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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Sein Versgedächtnis ist sagenhaft: Kleine Schriften des Wallstein-Verlegers Thedel von Wallmoden
In seinem Elternhaus hingen keine Gainsboroughs. Dabei stammt Thedel von Wallmoden aus einem Adelsgeschlecht, das seit 1154 urkundlich bezeugt ist und in dem zwischen Hildesheim und Goslar gelegenen Ort, von dem es seinen Namen hat, bis heute ansässig ist. Die Wände des Gutshauses im Dorf Alt Wallmoden schmücken aber keine Adelsporträts oder Landschaftsgemälde aus der Zeit der Personalunion der Königreiche Hannover und Großbritannien. 1851 hat Georg Bergmann, ein Absolvent der Düsseldorfer Malerschule, den Saal des Gutshauses ausgemalt: mit der Lebensgeschichte des sagenhaften Ahnherrn, der in der Urkunde von 1154 als Tidelinus de Walmoden firmiert und als Dienstmann Heinrichs des Löwen ausgewiesen ist.
Der Sage zufolge wollte ein noch mächtigerer und selbst nach den Maßstäben der staufischen Geschichtstheologie noch böserer Herr diesen ersten dokumentierten Thedel von Wallmoden in seine Dienste nehmen. Ungewöhnlich für seinen Stand war es, dass der Junker studiert hatte, nicht in Göttingen, wo es erst seit 1737 eine Universität gibt, sondern in Paris. Er reiste nach Jerusalem, wo er sich vom Teufel mit einem schwarzen Zauberpferd ausrüsten ließ, gewann festliche Turniere, hielt dem Pakt, wonach er über die Herkunft des Wunderhengstes schweigen musste, ebenso die Treue wie seinem Herzog und kam nach dem Tod dennoch nicht in die Hölle, sondern ging in die relative Ewigkeit des literarischen Gedächtnisses ein mit dem Beinamen Unverferd (unerschrocken, von niederdeutsch sich verfirn = sich erschrecken). Georg Thym, Schüler von Philipp Melanchthon, schrieb die Sage auf und ließ sie 1558 drucken, als Gedicht in zwanzig Kapiteln und 1946 Versen. So fand sie Eingang in "Des Knaben Wunderhorn" und in den Roman "Das Odfeld" von Wilhelm Raabe.
Und sollten die Lesefassungen und Studienausgaben alter deutscher Literatur eines schwarzen Tages einmal sämtliche Leser an den Tod verloren haben, würde der unverschreckte Ritter in seiner Familie weiterleben, und zwar auch in elementarer literarischer Form, durch Reproduktion des Namens. "Die erstgeborenen Söhne jeder Generation erhalten ihn als Rufnamen, während nachgeborene Söhne den Namen Thedel zwar in erster Position der Vornamen, aber nicht als Rufnamen tragen." Auch darüber unterrichtet der Aufsatz "Die Thedelsage", der den stattlichen Band mit Gelegenheitsschriften Thedel von Wallmodens beschließt, mit dem der Wallstein Verlag den fünfundsechzigsten Geburtstag seines Verlegers feiert.
"In meinem Elternhaus hingen keine Gainsboroughs." In seiner Antrittsvorlesung als Honorarprofessor der Universität Heidelberg, in der er sich unter dem Titel "Versuch über den Erfolg" mit einem Brief von Siegfried Unseld an Kurt Wolff beschäftigte, wies Thedel von Wallmoden 2013 im Vorübergehen darauf hin, dass der zum geflügelten Wort aufgestiegene Anfangsvers von Benns Gedicht "Teils-teils" bei näherem Hinsehen merkwürdig ist, wenn man bloß seinen Informationswert betrachtet. "Ehrlich gesagt, in wessen Elternhaus hingen schon Gainsboroughs?"
