Das offenste deutsche Wort, das unverbindlichste, auch gefährlichste besteht aus drei Buchstaben: W, i , r . Wer soll das sein in Deutschland?
Nach Frank-Walter Steinmeier, dem 12. deutschen Bundespräsidenten, ist es die Mehrheit aller Deutschen, die demokratische Mitte. Woran erkenne ich diese?
Sie setzt sich für den Staat und dessen Institutionen ein. Der Rest, also die Misstrauischen, die…mehrDas offenste deutsche Wort, das unverbindlichste, auch gefährlichste besteht aus drei Buchstaben: W, i , r . Wer soll das sein in Deutschland?
Nach Frank-Walter Steinmeier, dem 12. deutschen Bundespräsidenten, ist es die Mehrheit aller Deutschen, die demokratische Mitte. Woran erkenne ich diese? Sie setzt sich für den Staat und dessen Institutionen ein. Der Rest, also die Misstrauischen, die Kritischen, die Benachteiligten? Wie sind sie durch das Wir zu behandeln? Sollen wir für sie beten oder sind sie nicht vielmehr das Salz in der Suppe der Demokratie, die sie bewegen und weiterbringen? Ist Demokratie nicht vielmehr die Staatsform des Misstrauens von unten nach oben, die Kritik, das Hinterfragen? Keine Antwort in diesem Buch.
Sozialdemokraten reden gerne vom wir und den eigenen Erfolgen, Genossen genießen die Wärme der Wissenden, sie dürfen sich einreihen in etwas, was Enzensberger schon 1994 beschrieben hat: „In der Abenddämmerung der Sozialdemokratie hat dagegen Rousseau noch einmal gesiegt. Sie haben nicht die Produktionsmittel, sondern die Therapie verstaatlicht. Dass der Mensch von Natur aus gut sei, diese merkwürdige Idee hat in der Sozialarbeit ihr letztes Reservat. Pastorale Motive gehen dabei eine seltsame Mischung ein mit angejahrten Milieu- und Sozialisationstheorien und mit einer entkernten Version der Psychoanalyse. Solche Vormünder nehmen in ihrer grenzenlosen Gutmütigkeit den Verirrten jede Verantwortung für ihr Handeln ab.“ („Aussichten auf den Bürgerkrieg“, 1994, S. 37)
Das Lieblingswort von Sozialdemokraten ist das rundum güldene, vermeintlich alle einschließende Wir, aber es hat einen harten, ausgrenzenden Kern. Wehe, man hat auch nur geringfügige Spuren eines alten Patriotismus oder man kritisiert alle Religionen, dann ist man nach diesem neuen Knigge der Demokratie raus. Nichts findet sich in diesem Buch über den Linksterrorismus und den Islamismus.
Dieses Buch hat mich animiert, das Buch „Wir“ von Jewgeni Samjatin wieder zu lesen. In ihm wird eine dystopische Gesellschaft beschrieben, die unter umfassender Kontrolle eines Wohltäters steht, der sein Ich perfekt in das verbindliche Wir für alle übersetzt. Es ist das erste Buch, welches offiziell in der Sowjetunion verboten wurde. Unzählige „Beschützer“ wachen über das Wohl der Einwohner, deren Leben bis in kleinste Details reglementiert ist, über allen steht ein wohl meinender, mächtiger „Wohltäter“. Menschen die sich gegen diese Fürsorge wehren, werden öffentlich hingerichtet. Der Einzelne zählt nicht, nur das Kollektiv.