»Liebe liebe Christa schön daß Du noch hier geblieben bist auf dem beknackten Planeten!«, schreibt Sarah Kirsch im Herbst 1988 an ihre Freundin, die eben eine lebensgefährliche Krankheit überwunden hat. Ein Jahrzehnt zuvor konstatiert Christa Wolf nach einem Treffen in West-Berlin, kurz nach Kirschs Ausreise aus der DDR: »Ich bin froh, daß ich bei Dir war und jetzt ganz ruhig an Dich denken kann.«
Zwei Autorinnen von internationalem Rang sind hier fast drei Jahrzehnte lang, von 1962 bis 1990, miteinander im Austausch: über das Schreiben, den Literaturbetrieb im Osten wie im Westen, über die Männer, die Kinder, die Arbeit im Garten und die politischen Systeme, in denen sie leben. Letztere sind es wohl, die diese Freundschaft an ein Ende bringen, nach vielen Jahren des vertrauensvollen Miteinanders.
Streng und verspielt, heiter und verzweifelt, schnoddrig und ehrlich – Sarah Kirsch und Christa Wolf beim Schreiben und Leben über die Schulter zu schauen ist ein Geschenk.
Zwei Autorinnen von internationalem Rang sind hier fast drei Jahrzehnte lang, von 1962 bis 1990, miteinander im Austausch: über das Schreiben, den Literaturbetrieb im Osten wie im Westen, über die Männer, die Kinder, die Arbeit im Garten und die politischen Systeme, in denen sie leben. Letztere sind es wohl, die diese Freundschaft an ein Ende bringen, nach vielen Jahren des vertrauensvollen Miteinanders.
Streng und verspielt, heiter und verzweifelt, schnoddrig und ehrlich – Sarah Kirsch und Christa Wolf beim Schreiben und Leben über die Schulter zu schauen ist ein Geschenk.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.2019Rück die Politik mal dahin, wo sie hingehört
Ein bewegendes Dokument deutscher Dichtung und deutscher Teilung: Der Briefwechsel von Christa Wolf und Sarah Kirsch.
Von Andreas Platthaus
Muss man traurig sein, um lebendig zu wirken? Diese Frage stellte Christa Wolf am 25. März 1974 ihrer Schriftstellerkollegin Sarah Kirsch. Die hatte sich gerade in einem schmerzhaften Prozess vom Vater ihres Sohnes getrennt, einem weiteren Schriftstellerkollegen: Karl Mickel. Neu verliebt war sie allerdings auch schon: in Christoph Meckel, Beruf . . ., na, Sie ahnen es schon. Kirsch und Meckel allerdings lebten damals in zwei durch eine undurchlässige Grenze getrennten deutschen Staaten, sie in Ost-, er in West-Berlin. Und Christa Wolf damals ganz nah an beiden, aber auch in der DDR, in Kleinmachnow, einem kleinen Städtchen im Süden von Berlin, gleich an der Mauer zum Westteil der Stadt. Sarah Kirsch hatte ihr am 20. März einen Brief geschrieben, der jenen Satz enthielt, dessen zweite Hälfte nun zum Titel des endlich gedruckten Briefwechsels dieser beiden großen Autorinnen geworden ist: "Und wenn ich an meine Menschenrechte denke - wir haben uns wirklich an allerhand gewöhnt!"
Das Ausrufezeichnen ist allerdings bei der Titelei des Suhrkamp Verlags weggefallen, obwohl es besonders deutlich die Empörung der Lyrikerin über einen Staat signalisiert, der es ihr schwermachte, die neue Liebe zu leben. "Diesen Sommer z. B. würde es mir guttun, 2 Wochen in Frankreich zu sein, aber ich darf nicht, obwohl ich was Schönes schreiben täte." Was sie Christa Wolf nicht sagte, war, dass Christoph Meckel diesen Sommer in Südfrankreich verbringen würde. Aber Kirsch war empört genug, um auch noch vom Persönlichen ins Allgemeine zu gehen: "Und wenn ich es ausnahmsweise dürfte, darf es Frau Meier vom Fließband noch lange nicht."
Ja, sie war traurig in diesem Frühjahr 1974, und das machte sie zornig, und das wiederum empfand Gerhard Wolf, Christas Ehemann und - natürlich - Schriftsteller, gerade als lebendig, und so kam dann Christa Wolfs erwähnte Bemerkung in ihrem Antwortschrieben auf Sarah Kirschs Wutbrief zustande. Die beiden Autorinnen waren befreundet schon seit gemeinsamen Zeiten in Halle, wo Gerhard Wolf Ende der fünfziger Jahre im SED-Parteiauftrag eine Arbeitsgemeinschaft Junger Autoren geleitet hatte, denen auch das junge Ehepaar Rainer und Sarah Kirsch angehörte. Gerhard Wolf wurde zum Mentor der 1935 geborenen und bis dahin im Gegensatz zu ihrem Mann noch gar nicht schreibend hervorgetretenen Sarah Kirsch, und er blieb auch die entscheidende literarische Instanz in deren ersten Jahren als Schriftstellerin, wie der Korrespondenzband belegt, der im ersten Drittel zu wesentlichen Teilen von Gerhard Wolf mitbestritten wird. Trotzdem nennt der Buchtitel nur die beiden Frauen als Verfasserinnen - wohl aus Bescheidenheit des darin als "Mitarbeiter" der Herausgeberin ausgewiesenen, heute einundneunzigjährigen Wolf, von dessen Zeitzeugenschaft der vorbildlich edierte Band immens profitiert hat. Seine 1929 geborene Frau starb 2011, Sarah Kirsch nur zwei Jahre später.
