In Willnot, einer amerikanischen Kleinstadt, wird eine Grube voller Leichen entdeckt. Lamar Hale, der ortsansässige Arzt, wird vom Sheriff zum Tatort gerufen. Niemand weiß, wer die Opfer sind, geschweige denn, was das Motiv für diese grausame Tat sein könnte. Eine Spezialeinheit rückt an, um das Gelände zu sichern und mit der Spurensuche zu beginnen. Derweil erhält Lamar Hale Besuch von Brandon Lowndes, einem ehemaligen Patienten, der nach vielen Jahren Abwesenheit wieder in Willnot auftaucht. Über die Gründe für seine Rückkehr schweigt er sich aus. Ein paar Tage später erhält Hale erneut unangekündigten Besuch, diesmal von einer FBI-Agentin namens Theodora Odgen, die sich nach Brandon Lowndes erkundigt. Dem Vernehmen nach war er Scharfschütze bei den Marines, ein Elitekiller, der sich unerlaubt von der Truppe entfernt hatte. Und genau dieser Brandon Lowndes wird einige Tage später aus dem Hinterhalt angeschossen. Das FBI ist sofort zur Stelle, aber Brandon verschwindet aus dem Krankenhaus, bevor man ihn befragen kann.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
buecher-magazin.de"Wir fanden die Leichen zwei Meilen außerhalb der Stadt, in der Nähe der alten Kiesgrube." Der erste Satz in "Willnot" weckt die Erwartungen an einen weiteren Country Noir; Düsterheit und Kriminalfälle in der amerikanischen Provinz. Doch dieser Roman verweigert sich einer klaren Einordnung und kratzt an den Grenzen des Genres Kriminalroman. Es gibt diese Mordfälle, weitere kriminelle Taten, einen geheimnisvollen Rückkehrer, eine FBI-Agentin, einen aufrechten Sheriff, aber im Mittelpunkt steht indes der Alltag in der kleinen Stadt Willnot in Virginia. Mal ist er eben bestimmt von Leichen, die gefunden werden, und einer FBI-Agentin. Manchmal aber auch von einer kotzenden Katze. In Willnot leben kauzige Typen, Verschwörungstheoretiker, Rebellen und Radikale - und Lamar Hale, Arzt und Erzähler des Romans. Während eines einjährigen Komas wurde sein Körper von Geistern aufgesucht und heutzutage kümmert er sich um die Menschen. Er versteht und versorgt sie, während er sich mit seinem Partner Richard Sorgen um die Welt macht. Fast ist man geneigt, in Lamar viel von Sallis zu sehen. Vor allem aber ist dieses Buch eine eindrucksvolle Erinnerung daran, wie zerbrechlich unser alltägliches Leben ist.
© BÜCHERmagazin, Sonja Hartl (sh)
© BÜCHERmagazin, Sonja Hartl (sh)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.03.2019Leben, die wir selbst nicht haben können
Krimis in Kürze: Jürgen Heimbach, Jonathan Robijn und James Sallis
Vermutlich muss der Ort, über den noch kein Heimat- oder Regionalkrimi geschrieben worden ist, erst gegründet werden. Literarisch ist das meist uninteressant, es zeigt bloß, dass Mord und Totschlag überall ein Zuhause finden. Aber manchmal gibt es dann doch Bücher, die einen harten historischen Kern haben, die von Dingen erzählen, die in Vergessenheit geraten sind, es aber lohnen, dass man sich an sie erinnert.
Wer weiß zum Beispiel noch, dass Frankfurter Zeitungen Ende der fünfziger Jahre von erschossenen Waffenhändlern berichteten, von der "Roten Hand", die sie exekutiert hatte im Auftrag der Auslandsabteilung des französischen Geheimdienstes, weil sie die FLN, die algerische Befreiungsbewegung, beliefern wollten? Der Roman "Die Rote Hand" (weissbooks.w, 336 S., geb., 22,- [Euro]) von Jürgen Heimbach, im Hauptberuf Redakteur bei 3sat, taucht ein in diese Zeit, indem er die realen Geschehnisse verwebt mit einer fiktiven Story. Sein Protagonist ist ein ehemaliger Fremdenlegionär, der 1959 als schlechtbezahlter Wachmann in Frankfurt arbeitet. Er kriegt keinen Boden unter die Füße, er hat Wettschulden, und weil sich das für Geschichten, die noir sein wollen, so gehört, holt ihn die Vergangenheit ein, die schon aus seinem Spitznamen spricht: "Quatre d'un coup", Vier-auf-einen-Streich, nennen sie den Mann, der Arnolt Streich heißt.