Vier Jahre später widmete er dem Gedicht Benns einen ganzen Aufsatz, in dem er seine Beobachtung, dass die Aussage des Satzes nicht so bestimmt ist, wie es der Klang der Negation nahelegt, durch sozialgeschichtlichen Kontext konkretisierte. Mit wem wollte sich der Dichter vergleichen? Die Gainsborough-Fehlanzeige dürfte auch auf alle anderen Elternhäuser zutreffen, zu denen der Pfarrerssohn Benn in seiner Jugend Zutritt erhielt. "Jedenfalls besaßen beispielsweise die Grafen Finckenstein, die Patronatsherren von Sellin, mit deren Söhnen Benn aufwuchs, kein Gemälde von vergleichbarem Rang." Das ist die Präzision, die man von der Kommentierung in den Klassiker-Ausgaben aus dem Hause Wallstein gewohnt ist. So wird aus der Notiz eines aufmerksamen Lesers ein philologischer Punkt.
Der Kommentator erwähnt die Möglichkeit nicht, dass bei Benn druckgraphische Reproduktionen gemeint sein könnten. In dieser Lesart wäre der Vers als milieusoziologische Bestandsaufnahme doch ebenso realistisch wie der folgende, "wurde auch kein Chopin gespielt". Hat Thedel von Wallmoden eine Deutungsmöglichkeit übersehen, auf die ihn das eigene Metier hätte stoßen müssen? Stiche nach Gainsborough hätten einen Verleger gehabt, ebenso wie Klaviernoten. Aber wenn in einem Roman ohne Erläuterung von dem oder einem Gainsborough die Rede ist, wird man automatisch an ein Gemälde denken. Erst recht gilt das im Gedicht, das sich insoweit der Alltagssprache bedient.
Für Versuche, den Erfolg des Verlags zu erklären, den Thedel von Wallmoden als Göttinger Doktorand der Germanistik 1986 gemeinsam mit Dirk und Frank Steinhoff gründete, Kommilitonen anderer Fakultäten, findet man in seinen Reden und Aufsätzen einen reichen Schatz von Maximen. Die erstaunlichste ist sein Bekenntnis, dass ein anspruchsvoller Verlag Lyrik im Programm haben müsse. Gewinn lässt sich mit Gedichtbänden kaum erwirtschaften, aber in der Beurteilung von Lyrik macht ein Verleger die Probe auf die Haltbarkeit von Literatur; im Nachvollzug eignet er sich die älteste Technik der Herstellung von literarisch Dauerhaftem an. Benns Gainsboroughs illustrieren dabei, dass das Schmieden von Versen nicht nur eine Formsache ist. In die Verdichtung eines unvergesslichen Verses geht auch Inhaltliches ein, ein Moment der Übertreibung oder Steigerung, ein von scheinbarer Individualisierung veredelter Gemeinplatz. Ein eigener Band mit Thedel von Wallmodens Benn-Interpretationen wird in Aussicht gestellt. Die zu "Teils-teils" wurde hier sicher auch deshalb aufgenommen, weil der Titel des Gedichts auf die Mischkalkulation im Bücher- wie Versemachen passt.
Ein lyrischer Programmkern als Geheimrezept? Bringt man Thedel von Wallmodens Überlegung in die Form einer Regel, klingt sie märchenhaft. Aber sie wird sogar von der unwahrscheinlichen Geschichte des Bestsellers bestätigt, dem der Verlag nach dem Zeugnis des Verlegers alles verdankt: Ruth Klügers Erinnerungsbuch "weiter leben" enthält Stellen, die in offenem Zeilenfall gesetzt sind, wie man es von Gedichten kennt. Im Verlagsvertrag untersagte die Autorin allerdings den separaten Nachdruck dieser Passagen.
Wie Thedel von Wallmoden den deutschen Klassikern und Autoren, die wie Klassiker ediert zu werden verdienen, noch einmal Regalplatz auch in Privatwohnungen eroberte, werden künftige Festredner und Erforscher seines Gewerbes darstellen. Zur Thedel-Sage liegt hier das Material aus erster Hand vor, transparent und informativ aufbereitet, wie es dem Göttinger Orts- und Hausgeist entspricht. PATRICK BAHNERS
Thedel v. Wallmoden: "Wir bauen Archen". Essays und Reden.
Herausgegeben von Thorsten Ahrend, Christoph König und Nikola Medenwald. Wallstein Verlag, Göttingen 2023. 408 S., geb., 28,- Euro.
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