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Christian Heermann schreibt die offizielle Karl-May-Biographie
Die Knaben, die heimlich den Knieschuß üben und Halefs Namen auswendig herunterbeten, sterben aus. Oder wachsen zu Männern heran, die dem Kind in sich in Vereinen, Antiquariaten und Dissertationen die Treue halten. Zahllose Studien und Biographien, selbst Chroniken, Lexika und Atlanten zeichnen den abenteuerlichen Lebensweg Karl Mays lückenlos nach: vom "Lieblingskind der Not, der Sorge, des Kummers" zum Hochstapler Dr. Heilig, vom Zuchthäusler "empor ins Reich der Edelmenschen" und wieder hinab in die Hölle. Die beste Biographie ist immer noch Hans Wollschlägers "Grundriß eines gebrochenen Lebens", die unzuverlässigste die Autohagiographie des "Maysters", die 1910 als "Mein Leben und Streben" erschien und unter dem Titel "ICH" in die gesammelten Werke einging.
Jetzt hat der Karl-May-Verlag seinem beinahe einzigen Pferd im Stall eine quasioffizielle Biographie geschenkt, die sich in Stil und Aufmachung ganz den klassischen grünen Bänden anschmiegt: Das Titelgemälde zeigt den verschmitzt lächelnden Dichter am Schreibtisch; vor ihm liegt die Silberbüchse, im Hintergrund hebt Winnetou, die Friedenspfeife in der Linken, seine Rechte zum Gruß. Auf "Winnetous Blutsbruder" ruht sichtbar der Segen der Bamberger Götter, und Christian Heermann, pensionierter Mathematiklehrer und Vorsitzender des Leipziger Karl-May-Freundeskreises, hat ihn sich redlich verdient. Nicht nur, weil sein Werk den Geist edelmenschlicher Humanität und verzeihender Nachsicht atmet: Der sächsische Ghostwriter hat seinem Landsmann sein ganzes Leben und Streben gewidmet und selbst eher esoterischen Themen wie "Karl May und die Außerirdischen" Vorträge und Schriften abzuringen gewußt.
In der DDR hatten die Freunde Mays einen schweren Stand (F.A.Z. vom 22. Juni 2001); nicht jeder konnte so elegant wie Erich Loest 1978 in seinem May-Roman "Swallow, mein wackerer Mustang" den eingekerkerten Phantasten und Kompensationsliteraten zum pfiffigen Republikflüchtling erklären. Heermann ließ sich weder von roten Greenhorns noch westlichen Nestbeschmutzern wie Arno Schmidt den Schneid abkaufen: Seine erste May-Biographie, "Der Mann, der Old Shatterhand war", erschien noch vor der Wende. Daß er dabei - "selbstverständlich ohne Tatsachen zu verbiegen" - Ernst Blochs "verwirrten Proleten" für den Sozialismus retten mußte, ist ihm im nachhinein ein bißchen peinlich. Old Shatterhand, sagt er heute, "ritt nicht im Auftrag der Arbeiterklasse", sondern wollte nur "Sonnenschein in die Herzen" tragen; alles andere wäre "Schwachsinn in dritter Potenz".
Um das Imprimatur der Genossen zu erhalten, hatte Heermann seinerzeit auch Kritik an den - in der Tat schändlichen - "Bearbeitungen" des Karl-May-Verlags eingestreut. Damit befand er sich zwar in bester Gesellschaft, aber ohne eine grundlegende Überarbeitung konnte das Werk natürlich nicht autorisiert werden. Damals, bekennt Heermann nun im Nachwort zerknirscht, habe er "noch nicht alle Zusammenhänge" gekannt und nicht geahnt, daß der Verleger Euchar Albrecht Schmid, das legitimste von "Karl Mays Kindern", nur Knoten entwirren, Dialoge glätten, Fehler berichtigen, kurz: Kolportagereißer "übersichtlicher", züchtiger und leserfreundlicher gestalten wollte. Abgesehen davon, daß schon zu Mays Lebzeiten Verleger wie Münchmeyer und Fischer so energisch redigierten, daß "die Verbalinjurie der ,May-Fälschungen' ins Leere läuft", heiligt der Zweck in den dark and bloody grounds des Marktes die Mittel: "Wenn es die bearbeiteten Leseausgaben nicht gäbe, dann gäbe es heute wohl auch keinen Karl May mehr!" Soviel zum "zelotischen Purismus" der Kritiker.
Heermann darum einen textungläubigen Giaur oder gar Wendehals zu nennen wäre freilich ungerecht. Durch den Knieschuß der Selbstkritik verschaffte er sich nämlich Zugang zum finding hole des Verlagsarchivs, wo ungehobene Fotoschätze und "Nuggets aus Papier" lagerten. Und überhaupt wollte sich der Biograph, wie seine Freunde rühmen, "nicht mit dem wissenschaftlichen Seziermesser, sondern mit Ehrfurcht an die Betrachtung unseres geliebten Karl May" anschleichen. So breitet Heermann nun auf 576 reich illustrierten Seiten neben viel Bekanntem und Überflüssigem auch die Ergebnisse der neueren May-Forschung aus. Wir wissen nun, daß Old Shatterhand im Ernstthaler Gesangverein "Lyra" die Gitarre spielte und in Hohenstein Feuerwehrmann war, ein uneheliches Kind hatte und ein Treffen mit Buffalo Bill, dem Indianerschlächter und Mörder von Sam Hawkins, empört ablehnte: "Er war Spion und guter Führer, weiter nichts. Zu den Westmännern à la Old Firehand wurde er nicht gerechnet."
Mays kleine Notlügen und große Aufschneidereien - etwa daß er 1200 Sprachen beherrsche oder in der Prärie täglich "10 bis 14 Pfund Fleisch, nicht selten roh oder unter dem Sattel zugeritten", zu sich nehmen müsse, um bei Kräften zu bleiben - waren "Wasser auf eine böswillige Mäkelmühle", die freilich, wenn man seinem Apologeten glauben darf, nur von Moralheuchlern, Kriminellen, weiblichen Vampiren und ausgewachsenen "Präfaschisten" am Laufen gehalten wurde; ein Anhang listet alle 57 Prozesse auf, die der an den Marterpfahl der Justiz gefesselte Prometheus erlitten oder selber angestrengt hat.
Der Prophet galt zu Lebzeiten wenig in seinem Vaterland, und daß Heermann die Ehre seines Idols mit so viel Fleiß, Hingabe und Liebe (auch zum Detail) verteidigt, ist sympathisch. Aber vielleicht doch nicht die "ultimative Karl-May-Biographie". Immerhin, neunzig Jahre nachdem May seine gequälte Seele aushauchte, geht sein letztes Wort "Sieg! großer Sieg! - Rosen - rosenrot!" in Erfüllung. Heermann besingt nicht nur den Sieg von Schmetterfaust und Schreibhand über das Schicksal: Im Blick durch seine rosarote Brille wächst zusammen, was zusammengehört. Ost und West, Roman und Biographie begraben ihr Kriegsbeil; sächsische Heimatforschung und Bamberger Marketing, die Tränen des Fans und der Schweiß des Philologen werden Blutsbrüder.
MARTIN HALTER
Christian Heermann: "Winnetous Blutsbruder". Karl-May-Biographie. Karl-May-Verlag, Bamberg 2002. 576 S., 126 Abb., geb., 14,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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