Published in 1919, Winesburg, Ohio is Sherwood Anderson's masterpiece, a work in which he achieved the goal to which he believed all true writers should aspire: to see and feel "all of life within.” In a perfectly imagined world, an archetypal small American town, he reveals the hidden passions that turn ordinary lives into unforgettable ones. Unified by the recurring presence of young George Willard, and played out against the backdrop of Winesburg, Anderson's loosely connected chapters, or stories, coalesce into a powerful novel. In such tales as "Hands,” the portrayal of a rural berry picker still haunted by the accusations of homosexuality that ended his teaching career, Anderson's vision is as acute today as it was over eighty-five years ago. His intuitive ability to home in on examples of timeless, human conflicts—a workingman deciding if he should marry the woman who is to bear his child, an unhappy housewife who seeks love from the town's doctor, an unmarried high school teacher sexually attracted to a pupil—makes this book not only immensely readable but also deeply meaningful. An important influence on Faulkner, Hemingway, and others who were drawn to Anderson's innovative format and psychological insights, Winesburg, Ohio deserves a place among the front ranks of our nation's finest literary achievements.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.01.2012Sterne anschreien auf der Landstraße
Sherwood Andersons Jahrhundertbuch "Winesburg, Ohio", gleich zweimal neu übersetzt
Neulich, als sich wieder der elfte September jährte, ein Tag, der auf einmal mehrere Milliarden kleiner Geschichten erzeugt hat und eine große, schrieb der irische Autor Colum McCann einen kleinen und großen Satz in den "New Yorker". "Unsere Aufgabe ist es, episch und detailliert zugleich zu sein", hieß dieser Satz, er stand einfach so da in einem kurzen Beitrag, der eigentlich von einer eleganten Frau in einem Restaurant an der Upper East Side handelte, am Tag danach, 12. September 2001, und wie sie ein Stück Schokoladentorte aß: jede Gabel der reine Lebenstriumph. Oder Trotz. Oder Kaltblütigkeit oder tiefe Trauer, McCann ließ das offen, feuerte aber zumindest diesen einen Satz heraus, halb Erinnerung, halb Mahnung: "Our job is to be epic and tiny, both."
Er könnte so auch auf dem Deckblatt von Sherwood Andersons "Winesburg, Ohio" stehen, als Motto für dieses Buch, das 1919 erschien und eigentlich bis heute eher eine interne Angelegenheit der amerikanischen Literatur geblieben ist: ein Buch, auf das sich viele, die nach Sherwood Anderson zu schreiben begonnen haben, bezogen haben oder bezogen wurden, John Updike zum Beispiel, Ray Bradbury, Philip Roth oder immer wieder Raymond Carver. Warum dieses Buch so bedeutend geworden ist, kann man jetzt überprüfen: Innerhalb von einer Woche erscheinen nämlich Anfang Januar gleich zwei neue deutsche Übersetzungen, eine von Eike Schönfeld bei Manesse, die andere vom Schriftsteller Mirko Bonné für den Schöffling-Verlag; sie folgen auf eine fünfzig Jahre alte Version von Hans Erich Nossack.
"Winesburg, Ohio" ist die Chronik einer amerikanischen Kleinstadt im späten 19. Jahrhundert, kein Roman, mehr eine Loseblattsammlung einzelner Geschichten, in denen untereinander immer wieder dieselben Figuren auftauchen. Und das hält sie zusammen, das und Sherwood Andersons Gabe, im Detail das ganze Große abzubilden. Es geht um Amerika, aber von Amerika selbst ist gar nicht die Rede, sondern von Menschen, Träumen und Verzweiflung. Eine Mutter stirbt. Ein Sohn will Schriftsteller werden. Eine Großmutter kehrt zurück und erkennt Winesburg nicht wieder. Ein Großvater will ein Lamm opfern und verschreckt seinen Enkel. Ein Mann jagt mit seinen Pferden einem Zug entgegen. Ein anderer hasst seine Hände für das, was sie getan haben. Eine Frau betet nackt. Ein Pastor beobachtet sie und hält es für die frohe Botschaft Gottes. Alle wollen irgendwie weg von zu Hause.