1967 schrieb Gerhard Wolf keinen Wut-, sondern einen Mutbrief an Sarah Kirsch, in dem er sie als singuläre Stimme nicht nur der ostdeutschen Lyrik feierte: "Du bist unter unseren deutschen Frauen Deiner Generation allein auf weiter Flur." Aus diesem Brief zitierte er noch mehr als zwanzig Jahre später, als er einen grundlegenden Essay über die längst tatsächlich zur prominentesten lebenden deutschen Dichterin aufgestiegene Sarah Kirsch schrieb: ein Zeichen, wie sorgfältig die Korrespondenz im Hause Wolf gehütet wurde, die eigenen Schreiben dabei als Durchschläge. Trotzdem gibt es zeitliche Lücken im Briefwechsel, die bislang nicht aufgeklärt werden konnten, zum Beispiel leider für die besonders interessante Zeit vom Herbst 1976 (die Ausbürgerung Wolf Biermanns, gegen die beide Wolfs und Sarah Kirsch protestierten) bis zum Sommer 1977, als Erich Honecker den Antrag Sarah Kirschs auf Ausreise aus der DDR genehmigte. Die Wolfs blieben, obwohl beide von der Partei gemaßregelt worden waren. Sarah Kirsch durfte jahrelang nicht mehr zurück in die DDR.
Doch darunter litt die Freundschaft erst einmal nicht. Im Gegenteil erreichte sie einen Höhepunkt im Jahr 1987, als Christa Wolf lebensbedrohlich erkrankt war und Sarah Kirsch geradezu verzweifelt versuchte zu erfahren, was sich jenseits der Mauer bei den Freunden abspielte. Damals arbeiteten beide Frauen an einem der verblüffendsten Parallelprojekte der deutschsprachigen Literaturgeschichte: Unabhängig voneinander hatten sie sich entscheiden, einen gemeinsamen Aufenthalt im Jahr 1975 im mecklenburgischen Sommerhaus der Wolfs zum Thema größerer Prosastücke zu machen. Sarah Kirschs "Allerlei-Rauh" erschien 1988, Christa Wolfs "Sommerstück" 1989. Die Befeuerung der selbstzweiflerischen Wolf durch die temperamentvolle Kirsch in dem Moment, als die wechselseitige literarische Faszination für dieses ungetrübte letzte Glück in der DDR klar wurde, ist selbst beglückende Lektüre.
Dass 1975 aber im engsten Freundeskreis der Wolfs ein Stasi-Spitzel gesessen hatte, sollte mit zur Entfremdung der beiden Freundinnen beitragen. Zum Jahresende 1990, kurz nach der deutschen Vereinigung, endet die Korrespondenz bitter. Christa Wolf beklagt langes Schweigen von Sarah Kirsch, diese antwortet flapsig: "Hoffentlich kannste die Politik auch mal wieder dahin rücken wo sie hingehört, diesz wünsche ich sehr von Herzen, sonst ist es kaum möglich zu schreiben." Christa Wolfs politisches Engagement, ihr Suchen nach einem "dritten Weg", hieß Sarah Kirsch nicht gut, und für Wolfs Verletzlichkeit nach den publizistischen Angriffen wegen ihrer autobiographischen Erzählung "Was bleibt" bewies Kirsch kein Gespür. Wie die Wendejahre 1989/90 Christa Wolf aufgewühlt hatten, das kann man einem auch gerade erstmals publizierten auf diese Zeit zurückblickenden Gespräch entnehmen, das die Schriftstellerin (und auch wieder Gerhard Wolf) 2008 mit dem Filmemacher Thomas Grimm geführt hat.
Dass diese beiden Publikationen aus dem Nachlass von Christa Wolf am selben Tag, nämlich ausgerechnet dem 9. November 2019, dem dreißigsten Jahrestag des Mauerfalls, erschienen sind, ist nur folgerichtig. Sie geben exemplarisch Auskunft darüber, dass nicht nur die deutsche Teilung Menschen einander entfremdet hat, sondern auch der Vereinigungsprozess. Das ist traurig, aber es lässt beide Bücher höchst lebendig wirken.
