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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Caroline Wahls Debüt "22 Bahnen" stand monatelang auf der Bestsellerliste. Jetzt erscheint ihr nächster Roman: "Windstärke 17". Auch dieses Mal ist ihr Erfolgsrezept Wohlfühlprosa.
Es heißt, der zweite Roman sei schwieriger als der erste, doch bei der jungen Autorin Caroline Wahl hat man nicht den Eindruck, die Angst, an den vorherigen Erfolg nicht anknüpfen zu können, habe ihr den Mut geraubt. Vielmehr fragt man sich, wann sie zwischen all den Lesungen, Interviews und Preisverleihungen eigentlich "Windstärke 17", die Fortsetzung ihres Bestsellers und klassischen Coming-of-Age-Romans "22 Bahnen", geschrieben hat. Jedenfalls ist das neue Buch mit dem ganz eigenen Wahl-Sound nun erschienen, und man darf vermuten, dass "Windstärke 17" ebenfalls ein Bestseller wird.
Tilda und Ida, die Protagonistinnen aus Wahls Debüt "22 Bahnen", sind älter geworden, die alkoholkranke Mutter, vor deren Zugriffen Tilda, mittlerweile Mutter von fünfjährigen Zwillingen, ihre kleine Schwester Ida stets beschützt hat, ist tot, die Wohnung in der Fröhlichstraße gekündigt. Ida, niedergedrückt vom Tod der Mutter - Überdosis -, macht sich schreckliche Vorwürfe: "Ich habe Mama sterben lassen." Eine junge Frau, die den Halt zu verlieren droht, aber natürlich nicht ganz und gar abstürzt, schließlich haben wir es hier mit einem Roman von Caroline Wahl zu tun, die ihrem Publikum genau das gibt, wonach es sich in der Zeit der Polykrise zu sehnen scheint: viele kleine Happy Endings.
Doch zuerst muss die Heldin Ida die in ihr wütenden dunklen Mächte besiegen. Sie fährt nach Stralsund, stürzt sich in die Wellen der Ostsee, findet es "krass schön", im Meer zu schwimmen, liegt erst im Sand und dann in einem Mehrbettzimmer eines Hostels. Dort ist es naturgemäß wenig heimelig, dabei ist Gemütlichkeit das, was Ida und ihre geschundene Seele jetzt dringend brauchen, und da trifft es sich gut, dass sie nicht nur einen Nebenjob als Kellnerin in der "Robbe" ergattert, sondern gleich auch noch bei deren Besitzer Knut und seiner Frau Marianne einziehen darf. Ein kuscheliger Nicki-Anzug der längst ausgezogenen Tochter Mandy liegt schon auf dem Bett für sie bereit. Wir sind jetzt auf Seite 51, und selbst dem größten Pessimisten dürfte klar sein: Alles wird gut!
Caroline Wahl ist eine talentierte Beobachterin, die ein Gespür für knappe, pointierte Szenen hat. Im Zug nach Stralsund sitzt Ida eine pädagogisch motivierte Mutter mit ihrer Tochter gegenüber. Das Kind darf aus verschiedenen Programmpunkten - unter anderem aus dem Fenster schauen und Benjamin Blümchen gucken - wählen. Wahl schreibt: "Die Mutter packt ein Buch aus. Eins von dieser Insel-Reihe, Little People, BIG DREAMS, Frida Kahlo. Damit die Kinder früh lernen, BIG DREAMS zu entwickeln, und entweder kleine Einsteins, Lindgrens oder Kahlos werden. So ein Scheiß, denke ich. Lia und ich schauen auf den Tisch, der voller Programmpunkte ist. Ich packe meine Programmpunkte auch aus: mein Smartphone, das Überraschungsei und die Billy-Tiger-Maisstangen, die mich irgendwie gar nicht mehr ansprechen."
Auf der Insel lernt Ida einen jungen Mann kennen, Leif, der ebenfalls um sein seelisches Gleichgewicht ringt. Beim Googeln findet Ida heraus, dass der spektakulär gute Windsurfer mit dem "entwaffnenden" Lächeln ein sehr erfolgreicher Techno-DJ ist, dessen Karriere jedoch aus gesundheitlichen Gründen pausiert, wobei man nicht erfährt, woher genau sein Leiden rührt. Auf Instagram folgen Leif bereits knapp 30.000 Fans, obwohl er noch gar nichts gepostet hat.
Ida verliebt sich, aber Leif ist ein flüchtiges Wesen, er kommt und geht und kommt. Die Ängste vor einem gebrochenen Herzen sind groß (will er sie so sehr, wie sie ihn will?). Anders als im Vorgängerroman schrammt Caroline Wahl bisweilen haarscharf am Rosamunde- Pilcher-Kitsch vorbei, doch ihre Figuren sind glücklicherweise zu cool, um zu Zuckergussabdrücken zu werden. Einmal, die olympiaverdächtige Schwimmerin Ida hat Leif aus den Wellen gerettet, heißt es: "Als ich Sand unter meinen Füßen spüre, ist das einer der besten Momente meines Lebens. Wir haben es geschafft. Zusammen können wir alles schaffen, denke ich kurz, während wir uns in den Sand fallen lassen, und ich lache hustend auf über diesen dummen Satz, den ich aber zu 100 Prozent so meine." Ein anderes Mal würde sie gerne Leifs Handgelenk mit Handschellen für immer an ihres fesseln. Nun ja.
Als versöhnlich erweisen sich die Dialoge, gewissermaßen das Herzstück des Caroline-Wahl-Sounds. Zum Beispiel, als Leif Ida bei Marianne und Knut besucht. "Leif: Was schreibst du gerade? Ich: Hab gestern was Neues angefangen, kann ich noch nicht so genau sagen. Leif: Einen Roman? Ich: Hoffentlich. Ich: Warum sind deine Gigs abgesagt? Leif: Aus gesundheitlichen Gründen. Leif: Eine Liebesgeschichte? Ich: Keine Liebesgeschichte." Diese stakkatohaft hingeworfenen Fragen und Antworten sind wie ein kleines Spiel zwischen den Figuren.
Ebenso gehören die Momente, in denen das Meer Raum beansprucht, zu den besten Szenen. Das Meer ist bei Wahl stets Ort der Herausforderung, es liegt nie flach und einladend da, sondern ist zumeist rau und aufgepeitscht. In diesem Meer, das Freund und Feind zugleich ist, versucht Ida ihrem Schmerz davonzukraulen. Man spürt die Verbundenheit der Autorin mit der See, Wahl selbst lebt inzwischen in Rostock jenes Schriftstellerinnenleben, von dem sie geträumt hat. Ein Etappen-Happy-Ending, auch in ihrem Leben.
Wer je bei einer ihrer Lesungen war, der weiß, dass ihr Sound, von dem man meinen könnte, er spräche vor allem ein junges Publikum an, auch ältere Herrschaften geradezu verzaubert. Das ist vielleicht das Faszinierendste an Wahls Wohlfühlprosa: dass sie einen generationenübergreifenden Ton für ihre Geschichten gefunden hat, in den sich all jene wohlig einhüllen können, die literarisch Irritierendes nicht aushalten. MELANIE MÜHL
Caroline Wahl:
"Windstärke 17". Roman.
DuMont Verlag,
Köln 2024.
256 S., geb., 24,- Euro.
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