Am Ende geht aber vor allem einer, George Willard, der Einzige, der in fast allen 24 Kapiteln des Buchs vorkommt. Dieser George ist ungefähr die phlegmatischste Hauptfigur in der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Eigentlich ist er Reporter beim "Winesburg Eagle", einer Zeitung, deren Ziel es ist, in jeder Ausgabe möglichst viele der 1800 Einwohner namentlich zu nennen. Aber man sieht George entweder nur in der Redaktion herumsitzen, wo er so tut, als würde er einen Artikel schreiben, oder hört ihn große Reden auf das Wesen und Geheimnis des Schreibens halten. Am Ende, wenn er dann endlich aus Winesburg fortgeht, eben ist er 18 geworden, möchte man seinem Zug nach Westen am liebsten hinterherlaufen, um aufzupassen, dass er nicht doch wieder aussteigt.
Sherwood Anderson, 1876 geboren, 1941 gestorben, kam selbst aus einer Kleinstadt im Norden Ohios, aus Clyde, das man sich wohl wie Winesburg vorstellen muss. Er verließ Frau und Kinder, um zu schreiben und ein neues Leben anzufangen. Vielleicht geht es deshalb in "Winesburg, Ohio", an dessen Geschichten er während der Trennung von seiner Familie zu schreiben begann, so oft um Ausbruchsphantasien und ihre Inkubationszeiten. "Auf der Landstraße nach Hause stellten sie sich auf die Wagensitze und schrien die Sterne an", ständig liest man solche Sätze in diesem Buch, die klingen, als habe sie Bruce Springsteen für seine Songs geschrieben: "Wenn es nur eine Frau hier gäbe, ich würde sie bei der Hand nehmen und wir würden rennen, bis wir beide außer Atem wären." Tramps like us, Baby we are born to run.
Aber das stimmt natürlich nicht, es ist nur eine anthropologische Konstante: Aufwachsen, Dableiben, Weggehen. Beide Übersetzungen halten sich daran, Sherwood Andersons Ton nicht zu modernisieren. "Sex" zum Beispiel kommt vor in Andersons Text, mehrmals sogar, auch wenn man ihn nicht sieht. Bonné übersetzt da wortwörtlich, Schönfeld bleibt ein bisschen vorsichtiger, spricht vom "Geschlechtlichen", was vielleicht richtiger ist, wenn jemand 1919 von der Jahrhundertwende schreibt, andererseits hielt man Andersons Buch, als es erschien, für ziemlich anzüglich, es stimmt schon, Sex dann auch Sex zu nennen.
Welche Ausgabe genauer ist, Andersons Vielstimmigkeit besser trifft, das Lakonische, das Psalmodierende, ist eine Frage für Spezialisten. In der von Schöffling gibt es historische Fotos aus Clyde und vom Originalmanuskript, dafür hat der Schriftsteller Daniel Kehlmann für die Manesse-Ausgabe das schönere Nachwort geschrieben, in dem er eine Linie zieht von "Winesburg, Ohio" zu Jennifer Egans großartigem neuem Roman "A Visit from the Goon Squad", der im Februar auch auf Deutsch erscheint - bei Schöffling. Und der eben auch das Prinzip wiederkehrender Figuren benutzt, die sich in der Zeit aufeinander zu und voneinander weg bewegen.
Aber das sind interne literarische Verbindungen, die einen nicht zu interessieren brauchen, wenn es darum geht, ein Buch zu entdecken, wieder oder zum ersten Mal. Was ansteckend ist an "Winesburg, Ohio", das ist der existentielle Ernst der Figuren, ihre Wut, ihr Pochen darauf, unter vielen speziell zu sein - einer von ihnen, George Willard, will also Schriftsteller werden, vielleicht ist er es, der am Ende diese 24 Geschichten von früher und zu Hause erzählt. Eigentlich schreiben aber alle Figuren dieses Buchs ihr Leben ständig um. Wollen es anders fortsetzen. Oder neu beginnen.
Unsere Aufgabe ist es, sagt Colum McCann über sich und andere Schriftsteller, episch und detailliert zugleich zu sein: Da gibt es eine Treppe in Winesburg, sie führt zur Praxis des Arztes, übrigens die letzte Liebe von George Willards Mutter. "Diejenigen, die die Treppe hinaufgingen, folgten mit ihren Füßen denen vieler, die vor ihnen hinaufgegangen waren", übersetzt Eike Schönfeld. Man kann so eine Stelle, vor allem, wenn sie am Anfang eines Kapitels steht, das mit "Tod" betitelt ist, natürlich gleich so verstehen: jenseitig. Man kann an diesen einzelnen Schritten aber auch den großen Gang der Geschichte ablesen.