Sarah Kirsch, Christa Wolf: "Wir haben uns wirklich an allerhand gewöhnt". Der Briefwechsel.
Hrsg. von Sabine Wolf unter Mitarbeit von Gerhard Wolf. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019.
438 S., 12 Abb., geb., 32,- [Euro].
Christa Wolf: "Umbrüche und Wendezeiten".
Hrsg. von Thomas Grimm unter Mitarbeit von Gerhard Wolf. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 144 S., 3 Abb., geb., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein bewegendes Dokument deutscher Dichtung und deutscher Teilung: Der Briefwechsel von Christa Wolf und Sarah Kirsch.
Von Andreas Platthaus
Muss man traurig sein, um lebendig zu wirken? Diese Frage stellte Christa Wolf am 25. März 1974 ihrer Schriftstellerkollegin Sarah Kirsch. Die hatte sich gerade in einem schmerzhaften Prozess vom Vater ihres Sohnes getrennt, einem weiteren Schriftstellerkollegen: Karl Mickel. Neu verliebt war sie allerdings auch schon: in Christoph Meckel, Beruf . . ., na, Sie ahnen es schon. Kirsch und Meckel allerdings lebten damals in zwei durch eine undurchlässige Grenze getrennten deutschen Staaten, sie in Ost-, er in West-Berlin. Und Christa Wolf damals ganz nah an beiden, aber auch in der DDR, in Kleinmachnow, einem kleinen Städtchen im Süden von Berlin, gleich an der Mauer zum Westteil der Stadt. Sarah Kirsch hatte ihr am 20. März einen Brief geschrieben, der jenen Satz enthielt, dessen zweite Hälfte nun zum Titel des endlich gedruckten Briefwechsels dieser beiden großen Autorinnen geworden ist: "Und wenn ich an meine Menschenrechte denke - wir haben uns wirklich an allerhand gewöhnt!"
Das Ausrufezeichnen ist allerdings bei der Titelei des Suhrkamp Verlags weggefallen, obwohl es besonders deutlich die Empörung der Lyrikerin über einen Staat signalisiert, der es ihr schwermachte, die neue Liebe zu leben. "Diesen Sommer z. B. würde es mir guttun, 2 Wochen in Frankreich zu sein, aber ich darf nicht, obwohl ich was Schönes schreiben täte." Was sie Christa Wolf nicht sagte, war, dass Christoph Meckel diesen Sommer in Südfrankreich verbringen würde. Aber Kirsch war empört genug, um auch noch vom Persönlichen ins Allgemeine zu gehen: "Und wenn ich es ausnahmsweise dürfte, darf es Frau Meier vom Fließband noch lange nicht."
Ja, sie war traurig in diesem Frühjahr 1974, und das machte sie zornig, und das wiederum empfand Gerhard Wolf, Christas Ehemann und - natürlich - Schriftsteller, gerade als lebendig, und so kam dann Christa Wolfs erwähnte Bemerkung in ihrem Antwortschrieben auf Sarah Kirschs Wutbrief zustande. Die beiden Autorinnen waren befreundet schon seit gemeinsamen Zeiten in Halle, wo Gerhard Wolf Ende der fünfziger Jahre im SED-Parteiauftrag eine Arbeitsgemeinschaft Junger Autoren geleitet hatte, denen auch das junge Ehepaar Rainer und Sarah Kirsch angehörte. Gerhard Wolf wurde zum Mentor der 1935 geborenen und bis dahin im Gegensatz zu ihrem Mann noch gar nicht schreibend hervorgetretenen Sarah Kirsch, und er blieb auch die entscheidende literarische Instanz in deren ersten Jahren als Schriftstellerin, wie der Korrespondenzband belegt, der im ersten Drittel zu wesentlichen Teilen von Gerhard Wolf mitbestritten wird. Trotzdem nennt der Buchtitel nur die beiden Frauen als Verfasserinnen - wohl aus Bescheidenheit des darin als "Mitarbeiter" der Herausgeberin ausgewiesenen, heute einundneunzigjährigen Wolf, von dessen Zeitzeugenschaft der vorbildlich edierte Band immens profitiert hat. Seine 1929 geborene Frau starb 2011, Sarah Kirsch nur zwei Jahre später.
1967 schrieb Gerhard Wolf keinen Wut-, sondern einen Mutbrief an Sarah Kirsch, in dem er sie als singuläre Stimme nicht nur der ostdeutschen Lyrik feierte: "Du bist unter unseren deutschen Frauen Deiner Generation allein auf weiter Flur." Aus diesem Brief zitierte er noch mehr als zwanzig Jahre später, als er einen grundlegenden Essay über die längst tatsächlich zur prominentesten lebenden deutschen Dichterin aufgestiegene Sarah Kirsch schrieb: ein Zeichen, wie sorgfältig die Korrespondenz im Hause Wolf gehütet wurde, die eigenen Schreiben dabei als Durchschläge. Trotzdem gibt es zeitliche Lücken im Briefwechsel, die bislang nicht aufgeklärt werden konnten, zum Beispiel leider für die besonders interessante Zeit vom Herbst 1976 (die Ausbürgerung Wolf Biermanns, gegen die beide Wolfs und Sarah Kirsch protestierten) bis zum Sommer 1977, als Erich Honecker den Antrag Sarah Kirschs auf Ausreise aus der DDR genehmigte. Die Wolfs blieben, obwohl beide von der Partei gemaßregelt worden waren. Sarah Kirsch durfte jahrelang nicht mehr zurück in die DDR.
