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Joachim Schnerfs "Wir waren eine gute Erfindung"
Ein französischer Jude, der den Holocaust überlebt hat, gewinnt für seine Töchter zwei Goldfische auf dem Jahrmarkt. Er besteht darauf, ihnen selbst einen Namen zu geben. Als die Mutter der Mädchen nach Hause kommt, wird sie begeistert empfangen. "Mama, das sind Goebbels und Göring, sie sind Brüder. Und ihre Namen fangen gleich an! Goebbels gehört mir, und Göring Michelle." Einer der Fische stirbt. Bald darauf werden die Eltern von der Klassenlehrerin einbestellt: Sie zeigt ihnen "ein Aufgabenheft voller Herzchen, die sieben unschuldige Buchstaben rahmten: G - u - e - b - e - l - s".
Worüber dürfen wir lachen? Wie weit reicht Humor, und stellen Witze über das Konzentrationslager eine legitime Form des Erinnerns dar? Salomon, der Protagonist von Joachim Schnerfs neuem Roman "Wir waren eine gute Erfindung", hat dazu eine klare Meinung: Von Auschwitz zu erzählen ist ihm nicht möglich, Witze darüber zu machen schon. Wer sich da an Roberto Benignis KZ-Kitsch ("Das Leben ist schön") erinnert fühlt, darf teilweise beruhigt sein: Es ist eine der Stärken von Schnerfs Roman, dass er der Frage nach der Kraft des Lachens im Umkreis der Schoa einen düsteren Humor abgewinnt, den er mit tiefer Traurigkeit umstellt.
Es ist der Morgen vor dem Sederabend, dem Vorabend des Pessach-Festes. In jüdischen Familien wird in dieser Nacht des Auszugs der Israeliten aus Ägypten gedacht. An die Erhebung aus der Sklavenschaft wird sich dabei in symbolischen Speisen erinnert, etwa dem ungesäuerten Brot, das auf die übereilte Abreise verweisen soll. Die Kinder stellen den Ältesten ritualisierte Fragen - doch Salomon, der mit der Weitergabe des Wissens an die Jüngsten, seine Enkel, beauftragt ist, hat anderes im Kopf: Erinnerungen an seine verstorbene Frau Sarah, Erinnerungen auch an Auschwitz und an die Geräusche, die die Stiefel der Nazis machten, wenn sie nach ihm suchten, vor fast siebzig Jahren. Und Erinnerungen an das letzte Pessach-Fest: Seine Familie und ihre Streitigkeiten, Töchter, Enkel, Ehemänner, drei Generationen, die von der jüdischen Geschichte und der Erinnerung an sie, aber auch von persönlichen Neurosen gezeichnet sind.
Schnerfs erzählerisches Talent zeigt sich nicht nur darin, wie er hier mit lockerer Hand individuelle Schicksale mit der Zeitgeschichte und der jüdischen Tradition verknüpft. Bestechend ist auch, die Memoria-Thematik in einer Konstellation abzuhandeln, die fast ohne Gegenwart auskommt. Denn die Handlung des Romans findet nur in der Erinnerung an die Vorjahre sowie in Salomons Vorstellung davon statt, wie der bevorstehende Sederabend verlaufen könnte, zwischen Vergangenheit und unsicherer Zukunft. Im Jetzt gibt es nur den brüchigen Körper des Alten, der sich vom Bett ins Esszimmer bewegt.
Der Witz, so viel sei verraten, leistet bei Schnerf keine tatsächliche Bewältigung. Er kehrt die Situation um, verlagert die Scham von dem, der erzählen soll, auf den, der hören will: "Das Unbehagen an der Situation befreite mich." Nicht zuletzt richtet er sich gegen den verordneten Ernst einer durchgenormten Gedenkkultur: Salomon macht Anspielungen auf Öfen und gestreifte Pyjamas, geht regelmäßig in ein "Schoah-Café", wo er sich mit anderen Überlebenden Witze erzählt, isst Schinkenbaguette, wenn die Filme von Claude Lanzmann laufen. Bei Tisch zeichnet er Hakenkreuze auf seinen Teller. Allerdings ist ihm der Spaß an dieser Subversion mit dem Tod seiner Frau abhandengekommen, und für dieses zweite Trauma gibt es, so ist zu fürchten, keine Abhilfe.
Das Buch hat auch Schwächen: In der direkten Rede etwa, in einigen Scherzen, die eher müde Witzeleien sind, oder in der Darstellung der beiden Enkel, die sich mal wie rebellische Teenager, dann wieder wie Kinder verhalten, die noch den infantil-absurden Geschichten ihres Onkels Pinhas Glauben schenken. Stimmiger schildert der erst zweiunddreißigjährige Schnerf - beim Pariser Verlag Grasset für internationale Literatur zuständig - den Greis Salomon, obwohl dieser ihm, was das Alter angeht, ferner steht. Und so berührt sein Buch vor allem in der zarten und einfühlsamen Darstellung der Trauer eines alten Mannes, der die Frau, die er liebte, verloren hat. Und der obendrein Angst hat, eine zerstrittene Familie zurückzulassen.
Ob der schmale Band deshalb den Prix Orange verdient hat, der ihm verliehen worden ist, sei dahingestellt - die Lektüre lohnt, allein schon aufgrund der grandiosen Szene, in der Schnerf die Extremitäten der entzweiten, um den Tisch versammelten Familie unter sich kommunizieren lässt. Füße, Hände, Finger streicheln, betasten und greifen einander, es folgt ein Schlag ins Gesicht. Die "gute Erfindung", so macht das vorangestellte Gedicht von Jehuda Amichai deutlich, das waren zwei Liebende, die nun auseinandergerissen sind. Wie Teile eines Körpers nach der Amputation.
JAN KNOBLOCH
Joachim Schnerf: "Wir waren eine gute Erfindung". Roman.
Aus dem Französischen von Nicola Denis. Verlag Antje Kunstmann, München 2019. 144 S., geb., 18,- [Euro].
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