TOBIAS RÜTHER
"Winesburg, Ohio". Übersetzt und mit einem Essay von Mirko Bonné. Schöffling & Co., 328 Seiten, 22,95 Euro
Übersetzt von Eike Schönfeld. Mit einem Nachwort von Daniel Kehlmann. Manesse, 304 Seiten, 21,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sherwood Andersons Jahrhundertbuch "Winesburg, Ohio", gleich zweimal neu übersetzt
Neulich, als sich wieder der elfte September jährte, ein Tag, der auf einmal mehrere Milliarden kleiner Geschichten erzeugt hat und eine große, schrieb der irische Autor Colum McCann einen kleinen und großen Satz in den "New Yorker". "Unsere Aufgabe ist es, episch und detailliert zugleich zu sein", hieß dieser Satz, er stand einfach so da in einem kurzen Beitrag, der eigentlich von einer eleganten Frau in einem Restaurant an der Upper East Side handelte, am Tag danach, 12. September 2001, und wie sie ein Stück Schokoladentorte aß: jede Gabel der reine Lebenstriumph. Oder Trotz. Oder Kaltblütigkeit oder tiefe Trauer, McCann ließ das offen, feuerte aber zumindest diesen einen Satz heraus, halb Erinnerung, halb Mahnung: "Our job is to be epic and tiny, both."
Er könnte so auch auf dem Deckblatt von Sherwood Andersons "Winesburg, Ohio" stehen, als Motto für dieses Buch, das 1919 erschien und eigentlich bis heute eher eine interne Angelegenheit der amerikanischen Literatur geblieben ist: ein Buch, auf das sich viele, die nach Sherwood Anderson zu schreiben begonnen haben, bezogen haben oder bezogen wurden, John Updike zum Beispiel, Ray Bradbury, Philip Roth oder immer wieder Raymond Carver. Warum dieses Buch so bedeutend geworden ist, kann man jetzt überprüfen: Innerhalb von einer Woche erscheinen nämlich Anfang Januar gleich zwei neue deutsche Übersetzungen, eine von Eike Schönfeld bei Manesse, die andere vom Schriftsteller Mirko Bonné für den Schöffling-Verlag; sie folgen auf eine fünfzig Jahre alte Version von Hans Erich Nossack.
"Winesburg, Ohio" ist die Chronik einer amerikanischen Kleinstadt im späten 19. Jahrhundert, kein Roman, mehr eine Loseblattsammlung einzelner Geschichten, in denen untereinander immer wieder dieselben Figuren auftauchen. Und das hält sie zusammen, das und Sherwood Andersons Gabe, im Detail das ganze Große abzubilden. Es geht um Amerika, aber von Amerika selbst ist gar nicht die Rede, sondern von Menschen, Träumen und Verzweiflung. Eine Mutter stirbt. Ein Sohn will Schriftsteller werden. Eine Großmutter kehrt zurück und erkennt Winesburg nicht wieder. Ein Großvater will ein Lamm opfern und verschreckt seinen Enkel. Ein Mann jagt mit seinen Pferden einem Zug entgegen. Ein anderer hasst seine Hände für das, was sie getan haben. Eine Frau betet nackt. Ein Pastor beobachtet sie und hält es für die frohe Botschaft Gottes. Alle wollen irgendwie weg von zu Hause.
Am Ende geht aber vor allem einer, George Willard, der Einzige, der in fast allen 24 Kapiteln des Buchs vorkommt. Dieser George ist ungefähr die phlegmatischste Hauptfigur in der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Eigentlich ist er Reporter beim "Winesburg Eagle", einer Zeitung, deren Ziel es ist, in jeder Ausgabe möglichst viele der 1800 Einwohner namentlich zu nennen. Aber man sieht George entweder nur in der Redaktion herumsitzen, wo er so tut, als würde er einen Artikel schreiben, oder hört ihn große Reden auf das Wesen und Geheimnis des Schreibens halten. Am Ende, wenn er dann endlich aus Winesburg fortgeht, eben ist er 18 geworden, möchte man seinem Zug nach Westen am liebsten hinterherlaufen, um aufzupassen, dass er nicht doch wieder aussteigt.