Doch darunter litt die Freundschaft erst einmal nicht. Im Gegenteil erreichte sie einen Höhepunkt im Jahr 1987, als Christa Wolf lebensbedrohlich erkrankt war und Sarah Kirsch geradezu verzweifelt versuchte zu erfahren, was sich jenseits der Mauer bei den Freunden abspielte. Damals arbeiteten beide Frauen an einem der verblüffendsten Parallelprojekte der deutschsprachigen Literaturgeschichte: Unabhängig voneinander hatten sie sich entscheiden, einen gemeinsamen Aufenthalt im Jahr 1975 im mecklenburgischen Sommerhaus der Wolfs zum Thema größerer Prosastücke zu machen. Sarah Kirschs "Allerlei-Rauh" erschien 1988, Christa Wolfs "Sommerstück" 1989. Die Befeuerung der selbstzweiflerischen Wolf durch die temperamentvolle Kirsch in dem Moment, als die wechselseitige literarische Faszination für dieses ungetrübte letzte Glück in der DDR klar wurde, ist selbst beglückende Lektüre.
Dass 1975 aber im engsten Freundeskreis der Wolfs ein Stasi-Spitzel gesessen hatte, sollte mit zur Entfremdung der beiden Freundinnen beitragen. Zum Jahresende 1990, kurz nach der deutschen Vereinigung, endet die Korrespondenz bitter. Christa Wolf beklagt langes Schweigen von Sarah Kirsch, diese antwortet flapsig: "Hoffentlich kannste die Politik auch mal wieder dahin rücken wo sie hingehört, diesz wünsche ich sehr von Herzen, sonst ist es kaum möglich zu schreiben." Christa Wolfs politisches Engagement, ihr Suchen nach einem "dritten Weg", hieß Sarah Kirsch nicht gut, und für Wolfs Verletzlichkeit nach den publizistischen Angriffen wegen ihrer autobiographischen Erzählung "Was bleibt" bewies Kirsch kein Gespür. Wie die Wendejahre 1989/90 Christa Wolf aufgewühlt hatten, das kann man einem auch gerade erstmals publizierten auf diese Zeit zurückblickenden Gespräch entnehmen, das die Schriftstellerin (und auch wieder Gerhard Wolf) 2008 mit dem Filmemacher Thomas Grimm geführt hat.
Dass diese beiden Publikationen aus dem Nachlass von Christa Wolf am selben Tag, nämlich ausgerechnet dem 9. November 2019, dem dreißigsten Jahrestag des Mauerfalls, erschienen sind, ist nur folgerichtig. Sie geben exemplarisch Auskunft darüber, dass nicht nur die deutsche Teilung Menschen einander entfremdet hat, sondern auch der Vereinigungsprozess. Das ist traurig, aber es lässt beide Bücher höchst lebendig wirken.
Sarah Kirsch, Christa Wolf: "Wir haben uns wirklich an allerhand gewöhnt". Der Briefwechsel.
Hrsg. von Sabine Wolf unter Mitarbeit von Gerhard Wolf. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019.
438 S., 12 Abb., geb., 32,- [Euro].
Christa Wolf: "Umbrüche und Wendezeiten".
Hrsg. von Thomas Grimm unter Mitarbeit von Gerhard Wolf. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 144 S., 3 Abb., geb., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.11.2019Die Grenzen laufen anders
Ungeahnte Einblicke: Der sehr persönliche Briefwechsel zwischen Sarah Kirsch und Christa Wolf
Unterschiedlicher als Sarah Kirsch und Christa Wolf können Schriftstellerinnen kaum sein. Es muss etwas mit der DDR zu tun haben, dass im Laufe der Jahre trotzdem eine immer intensivere Freundschaft sie verband. Der Briefwechsel zwischen diesen beiden Autorinnen, die zu den bedeutendsten ihrer Gegenwart gehören, ist noch weitaus spannender, als man es beim Aufblättern erwartet.