Heimbach hat das sauber recherchiert, ist bemüht um die Atmosphäre der späten Fünfziger, lässt die damalige deutsche Jazzhoffnung Inge Brandenburg auftreten und hat im Nachwort offengelegt, wo die Linie zwischen Fakten und Fiktion verläuft. "Die Rote Hand" ist zwar nicht übermäßig spannend oder literarisch ambitioniert, aber lesenswert als Rekonstruktion eines Kapitels Nachkriegsgeschichte.
Ähnliches gilt für den Roman des Belgiers Jonathan Robijn. "Kongo Blues" (Nautilus, 176 S., br., 16,90 [Euro]) spielt im Brüssel der ausgehenden achtziger Jahre. Hier ist es ein dunkler Abschnitt belgischer Kolonialgeschichte, der den realen Hintergrund liefert. Robijn ist Arzt, er hat, unterwegs für "Ärzte ohne Grenzen" in Afrika, davon erfahren, wie Kinder belgischer Kolonialherren und kongolesischer Frauen kurz vor der Unabhängigkeit Kongos verschleppt und in Belgien zur Adoption freigegeben wurden.
Der Protagonist Morgan schlägt sich als Jazzpianist in Brüssel durch, er weicht der Frage nach seiner Herkunft aus, weil er sie belanglos findet, es reicht ihm schon, als Schwarzer dem alltäglichen Rassismus ausgesetzt zu sein. Eines Nachts sammelt er unweit seiner Wohnung eine attraktive, rätselhafte junge Frau auf. Auch hier ist der Noir-Einfluss nicht zu übersehen. Die Frau zieht bei ihm ein, zwischen beiden entsteht eine schwer definierbare Nähe. Und durch diese Simona, wenn das denn ihr Name ist, gerät Morgan in einen Sog, der ihn in seine Vergangenheit zieht. Auch Robijn ist kein großer Stilist, aber er hat ein gutes Gespür für Ellipsen, und vor allem weiß er, dass der Reiz eines Romans in einer Ungewissheit liegen kann, die nicht verflogen ist mit der letzten Seite.
Das weiß natürlich auch einer wie der Amerikaner James Sallis, der den Kriminalroman in Bereiche geführt hat, wo für die meisten seiner Kollegen die Luft zu dünn wird. Sallis verfügt über die sprachlichen und erzählerischen Mittel, aus denen große Literatur entsteht. Sein neuer Roman "Willnot" (Liebeskind, 224 S., geb., 20,- [Euro]) ist nach seinem Schauplatz benannt und spielt zugleich mit der verneinten Zukunft, die in dem Namen steckt. Willnot ist scheinbar ein amerikanisches Allerweltskaff. Bei Sallis wird es zu einer besonderen Welt. Der Kriminalfall hält die Geschichte dabei weniger zusammen, als dass er ein Mittel ist, die Verhältnisse in ein präziseres Licht zu setzen.
Lamar, der Ich-Erzähler, ist Arzt, er hat als Kind eine Zeitlang in Willnot gelebt, er begegnet den Trivialitäten und Tragödien des Alltags mit großer Geduld; sein Lebensgefährte Richard hat als Lehrer an der örtlichen Highschool ein ähnliches Überlebensrezept. Der örtliche Sheriff heißt Hobbes, ohne den Menschen deswegen ein Wolf sein zu müssen. Von den Leichen, die man am Ortsrand ausgegraben hat, ist er überfordert; von Bobby, der als Schüler lange im Koma lag und nun plötzlich als FBI-Agent mit obskurer Mission auftaucht, erst recht.
Plot ist bei James Sallis nichts, was brav abgearbeitet werden müsste. Man erkennt einen roten Faden, das reicht völlig aus, weil die Abweichungen vom Hauptweg das Spannende sind, die kleinen Abnormitäten, die Eigenarten der Figuren. Auf die Frage, warum wir lesen, antwortet Lamar einmal: "Um ein Gefühl für jene Leben zu bekommen, die wir selbst nicht haben können." Besser lässt sich nicht sagen, warum man "Willnot" lesen muss.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Jürgen Heimbach, Jonathan Robijn und James Sallis
Vermutlich muss der Ort, über den noch kein Heimat- oder Regionalkrimi geschrieben worden ist, erst gegründet werden. Literarisch ist das meist uninteressant, es zeigt bloß, dass Mord und Totschlag überall ein Zuhause finden. Aber manchmal gibt es dann doch Bücher, die einen harten historischen Kern haben, die von Dingen erzählen, die in Vergessenheit geraten sind, es aber lohnen, dass man sich an sie erinnert.