Sherwood Anderson, 1876 geboren, 1941 gestorben, kam selbst aus einer Kleinstadt im Norden Ohios, aus Clyde, das man sich wohl wie Winesburg vorstellen muss. Er verließ Frau und Kinder, um zu schreiben und ein neues Leben anzufangen. Vielleicht geht es deshalb in "Winesburg, Ohio", an dessen Geschichten er während der Trennung von seiner Familie zu schreiben begann, so oft um Ausbruchsphantasien und ihre Inkubationszeiten. "Auf der Landstraße nach Hause stellten sie sich auf die Wagensitze und schrien die Sterne an", ständig liest man solche Sätze in diesem Buch, die klingen, als habe sie Bruce Springsteen für seine Songs geschrieben: "Wenn es nur eine Frau hier gäbe, ich würde sie bei der Hand nehmen und wir würden rennen, bis wir beide außer Atem wären." Tramps like us, Baby we are born to run.
Aber das stimmt natürlich nicht, es ist nur eine anthropologische Konstante: Aufwachsen, Dableiben, Weggehen. Beide Übersetzungen halten sich daran, Sherwood Andersons Ton nicht zu modernisieren. "Sex" zum Beispiel kommt vor in Andersons Text, mehrmals sogar, auch wenn man ihn nicht sieht. Bonné übersetzt da wortwörtlich, Schönfeld bleibt ein bisschen vorsichtiger, spricht vom "Geschlechtlichen", was vielleicht richtiger ist, wenn jemand 1919 von der Jahrhundertwende schreibt, andererseits hielt man Andersons Buch, als es erschien, für ziemlich anzüglich, es stimmt schon, Sex dann auch Sex zu nennen.
Welche Ausgabe genauer ist, Andersons Vielstimmigkeit besser trifft, das Lakonische, das Psalmodierende, ist eine Frage für Spezialisten. In der von Schöffling gibt es historische Fotos aus Clyde und vom Originalmanuskript, dafür hat der Schriftsteller Daniel Kehlmann für die Manesse-Ausgabe das schönere Nachwort geschrieben, in dem er eine Linie zieht von "Winesburg, Ohio" zu Jennifer Egans großartigem neuem Roman "A Visit from the Goon Squad", der im Februar auch auf Deutsch erscheint - bei Schöffling. Und der eben auch das Prinzip wiederkehrender Figuren benutzt, die sich in der Zeit aufeinander zu und voneinander weg bewegen.
Aber das sind interne literarische Verbindungen, die einen nicht zu interessieren brauchen, wenn es darum geht, ein Buch zu entdecken, wieder oder zum ersten Mal. Was ansteckend ist an "Winesburg, Ohio", das ist der existentielle Ernst der Figuren, ihre Wut, ihr Pochen darauf, unter vielen speziell zu sein - einer von ihnen, George Willard, will also Schriftsteller werden, vielleicht ist er es, der am Ende diese 24 Geschichten von früher und zu Hause erzählt. Eigentlich schreiben aber alle Figuren dieses Buchs ihr Leben ständig um. Wollen es anders fortsetzen. Oder neu beginnen.
Unsere Aufgabe ist es, sagt Colum McCann über sich und andere Schriftsteller, episch und detailliert zugleich zu sein: Da gibt es eine Treppe in Winesburg, sie führt zur Praxis des Arztes, übrigens die letzte Liebe von George Willards Mutter. "Diejenigen, die die Treppe hinaufgingen, folgten mit ihren Füßen denen vieler, die vor ihnen hinaufgegangen waren", übersetzt Eike Schönfeld. Man kann so eine Stelle, vor allem, wenn sie am Anfang eines Kapitels steht, das mit "Tod" betitelt ist, natürlich gleich so verstehen: jenseitig. Man kann an diesen einzelnen Schritten aber auch den großen Gang der Geschichte ablesen.
TOBIAS RÜTHER
"Winesburg, Ohio". Übersetzt und mit einem Essay von Mirko Bonné. Schöffling & Co., 328 Seiten, 22,95 Euro
Übersetzt von Eike Schönfeld. Mit einem Nachwort von Daniel Kehlmann. Manesse, 304 Seiten, 21,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.02.2012So vom Allmächtigen gepackt ist man nur in Amerika
Sherwood Andersons bekanntestes Werk, der Episoden-Roman „Winesburg, Ohio“ liegt zum 70. Todestag des Autors in zwei neuen Übersetzungen vor
Der 70. Todestag eines Autors mag kein besonderes Jubiläum darstellen – für den Buchhandel jedoch hat er besondere Bedeutung. Denn da werden die Rechte frei. Und so erscheint jetzt in zwei verschiedenen Neu-Übersetzungen gleichzeitig das weitaus berühmteste Buch eines Autors, an den hierzulande schon lange keiner mehr richtig gedacht hatte: „Winesburg, Ohio“ von Sherwood Anderson, 1876 als Sohn einer Wäscherin in einem kleinen Ort in Ohio geboren und 1941 auf einer Schiffsreise mit seiner vierten Frau nach Südamerika verstorben, nachdem er das Hölzchen verschluckt hatte, mit dem die Olive in seinem Martini aufgespießt war.