Christa Wolf, geboren 1929, ist sechs Jahre älter. Seit Anfang der Sechzigerjahre entwickelt sich eine Beziehung, die von Gegensätzen lebt und gleichzeitig beide zu eingeschworenen Verbündeten macht. Sarah Kirsch zeigt sich eigenwillig und verspielt, aber auch ungestüm und rigoros, Christa Wolf erscheint dagegen gefasster und nachdenklicher. Ihre Ehe mit Gerhard Wolf, einem akribischen, sensiblen Literaturforscher und Sprachanalytiker, wirkt wie ein glückliches Bündnis, das auf die ganze Lebenszeit angelegt ist, und so kommt es zwangsläufig zu gewissen Kabbeleien. Als sich zum Beispiel Sarah Kirsch von ihrem Ehemann Rainer Kirsch, den sie jung geheiratet hat, nach einigen Jahren ausgerechnet im Jahr 1968 trennt, schreibt sie an die Wolfs: „Seid nicht sauer auf mich, das ist die Emanzipation!“
Es folgt ihre Liaison mit Karl Mickel, von dem sie ein Kind erwartet, von dem sie aber offensichtlich sonst nicht sehr viel erwarten kann. Dieser dem klassischen Versmaß verpflichtete, strenge und sich programmatisch der Zeitlosigkeit verschreibende Lyriker erscheint in den Briefen Sarah Kirschs eher flatterhaft: „So einen hatte ich noch nicht, es gibt viel Bewegung, das wollte ich ja, bloß manchmal liege ich flach vor Eifersucht oder weil er für Tage vom Erdboden verschluckt ist, aber ich will nie wieder einen andern.“ Ein paar Jahre später wiederholt sich das mit dem in Westberlin lebenden Christoph Meckel: „Er wäre eine Maßarbeit für mich, aber hier könnte er niemals leben.“ So erklärt sich auch der Titel, den die Herausgeber diesem Briefwechsel gegeben haben: Christoph Meckel erzählt Sarah Kirsch von Südfrankreich, wo er ein kleines Häuschen besitze. Sie ist verzaubert und möchte mit ihm in den Süden – aber es handelt sich um das Jahr 1974, und sie ist DDR-Bürgerin, die nicht reisen darf. „Wir haben uns wirklich an allerhand gewöhnt“: Dieser schmerzhafte Ausruf verbindet die beiden Briefschreiberinnen.
Von ihren literarischen Werken erfährt man nur am Rande, im Vordergrund der Briefe stehen private Notizen („Dir kann ich es ja sagen!“) und Alltagsvergewisserungen. Eine erste atmosphärische Trübung entsteht um das Jahr 1977, als Sarah Kirsch die DDR verlässt, für ungefähr zwei Jahre bricht der Briefwechsel ab.
Von Telefongesprächen kann man nur etwas erahnen. Charakteristisch aber ist, was Sarah Kirsch im Januar 1979 aus der römischen Villa Massimo an Christa Wolf in der DDR schreibt: „Du musst keine Angst haben, dass wir uns voneinander entfernen.“ Sie reagiert damit darauf, was in den Zeilen Christa Wolfs aus dieser Zeit mitschwingt – der immer bekannter werdenden Autorin, die sich in der DDR langsam isoliert fühlt, sich aber in ihrem Mecklenburger Landsitz so fest verwurzelt hat, dass sie ihr Leben und ihre Literatur unmittelbar darauf bezieht. Sarah Kirsch hingegen hat mit der DDR abgeschlossen und gesteht ein, dass sie dadurch „manchmal ruppig“ erscheint. Doch im Lauf der Zeit entwickelt sich eine gegenseitige Anziehung, die nicht nur etwas mit der örtlichen Trennung der beiden zu tun hat, sondern mit einem gemeinsamen Lebensgefühl, dessen sie sich im Rückblick vergewissern.
Die Achtzigerjahre markieren den Höhepunkt dieses Briefwechsels. Sie stehen im Zeichen der Erinnerung an einen gemeinsamen Sommer 1975 in Mecklenburg. Christa Wolf hat erst spät, im Jahr 1989, den Text „Sommerstück“ veröffentlicht, der darum kreist. Von Sarah Kirsch erscheint fast parallel dazu im Band „Allerlei-Rauh“ ein Prosastück über denselben, herausgehobenen Moment. In diesem Sommer schien noch vieles möglich, es gab eine gemeinsame Verbundenheit, die wie ein Inselgefühl in der DDR anmutete.
Sarah Kirsch suchte sich nicht von ungefähr im Westen ein vergleichbares Refugium in Schleswig-Holstein, in einer ähnlich abgeschiedenen, auf den ersten Blick unspektakulär wirkenden, aber dennoch poetisch aufgeladenen stillen Landschaft. 1982 sitzt Christa Wolf an ihrem Fenster in Mecklenburg und blickt sehnsüchtig nach Westen, was ganz konkret Sarah Kirschs Schleswig-Holstein meint. Es gibt abgründig ironische Zwiegespräche darüber, welche Stürme von Westen nach Osten und welche Kälteströme von Osten nach Westen wandern. Und die Gartenarbeit, die einen beträchtlichen Teil der Briefe ausmacht, das Kultivieren alter Rosensorten bei Sarah Kirsch oder die Erdkakteen, die Sarah Kirsch einmal mitgebracht hat und die in Christa Wolfs Mecklenburg auf unerwartete Weise gedeihen – das sind nicht einfach nur nebensächliche Arabesken, das hat eine unübersehbare politisch-existenzielle Dimension.
