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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Vom Mittelalter bis in die Gegenwart: Peter Oliver Loew schreibt die erste Geschichte der Polen in Deutschland
Was fällt einem Deutschen als Erstes ein, wenn er das Stichwort "Polen in Deutschland" hört? Polnische Bauarbeiter, Allroundhandwerker, Putzfrauen und Pflegerinnen, die in allen deutschen Großstädten unauffällig zur Erhöhung des Lebensstandards beitragen? Berlin mit den Scharen polnischer Schwarzarbeiter und Kleinganoven und dem "Club der polnischen Versager", die solchem zweifelhaften Ruf mit heldenhafter Selbstironie trotzen? Oder all die Musiker, Filmemacher, Tänzer, Maler, Theaterleute, die seit Jahren aus Warschau, Krakau oder Breslau herbeiströmen? Die Frage ist insofern berechtigt, als es derzeit in Deutschland etwa zwei Millionen Menschen gibt, die mehr oder weniger als Polen und damit als Angehörige der zweitgrößten Minderheit (nach den Türken) gelten.
Mehr oder weniger, denn, wie Peter Oliver Loew gleich am Anfang seines Buches betont: Bei dem Versuch, die Geschichte der Polen in Deutschland zu erzählen, ergeben sich etliche definitorische und methodische Probleme. Nach Auffassung des Autors sind nämlich "sowohl der Begriff ,Deutschland' als auch der ,Begriff ,Polen' unscharf und schwer zu fassen, und auch über das Wort ,Minderheit' kann man sich trefflich streiten". Was er damit meint und vor allem, was sich zu dieser jahrhundertelangen Geschichte zusammenfügt, führt er in sechs informationsreichen Kapiteln aus.
Er beschreibt darin die Entstehung der ersten Polen-Enklaven im Herzogtum Preußen und in Bayern; die Teilungen Polens im 18. Jahrhundert, die große Teile der Bevölkerung zu preußischen und später deutschen Untertanen machten; die wirtschaftliche Revolution des 19. Jahrhunderts, die Massen von Polen in die deutschen Industriezentren, vor allem ins Ruhrgebiet, lockte; die Abwanderung polnischer Bevölkerung nach dem Ersten Weltkrieg und die Wiedererlangung der staatlichen polnischen Souveränität; die wachsenden Repressionen gegenüber den in Deutschland Verbliebenen nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und die NS-Terrorpolitik in den folgenden sechs Jahren; schließlich die vielen Einwanderungswellen nach dem Krieg, infolge deren neue Statusbezeichnungen entstanden: Vertriebene, Aussiedler, Spätaussiedler, politische Asylanten, Wirtschaftsflüchtlinge, Saisonarbeiter und einige weitere.
Natürlich darf man von einer solchen Gesamtdarstellung nicht viele erzählende Passagen erwarten. Zum einen, weil Peter Oliver Loew die nüchterne Faktennennung bevorzugt. Zum anderen, weil die Fülle des Materials sie kaum zulässt. Um so dankbarer ist man für einige kurze "epische Einlagen", etwa über einen der berühmtesten Polen in Deutschland, den legendären Stanislaw Przybyszewski, Liebling der Berliner Boheme zur Zeit des Fin de Siècle, der in seinem Erstlingswerk verkündete, Satan sei das ewig Böse, und das ewig Böse sei das Leben, und damit den Geschmack seiner Zeitgenossen traf.
Dass der dämonische "Przybysz", wie er von Freunden genannt wurde - was übrigens "Ankömmling" bedeutet -, immerhin mit einer Buchseite gewürdigt wird, nimmt man erfreut zur Kenntnis. Umso mehr wundert man sich aber, dass einige andere, die es nicht minder verdient hätten, entweder gerade mal in einer Aufzählung auftauchen - wie etwa Jozef Brandt, Schöpfer und jahrzehntelanger Anführer der "Münchner Malerschule" - oder gar nicht erwähnt werden. Um nur zwei Beispiele aus der Gegenwart zu nennen: die Übersetzerin und Journalistin Wanda Bronska, deren versuchte Ermordung eine der größten Geheimdienstaffären des Kalten Kriegs auslöste, oder die Malerin und Schriftstellerin Roma Ligocka, die mit ihrem Buch "Das Mädchen im roten Mantel" einen Weltbestseller landete. Doch ändern diese Lücken nichts daran, dass man es mit einer lesenswerten Darstellung zu tun hat.
MARTA KIJOWSKA
Peter Oliver Loew: "Wir Unsichtbaren". Geschichte der Polen in Deutschland. Verlag C. H. Beck, München 2014. 336 S., geb., 18,95 [Euro].
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