Anderson kommt aus schwierigen Verhältnissen, kämpft sich lange als Fabrikarbeiter und Geschäftsmann durch, findet spät zur Literatur und schafft mit 43 Jahren den Durchbruch mit besagtem Buch. Dem folgen zwar noch mehr Romane, und er gilt von nun an als der große Autor des eigentlichen Amerika, das im Mittleren Westen verortet wird; aber sein Ruhm und seine immense Wirkung, die er auf Faulkner, Hemingway und Carson McCullers ausübt, bleiben doch stets an dieses eine, gar nicht besonders umfangreiche Werk gebunden. Es spielt in den 1890er-Jahren, also zu seinem Erscheinungsjahr 1919 bereits um eine Generation in die Vergangenheit versetzt, und darum, obwohl es wahrlich keine Idylle zeichnet, doch nicht frei von Nostalgie. Früher mag es nicht besser gewesen sein – markanter schon.
„Winesburg, Ohio“ ist ein Buch von der Passion der Einsamkeit, also von Leiden und Leidenschaft zugleich. Zwar weiß natürlich in diesem Ort mit seinen 1800 Einwohnern, Bahnhof und Pension jeder alles von jedem; aber der sonst erhältliche Trost und Ausgleich der Enge, die Gemeinschaft, fehlt hier. Man schweigt nebeneinander her, und nur gelegentlich und folgenlos explodiert so ein Dampfkessel von einem Menschen und strömt aus in langen Ansprachen, die nur scheinbar seinem Nachbarn gelten, in Wahrheit aber ins Leere gehen.
Und ähnlich steht es mit der Liebe: Auch sie erschöpft sich in einer einzigen, manchmal von Gewalt und immer von Trauer gefärbten Szene, danach sinkt alles wieder zurück ins Schweigen. Da gibt es den presbyterianischen Pfarrer, der bei der Vorbereitung seiner Predigt zufällig durchs Fenster seine junge Nachbarin erblickt, wie sie im Bett liegt und sündigerweise raucht – es erschüttert ihn mit einer ungekannten sinnlichen Gewalt. Da ist der reiche Farmer Jesse Bentley, der von Jehovah persönlich ein Zeichen erwartet und, ähnlich wie einst Abraham mit Isaak, mit seinem Sohn in die Wildnis geht, um ein Opfer darzubringen. Da wartet ein mit 27 Jahren schon verblühtes Fräulein auf ihren verschollenen Verlobten und stürzt schließlich nackt in den Regen, um sich dem erstbesten Mann, der ihr begegnet, hinzugeben – der aber, ein beschränkter Invalide, versteht gar nicht, was sie will.
Dass so das Leben der Menschen schlechthin beschaffen wäre, jeder ein isolierter, unwandelbarer Stern am Nachthimmel, stellt die kühne Behauptung des Erzählers dar. Bemerkenswerterweise hat man offenbar gerade hierin eine tiefe amerikanische Wahrheit erblickt, ähnlich wie in den Bildern, die Edward Hopper gemalt hat. Sie hat Konsequenzen für die Form des Buchs. Ein Roman im üblichen Sinn kann so nicht zustande kommen. Stattdessen erlebt der Leser zwei Dutzend vignettenhafter Porträts, die auf ihre Krise zusteuern. Untereinander verbunden sind sie vornehmlich durch die Figur des achtzehnjährigen George Willard, des Reporters vom Winesburg Eagle , häufig der zufällige Vertraute, sonst zumeist wenigstens stummer Zaungast. Ein starkes Band ist das nicht.