Christa Wolf ist spätestens seit ihren „Kassandra“-Vorlesungen Anfang der Achtzigerjahre in Frankfurt am Main auf heute kaum mehr nachvollziehbare Weise berühmt, sie wird fast wie eine Götterbotin verehrt und verkörpert in der bundesdeutschen Rezeption eine schier sagenhafte Mischung aus Sozialismus und Feminismus. Davon ist in den Briefen zwischen ihr und Sarah Kirsch nichts zu spüren. Einmal vermerkt Sarah Kirsch spöttisch, dass sie immer wieder von Journalisten angerufen wird, die über sie die Telefonnummer Christa Wolfs herausbekommen wollen. Die von vielen Seiten umworbene Schriftstellerin erscheint in ihren eigenen Briefen fast nur als zurückgezogene Gärtnerin und Tomatenkuchenbäckerin, als Familienmensch, der Rückhalt in einem engen, nach außen hin abgeschirmten Kreis sucht und dabei unerwartet lustig und schlagfertig sein kann.
Unmittelbar nach der Veröffentlichung eines Buches über Bertolt Brechts Herzneurose in einem Würzburger Verlag, verfasst von dem Freiburger Literaturwissenschaftler Carl Pietzcker, schreibt Christa Wolf, die es sogleich gelesen haben muss, im Herbst 1988: „Alle diese frauenverbrauchenden Männer haben Angst, auch Dein ehemaliger Charley, natürlich.“ Der Zusammenhang zwischen psychosomatischen Äußerungen und dem literarischen Prozess – „Es ist etwas dran, glaube ich“ – interessiert sie über den Einzelfall hinaus. Noch nie war man so nah an der Poetik und Ästhetik Christa Wolfs wie hier.
In der Zeit nach 1989 spitzt sich das alles zu, vor allem deshalb, weil sich im intimen, mecklenburgischen Umfeld der Wolfs ein Stasi-Agent eingenistet hatte. Christa Wolf reagiert in den ersten Momenten desorientiert und defensiv und hält an einem in der DDR unerkannt schlummernden utopischen Sozialismus fest. Für Sarah Kirsch ist Gorbatschow „ein Eumel, ein Lügner und Zar“, während er für Christa Wolf eine große Hoffnung verkörpert. Deren Aufruf „Für unser Land“, womit sie die DDR meint, ist für Sarah Kirsch vollkommen inakzeptabel. So endet die Beziehung der beiden ungeahnt abrupt. Im letzten Brief, den Christa Wolf schreibt, appelliert sie noch einmal an die Nähe zu ihrer Freundin und versucht ungeschützt, ihre Gefühle zu formulieren. Sarah Kirsch jedoch meißelt Merksätze wie: „Die Mauer wird uns noch fehlen“ (23. Februar 1990) und erkennt im selben Atemzug: „Die Grenzen laufen ganz anders, nicht zwischen Ost und West.“
Ein Satz wie dieser, der sich von der Tagespolitik entfernt und an etwas Grundsätzliches gemahnt, steht für den Bruch zwischen Sarah Kirsch und Christa Wolf, der angesichts der Dokumente ihrer Beziehung geradezu tragisch anmutet. Beide haben auf ihre Weise recht, aber ihre intensive Freundschaft musste fast zwangsläufig zerbrechen. Dieser Briefwechsel scheint auf etwas Allgemeineres zu verweisen und wirkt dabei wie eine archäologische Feldstudie über vergessene Gefühle.
HELMUT BÖTTIGER
„Alle diese
frauenverbrauchenden
Männer haben Angst“,
schreibt Christa Wolf
im Herbst 1988
Sarah Kirsch, Christa Wolf:
„Wir haben uns wirklich
an allerhand gewöhnt.“
Der Briefwechsel.
Herausgegeben von Sabine Wolf
unter Mitarbeit von Heiner Wolf.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019.
420 Seiten, 32 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ungeahnte Einblicke: Der sehr persönliche Briefwechsel zwischen Sarah Kirsch und Christa Wolf
Unterschiedlicher als Sarah Kirsch und Christa Wolf können Schriftstellerinnen kaum sein. Es muss etwas mit der DDR zu tun haben, dass im Laufe der Jahre trotzdem eine immer intensivere Freundschaft sie verband. Der Briefwechsel zwischen diesen beiden Autorinnen, die zu den bedeutendsten ihrer Gegenwart gehören, ist noch weitaus spannender, als man es beim Aufblättern erwartet.
