert sie in ihrer wohl bekanntesten These, dass Liebe als "weltlose", die Liebenden von der Mitwelt trennende Passion einem politischen Leben entgegensteht. Tömmels Buch ist lehrreich gerade deshalb, weil es keiner zwanghaften Übersystematisierung erliegt. Hebt Heidegger die Liebe als kleinere Schwester der Kunst hervor in ihrer Fähigkeit, eine Alternative zur "Heimatlosigkeit" des modernen Menschen zu bieten, so vergisst Tömmel nicht, dass der Liebesbegriff sowohl bei Heidegger als auch bei Arendt gezeichnet bleibt durch eine eigene "spezifische Heimatlosigkeit". Er erinnert an eine persönliche und politische Wunde. Von daher schließlich auch der Reiz, den indirekten Dialog mitzuverfolgen, den Heidegger und Arendt, das frühere Liebespaar, vermittelt durch den Liebesbegriff miteinander führen.
JOSEPH FRÜCHTL
Tatjana Noemi Tömmel: "Wille und Passion". Der Liebesbegriff bei Heidegger und Arendt. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 364 S., br., 18,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was Heidegger und Arendt mit der Liebe verbinden
Die europäische Kultur kennt berühmte tragische Liebespaare. Auch in der Philosophie haben sie ihren bescheidenen Platz. Martin Heidegger und Hannah Arendt bieten dafür den besten Beweis. Dass eine achtzehnjährige Studentin sich in einen siebzehn Jahre älteren verheirateten Professor verliebt und mit ihm eine Affäre beginnt, wäre für sich genommen nicht bemerkenswert. Aber dieser Professor schickte sich bereits an, zur Berühmtheit zu werden, und diente sich überdies den Nationalsozialisten zur selben Zeit an, in der die Geliebte als Jüdin das Land verlassen musste.
Dem Verhältnis des Philosophen und seiner später gleichfalls berühmten Schülerin haben sich inzwischen zahlreiche Publikationen gewidmet. Nun aber ist ein ganz anderes und doch verwandtes Thema aufgegriffen worden: die Liebesbegriffe im Werk Heideggers und Arendts. Tatjana Noemi Tömmel legt eine äußerst kundige, hilfreich systematisierende und angenehm lesbare Darstellung vor. Am Ende hält man nicht weniger als eine Philosophie der Liebe in Händen.
Freilich bedarf es dazu einiger Rekonstruktionsarbeit. So finden sich bei Heidegger keine längeren publizierten Passagen zu diesem Thema. Bei Arendt ist das insofern anders, als sie ihre Dissertation über den Liebesbegriff bei Augustinus geschrieben hat, Gedanken über die Liebe in allen größeren Publikationen nach dem Zweiten Weltkrieg ausgebreitet werden und das Hauptwerk "Vita activa" ursprünglich den Titel "Amor mundi" tragen sollte. Dennoch muss Tömmel für ihre Arbeit insgesamt einen "großzügigen Werkbegriff" ansetzen und sich neben den Vorlesungen auch und vor allem auf Briefe, Notizen, Entwürfe und Gedichte stützen.
Auf diese Weise kann sie zeigen, dass der Liebesbegriff im unpublizierten Werk des Liebes- und späteren Freundschaftspaares "zum beherrschenden Thema" wird. Denn bei beiden lasse sich die kognitive und modellhafte Funktion der Liebe herausstellen. Zentral für Arendt scheint jene Liebesformel, die sie von Heidegger übernimmt, der sie wiederum aus Augustinus herausliest: amo, volo ut sis; "ich liebe dich - ich will, dass du seist (was du bist)". Liebe ist hier, wie Arendt sagt, "die höchste Form der Anerkennung", eine Bestimmung, die es Tömmel erlaubt, sie in den Zusammenhang einer Theorie der Anerkennung zu stellen, wie sie ihr Doktorvater Axel Honneth entwickelt hat.
Doch ist sie auch hier darauf bedacht, keine undifferenzierte Vereinheitlichung vorzunehmen. Es gibt bei Arendt mehrere Liebesbegriffe, und den stärksten Kontrast zum augustinischen formuliert sie in ihrer wohl bekanntesten These, dass Liebe als "weltlose", die Liebenden von der Mitwelt trennende Passion einem politischen Leben entgegensteht. Tömmels Buch ist lehrreich gerade deshalb, weil es keiner zwanghaften Übersystematisierung erliegt. Hebt Heidegger die Liebe als kleinere Schwester der Kunst hervor in ihrer Fähigkeit, eine Alternative zur "Heimatlosigkeit" des modernen Menschen zu bieten, so vergisst Tömmel nicht, dass der Liebesbegriff sowohl bei Heidegger als auch bei Arendt gezeichnet bleibt durch eine eigene "spezifische Heimatlosigkeit". Er erinnert an eine persönliche und politische Wunde. Von daher schließlich auch der Reiz, den indirekten Dialog mitzuverfolgen, den Heidegger und Arendt, das frühere Liebespaar, vermittelt durch den Liebesbegriff miteinander führen.
JOSEPH FRÜCHTL
Tatjana Noemi Tömmel: "Wille und Passion". Der Liebesbegriff bei Heidegger und Arendt. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 364 S., br., 18,50 [Euro].
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»Tömmel legt eine kundige, hilfreich systematisierende und angenehm lesbare Darstellung vor. Am Ende hält man nicht weniger als eine Philosophie der Liebe in den Händen.« Joseph Früchtl Frankfurter Allgemeine Zeitung 20140122