John Updike, auch er noch unter dem Eindruck des Werks, wenngleich bereits fühlbar distanziert, hat von dessen „unbeholfener Kraft und etwas beschränkender Merkwürdigkeit“ gesprochen, und damit trifft er etwas Wesentliches. Trotz des scheinbaren Realismus, mit dem Anderson die Umstände dieser Kleinstadt darstellt, zeigt er einen starken stilisierenden Willen, der die Unterschiede seines Personals bis auf den einen beherrschenden Zug weithin auslöscht. Da es ihm ohnehin vor allem auf das ankommt, was sie hinter der Fassade ihrer Alltäglichkeit denken, gibt er sich keine Mühe, sie durch die Art ihres Sprechens zu individualisieren. Sprechen Sie überhaupt, dann aufs Existenziellste. Das ist die Bedingung für die alttestamentarische Wucht ihrer Auftritte. Der Rhythmus des Buchs ist knapp und federnd, die Sätze nicht notwendig kurz, doch in kurzen Bögen verlaufend. Es ist ein Buch, das gewinnen muss, wenn man es vorliest.
Dem Übersetzer wird seine Aufgabe darum schwerer, als es auf Anhieb erscheinen mag. Aber es bereitet großes Vergnügen, die insgesamt drei lieferbaren Übersetzungen – neben den zwei aktuellen von Mirko Bonné bei Schöffling und von Eike Schönfeld bei Manesse hat auch Suhrkamp die schon etwas ältere von Erich Nossack vor einigen Jahren neu aufgelegt – zu vergleichen. Die verschiedenen deutschen Versionen umkreisen den Text und leuchten ihn aus, erschließen eine Tiefe und Vieldeutigkeit, die man, hätte man bloß das Original, leicht übersähe.
Aufschlussreich sind schon die Lösungen für das Inhaltsverzeichnis, das Anderson zur Sortierung seiner Figuren dient, indem er jeder ihr eigenes Stichwort zuruft. Für Helen White ist es „sophistication“, eine notorisch schwer im Deutschen wiederzugebende kulturelle Verfeinerung, die als Distinktionsmittel angewandt wird. Dass der Fall bei „Winesburg“ anders liegt, stellen alle drei Übersetzer in Rechnung: „Zeit der Reife“ (Bonné), „Erfahrenheit“ (Schönfeld), „Ernüchterung“ (Nossack). „Ernüchterung“ muss man als Ausreißer verbuchen, es interpretiert zu stark. Bei „godliness“ einigen sich Bonné und Nossack auf „Gottesfurcht“, während Schönfeld mit „Frömmigkeit“ zu sehr im Allgemeinen verbleibt – fromm sind die Europäer auch, wenigstens damals noch, aber so speziell vom Allmächtigen gepackt werden sie bloß in Amerika. Wie wäre „respectability“ einzufangen? „Anständigkeit“ (Bonné) legt den Akzent ganz ins Innere, „Ehrbarkeit“ (Schönfeld) ganz nach außen, während „Achtbare Leute“ (Nossack) das zwar gleichfalls tut, aber Ironie mitschwingen lässt, die Anderson generell fremd ist. Nossack schaltet insgesamt am selbstherrlichsten, und obwohl er nicht schlecht übersetzt, würde man ihm vieles heute wohl nicht mehr durchgehen lassen.
Hat man sich ein Stück weit mit solchen mikrologischen Betrachtungen beschäftigt, ergreift einen Dankbarkeit für diesen Luxus, den sich die deutsche Sprachgemeinschaft gönnt: ein wichtiges Buch nicht nur überhaupt hereinzuholen, sondern hierfür alternative Angebote zu unterbreiten. Englisch mag die unangefochtene Weltsprache sein, dafür wird in keine andere Sprache so viel übersetzt wie in die unsrige.
BURKHARD MÜLLER
SHERWOOD ANDERSON: Winesburg, Ohio. Eine Reihe Erzählungen aus dem Kleinstadtleben in Ohio. Herausgegeben, neu übersetzt und mit einem Essay von Mirko Bonné. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2012. 310 Seiten, 22,95 Euro.
Winesburg, Ohio. Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. Nachwort von Daniel Kehlmann. Manesse, Zürich 2012, 301 Seiten, 21,95 Euro.
Die deutschen Übersetzungen
erschließen eine Tiefe, die man
im Original leicht übersehen kann
In sich selbst verkapselt, schweigen die Menschen vor sich hin. Und wenn sie doch mal das Wort erheben, gehen ihre Ansprachen ins Leere. So ist das hier, im Mittleren Westen, dem eigentlichen Amerika, wie es Sherwood Anderson sah.