Christa Wolf, geboren 1929, ist sechs Jahre älter. Seit Anfang der Sechzigerjahre entwickelt sich eine Beziehung, die von Gegensätzen lebt und gleichzeitig beide zu eingeschworenen Verbündeten macht. Sarah Kirsch zeigt sich eigenwillig und verspielt, aber auch ungestüm und rigoros, Christa Wolf erscheint dagegen gefasster und nachdenklicher. Ihre Ehe mit Gerhard Wolf, einem akribischen, sensiblen Literaturforscher und Sprachanalytiker, wirkt wie ein glückliches Bündnis, das auf die ganze Lebenszeit angelegt ist, und so kommt es zwangsläufig zu gewissen Kabbeleien. Als sich zum Beispiel Sarah Kirsch von ihrem Ehemann Rainer Kirsch, den sie jung geheiratet hat, nach einigen Jahren ausgerechnet im Jahr 1968 trennt, schreibt sie an die Wolfs: „Seid nicht sauer auf mich, das ist die Emanzipation!“
Es folgt ihre Liaison mit Karl Mickel, von dem sie ein Kind erwartet, von dem sie aber offensichtlich sonst nicht sehr viel erwarten kann. Dieser dem klassischen Versmaß verpflichtete, strenge und sich programmatisch der Zeitlosigkeit verschreibende Lyriker erscheint in den Briefen Sarah Kirschs eher flatterhaft: „So einen hatte ich noch nicht, es gibt viel Bewegung, das wollte ich ja, bloß manchmal liege ich flach vor Eifersucht oder weil er für Tage vom Erdboden verschluckt ist, aber ich will nie wieder einen andern.“ Ein paar Jahre später wiederholt sich das mit dem in Westberlin lebenden Christoph Meckel: „Er wäre eine Maßarbeit für mich, aber hier könnte er niemals leben.“ So erklärt sich auch der Titel, den die Herausgeber diesem Briefwechsel gegeben haben: Christoph Meckel erzählt Sarah Kirsch von Südfrankreich, wo er ein kleines Häuschen besitze. Sie ist verzaubert und möchte mit ihm in den Süden – aber es handelt sich um das Jahr 1974, und sie ist DDR-Bürgerin, die nicht reisen darf. „Wir haben uns wirklich an allerhand gewöhnt“: Dieser schmerzhafte Ausruf verbindet die beiden Briefschreiberinnen.
Von ihren literarischen Werken erfährt man nur am Rande, im Vordergrund der Briefe stehen private Notizen („Dir kann ich es ja sagen!“) und Alltagsvergewisserungen. Eine erste atmosphärische Trübung entsteht um das Jahr 1977, als Sarah Kirsch die DDR verlässt, für ungefähr zwei Jahre bricht der Briefwechsel ab.
Von Telefongesprächen kann man nur etwas erahnen. Charakteristisch aber ist, was Sarah Kirsch im Januar 1979 aus der römischen Villa Massimo an Christa Wolf in der DDR schreibt: „Du musst keine Angst haben, dass wir uns voneinander entfernen.“ Sie reagiert damit darauf, was in den Zeilen Christa Wolfs aus dieser Zeit mitschwingt – der immer bekannter werdenden Autorin, die sich in der DDR langsam isoliert fühlt, sich aber in ihrem Mecklenburger Landsitz so fest verwurzelt hat, dass sie ihr Leben und ihre Literatur unmittelbar darauf bezieht. Sarah Kirsch hingegen hat mit der DDR abgeschlossen und gesteht ein, dass sie dadurch „manchmal ruppig“ erscheint. Doch im Lauf der Zeit entwickelt sich eine gegenseitige Anziehung, die nicht nur etwas mit der örtlichen Trennung der beiden zu tun hat, sondern mit einem gemeinsamen Lebensgefühl, dessen sie sich im Rückblick vergewissern.
Die Achtzigerjahre markieren den Höhepunkt dieses Briefwechsels. Sie stehen im Zeichen der Erinnerung an einen gemeinsamen Sommer 1975 in Mecklenburg. Christa Wolf hat erst spät, im Jahr 1989, den Text „Sommerstück“ veröffentlicht, der darum kreist. Von Sarah Kirsch erscheint fast parallel dazu im Band „Allerlei-Rauh“ ein Prosastück über denselben, herausgehobenen Moment. In diesem Sommer schien noch vieles möglich, es gab eine gemeinsame Verbundenheit, die wie ein Inselgefühl in der DDR anmutete.