Wer weiß zum Beispiel noch, dass Frankfurter Zeitungen Ende der fünfziger Jahre von erschossenen Waffenhändlern berichteten, von der "Roten Hand", die sie exekutiert hatte im Auftrag der Auslandsabteilung des französischen Geheimdienstes, weil sie die FLN, die algerische Befreiungsbewegung, beliefern wollten? Der Roman "Die Rote Hand" (weissbooks.w, 336 S., geb., 22,- [Euro]) von Jürgen Heimbach, im Hauptberuf Redakteur bei 3sat, taucht ein in diese Zeit, indem er die realen Geschehnisse verwebt mit einer fiktiven Story. Sein Protagonist ist ein ehemaliger Fremdenlegionär, der 1959 als schlechtbezahlter Wachmann in Frankfurt arbeitet. Er kriegt keinen Boden unter die Füße, er hat Wettschulden, und weil sich das für Geschichten, die noir sein wollen, so gehört, holt ihn die Vergangenheit ein, die schon aus seinem Spitznamen spricht: "Quatre d'un coup", Vier-auf-einen-Streich, nennen sie den Mann, der Arnolt Streich heißt.
Heimbach hat das sauber recherchiert, ist bemüht um die Atmosphäre der späten Fünfziger, lässt die damalige deutsche Jazzhoffnung Inge Brandenburg auftreten und hat im Nachwort offengelegt, wo die Linie zwischen Fakten und Fiktion verläuft. "Die Rote Hand" ist zwar nicht übermäßig spannend oder literarisch ambitioniert, aber lesenswert als Rekonstruktion eines Kapitels Nachkriegsgeschichte.
Ähnliches gilt für den Roman des Belgiers Jonathan Robijn. "Kongo Blues" (Nautilus, 176 S., br., 16,90 [Euro]) spielt im Brüssel der ausgehenden achtziger Jahre. Hier ist es ein dunkler Abschnitt belgischer Kolonialgeschichte, der den realen Hintergrund liefert. Robijn ist Arzt, er hat, unterwegs für "Ärzte ohne Grenzen" in Afrika, davon erfahren, wie Kinder belgischer Kolonialherren und kongolesischer Frauen kurz vor der Unabhängigkeit Kongos verschleppt und in Belgien zur Adoption freigegeben wurden.
Der Protagonist Morgan schlägt sich als Jazzpianist in Brüssel durch, er weicht der Frage nach seiner Herkunft aus, weil er sie belanglos findet, es reicht ihm schon, als Schwarzer dem alltäglichen Rassismus ausgesetzt zu sein. Eines Nachts sammelt er unweit seiner Wohnung eine attraktive, rätselhafte junge Frau auf. Auch hier ist der Noir-Einfluss nicht zu übersehen. Die Frau zieht bei ihm ein, zwischen beiden entsteht eine schwer definierbare Nähe. Und durch diese Simona, wenn das denn ihr Name ist, gerät Morgan in einen Sog, der ihn in seine Vergangenheit zieht. Auch Robijn ist kein großer Stilist, aber er hat ein gutes Gespür für Ellipsen, und vor allem weiß er, dass der Reiz eines Romans in einer Ungewissheit liegen kann, die nicht verflogen ist mit der letzten Seite.
Das weiß natürlich auch einer wie der Amerikaner James Sallis, der den Kriminalroman in Bereiche geführt hat, wo für die meisten seiner Kollegen die Luft zu dünn wird. Sallis verfügt über die sprachlichen und erzählerischen Mittel, aus denen große Literatur entsteht. Sein neuer Roman "Willnot" (Liebeskind, 224 S., geb., 20,- [Euro]) ist nach seinem Schauplatz benannt und spielt zugleich mit der verneinten Zukunft, die in dem Namen steckt. Willnot ist scheinbar ein amerikanisches Allerweltskaff. Bei Sallis wird es zu einer besonderen Welt. Der Kriminalfall hält die Geschichte dabei weniger zusammen, als dass er ein Mittel ist, die Verhältnisse in ein präziseres Licht zu setzen.
Lamar, der Ich-Erzähler, ist Arzt, er hat als Kind eine Zeitlang in Willnot gelebt, er begegnet den Trivialitäten und Tragödien des Alltags mit großer Geduld; sein Lebensgefährte Richard hat als Lehrer an der örtlichen Highschool ein ähnliches Überlebensrezept. Der örtliche Sheriff heißt Hobbes, ohne den Menschen deswegen ein Wolf sein zu müssen. Von den Leichen, die man am Ortsrand ausgegraben hat, ist er überfordert; von Bobby, der als Schüler lange im Koma lag und nun plötzlich als FBI-Agent mit obskurer Mission auftaucht, erst recht.
Plot ist bei James Sallis nichts, was brav abgearbeitet werden müsste. Man erkennt einen roten Faden, das reicht völlig aus, weil die Abweichungen vom Hauptweg das Spannende sind, die kleinen Abnormitäten, die Eigenarten der Figuren. Auf die Frage, warum wir lesen, antwortet Lamar einmal: "Um ein Gefühl für jene Leben zu bekommen, die wir selbst nicht haben können." Besser lässt sich nicht sagen, warum man "Willnot" lesen muss.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main