Foto: Getty Images
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Sherwood Andersons bekanntestes Werk, der Episoden-Roman „Winesburg, Ohio“ liegt zum 70. Todestag des Autors in zwei neuen Übersetzungen vor
Der 70. Todestag eines Autors mag kein besonderes Jubiläum darstellen – für den Buchhandel jedoch hat er besondere Bedeutung. Denn da werden die Rechte frei. Und so erscheint jetzt in zwei verschiedenen Neu-Übersetzungen gleichzeitig das weitaus berühmteste Buch eines Autors, an den hierzulande schon lange keiner mehr richtig gedacht hatte: „Winesburg, Ohio“ von Sherwood Anderson, 1876 als Sohn einer Wäscherin in einem kleinen Ort in Ohio geboren und 1941 auf einer Schiffsreise mit seiner vierten Frau nach Südamerika verstorben, nachdem er das Hölzchen verschluckt hatte, mit dem die Olive in seinem Martini aufgespießt war.
Anderson kommt aus schwierigen Verhältnissen, kämpft sich lange als Fabrikarbeiter und Geschäftsmann durch, findet spät zur Literatur und schafft mit 43 Jahren den Durchbruch mit besagtem Buch. Dem folgen zwar noch mehr Romane, und er gilt von nun an als der große Autor des eigentlichen Amerika, das im Mittleren Westen verortet wird; aber sein Ruhm und seine immense Wirkung, die er auf Faulkner, Hemingway und Carson McCullers ausübt, bleiben doch stets an dieses eine, gar nicht besonders umfangreiche Werk gebunden. Es spielt in den 1890er-Jahren, also zu seinem Erscheinungsjahr 1919 bereits um eine Generation in die Vergangenheit versetzt, und darum, obwohl es wahrlich keine Idylle zeichnet, doch nicht frei von Nostalgie. Früher mag es nicht besser gewesen sein – markanter schon.
„Winesburg, Ohio“ ist ein Buch von der Passion der Einsamkeit, also von Leiden und Leidenschaft zugleich. Zwar weiß natürlich in diesem Ort mit seinen 1800 Einwohnern, Bahnhof und Pension jeder alles von jedem; aber der sonst erhältliche Trost und Ausgleich der Enge, die Gemeinschaft, fehlt hier. Man schweigt nebeneinander her, und nur gelegentlich und folgenlos explodiert so ein Dampfkessel von einem Menschen und strömt aus in langen Ansprachen, die nur scheinbar seinem Nachbarn gelten, in Wahrheit aber ins Leere gehen.
Und ähnlich steht es mit der Liebe: Auch sie erschöpft sich in einer einzigen, manchmal von Gewalt und immer von Trauer gefärbten Szene, danach sinkt alles wieder zurück ins Schweigen. Da gibt es den presbyterianischen Pfarrer, der bei der Vorbereitung seiner Predigt zufällig durchs Fenster seine junge Nachbarin erblickt, wie sie im Bett liegt und sündigerweise raucht – es erschüttert ihn mit einer ungekannten sinnlichen Gewalt. Da ist der reiche Farmer Jesse Bentley, der von Jehovah persönlich ein Zeichen erwartet und, ähnlich wie einst Abraham mit Isaak, mit seinem Sohn in die Wildnis geht, um ein Opfer darzubringen. Da wartet ein mit 27 Jahren schon verblühtes Fräulein auf ihren verschollenen Verlobten und stürzt schließlich nackt in den Regen, um sich dem erstbesten Mann, der ihr begegnet, hinzugeben – der aber, ein beschränkter Invalide, versteht gar nicht, was sie will.
Dass so das Leben der Menschen schlechthin beschaffen wäre, jeder ein isolierter, unwandelbarer Stern am Nachthimmel, stellt die kühne Behauptung des Erzählers dar. Bemerkenswerterweise hat man offenbar gerade hierin eine tiefe amerikanische Wahrheit erblickt, ähnlich wie in den Bildern, die Edward Hopper gemalt hat. Sie hat Konsequenzen für die Form des Buchs. Ein Roman im üblichen Sinn kann so nicht zustande kommen. Stattdessen erlebt der Leser zwei Dutzend vignettenhafter Porträts, die auf ihre Krise zusteuern. Untereinander verbunden sind sie vornehmlich durch die Figur des achtzehnjährigen George Willard, des Reporters vom Winesburg Eagle , häufig der zufällige Vertraute, sonst zumeist wenigstens stummer Zaungast. Ein starkes Band ist das nicht.