Sarah Kirsch suchte sich nicht von ungefähr im Westen ein vergleichbares Refugium in Schleswig-Holstein, in einer ähnlich abgeschiedenen, auf den ersten Blick unspektakulär wirkenden, aber dennoch poetisch aufgeladenen stillen Landschaft. 1982 sitzt Christa Wolf an ihrem Fenster in Mecklenburg und blickt sehnsüchtig nach Westen, was ganz konkret Sarah Kirschs Schleswig-Holstein meint. Es gibt abgründig ironische Zwiegespräche darüber, welche Stürme von Westen nach Osten und welche Kälteströme von Osten nach Westen wandern. Und die Gartenarbeit, die einen beträchtlichen Teil der Briefe ausmacht, das Kultivieren alter Rosensorten bei Sarah Kirsch oder die Erdkakteen, die Sarah Kirsch einmal mitgebracht hat und die in Christa Wolfs Mecklenburg auf unerwartete Weise gedeihen – das sind nicht einfach nur nebensächliche Arabesken, das hat eine unübersehbare politisch-existenzielle Dimension.
Christa Wolf ist spätestens seit ihren „Kassandra“-Vorlesungen Anfang der Achtzigerjahre in Frankfurt am Main auf heute kaum mehr nachvollziehbare Weise berühmt, sie wird fast wie eine Götterbotin verehrt und verkörpert in der bundesdeutschen Rezeption eine schier sagenhafte Mischung aus Sozialismus und Feminismus. Davon ist in den Briefen zwischen ihr und Sarah Kirsch nichts zu spüren. Einmal vermerkt Sarah Kirsch spöttisch, dass sie immer wieder von Journalisten angerufen wird, die über sie die Telefonnummer Christa Wolfs herausbekommen wollen. Die von vielen Seiten umworbene Schriftstellerin erscheint in ihren eigenen Briefen fast nur als zurückgezogene Gärtnerin und Tomatenkuchenbäckerin, als Familienmensch, der Rückhalt in einem engen, nach außen hin abgeschirmten Kreis sucht und dabei unerwartet lustig und schlagfertig sein kann.
Unmittelbar nach der Veröffentlichung eines Buches über Bertolt Brechts Herzneurose in einem Würzburger Verlag, verfasst von dem Freiburger Literaturwissenschaftler Carl Pietzcker, schreibt Christa Wolf, die es sogleich gelesen haben muss, im Herbst 1988: „Alle diese frauenverbrauchenden Männer haben Angst, auch Dein ehemaliger Charley, natürlich.“ Der Zusammenhang zwischen psychosomatischen Äußerungen und dem literarischen Prozess – „Es ist etwas dran, glaube ich“ – interessiert sie über den Einzelfall hinaus. Noch nie war man so nah an der Poetik und Ästhetik Christa Wolfs wie hier.
In der Zeit nach 1989 spitzt sich das alles zu, vor allem deshalb, weil sich im intimen, mecklenburgischen Umfeld der Wolfs ein Stasi-Agent eingenistet hatte. Christa Wolf reagiert in den ersten Momenten desorientiert und defensiv und hält an einem in der DDR unerkannt schlummernden utopischen Sozialismus fest. Für Sarah Kirsch ist Gorbatschow „ein Eumel, ein Lügner und Zar“, während er für Christa Wolf eine große Hoffnung verkörpert. Deren Aufruf „Für unser Land“, womit sie die DDR meint, ist für Sarah Kirsch vollkommen inakzeptabel. So endet die Beziehung der beiden ungeahnt abrupt. Im letzten Brief, den Christa Wolf schreibt, appelliert sie noch einmal an die Nähe zu ihrer Freundin und versucht ungeschützt, ihre Gefühle zu formulieren. Sarah Kirsch jedoch meißelt Merksätze wie: „Die Mauer wird uns noch fehlen“ (23. Februar 1990) und erkennt im selben Atemzug: „Die Grenzen laufen ganz anders, nicht zwischen Ost und West.“
Ein Satz wie dieser, der sich von der Tagespolitik entfernt und an etwas Grundsätzliches gemahnt, steht für den Bruch zwischen Sarah Kirsch und Christa Wolf, der angesichts der Dokumente ihrer Beziehung geradezu tragisch anmutet. Beide haben auf ihre Weise recht, aber ihre intensive Freundschaft musste fast zwangsläufig zerbrechen. Dieser Briefwechsel scheint auf etwas Allgemeineres zu verweisen und wirkt dabei wie eine archäologische Feldstudie über vergessene Gefühle.
HELMUT BÖTTIGER
„Alle diese
frauenverbrauchenden
Männer haben Angst“,
schreibt Christa Wolf
im Herbst 1988
Sarah Kirsch, Christa Wolf:
„Wir haben uns wirklich
an allerhand gewöhnt.“
Der Briefwechsel.
Herausgegeben von Sabine Wolf
unter Mitarbeit von Heiner Wolf.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019.
420 Seiten, 32 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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»So demonstriert dieser vorbildlich edierte und kommentierte Briefwechsel zweier großer Schriftstellerinnen eine denkwürdige Dynamik: Das Politische, das am Anfang so dominiert und zeitweise gegenüber Familiärem, Intimem, Deskriptivem in die zweite Reihe rückt, wird schließlich zur Sollbruchstelle.« Richard Kämmerlings DIE WELT 20191207