John Updike, auch er noch unter dem Eindruck des Werks, wenngleich bereits fühlbar distanziert, hat von dessen „unbeholfener Kraft und etwas beschränkender Merkwürdigkeit“ gesprochen, und damit trifft er etwas Wesentliches. Trotz des scheinbaren Realismus, mit dem Anderson die Umstände dieser Kleinstadt darstellt, zeigt er einen starken stilisierenden Willen, der die Unterschiede seines Personals bis auf den einen beherrschenden Zug weithin auslöscht. Da es ihm ohnehin vor allem auf das ankommt, was sie hinter der Fassade ihrer Alltäglichkeit denken, gibt er sich keine Mühe, sie durch die Art ihres Sprechens zu individualisieren. Sprechen Sie überhaupt, dann aufs Existenziellste. Das ist die Bedingung für die alttestamentarische Wucht ihrer Auftritte. Der Rhythmus des Buchs ist knapp und federnd, die Sätze nicht notwendig kurz, doch in kurzen Bögen verlaufend. Es ist ein Buch, das gewinnen muss, wenn man es vorliest.
Dem Übersetzer wird seine Aufgabe darum schwerer, als es auf Anhieb erscheinen mag. Aber es bereitet großes Vergnügen, die insgesamt drei lieferbaren Übersetzungen – neben den zwei aktuellen von Mirko Bonné bei Schöffling und von Eike Schönfeld bei Manesse hat auch Suhrkamp die schon etwas ältere von Erich Nossack vor einigen Jahren neu aufgelegt – zu vergleichen. Die verschiedenen deutschen Versionen umkreisen den Text und leuchten ihn aus, erschließen eine Tiefe und Vieldeutigkeit, die man, hätte man bloß das Original, leicht übersähe.
Aufschlussreich sind schon die Lösungen für das Inhaltsverzeichnis, das Anderson zur Sortierung seiner Figuren dient, indem er jeder ihr eigenes Stichwort zuruft. Für Helen White ist es „sophistication“, eine notorisch schwer im Deutschen wiederzugebende kulturelle Verfeinerung, die als Distinktionsmittel angewandt wird. Dass der Fall bei „Winesburg“ anders liegt, stellen alle drei Übersetzer in Rechnung: „Zeit der Reife“ (Bonné), „Erfahrenheit“ (Schönfeld), „Ernüchterung“ (Nossack). „Ernüchterung“ muss man als Ausreißer verbuchen, es interpretiert zu stark. Bei „godliness“ einigen sich Bonné und Nossack auf „Gottesfurcht“, während Schönfeld mit „Frömmigkeit“ zu sehr im Allgemeinen verbleibt – fromm sind die Europäer auch, wenigstens damals noch, aber so speziell vom Allmächtigen gepackt werden sie bloß in Amerika. Wie wäre „respectability“ einzufangen? „Anständigkeit“ (Bonné) legt den Akzent ganz ins Innere, „Ehrbarkeit“ (Schönfeld) ganz nach außen, während „Achtbare Leute“ (Nossack) das zwar gleichfalls tut, aber Ironie mitschwingen lässt, die Anderson generell fremd ist. Nossack schaltet insgesamt am selbstherrlichsten, und obwohl er nicht schlecht übersetzt, würde man ihm vieles heute wohl nicht mehr durchgehen lassen.
Hat man sich ein Stück weit mit solchen mikrologischen Betrachtungen beschäftigt, ergreift einen Dankbarkeit für diesen Luxus, den sich die deutsche Sprachgemeinschaft gönnt: ein wichtiges Buch nicht nur überhaupt hereinzuholen, sondern hierfür alternative Angebote zu unterbreiten. Englisch mag die unangefochtene Weltsprache sein, dafür wird in keine andere Sprache so viel übersetzt wie in die unsrige.
BURKHARD MÜLLER
SHERWOOD ANDERSON: Winesburg, Ohio. Eine Reihe Erzählungen aus dem Kleinstadtleben in Ohio. Herausgegeben, neu übersetzt und mit einem Essay von Mirko Bonné. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2012. 310 Seiten, 22,95 Euro.
Winesburg, Ohio. Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. Nachwort von Daniel Kehlmann. Manesse, Zürich 2012, 301 Seiten, 21,95 Euro.
Die deutschen Übersetzungen
erschließen eine Tiefe, die man
im Original leicht übersehen kann
In sich selbst verkapselt, schweigen die Menschen vor sich hin. Und wenn sie doch mal das Wort erheben, gehen ihre Ansprachen ins Leere. So ist das hier, im Mittleren Westen, dem eigentlichen Amerika, wie es Sherwood Anderson sah.
Foto: Getty Images
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